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Die ewige Konstante

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07.05.2004
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Die ewige Konstante

Obwohl sie schon seit langem weiß, dass es wieder passieren wird, hat sie immer gehofft, dass es nicht dazu kommt. Ihr ist bewusst, wieviel an diesem Aufstand zerbrechen kann und dass er am Ende doch niemandem hilft.
Und jetzt ist es doch so weit. Die Weber haben sich auf dem Rathausplatz versammelt.
Ihr Mann ist auch dabei. Er hat so oft davon gesprochen, so oft gesagt, dass er sich wehren will. Sie läuft seit Stunden durch die Wohnung und sieht immer wieder aus dem Fenster. Aber er kommt nicht.
Irgendwann wird es dunkel, sie setzt sich an den Tisch und faltet ihre Hände zum Gebet. Gegen Mitternacht wird an ihre Türe geklopft. Sie spürt einen Stich im Unterleib und presst ihre Hand dagegen, um ihr ungeborenes Kind zu schützen. Der Schmerz vergeht, sie atmet tief durch und öffnet die Tür.
„Es tut uns sehr leid“, sagt ein Fremder.
„Dein Mann ist heute gestorben. Er war sehr tapfer.“

Martha lauscht in die Dunkelheit. Ein Geräusch hat sie geweckt, aber jetzt ist nichts mehr zu hören.
In diesem Moment beginnt Helene zu husten. Martha zuckt zusammen, denn es klingt, als würden Ketten über einen Steinboden geschleift.
Plötzlich weiß sie, dass Helene sterben wird.
Sie kann nicht erklären, woher dieser Gedanke kommt, nur dass es stimmt. Die Gewissheit legt sich wie ein Mühlstein auf ihr Herz.
Sie hat das Gefühl, dass Helene nicht länger Helene ist. Dass schon etwas anderes von ihr Besitz ergriffen hat. Martha rutscht an den Rand des Bettes und presst ihren Rücken gegen die Wand.
Was, wenn Helene aufhört zu atmen?
Die Möbelstücke werfen lange Schatten im Zimmer. Martha schließt die Augen. Ihr Herz rast. Sie möchte beten, doch ihr Kopf ist leer und sie weiß nicht, was sie zu Gott sagen soll.
Vater ist noch fort.
„Mama“, brüllt Helene und fängt an um sich zu schlagen.
„Mama ist tot“, sagt Martha. Sie sagt diese Worte nur noch und fühlt sie längst nicht mehr.
Helene fängt an zu weinen, sucht ihre Schwester und legt ihren Kopf auf Marthas Brust.
Martha weiß nicht, was sie tun soll, aber ihre Hände wissen es. Sanft streichelt sie über Helens Kopf und plötzlich ist ihre Schwester wieder ihre Schwester.

***

Am nächsten Morgen schlägt Martha die Augen auf, der Raum ist von der Morgensonne in ein helles Licht getaucht. Ihr Vater sitzt am Tisch. Sie sieht an seinem Gesicht, dass sein Rücken wieder weh tut. Die Arbeit am Webstuhl hat ihn bucklig gemacht.
Sie steht auf, holt ihre Kleider vom Stuhl und zieht sich hastig an. Sie kann seine Blicke im Rücken spüren.
„Guten Morgen“, sagt sie und er sieht sie an, als würden sie ein Geheimnis teilen.
„Helene muss zu einem Arzt.“
„Wir haben kein Geld.“
„Ich glaube, es ist dringend.“
„Hörst du nicht, was ich sage? Wir haben kein Geld.“
„Wir haben auch kein Geld für das Wirtshaus“, sagt Martha.
Der Vater holt aus und verpasst ihr eine Ohrfeige. In ihrem Kopf hört sie ein Rauschen, wie von einem Herbstwind, der durch die Bäume fährt.

***

Sie rennt durch die Stadt, den Milchberg hinunter. Vorbei am Kanal, hinaus zu den Wiesen und hinein in einen kleinen Laubwald.
Manchmal fragt sie sich, ob die Leute ihr ansehen können, was sie tut
Er ist schon da, sitzt ganz aufrecht auf einem umgestürzten Baumstamm und betrachtet das Blätterdach. Martha bleibt stehen und beobachtet ihn.
Er ist schön und stark. Er sieht aus wie einer, der für seine Familie sorgen kann. Sie mag seine Augen, die so grau sind, wie der Himmel nach einem Gewitter. Und sie hört ihm gerne zu und freut sich, wenn er sie um Rat fragt.
Aber am schönsten ist es, wenn er Dinge über sie wissen will. Er sieht sie dann so ernst an, nickt und schließt einen Moment die Augen, als wolle er ihre Worte in Bilder bannen, um sie jederzeit ansehen zu können.

Jetzt hat er sie gesehen und winkt.
Sie rennt zu ihm und bleibt atemlos bei ihm stehen. Sie hofft, dass er sie küssen wird, aber das tut er nicht. Das tut er nie.
„Was ist mit deinem Gesicht passiert?“
Martha schüttelt den Kopf.
„Dein Vater?“
Martha nickt und er hebt die Hand, streicht so sanft über ihre Wange, dass sie es kaum spüren kann.
„Was ist passiert?“
Martha schüttelt nochmal den Kopf. Wenn sie redet, wird sie weinen. Und wenn sie weint, wird sie nie mehr damit aufhören.
„Schau, ich habe einen Apfel für dich dabei.“
Sie nimmt ihn und schlägt die Augen nieder. Bloß ein Apfel.
„Iss“, sagt er.
„Ich nehme ihn für Helene mit“, sagt sie.
„Ich habe ihn für dich mitgebracht.“
Das Loch in ihrem Bauch ist so groß, dass der Apfel beinahe von alleine hineinfällt. Aber sie schüttelt trotzdem den Kopf.
„Es tut mir leid, dass ich heute kein Brot habe, leider haben wir selbst nichts. Wir bleiben auf unseren Stoffen sitzen. Mein Vater hat schon zwei Weber entlassen müssen. Schüle kauft uns kaum noch etwas ab.“
„Ich habe gehört, er verdient viel Geld mit seiner Kattunfabrik.“
Max nickt. „Das stimmt, aber kauft die Stoffe aus Ostindien, weil sie billiger sind. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Vater sagt, dass wir ihn unter Druck setzen müssen. Wir wissen nicht wie.“
Martha denkt an Schüle, sie hat ihn im letzten Sommer gesehen. Ein kleiner Mann, dessen dicker Bauch sich unter seiner Robe deutlich abzeichnete. Die meisten Menschen, auch Martha, hatten ihn gegrüßt, doch er war ohne ein Wort an ihnen vorbei gegangen.
„Wo andere ein Herz haben, ist bei ihm nur ein Stein“, sagt sie.
Max nickt, dann nimmt er ihre Hand.
„Ich möchte dir so gern helfen“, sagt er.
Sie genießt seine Berührung.
Manchmal träumt sie davon, seine Frau zu werden. Wie schön es wäre, immer bei ihm zu sein und in seinem wunderbaren Haus zu leben. Max‘ Vater ist reich, er besitzt acht Webstühle und seine Familie wohnt ganz allein in einem Haus.
Aber er wird sie nie heiraten. Seine Eltern werden ihm eine Frau geben, die auch aus einer wohlhabenden Familie kommt.
Es gefällt ihr trotzdem, davon zu träumen.
„Lass uns fortgehen“, sagt er plötzlich
„Was meinst du?“
„Wir verlassen Augsburg und beginnen woanders ein neues Leben.“
„Das geht doch nicht. Wohin sollen wir denn gehen und was sollen wir tun?“
Ihr Herz klopft wild, sie kann es bis in ihre Ohren spüren.
„Wir können auf einem Bauernhof arbeiten. Wir sind beide jung und gesund.“
Seine Worte sind süß wie Schokolade.
„Das geht doch nicht“, sagt sie nochmal.
„Natürlich geht es. Wir können zusammen sein. Ich werde dich heiraten.“
Aus seinen Augen strahlt die Zukunft: Weizenfelder, die in der Sonne wogen. Eine Vorratskammer, die bis unter das Dach mit Würsten und Käse gefüllt ist. Fruchtmus, das in großen Tontöpfen lagert. Viele Küsse.
Er kommt ganz nahe und sie kann sehen, dass seine blonden Wimpern an der Spitze ganz dunkel sind. Sie saugt seinen Geruch ein. Er riecht nicht nach Bier.
„Kommst du mit mir, Martha?“
Sie nickt und dann küsst er sie auf die Stirn.
„Ich brauche ein paar Tage. Wir brauchen Geld und etwas zu Essen. In drei Tagen werden wir fortgehen, komm am frühen Abend hierher. Du wirst doch kommen, oder?“
„Ich verspreche es.“

***

Sie nimmt die silberne Haarspange ihrer Mutter in die Hand und drückt sie an die Brust. Mutter hat sie so oft getragen. Im Licht der Sonne hat die Spange manchmal geschimmert, als wäre ein Stern in ihrem Haar.
Sie betrachtet sich selbst in der spiegelnden Oberfläche der Spange. Sie sieht ihr langes, blondes Haar und ihre blauen Augen. Kornblumenaugen hat Max einmal gesagt.
Schnell schiebt sie die Spange in die Tasche ihres Mantels.
Plötzlich fühlt sie sich beobachtet.
„Schau nicht so“, schimpft sie ihre Schwester.
Helene schlägt die Augen nieder. Sie ist in dem Bett kaum zu sehen.
Plötzlich fühlt Marthas Herz sich an, als steckten tausend kleine Splitter darin. Sie geht zu Helene und drückt sie fest an sich. Sie hofft, dass der Vater für sie sorgen wird, aber sie darf nicht darüber nachdenken, sonst kann sie niemals weggehen.
„Ich gehe zum Brunnen“, sagt Martha. Sie lächelt und küsst Helene auf die Stirn.
Die Schwester hält sie fest und Tränen schimmern in ihren Augen. Ihr Blick ist wie ein Anker und Martha fühlt, dass sie Helene nicht hierlassen kann.

***

Helene hängt leblos in ihren Armen und atmet rasselnd. Martha achtet darauf, nicht durch die Nase zu atmen, denn Helene riecht aus dem Mund, als würde etwas in ihrem Inneren verfaulen. Obwohl Helene nicht schwer ist, tun Marthas Arme inzwischen so weh, als würde ein Messer darin stecken.

„Wir sind da“, sagt sie schließlich und setzt Helene auf den Baumstamm.
Einen Moment lang freut Martha sich, dass sie es geschafft haben und sie sich endlich ausruhen kann. Aber die Erleichterung hält nicht lange an.
Was wird Max sagen, wenn er Helene sieht? Wird er sie mitnehmen? Wird er überhaupt noch weggehen wollen?

Die Stunden vergehen. Manchmal steht Martha auf und geht ein wenig herum. Sie späht zwischen den Bäumen hindurch und hält Ausschau nach Max. Dann läuft sie zu einem nahegelegenen Bach und füllt Wasser in ihren Lederschlauch.

Irgendwann verschwindet die Sonne hinter den Bäumen und es wird kühl.
„Ich habe Hunger.“ Helene weint.
„Es dauert nicht mehr lange“, sagt Martha.
„Was dauert nicht mehr lange?“
„Du wirst schon sehen.“
Helene beginnt zu zittern und Martha nimmt sie in den Arm. Und dann erzählt sie Helene von ihrem neuen Leben. Sie erzählt ihr von dem wunderbaren Essen, das sie erwartet. Gebratenes Hähnchen. Blutwurst. Und sie verspricht Helene, dass sie ein kleines Kätzchen haben darf, wenn sie tapfer ist.
Martha erzählt und erzählt und irgendwann begreift sie, dass er nicht kommen wird.

***

Es wird schon wieder hell, als sie wieder zu Hause sind.
Helene läuft neben ihr her und weint, aber Martha hat keine Kraft mehr, sie zu tragen.
Plötzlich öffnet eine Nachbarin die Tür.
„Habt ihr es schon gehört?“, fragt sie die beiden Mädchen.
„Was denn?“
„Von dem Aufstand?“
Martha schüttelt den Kopf. Sie weiß nichts davon und will auch nichts wissen.
„Die Weber haben sich zusammengeschlossen. Mein Alois ist auch dabei.“
Die Weber. Max. Martha bleibt stehen.
„Ist euer Vater nach Hause gekommen?“
Martha weiß nicht, was sie sagen soll, aber die Nachbarin erwartet keine Antwort.
„Sie sind am Rathaus. Heute Nacht konnte ich sie bis hierher hören. Sie sind immer noch dort unten.“
„Was machen sie?“
„Sie wollen, dass die Fabrikanten unsere Stoffe kaufen. Sie belagern das Rathaus. Es heißt, sie stehen kurz vor einem Durchbruch.“
„Ich werde hinlaufen“, sagt Martha.
„Bist du verrückt? Es hat Tote gegeben. Zwei Männer sind gestorben.“
Max. Sie fühlt, dass es Max ist und ihre Knie werden weich.

Sie bringt Helene nach Hause und legt sie in ihr Bett. Der Vater ist immer noch nicht zu Hause.
„Ich muss nochmal fort“, sagt sie.
Und dann rennt sie durch die Straßen, zum Rathausplatz. Helene hat noch nie so viele Menschen auf einem Fleck gesehen. Viele schreien. Sie zwängt sich zwischen den Männern hindurch. Dort hinten, war das nicht ihr Vater? Sie duckt sich, sie möchte auf keinen Fall, dass er sie sieht.
Und dann steht sie direkt neben ihm. Max ist am Leben.

***

Am nächsten Tag reden alle darüber.
Die Menschen in Marthas Viertel sind stolz. Die Ehefrauen stehen auf der Straße und erzählen, dass ihre Männer Schüle das Handwerk gelegt haben.
Er muss für jeden Meter ostindischen Stoff einen aus Augsburg kaufen. Martha will gerne glauben, dass jetzt alles besser wird, aber sie kann nicht.

Am Abend kommt der Vater früh von der Arbeit.
Er hat Brot, Kartoffeln und Speck dabei.
„Kochst du uns eine Suppe, Martha?“, fragt er sie.
Martha nickt. Ihr Magen knurrt, am Liebsten würde sie sie die rohen Kartoffeln essen, aber sie weiß, dass sie dann Bauchschmerzen bekommt.
„Ich lasse einen Arzt für Helene kommen“, sagt er und sie nickt nochmal.
Sie sollte glücklich sein, aber sie ist es nicht.

Am nächsten Sonntag sieht sie ihn in der Kirche. Max sucht ihren Blick, doch sie starrt auf den Boden. Nach dem Gottesdienst kommt er im Gedränge an sie heran und zupft sie am Ärmel. Sie sieht ihn nicht an. Sie will ihn nie wieder ansehen oder ein Wort mit ihm sprechen.
"Ich konnte nicht weg", flüstert er. "Ich musste den Anderen helfen. Siehst du nicht, dass jetzt alles besser ist?"


Martha geht oft auf den Friedhof. Sie besucht das Grab ihres Mannes und das von Helene.
Sie denkt oft an damals. Daran, dass es zuerst gut war und daran, wie schnell es wieder schlecht wurde. Wie schnell Schüle sich nicht mehr an seine Zusage gebunden fühlte.
Und jetzt, zehn Jahre später, hat sich nicht das Geringste verändert. Martha ist hungrig und müde. Das Kind in ihrem Bauch wächst, aber sie freut sich nicht. Sie kann ja kaum sich selbst durchbringen, wie soll sie da noch für einen anderen Menschen sorgen?

Was, wenn es ihrem Kind ergeht wie Helene?
Sie denkt oft an ihre kleine Schwester, erinnert sich an die Nacht, in der sie starb.
Sie hätte Essen gebraucht und Medizin. Der Aufstand brachte allen große Hoffnungen, aber letztendlich wurden sie nicht erfüllt.

Manchmal denkt sie an ihren Vater. Wenn sie an seine Blicke und an alles andere denkt, wird ihr schlecht. Sie weiß nicht, wo er jetzt ist. Sie weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt.

Plötzlich spürt sie Blicke auf sich. Sie dreht sich um und steht Max gegenüber.
Sie nickt ihm zu und wendet sich wieder ab, doch plötzlich muss sie ihn etwas fragen.
„Wünschst du dir auch manchmal, dass wir gegangen wären?“
„Sehr oft, aber ich würde es trotzdem immer wieder genauso machen.“

 

Hallo,
mir hat die Geschichte insgesamt gefallen. Sie ist schlicht und klar, hat einige eindringliche Momente, und mir sagt ihre historische Verortung zu. Das ist eben die Seite einer einfachen Frau in den damaligen Wirren, keiner die an der vordersten Front kämpft, sondern die das Elend der Industrialisierung passiv miterleben muss. Ihr geht es ums Überleben, um die nahen Menschen, und um die Liebe den gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz. Das ist ein klassisches Szenario für Literatur aus dieser Zeit, es hat mich teilweise auch an einige Sachen von Fallada erinnert, z.B. "Kleiner Mann, was nun", und den lese ich sehr gerne.
Die Sprache kommt ohne Kapriolen aus, was völlig in Ordnung ist, und ich finde, dir sind ein paar sehr gefühlvolle Momente gelungen:

Aus seinen Augen strahlt die Zukunft: Weizenfelder, die in der Sonne wogen. Eine Vorratskammer, die bis unter das Dach mit Würsten und Käse gefüllt ist. Fruchtmus, das in großen Tontöpfen lagert. Viele Küsse.
Das "viele Küsse" ist sehr gut gesetzt. An diesen zwei Worten hängt viel dran.
Sie möchte beten, doch ihr Kopf ist leer und sie weiß nicht, was sie zu Gott sagen soll.
Das gefällt mir auch. Es pointiert die Ausweglosigkeit.
Die Schwester hält sie fest und Tränen schimmern in ihren Augen. Ihr Blick ist wie ein Anker und Martha fühlt, dass sie Helene nicht hierlassen kann.
Das ist auch ein rührender Moment.
Die Geschichte ist auch ein stückweit (über)dramatisiert, so empfand ich den Gesamtton, und mir vielleicht ein Stück zu rührselig. Das Thema fordert es auch heraus natürlich, aber es fällt mir halt auf.
Noch ein paar Sachen vielleicht.
Obwohl sie schon seit langem weiß, dass es wieder passieren wird, hat sie immer gehofft, dass es nicht dazu kommt.
Das finde ich für den ersten Satz etwas zu nebulös. "Es" wird wieder passieren, "es" soll nicht dazu kommen. Irgendwie empfinde ich das als zu unbestimmt, gerade als Einleitung.
„Es tut uns sehr leid“, sagt ein Fremder.
„Dein Mann ist heute gestorben. Er war sehr tapfer.“
Das ist wahrscheinlich tatsächlich etwas, was man in der Situation sagen würde, aber es wirkt auf mich schon versatzstückhaft.
In diesem Moment beginnt Helene zu husten. Martha zuckt zusammen, denn es klingt, als würden Ketten über einen Steinboden geschleift
Hmm... metallener Husten? Da bin ich drüber gestolpert.
Sie ist so schwach wie ein kleines Vögelchen.
Das ist natürlich persönlicher Geschmack, aber für mich klingt das zu sentimental und mitleidserregend.
Ja, da waren, glaube ich, noch ein paar Formulierungen, die ich lieber anders gesehen hätte, aber ich habe jetzt auch nicht mehr viel Zeit. Auch der Titel sagt mir nicht besonders zu, es ist natürlich klar, was du damit sagen willst, aber es passt nach meinem Empfinden nicht zu dem Ton des Textes.
Insgesamt hat es mir in seiner Klarheit gefallen. Die Erzählung verläuft schon ziemlich linear, vielleicht hätte ich mir da noch etwas mehr Komplexität gewünscht, aber da du offensichtlich auf Schlichtheit gesetzt hast, wird es meiner Meinung nach deiner Intention gerecht.
Ich habe es gerne gelesen.
lg, randundband

 

Hallo Bella

Du machtest den Einstieg mir nicht unbedingt leicht verständlich. :D Der Prolog ist klar, der Weber ist tot. Doch dann mit Martha, ich dachte erst es sei die Frau des Webers und Helene ihr Kind. Doch nein, es sind zwei Schwestern und der Weber lebt. Martha denkt, Helene stirbt. Zu Helene sagt sie Mama ist tot.

„Martha muss zu einem Arzt.“

Da war ich perplex, wer spricht? Ich denke Martha, was mir in dieser Form etwas surreal dünkt. Und muss nicht Helene zum Arzt? – Es muss so sein, wie sich später zeigt.

Im Epilog klärt es sich, gibt der Geschichte ihre Rundung. Eigentlich fehlt in der Handlung nichts, doch als Leser kam ich wie oben angezeigt etwas durcheinander. Wenn ich rückblickend den Titel beachte, ist er selbsterklärend für die mir während des Lesens fehlenden Teile.

Doch es ist eine hübsche kleine Geschichte, die gefühlvoll und doch ohne Schnörkel einen Blick in die Vergangenheit wirft und historisch glaubhaft eingebettet wirkt.

War mir angenehm zu lesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bella,

Du hast als Thema ein konkretes historisches Ereignis gewählt, den Augsburger Weberaufstand von 1784. Vom Genre her gesehen ist es eine Liebesgeschichte mit Spannungselementen, die aus dem historischen Konflikt zwischen Webern und Kaufleuten/ Kattunfabrikanten resultieren.

Von dieser Ausgangsbasis her lassen sich bestimmt viele gute Geschichte erzählen, denn die benannte Mischung aus Historik, Romantik und Spannung funktioniert gut, wie berühmte Beispiele aus der Literatur beweisen.

Plot - Dreh- und Angelpunkt Deiner Geschichte ist Marthas Schicksal. 1784 vermasselt der erste Weberaufstand ihre Flucht- und Heiratspläne. Aus der geplanten besseren Zukunft mit Max, dem Sohn eines Webermeisters, wird nichts. Max´ Vater wird seine Stoffe nicht los, die Globalisierung schlägt zu, der Kapitalismus – gerade erst ein paar Jahre alt – zeigt sein wahres Gesicht. Zehn Jahre später tötet der zweite Weberaufstand Marthas Mann.

Das alles hast Du mit Details ausgestattet – Marthas resignierter Vater, ihre schwindsüchtige Schwester – und deshalb wirkt das Szenario grundsätzlich glaubhaft auf mich. Für eine historische Geschichte gilt allerdings, dass man den Leser insbesondere durch Details erreicht, die sich auf die jeweilige Epoche und Lebensart beziehen. In historischen Geschichten wollen wir verblüfft werden durch Einzelheiten, die uns – sofern wir keine Historiker sind – zuvor unbekannt waren.

Aus diesem Element leitet sich ein beachtlicher Teil der Faszination von Umberto Ecos Romanen und auch den Geschichten von Márquez ab. Das setzt ein wenig (oder auch mehr) Recherche voraus, wird aber belohnt. In diesen Bereich fallen allgemeine Sitten (Essen, Ernährung, Kochen, Kleidung, Religion, Umgangsformen) aber auch Technologien und Arbeitsmethoden (Gerätschaften, Handwerk, Transportwesen). Davon gibt es bei Dir zu wenig für meinen Geschmack.

Problematisch wird es bei der Logik Deiner Geschichte. Es mag gute Gründe geben, weshalb Martha und Max nach dem ersten Aufstand ihre Pläne nicht umsetzen. Doch der Leser erfährt nichts davon. Dass Max sie an dem bewussten Nachmittag versetzt hat, ist kein ausreichender Grund, die gemeinsamen Pläne fallenzulassen.

Das heißt, ich verstehe den Twist in der Geschichte überhaupt nicht. Dass Martha ihren Ehemann – den der Leser nicht kennt – dann verliert, ist zwar hart, steht aber in keinen sinnvollen Bezug zum Rest der Geschichte.

Zum Ende hin sprechen Max und Martha noch einmal miteinander: „Wünschst du dir auch manchmal, dass wir gegangen wären?“ - „Sehr oft, aber ich würde es trotzdem immer wieder genauso machen.“ Schön und gut. Dass Max bei einem Aufstand den eigenen Leuten helfen wollte, erklärt aber eben nicht, weshalb er danach nicht mit Martha abgehauen ist. Das ist schwerwiegender Konstruktionsfehler, glaube ich.

Stilistik – Deine Geschichte beginnt mit einem stilistischen Schnitzer im Titel. Konstanten haben es an sich, unveränderlich zu sein. Das mag auf den ersten Blick nicht offensichtlich sein, aber der Titel entspricht Konstruktionen wie "Das brennende Feuer" oder "Der kalte Winter".

Insgesamt finde ich Deine Sprache angenehm und flüssig zu lesen. Ein paar Kleinigkeiten:

Zu bedenken ist, ob ein einfaches Mädchen im achtzehnten Jahrhundert sagen würde: „Aber seine Kattunfabrik floriert.“ Das scheint mir eine sehr gewählte Art des Sprechens zu sein.

Im ersten Abschnitt, der das Treffen von Martha und Max beschreibt, gehst Du raus aus der Szene und beschreibst "Aber am Schönsten ist es, wenn er Dinge über sie wissen will. Er sieht sie dann so ernst an, nickt und schließt einen Moment die Augen, als wolle er ihre Worte in Bilder bannen, um sie jederzeit ansehen zu können."

Es scheint mir hier besser, im Konkreten zu bleiben. Die zusammenfassende Erzählweise darf man nur sparsam dosiert einsetzen, glaube ich, weil sie sich immer aus dem spannungsgebenden Szenario entfernt. Gerade am Anfang der Einführung einer Person ist das eine knifflige Sache.

Etwas anderes: Mühlsteine, die sich auf Herzen legen, sind ein oft bemühter Vergleich. Damit muss man vorsichtig sein. Das gilt auch für Ketten, die über den Boden schleifen und Worte, die so süß sind wie Schokolade. (Nebenbei: Die erste Schokoladenfabrik Deutschlands geht auf das Jahr 1804 zurück. In dem Zeitraum, in dem deine Geschichte spielt, dürften nur die wenigsten armen Leute gewusst haben, wie Schokolade schmeckt, aber vielleicht irre ich mich.)

Eine weitere kleine Schwäche besteht in Wort- und Lautdopplungen, die Du schnell finden wirst, wenn Du nochmal durch den Text gehst.

Fazit: Thema und Genre finde ich gut gewählt. Die historischen Details könnten etwas farbenfroher sein. Die Stilistik ist bis auf ein paar Kleinigkeiten gut gelungen. Hauptproblem der Geschichte ist ihr inkonsistenter Plot.

Beste Grüße
Achillus

 

@ Randundband

Es freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Ich habe befürchtet, dass einige vielleicht bemängeln, dass ich diesen Aufstand nicht aktiver beschrieben habe. Aber es ist so, wie du es auch beschreibst: Es ging mir hier um die Geschichte der einfachen Frau.

Die Geschichte ist auch ein stückweit (über)dramatisiert, so empfand ich den Gesamtton, und mir vielleicht ein Stück zu rührselig.

Anscheinend bekomme ich das "Überdramatisierende" aus meinen Geschichten nicht heraus. Das wird mir immer wieder einmal gesagt. Ich glaube, ich muss einmal eine richtig blutrünstige Geschichte schreiben, um mir das abzugewöhnen.

Herzlichen Dank für deine stilistischen Anmerkungen. Ich werde den Text dann in Ruhe überarbeiten und nochmal prüfen, was ich ändern möchte.

@ Anakreon

Auch dir danke ich für das Lesen und Kommentieren meiner Kurzgeschichte. Das positive Gesamturteil freut mich natürlich sehr.

Hm ja, der Einstieg ist vielleicht ein bisschen verwirrend, aber ich wollte da einen Bogen spannen. Der Weberaufstand in Augsburg entbrannte nach 10 Jahren ein zweites Mal und der Prolog spielt dann eben zehn Jahre später als der Rest der Geschichte.

Da war ich perplex, wer spricht? Ich denke Martha, was mir in dieser Form etwas surreal dünkt. Und muss nicht Helene zum Arzt?

Ein grober Schnitzer, den ich ausgebesser habe. Danke für den Hinweis. Erstaunlich: Ich habe diese Stelle bestimmt an die 30x gelesen und es trotzdem nicht gemerkt.

@ Carduela

Auch an dich herzlichen Dank, dass du dich mit meiner Geschichte beschäftigt hast.

Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, die Personen zuzuordnen, was sich dann aber im weiteren Verlauf der Geschichte selbst erklärte.

Kannst du mir vielleicht sagen, ab welcher Stelle dir die Zusammenhänge klar wurden? Das würde mich sehr interessieren, um besser abschätzen zu können, wo ich deutlicher werden muss. Der Anfang hingegen ist absichtlich etwas nebulös belassen, das soll sich dann auch erst gegen Ende aufklären.

Zunächst hatte ich das Gefühl, dass man die ganze Geschichte etwas kürzen könnte, bei nochmaligem Überlegen glaube ich aber, dass sie genauso gemächlich erzählt werden muss, um ihr mehr Kraft zu geben. Also keine Einwände.

Hm, erstaunlich, dass du das so empfindest. Eigentlich hatte ich vielmehr das Gefühl, dass ich viel zu schnell erzählt habe bzw. dass diese Thema generell mehr Raum braucht. Gerade auch hinsichtlich der historischen Details, die - wie Achillus auch in seinem Kommentar zurecht anmerkt - zu kurz kommen.
Als Beispiel die vielen „aber“ innerhalb weniger Absätze

Oh je. Also der von dir zitierte Absatz ist mir ja wirklich mal peinlich. Danke für´s Aufzeigen. Sowas geht gar nicht.

Was die vielen "und" angeht, muss ich mich jedoch wenigstens dahingehend verteidigen, dass ich sie absichtlich verwendet habe. Ich bin kein Freund von kurzen Sätzen. Ist aber sicherlich auch so nicht jedermanns Sache. Ich denke, das muss auch zur Geschichte passen. Trotzdem danke für den Hinweis, ich werde mal sehen, ob ich das bei einer anderen Geschichte mal variieren.

@ Achillus

Vielen Dank auch dir für deine ausführliche Kritik!

Du hast meine Geschichte richtig verortet und auch korrekt festgestellt, dass der Prolog und das Ende dann eben erst in der zweiten Welle spielen.

Was die fehlenden historischen Details angeht, hast du natürlich recht. Ich kann da mitunter schwer einschätzen, wieviel da nötig wäre bzw. gut ist. Die Geschichte ist ja recht kurz und ich wollte dann mit den historischen Details nicht zu bemüht wirken. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Kürze der Geschichte dieser historischen Verortung überhaupt gerecht werden kann.
Der Leser muss ja erst in diese Welt eingeführt werden. Ich muss da echt nochmal darüber nachdenken, wie ich das geschickt machen kann oder ob ich dieser Geschichte insgesamt mehr Raum geben muss.

Schade, dass die Geschichte so wenig logisch daher kommt.
Einerseits dachte ich (wenn der Autor erklärt, was er so dachte, ist es immer ein schlechtes Zeichen), dass ihre Flucht ein bisschen Hirngespinst ist. Sie sind beide noch sehr jung, einigermaßen verzweifelt, er möchte ihr gerne helfen. Ihre Flucht wäre womöglich geglückt, wenn sie gleich gegangen wären - wie geplant. Dann kommt der Aufstand dazwischen. Ihr Leben verbessert sich zunächst und für´s erste haben sie dann auch nicht mehr diesen starken Leidensdruck. Als dann auch Helene stirbt, gibt Martha ihm so ein wenig die Schuld und alles in allem lassen sie es dann eben sein.
Aber du hast recht - das steht so nicht wirklich in der Geschichte bzw. bestenfalls andeutungsweise. Ich muss mir da auch nochmal etwas einfallen lassen.

Das heißt, ich verstehe den Twist in der Geschichte überhaupt nicht. Dass Martha ihren Ehemann – den der Leser nicht kennt – dann verliert, ist zwar hart, steht aber in keinen sinnvollen Bezug zum Rest der Geschichte.

Es war so gedacht, dass ihre Lebenspläne zwei Mal durch diesen Weberaufstand eine sehr krasse Änderung erfahren. Beim ersten Mal wird ihre Flucht vereitelt und beim zweiten Mal bleibt sie alleine mit ihrem ungeborenen Kind zurück.

Deine Geschichte beginnt mit einem stilistischen Schnitzer im Titel. Konstanten haben es an sich, unveränderlich zu sein.

Ohje. Klar, du hast völlig recht.

Es scheint mir hier besser, im Konkreten zu bleiben. Die zusammenfassende Erzählweise darf man nur sparsam dosiert einsetzen, glaube ich, weil sie sich immer aus dem spannungsgebenden Szenario entfernt. Gerade am Anfang der Einführung einer Person ist das eine knifflige Sache.

Ich hatte hier zunächst eine konkrete Szene in der Geschichte, fand sie dann aber zu umständlich und habe sie gelöscht. Ich hätte mich hier wohl besser auf mein Bauchgefühl verlassen.

Vielen Dank für die wertvollen Hinweise für meine Überarbeitung.

Viele Grüße
Bella

 

Hallo Bella

Ich habe deine Geschichte auch gern gelesen, habe im Zug damit begonnen und gerade in einem Rutsch durchgelesen, das spricht für die Geschichte, weil ich nicht so gern auf dem Handy Texte lese.

Mir gefällt auch die zeitliche Einordnung und der Bezug zu tatsächlichen Ereignissen. Ich finde auch, dass du einige Details schön herausgearbeitet hast und auch trotz der überwiegend zweckmäßigen Sprache einige schöne Formulierungen gefunden hast. Aufgefallen als Beispiele sind mir:

Sanft streichelt sie über Helens Kopf und plötzlich ist ihre Schwester wieder ihre Schwester.

Martha schüttelt nochmal den Kopf. Wenn sie redet, wird sie weinen. Und wenn sie weint, wird sie nie mehr damit aufhören.

Die Schwester hält sie fest und Tränen schimmern in ihren Augen. Ihr Blick ist wie ein Anker und Martha fühlt, dass sie Helene nicht hierlassen kann.

Diese Beispiele zeigen auch, dass die Geschichte immer dann ihre Stärken hat, wenn es ins Emotionale hineingeht. Die Gefühlswelt von Martha kommt gut bei mir an, der Text schwächelt aber, wenn es um die Ausarbeitung der Konflikte geht.

Es gibt zwei zentrale Konflikte, einmal Martha und ihr Vater, einmal Martha und Max. Bei beiden machst du lediglich Andeutungen und verlierst dich dann letzten Endes in etwas beliebigen Beschreibungen, sei es beim (vermutlich alkoholsüchtigen) Vater, der Martha schlägt, oder bei Max, der aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen auf die Flucht verzichtet. Es ist natürlich schön, diese Möglichkeit zu schildern und aufzuzeigen, damit fällt Martha umso tiefer, wenn es nicht klappt - tja, aber wie ernst war es Max denn überhaupt mit der Flucht? Also das wurde ja schon erwähnt, und ich fand das auch eine Schwachstelle im Text, du hast ja inzwischen auch schon Stellung dazu genommen, aber ich finde einfach diese Handlung muss plausibler daherkommen. Ich denke, das würde auch die anderen Stellen aufwerten, denn es würde die Geschichte insgesamt schlüssiger machen.

Was ich einen sehr schönen Einfall fand, war die Nebenhandlung mit Helene, dass sie ihre schwer kranke Schwester mitnehmen will und dann auch überlegt, was Max darüber denken wird. Wie gesagt, auf dieser gefühlvollen Ebene funktioniert der Text, er ist auch kurzweilig, aber ich denke, wenn du die zentralen Konflikte noch weiter ausarbeiten und individueller gestalten könntest, würde der Text insgesamt gewinnen.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Bella,

ich schreib mal mit.

... wieviel an diesem Aufstand zerbrechen kann und dass er am Ende doch niemandem hilft.
Und jetzt ist es doch so weit.

Du weißt schon :)

Ich hatte auch Probleme, wer da am Anfang wer ist und wie sie zueinander im Verhältnis stehen. Das ist ja kein Rätsel, was ich lösen könnte, dass ist bewusste "Verarsche", sorry, wenn ich das so deutlich sage. Ich mein, du verlangst deinem Leser schon einiges ab, am Anfang. Du steckst ihn in eine andere Zeit, Du springst in der Chronologie und dann weiß ich noch nicht mal, wer da wer ist und wie zu wem im Verhältnis steht. Mag ja sein, dass sich das im weiteren Verlauf alles erschließt, aber soweit muss ich dann auch erst mal kommen. Ich habs nur weitergelesen, weil dein Nick drüber steht. Ich weiß auch nicht, ob die Geschichte es nötig hat, sich durch solche Spielchen interessant zu machen.

„Mama“, brüllt Helene und fängt an um sich zu schlagen.
„Mama ist tot“, sagt Martha. Sie sagt diese Worte nur noch und fühlt sie längst nicht mehr.

Bis hier hab ich gedacht, Helene ist das ungeborene Kind vom Anfang. Und dann, ach nee, Mama ist tot, kann sie also nicht sein, weil Martha lebt ja noch. Und Papa lebt auch noch, der ja am Anfang gestorben ist. Sprich, ich habe auch einfach gedacht, der Anfang ist eine Rückblende und keine Vorschau. Ich stand also doppelt auf dem Schlauch.

Helene fängt an zu weinen, sucht ihre Schwester und legt ihren Kopf auf Marthas Brust.
Martha weiß nicht, was sie tun soll, aber ihre Hände wissen es. Sanft streichelt sie über Helens Kopf und plötzlich ist ihre Schwester wieder ihre Schwester.

Okay, hier klärt sich Schwester. Aber in der Chronologie hänge ich noch. Ist der Anfang jetzt vorher oder nachher?

Und dann der mysteriöse "er", der irgendwann zu Max wird, dem Sohn eines Fabrikbesitzers, der auch Pleite ist, der sich kein Brot mehr leisten kann.

Max nickt. „Das stimmt, aberr kauft die Stoffe aus Ostindien, weil sie billiger sind.

... immer bei ihm zu sein und in seinem wunderbaren Haus zu leben. Max‘ Vater ist reich, er besitzt acht Webstühle und seine Familie wohnt ganz allein in einem Haus.

Ein paar Zeilen zuvor hatte er noch nicht mal eine Scheibe Brot ... verwirrend ;).

„Lass uns fortgehen“, sagt er plötzlichPUNKT

Plötzlich fühlt sie sich beobachtet.
„Schau nicht so“, schimpft sie ihre Schwester.
Helene schlägt die Augen nieder. Sie ist in dem Bett kaum zu sehen. Sie ist so schwach wie ein kleines Vögelchen.
Plötzlich fühlt Marthas Herz sich an, als steckten tausend kleine Splitter darin.

Plötzlich ist ein Blenderwort. So plötzlich ist das nämlich alles gar nicht, wie es uns weiß machen will ;).

Und sie verspricht Helene, dass sie ein kleines Kätzchen haben darf, wenn sie tapfer ist.
Martha erzählt und erzählt und irgendwann begreift sie, dass er nicht kommen wird.

Wie alt ist Helene eigentlich? Hab ich mich schon vorher gefragt. Ich dachte so wie Martha, ein, zwei Jahre dazwischen, aber hier scheint sie mir doch wesentlich jünger.

Es wird schon wieder hell, als sie wieder zu Hause sind.

Plötzlich öffnet eine Nachbarin die Tür.

Soso :)

Sie bringt Helene nach Hause und legt sie in ihr Bett. Der Vater ist immer noch nicht zu Hause.

Und dann rennt sie durch die Straßen. Sie geht zum Rathausplatz.

Lass sie doch weiterrennen.

Am Abend kommt der Vater früh von der Arbeit.
Er hat Brot, Kartoffeln und Speck dabei.

Das ging dann aber flott, mit dem Kauf und dem Geld.

Sie sieht ihn nicht an. Sie will ihn nie wieder ansehen oder ein Wort mit ihm sprechen.

Okay ... du erzählst uns eine Liebesgeschichte, eine die nicht sein kann, weil nicht sein darf. Das ist Martha bewusst, auch wenn es nur in einem einzigen Satz zum Thema wird. Sie ist erleichtert, dass er am Leben ist, sie sieht den Grund, warum er nicht kam, kommen konnte, und jetzt, so aus dem Nichts heraus, ist sie enttäuscht, gekränkt, fühlt sich im Stich gelassen. Da gibt es keinen Prozess, der mir das Nahe legt, dass liest sich/ fühlt sich an wie ein Wechselbad.

„Wünschst du dir auch manchmal, dass wir gegangen wären?“
„Sehr oft, aber ich würde es trotzdem immer wieder genauso machen.“

Moment. Max hat sie nicht bekommen. Dafür gibt es gute Gründe. Aber die beiden hängen doch noch sehr der Zeit nach. Max scheint sie sogar noch zu lieben. D.h. sie haben es kein zweites Mal versucht? Der eine Satz in der Kirche soll mir alles erklären, was danach geschah und warum es so geschah ... das nenne ich mal verdichtet :). Das sind ja Galoppsprünge, die Du hier anschlägst.

So, liest sich jetzt nach einer Menge Kritik. Ist so 50/50 bei mir. Ich mochte die Geschichte schon gern, ich fand den historischen Hintergrund mutig, auch wenn er mich nicht überzeugt hat, will heißen, ich bin in die Zeit nicht eingetaucht. Wegen der Sprache vielleicht, aber noch mehr, weil es eben alles so karg ist. Ich hatte zwei Mal das Gefühl der Zeit nahe zu kommen, einmal beim Lederschlauch fürs Wasser und beim Mus in den Tontöpfen. Solche Detail könnte der Text noch ein paar mehr vertragen. Ist aber eh immer so eine Sache, wenn man ein so interessantes Feld anklingen lässt, und Leben und Alltag in dieser Zeit sind nun mal spannend, dann riskiert man immer, dass Leser davon mehr haben will. Da einen guten Mittelweg zu finden, ist sicher eine der schwierigen Dinge bei solchen Texten. Hat man zu viel, lenkt es ja auch wieder ab. Dann heißt es schnell, dsoll ja eine Geschichte sein und kein Geschichtsbuch.
Aufbau finde ich soweit gut. Bis auf das Rätselraten am Anfang, weil unnötig. Ja, ginge auf jeden fall mehr, funktioniert aber auch in dieser minimalistischen Form.Wie gesagt, ich habe das schon mit Interesse gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. Den Text vorher fand ich aber bedeutend stäker, aber der hatte auch ein viel größeres Thema. Kann man eigentlich gar nicht vergleichen.

So viel von mir.
Lieben Gruß, Fliege

 

Hey Bella!

Ah, eine Geschichte mit zwei Ebenen, die eine normal, die andere kursiv, das ist irgendwie ... old school. 2004 hat Felsenkatze damit angefangen, denke ich, und wenn man jetzt solche Geschichten liest, kommt man sich vor als lebte man in der guten alten Zeit. :)

Von den nostalgischen Gefühlen mal abgesehen hatte ich beim Einstieg aber die gleichen Probleme wie Fliege: Da werden künstlich Hürden aufgebaut. Wäre deine Geschichte ein Bild, dann wäre der Anfang, diese verwirrende Verwicklung, nicht Teil des Bildes selbst, sondern eine Seilabsperrung in zehn Metern Entfernung, die man erst überwinden müsste (ohne sich zu verwickeln!), um zum Bild zu gelangen. Puh! Ich habe den Anfang viermal gelesen, bis ich genug verstanden hatte, um weiterlesen zu können. Fairerweise muss man sagen, dass ich ein fürchterlicher Bildschirmleser bin und dass es zwei Uhr nachts war.

Hat man diese Hürde überwunden, wird es leichter. Dieser historische Bezug, da hast du alle Hausaufgaben gemacht, das wirkt sehr ordentlich. Es gibt zudem ein paar starke Szenen mit der kranken Schwester. Mir hat auch gefallen, dass die Frau erfrischend passiv geblieben ist und sich nicht in Wanderhurenmanier zur Anführerin der Revolte aufgeschwungen hat. Wirkt so irgendwie glaubwürdiger.

Viele Grüße
Blaine

 

Hallo Fliege,

zunächst einmal: Vielen Dank.

Danke für die deutlichen Worte zum Anfang. Ich werde das überarbeiten. Ich habe nach euren Kommentaren auch nochmal darüber nachgedacht und sehe es nun auch so, dass dieses Wischiwaschi der Geschichte nichts bringt. Ist ja nicht so, als würde es in der Geschichte um irgendein Geheimnis gehen, dass der Leser erst später erfahren darf.

Meine Intention mit diesen beiden Handlungssträngen war es ja, die beiden Weberaufstände, die im Abstand von zehn Jahren stattgefunden haben, zu verbinden. Vielleicht wäre es geschickter, Jahreszahlen zu nennen. Vielleicht ist auch der ganze Aufbau doof. Bin mir da gar nicht mehr so sicher.

Ein paar Zeilen zuvor hatte er noch nicht mal eine Scheibe Brot ... verwirrend .

Das war darauf bezogen, dass seine Familie zwar einen gewissen Besitz hat, aktuell aber trotzdem wenig bis kein Geld für Nahrung hat.

Plötzlich ist ein Blenderwort. So plötzlich ist das nämlich alles gar nicht, wie es uns weiß machen will.

Argh. Mir ist schon selbst aufgefallen, das "plötzlich" plötzlich eine schlechte Angewohnheit von mir ist. Ich hab schon tausend rausgestrichen und jetzt sind immer noch so viele übrig. Mist.

Wie alt ist Helene eigentlich? Hab ich mich schon vorher gefragt. Ich dachte so wie Martha, ein, zwei Jahre dazwischen, aber hier scheint sie mir doch wesentlich jünger.

Helene ist ungefähr vier, fünf Jahre alt. Martha ist 13 Jahre alt. Sollte ich wohl auch noch deutlicher machen.

Ich bin, ehrlich gesagt, selbst nicht so wirklich zufrieden mit dieser Geschichte. Sie war ein Entwurf von anno dazumal und ich bin schon damals nicht so richtig weitergekommen. Auch jetzt habe ich ewig daran herumgeschrieben und immer wieder Dinge verworfen. Ich war dann einigermaßen erstaunt, dass die ersten Kritiken doch relativ gut ausgefallen sind.
Deine Kritik bestätigt mir jetzt einfach auch mein Bauchgefühl - dass das so nicht funktioniert. Ich habe im Moment leider auch keine wirkliche Idee, wie ich das ändern kann. Ich schätze, das ist jetzt auch nicht damit getan, dass ich vielleicht die eine oder andere Szene etwas ausbaue. Da müsste ich schon grundsätzlich nochmal drüber gehen.
Ich fürchte, ich habe mich bzw. meinen Fokus da beim Schreiben auch so ein bisschen aus den Augen verloren. Das Augenmerk sollte stärker auf diesem Aufstand liegen und ich hab´s mal wieder geschafft, daraus ne Liebesgeschichte zu machen. Sehr schlechte Angewohnheit von mir.

Puh, also ich muss da jetzt wirklich ernsthaft alles überdenken.

Vielen Dank für deine Hilfe.

@ Blaine

Vielen Dank auch dir für´s Lesen und Kommentieren.
Du nennst diesen Aufbau old school - das finde ich ein bisschen witzig, schließlich habe ich hier auch ein paar Jahre Entwicklung verpasst.

Es ist jetzt ein bisschen off topic, aber ich finde, dass der Fokus im Gegensatz zu damals sehr stark auf der ganzen sprachlichen Ebene liegt.
Klar, das spielte damals schon auch eine Rolle, aber nicht in diesem Umfang. Wäre interessant, ob das andere Leute, die schon länger dabei sind, auch bestätigen können.
Ich finde diese Tendenz einerseits gut, andererseits aber auch nicht so gut.
Gut finde ich sie, weil der Anspruch beim Schreiben sicherlich auch sein sollte, sprachlich etwas außergewöhnliches zu schaffen. Es gibt hier einige Leute, die das super können und wenn ich deren Texte lese, werde ich sowas von neidisch.
Ich finde niemand sollte "langweilig" schreiben und Metaphern wie "er schrie wie am Spieß" verwenden, aber ich frage mich auch, ob dieses spezielle sprachliche Niveau allen "aufgedrückt" werden kann. Mir fällt gerade keine andere Begrifflichkeit ein und ich meine es auch nicht so negativ wie es klingt, aber es ist mir eben aufgefallen.

So, nun wieder zur Geschichte.

Den Einstieg werde ich überarbeiten. Ich glaube, dass fast alle Leser damit Probleme hatten. Ich werde da morgen mal drüber gehen und versuchen, das deutlicher zu machen.
Ich denke aber, ich werde die Geschichte noch einmal umfassend überarbeiten müssen.

Freut mich aber, dass es dir dann soweit doch ganz gut gefallen hat. :)

Liebe Grüße
Bella

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

ich schreibe mal so mit, was mir beim Lesen auffällt und gebe dir dann mein Feedback. Ist frisches Feedback, habe die Vorkommentare nicht gelesen.

Obwohl sie schon seit langem weiß, dass es wieder passieren wird, hat sie immer gehofft, dass es nicht dazu kommt. Ihr ist bewusst, wieviel an diesem Aufstand zerbrechen kann und dass er am Ende doch niemandem hilft.
So aus dem Bauch raus finde ich die Einleitung gut. Die wirft viele implizierte Fragen auf, die einen Bock machen, weiterzulesen.

Die Weber haben sich auf dem Rathausplatz versammelt.
Ach krass. Weberaufstand?

Gegen Mitternacht wird an ihre Türe geklopft.
Also mir würde das Aktiv besser gefallen. Gegen Mitternacht klopft es an ihre Türe. Ist knapper und weiß nicht ... würde mir besser gefallen. Muss aber auch nicht.

Der Schmerz vergeht, sie atmet tief durch und öffnet die Tür.
„Es tut uns sehr leid“, sagt ein Fremder.
„Dein Mann ist heute gestorben. Er war sehr tapfer.“
Wow, ganz ehrlich, ich würde den letzten Satz streichen. Halte den Leser etwas hin, der denkt sich schon: Der ist gestorben. Aber wenn es nicht eindeutig gesagt wird, will man umsomehr weiterlesen. Wäre so mein Tipp.
Edit: Ich hab die Story jetzt fertig gelesen und weiß, dass der letzte Satz wichtig ist, damit der Leser zum Schluss versteht, dass der Ehemann tatsächlich tot ist, und Martha bloß als Geist oder so erscheint. Also, wenn dir wichtig ist, dass der Leser den Ehemann eindeutig als Geist erkennt - dann lass den Satz drin. Wenn du mehr Spannung hier am Anfang erzeugen willst, streich ihn raus.

Ein Geräusch hat sie geweckt, aber jetzt ist nichts mehr zu hören.
Also ich weiß jetzt nicht, ob das die glorreiche Weisheit ist, aber ich versuche beim Überlesen meiner Texte immer auch, nach solchen Hilfsverb - Verb Konstellationen zu suchen. Die klingen irgendwie nie so schön im Lesefluss, wie das Original, auch, weil sie den Textfluss bisschen aufblähen, ist so mein Gefühl; hat - geweckt, zu - hören. Also das ist jetzt echt sehr sehr subjektiv, und wenn du sagst: Nee, find ich nicht!, dann sei es so. Aber ich finde:
Ein Geräusch weckte sie, aber jetzt hörte sie nichts mehr. klingt einfach schöner, ich kann dir leider auch nicht sagen, wieso, aber das ist schön verdichtet und so, finde ich. Oder? Das kann man häufig bei Vergangenheitsformen verdichten. Ich kann dir nur empfehlen, deinen Text mal danach durchzustöbern und dir das mal zu überlegen, mehr steht mir nicht zu. Ich werde das die kommenden Male auch nicht mehr anmerken, ich denke, das kommt nochmal, weiß ja gerade nicht, was noch kommt.

Martha zuckt zusammen, denn es klingt, als würden Ketten über einen Steinboden geschleift.
Das ist ein krasser Satz.

fängt an um sich zu schlagen.
fängt an,

Sanft streichelt sie über Helens Kopf und plötzlich ist ihre Schwester wieder ihre Schwester.
Was in solchen Situationen auch immer gut kommt: alle Sinne verwenden. Wie riecht Helenes Kopf, wie fühlen sich ihre Haare an, wie schauen sie aus? Zerzaust, gekämmt, fettig? Wenn man so etwas liest, ist man als Leser immer mitten im Geschehen.

Sie sieht an seinem Gesicht, dass sein Rücken wieder weh tut.
Okay, ich wollte es eigentlich lassen, aber: weh - tut. Gibt es noch ein anderes Wort dafür, was das Hilfsverb überflüssig machen könnte? Man könnte auch sagen:
Sie sieht an seinem Gesicht, dass sein Rücken wieder schmerzt.
Das sind echt nur Nuancen, kleine Spitzfindigkeiten, aber die verdichten einen Satz und einen Text auf sensible Art und Weise, finde ich.

Die Arbeit am Webstuhl hat ihn bucklig gemacht.
Gefällt mir

In ihrem Kopf hört sie ein Rauschen, wie von einem Herbstwind, der durch die Bäume fährt.
Auch gut.

„Helene muss zu einem Arzt.“
„Wir haben kein Geld.“
„Ich glaube, es ist dringend.“
„Hörst du nicht, was ich sage? Wir haben kein Geld.“
„Wir haben auch kein Geld für das Wirtshaus“, sagt Martha.
Noch so ein Tipp für Dialoge, ich habe das neulich gelesen, und das war schon bisschen wie eine Offenbarung. Also: immer die Information, die du dem Leser mitteilen willst, indirekt sagen. Hier sagst du sehr viel direkt, und das finde ich nich tso gut, als wenn du es indirekt machen würdest. Zum Schluss machst du es auch indirekt: „Wir haben auch kein Geld für das Wirtshaus“, sagt Martha.
Das sagt implizit aus: Du versäufst unser Geld!
Das ist sehr gut. Aber davor, da würde ich mir mehr Indirektheit wünschen, sowas wie:
Wenn Helene nicht bald zum Juden geht, weiß ich nicht, ob sie den Monat übersteht.“ (=„Helene muss zu einem Arzt.“)
„Und wer soll das bezahlen?“ (=„Wir haben kein Geld.“)
„Es geht nicht anders, sie kann kaum mehr atmen, und -“ (=„Ich glaube, es ist dringend.“)
„Hast du mal in die Kasse geschaut? Drei Gulden! Wenn wir die zum Juden tragen, verhungern wir.“ (=„Hörst du nicht, was ich sage? Wir haben kein Geld.“)
Ich hoffe du verstehst, was ich meine.

ihr ansehen können, was sie tut
Punkt fehlt

Sie mag seine Augen, die so grau sind, wie der Himmel nach einem Gewitter.
cool!

nickt und schließt einen Moment die Augen, als wolle er ihre Worte in Bilder bannen, um sie jederzeit ansehen zu können.
Mann, du hast schon schöne Vergleiche.

Das Loch in ihrem Bauch ist so groß, dass der Apfel beinahe von alleine hineinfällt.
not bad

„Es tut mir leid, dass ich heute kein Brot habe, leider haben wir selbst nichts. Wir bleiben auf unseren Stoffen sitzen. Mein Vater hat schon zwei Weber entlassen müssen. Schüle kauft uns kaum noch etwas ab.“
„Ich habe gehört, er verdient viel Geld mit seiner Kattunfabrik.“
Hier wieder: Ich würde dir empfehlen, das indirekt zu verpacken, was du dem Leser hier sagen willst.

„Das stimmt, aberr kauft die Stoffe aus Ostindien,
aber
Und da fehlt irgendein Wort?

„Wo andere ein Herz haben, ist bei ihm nur ein Stein“, sagt sie.
Da machst du's schön indirekt!

sagt er plötzlich
Punkt fehlt

Sie saugt seinen Geruch ein. Kein Alkohol.
Das ist auch eine tolle Beobachtung. Aber würde Martha den Geruch damals wirklich als Alkohol bezeichnen? Der Begriff stammt von den Arabern, und bedeutet das Reine, und bevor dieser Begriff im Deutschen geläufig wurde, sagte mal Branntwein oder Weinbrand dazu, auch im späten 18. Jahrhundert. Oder lass sie halt einfach an Biergeruch denken.

„Wir sind da“, sagt sie schließlich und setzt Helene auf dem Baumstamm.
ich bin mir nicht sicher, aber auf den Baumstamm, oder?

Sie erzählt ihr von dem wunderbaren Essen, das sie erwartet. Bonbons.
Ähm, Bonbons? Die gab's damals im deutschsprachigen Raum noch nicht, v.a. auch nicht unter dieser Bezeichnung.

Ja, fertig gelesen. Ich fand's gut, ich hab mich unterhalten gefühl, und ich mag ja eh Storys mit historischem Kontext, Augsburger Weberaufstand, das hat schon mal im Vorhinein einen Pluspunkt gegeben. Allerdings hab ich da eine schlimme Macke, auch bei historischen Filmen oder so: Ich bin da irgendwie sehr anspruchsvoll, ich erwarte, dass da alles historisch korrekt recherchiert wurde, und wenn mir dann an mancher Stelle auffällt, dass beim neuen Robin Hood einfach Seemänner aus gläsernen Bechern trinken oder dass Bauern nachts im Kerzenschein hocken, obwohl Kerzen absolutes Luxusgut war, ich weiß nicht, dann haut's mich raus. Da bin ich echt schlimm, aber bis auf paar Kleinigkeit ist mir bei dir nichts aufgefallen.
So zum Sprachstil: Ich finde ihn nicht schlecht, du hast echt einige schöne Vergleiche und Metaphern und so geschrieben, die zeigen schon, dass du Talent hast. Ich weiß nicht, ob du es bewusst machst, aber du schreibst sehr direkt. Jetzt nicht mal negativ gemeint, einfach als Erkenntnis: Du schreibst sehr direkt. Wenn du sagen willst: "Martha will zum Marktplatz gehen und Max suchen", dann schreibst du auch: Martha geht zum Marktplatz und sucht Max. Das finde ich einerseits beim Lesen schön einfach, man muss sich keine großen Gedanken machen, sondern hat gleich die passenden Bilder vor Augen; aber so auf längere Sicht könnte es dir passieren, dass das eintönig werden könnte, fürchte ich. Also so für meinen Geschmack. Ich hab dir das schon bei Dialogen geschrieben, dass ich da echt immer indirekt schreiben würde, was Person A oder B sagen will, aber wenn der Erzähler dann das Geschehn beschreibt, ist das noch mal was anderes. Das geht schon, das liest sich schon, aber wie gesagt, vllt solltest du mal versuchen, den Erzähler etwas nicht so direkt sagen zu lassen, also vllt auch mal: "Martha rennt über die Pflastersteine, sie kann es nicht ertragen, Max jetzt nicht zu sehen - und als sie am Marktplatz ankommt ..." Weißt du, was ich meine? Das wäre auch mal eine schöne Abwechslung. Aber wie gesagt, es hat sich angenehm gelesen und mir hat der historische Background gut gefallen und die Handlungen und Empfindungen der Prot waren auch nachvollziehbar. Ich fand den Cliffhänger am Anfang auch toll, der hat richtig Bock gemacht, weiterzulesen. Hat mir gut gefallen, die Story.

Grüße

 

Hey,

So aus dem Bauch raus finde ich die Einleitung gut. Die wirft viele implizierte Fragen auf, die einen Bock machen, weiterzulesen.

Schön, dass das so funktioniert hat.

Also mir würde das Aktiv besser gefallen. Gegen Mitternacht klopft es an ihre Türe. Ist knapper und weiß nicht ... würde mir besser gefallen. Muss aber auch nicht.

Ich muss mir das nochmal überlegen. Ich stimme dir insofern schon zu: Sprachlich klingt es schöner, aber ich finde es hört sich irgendwie falsch an. Mit diesem "es klopft" im Vergleich zu "es wird geklopft".

Ich kann dir nur empfehlen, deinen Text mal danach durchzustöbern und dir das mal zu überlegen, mehr steht mir nicht zu. Ich werde das die kommenden Male auch nicht mehr anmerken, ich denke, das kommt nochmal, weiß ja gerade nicht, was noch kommt.

Also klar, werde ich machen. Da hast du schon recht. Danke für den Hinweis.

Noch so ein Tipp für Dialoge, ich habe das neulich gelesen, und das war schon bisschen wie eine Offenbarung. Also: immer die Information, die du dem Leser mitteilen willst, indirekt sagen. Hier sagst du sehr viel direkt, und das finde ich nich tso gut, als wenn du es indirekt machen würdest. Zum Schluss machst du es auch indirekt: „Wir haben auch kein Geld für das Wirtshaus“, sagt Martha.
Das sagt implizit aus: Du versäufst unser Geld!
Das ist sehr gut. Aber davor, da würde ich mir mehr Indirektheit wünschen, sowas wie:
Wenn Helene nicht bald zum Juden geht, weiß ich nicht, ob sie den Monat übersteht.“ (=„Helene muss zu einem Arzt.“)
„Und wer soll das bezahlen?“ (=„Wir haben kein Geld.“)
„Es geht nicht anders, sie kann kaum mehr atmen, und -“ (=„Ich glaube, es ist dringend.“)
„Hast du mal in die Kasse geschaut? Drei Gulden! Wenn wir die zum Juden tragen, verhungern wir.“ (=„Hörst du nicht, was ich sage? Wir haben kein Geld.“)
Ich hoffe du verstehst, was ich meine.

Das ist auch ein sehr guter Hinweis. Ich muss da auch nochmal drüber nachdenken. Mir ist das beim Schreiben nicht so wirklich bewusst geworden. Ich bin mir gerade auch nicht sicher, ob ich das immer mache oder ob das so ein bisschen diesem Text geschuldet ist. Du hattest weiter unten einen anderen Hinweis, da werde ich nochmal detaillierter darauf eingehen.

Das ist auch eine tolle Beobachtung. Aber würde Martha den Geruch damals wirklich als Alkohol bezeichnen? Der Begriff stammt von den Arabern, und bedeutet das Reine, und bevor dieser Begriff im Deutschen geläufig wurde, sagte mal Branntwein oder Weinbrand dazu, auch im späten 18. Jahrhundert. Oder lass sie halt einfach an Biergeruch denken.

Ja klar, ändere ich. Danke.

Sie erzählt ihr von dem wunderbaren Essen, das sie erwartet. Bonbons.
Ähm, Bonbons? Die gab's damals im deutschsprachigen Raum noch nicht, v.a. auch nicht unter dieser Bezeichnung.

Ok, das stimmt. Ich hab das nochmal nachgelesen. Also es gab wohl schon Bonbons, aber die hießen dann auch nicht so.

Freut mich, dass dir Setting/ Hintergrundstory zugesagt haben. Ich wollte schon realistisch schreiben, aber ich denke, ich hätte das an der einen oder anderen Stelle auch noch mehr ausbauen können. Schon allein um dem Leser bewusst zu machen, dass die Story da jetzt in einer anderen Zeit spielt.

Ich weiß nicht, ob du es bewusst machst, aber du schreibst sehr direkt. Jetzt nicht mal negativ gemeint, einfach als Erkenntnis: Du schreibst sehr direkt.

Hattest du dieses Gefühl auch bei meiner anderen Kurzgeschichte?
Ich frage das deshalb, weil ich mich mit dieser Kurzgeschichte extrem schwer getan habe. Ich mein, beim Schreiben hat man ja meistens irgendwann so nen Flow und geht´s mal absätzeweise so richtig gut, während man bei anderen Stellen so ein bisschen am Kämpfen ist. Und hier habe ich das eigentlich Satz für Satz so runtergekämpft und deshalb frage ich mich, ob das mit dem Direkten auch so ein bisschen von einer gewissen "Steifheit" kommt.
Ein wenig ist es wohl auch meiner Protagonistin geschuldet - ich wollte da schon so ein bisschen diese einfache Sprache, das einfache Leben etc. nachbilden. Aber vielleicht hab ich´s auch ein bisschen übertrieben. Jedenfalls würde mich echt interessieren, ob du findest, dass ich immer so direkt schreibe. Dann wäre das nämlich auch nicht gut, weil es echt irgendwann voll langweilig wird.

Ich hab jetzt schon viel tolles Input für ne Umarbeitung bekommen, aber ich hab jetzt für manche Sachen noch nicht so ne rechte Idee, wie ich das umstellen könnte.

Danke dir jedenfalls deine Hilfe und die ganze Mühe.

Viele Grüße
Bella

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

Ich weiß nicht, ob du es bewusst machst, aber du schreibst sehr direkt. Jetzt nicht mal negativ gemeint, einfach als Erkenntnis: Du schreibst sehr direkt.
Hattest du dieses Gefühl auch bei meiner anderen Kurzgeschichte?
Also ich habe zur Sicherheit gerade nochmal kurz reingelesen, und: Nein, bei deiner anderen Geschichte hatte ich dieses Gefühl nicht, da hast du nicht so direkt geschrieben. Wie gesagt, das sollte nicht negativ gemeint sein, in die Melodik dieser Geschichte passt das schon, das Direkte. Ich würde das in dieser Story jetzt auch nicht grundlegend umschreiben, sondern einfach ab und zu mal was umformulieren oder so. Aber wie gesagt, ich fand's nicht schlecht. Diese Direktheit ist wohl auch deinem auktorialen Erzähler geschuldet, bei deiner anderen Story war es eine Ich-Erzählerin, und da kommt man, denke ich, nicht so schnell in Versuchung, Geschehnisse sehr direkt zu beschreiben. Also wenn du diese Direktheit in einer Story als Stilmittel verwenden willst, würde ich an meiner Stelle versuchen, den Text dann ganz krass zu verdichten. Also jetzt nicht der Seitenzahl wegen oder so, das meine ich gar nicht, sondern die einzelnen Sätze und Abschnitte einfach auf ihr Wesentliches verdichten, dann wäre das ein guter Kunstgriff, könnte ich mir vorstellen. Aber dein Text macht das ja im Prinzip schon, da gibt es vllt ein paar Dinger, die du noch verdichten kannst, aber im Grund hast du das schon automatisch gemacht.
Auf längerer Bank, also wenn das über sieben, acht, zehn Seiten geht, fände ich persönlich den Erzählstil deiner anderen Geschichte aber angenehmer. Aber wie gesagt: Hier passt es. Nicht falsch verstehen.

Grüße

 

Hallo Bella

Ein paar Einzelheiten mehr würden der Geschichte gut tun. Dass die Weber damals Hunger litten, das weiß jeder, aber wenn du mehr Einzelheiten einbringen könntest, die zeigen wie sie wohnten, sich kleideten und so weiter, vielleicht auch etwas genauer sagen könntest, warum die jüngere Schwester hustet (Schwindsucht?), dann würde das der Geschichte zu mehr Gewicht verhelfen. Nur einmal hatte ich den Eindruck, dass du mehr weißt als ich selber. Das war an der Stelle, an der du einen Eigennamen, den Milchberg, nennst. Das ist mir zu wenig. Ich lese historische Geschichten nicht nur, um mir die Zeit zu vertreiben, sondern auch darum, weil ich neugierig bin, weil ich etwas über die Zeit erfahren will.

Das Wesen Marthas zeigst du gut. Ich mag sie zwar nicht, aber wie sie fühlt und denkt, beschreibst du deutlich und mit charakteristischen Einzelheiten. Wenn du die Eigenart der Zeit genauso klar zeichnen könntest wie die Eigenart Hannas, dann wäre viel gewonnen.

Gruss teoma

 

Max nickt. „Das stimmt, aber kauft die Stoffe aus Ostindien, weil sie billiger sind. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Vater sagt, dass wir ihn unter Druck setzen müssen. Wir wissen nicht wie.“

Ja – es ist gut, die Geschichte der Globalisierung – im Kommunistischen Manifest wird sie schon haarklein von Marx und Engels dargestellt – auch einmal aus der Warte der armen Leute dargestellt zu finden, besonders wenn unterm Diktat der Neoliberalen, sich angeblich selbstregulierenden Märkte der Sozialstaat um satte 150 Jahre zurückgeworfen wird,

liebe Bella,

Grund genug, zu einem ersten Besuch bei Dir und selbst wenn mir das historische Ereignis nicht gefallen hat, Deine Geschichte gefällt mir, gleichgültig, was jetzt folgt!

Zeichensetzung

Infinitivsätze, die mit „um“ beginnen, immer mit Komma!

„Mama“, brüllt Helene und fängt an[,] um sich zu schlagen.

Hier ist der abschließende Punkt nachzutragen
Manchmal fragt sie sich, ob die Leute ihr ansehen können, was sie tut[.]

Warum gerade hier „nur“ ein Aussagesatz, wenn doch schon der Imperativ genutzt wird:
„Iss“, sagt er.

Anregung / Anfrage
Obwohl sie schon seit langem weiß, dass es wieder passieren wird, hat sie immer gehofft, dass es nicht dazu kommt.
Warum der abschließende Nebensatz im Indikativ – wenn er doch eine Hoffnung ausspricht, die vielleicht, aber keineswegs sicher erfüllt wird?
Korrekter – so finde ich, was kein anderer finden muss – also
…, hat sie immer gehofft, dass es nicht dazu komm[e].
Ähnlich hier(sogar mit indirekter Bestätigung des Zweifels)
Sie hofft, dass er sie küssen wird, aber das tut er nicht.
, besser "küssen werde"
Analog hier
Sie hat das Gefühl, dass Helene nicht länger Helene ist.

Irgendwann wird es dunkel,…
Ist hier die Zusammensetzungen mit irgend… nicht allzu unbestimmt? Es erweckt den Eindruck, als könnte es einmal hell bleiben, was selbst im Land der Mitternachtssonne nicht vorkommt.

Rechtschreibung

Ihr ist bewusst, wieviel an diesem Aufstand zerbrechen kann …
Wie viel

Martha schüttelt nochmal den Kopf.
Kommt einige Male vor: Noch mal immer auseinander, es ist eine umgangssprachliche Verkürzung von „noch einmal“. Dafür „nochmals“ immer zusammen.

Ich bezweifel eigentlich, dass 1844 ff. in Peterswaldau (da begann der Weberaufstand) oder Augsburg Anglizismen wie “Helen“ bekannt waren und somit verwendet wurden. Besser wäre, „Helene“

Sanft streichelt sie über Helen[e]s Kopf …

Hier will mir „gestorben“ euphemistisch klingen. Die Obrigkeit setzte Militär zur Niederschlagung des ersten Arbeiteraufstandes ein
„Bist du verrückt? Es hat Tote gegeben. Zwei Männer sind gestorben.“

Flüchtigkeit

Flüchtige Verdoppelung …

…, am Liebsten würde sie sie die rohen Kartoffeln essen, …

Gruß

Friedel


PS
Setnemides hat vor einiger Zeit die Geschichte der APO (1967 ff.) in die Zeit des Weberaufstandes verlegt. Schau ruhig einmal da rein
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?44930-Schlesien-im-Herbst

 

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