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Die Erwählten

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09.06.2015
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Die Erwählten

Der Tag war gekommen. Als wir aus dem Haus traten, schien die Sonne. Ich hielt einen Strauß Veilchen in der Hand und folgte meinem Mann zur Garage, in der unser Wagen stand. Als wir losfuhren, fühlte ich einen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
„Martin, meinst du, es ist alles in Ordnung?“, fragte ich.
„Wie meinst du das? Natürlich, für mich schon. Für dich nicht?“
„Ist halt meine Mutter. Ein bisschen schlecht fühle ich mich doch.“
„Musst du nicht. Sie war ja einverstanden.“
„Hat aber lange gedauert. Wir mussten sie ganz schön überreden.“
„So ein Blödsinn! Per Gesetz müsste sie in zwei Jahren sowieso gehen.“
„In zwei Jahren. Ja. Mit neunzig wird man gezwungen. Schon komisch.“
„Denk doch mal an die Kosten. Marie will in Amerika studieren, wie sollen wir das alles bezahlen?“
„Ob Mutti Angst hat?“
„Die bekommen sicher eine Spritze. Die merken nichts. Fang bloß nicht zu heulen an!“
„Ich heul ja nicht!“

Das Altersheim Gertrudes lag am Rande der Stadt, mitten in einem Park. In den Beeten blühten erste Frühlingsblumen, auf den Bänken saßen alte Menschen in der Sonne. Wir liefen mit langen Schritten dem Eingang zu, durchschritten die Pforte und eilten durch endlose Flure dem Zimmer meiner Mutter entgegen. Die Tür stand weit offen, von meiner Mutter fehlte jede Spur.
„Sind wir zu spät? Um Himmels Willen! Martin!“
„Es ist genau zehn Uhr. Wir sind pünktlich. Absolut zur richtigen Zeit!“
„Aber Mutti, wo haben sie Mutti hingebracht?“
Eine Schwester, in weißer Tracht, kam auf uns zu. „Herr und Frau Ruppert?“
„Wo ist meine Mutter?“
„Kommen Sie bitte mit. Die Erwählten sind im großen Saal!“
„Die wer?“ Mein Herz fing zu klopfen an. War das richtig, was hier vor sich ging! Zweifel, Ängste, Panik und Zorn auf Martin, der mich am Arm packte und weiter schob.
Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Tür öffnete sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und denen man Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte. Eine Gänsehaut rieselte mir den Rücken hinunter.
„Großer Gott, Martin!“
Ich entdeckte meine Mutter, ganz am Rande der Reihe, und eilte auf sie zu. „Hallo Mutti!“
Tränen rannen mir übers Gesicht und benetzten die eingefallenen Wangen meiner Mutter, als ich sie küsste. „Wie fühlst du dich, Mutti?“
„Es geht mir gut, Kind. Da ist ja auch dein Mann!“
Martin reichte Mutter förmlich die Hand. Ich beobachtete ihn genau, er vermied es, sie anzusehen.
Inzwischen hatte sich der Saal mit Angehörigen gefüllt. Sie drängelten sich an die Betten, betätschelten ihre Großmütter, ihre Mütter. Es gab nur einen einzigen Mann. Den Kranz hatte man ihm auf den Bauch gelegt, seine knochigen Finger zupften an den weißen Blüten, die Augen, in tiefen Höhlen, starrten an die Decke, die ebenso weiß war wie sein Totenhemd.
Ein Pfarrer betrat den Saal. Wir durften uns von unseren Angehörigen verabschieden, bevor sie mit geweihtem Wasser besprengt wurden. Mutti hielt sich die Augen zu. Sie war sehr blass, ich spürte wieder den Stich in der Herzgegend. Der Geistliche stimmte einen Gesang an.

Der Boden schwankte unter meinen Füßen, der Saal drehte sich im Kreis und als ich wieder zu mir kam lag ich draußen, im Garten, auf einer Bank.
„Martin?“
„Geht es dir wieder besser? Es ist alles überstanden. Gut, dass du ohnmächtig wurdest. Mutter wollte plötzlich nicht mehr. Ich hab‘s ihr aber ausreden können.“
„Was ist mit Mutti? Sag‘s mir Martin!“
„Die schliefen alle ganz sanft ein. Nebel und Musik von Mozart.“
„Martin?“
„Ja?“
„Ich habe Angst.“

 

Liebe AmelieS,

eine Geschichte aus einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft? Es geht um Sterbehilfe, vom Staat ab einem gewissen Alter verordnet. Der Text könnte demnach als Dystopie verstanden werden, die sich pessimistisch mit den Belastungen des demographischen Wandels auseinandersetzt.

„Kommen Sie bitte mit. Die Erwählten sind im großen Saal!“

Warum eigentlich "die Erwählten"? Das klingt so nach Losverfahren, nach was Besonderem. Aber so, wie ich das mitbekommen habe, geht es hier ja um eine fast schon routinierte Standardprozedur, die jedem Menschen ab 90 blüht.

Es hat mir übrigens gefallen, wie du subtil das frühere Sterbealter der Männer berücksichtigt hast.

Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Tür öffnete sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und ihnen Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte.

Hier wird deutlich, dass es sich um Zwang handelt. Die Menschen wurden nicht mit Blumen geschmückt, sondern die Kränze wurden ihnen auf die Häupter gedrückt.

Ein Pfarrer betrat den Saal. Wir durften uns von unseren Angehörigen verabschieden, bevor sie mit geweihtem Wasser besprengt wurden. Mutti hielt sich die Augen zu. Sie war sehr blass, ich spürte wieder den Stich in der Herzgegend. Der Geistliche stimmte einen Gesang an.

Das ist mit das Erschreckendste, denn ich frage mich: Welcher Pfarrer würde so etwas tun? Die Position der Kirchen zur Sterbehilfe sind ja recht eindeutig in ihrer Ablehnung. Und die Geschichte wirkt nicht so, als ob sie in einer allzu fernen Zukunft spielt. Das Umfeld erscheint sehr gewöhnlich und, ja, normal.

Geschrieben ist es gut, bin ich gewöhnt von dir!

Exilfranke :)

 

Hallo Exilfranke, ich freue mich über dein Interesse an meiner Geschichte!

"Die Erwählten." Auf der Suche nach einem bürokratischen Namen fiel mir nichts Besseres ein. Vielleicht: "Die Heimkehrer"?

Zwang Ja: " Ja. Mit neunzig wird man gezwungen." Aus diesem Grund auch bürokratisch.

Und nun der Pfarrer. Das sollten deine geringsten Bedenken sein. Der Pfarrer bringt die Leute nicht um, er gibt ihnen den letzten Segen. Den aller letzten.

Eine düstere Geschichte, doch es musste sein. Kontrastprogramm zu meiner "30 Grad im Schatten" Geschichte. Mit dem gelben Bikini versucht man mich aus der Reserve zu locken. Dabei vergessen alle, dass der Bikini nicht nur gelb, sondern gelb gepunktet ist.

Danke, Exilfranke, für deine positive Kritik!
Amelie

 

Ich nochmal, AmelieS,

"Die Erwählten." Auf der Suche nach einem bürokratischen Namen fiel mir nichts Besseres ein. Vielleicht: "Die Heimkehrer"?

Ich finde, dass beides für einen bürokratischen terminus technicus zu esoterisch/spirituell klingt. "Die Heimkehrer" impliziert ja schon, dass es sowas wie ein kollektive Jenseitsvorstellung gibt. Hmmm, kurzes Brainstorming:

Die Ausgelebten
Die Endgelebten
Die Weggänger

Es sei denn, du willst diesem System in Wirklichkeit einen humanen Anstrich verpassen (also jetzt nicht du als Person, sondern du als Autor, nicht, dass wir uns missverstehen).

Grüßle

Exilfranke :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Ausgelebten
Die Endgelebten
Die Weggänger

Danke, Exilfranke, für die Vorschläge!

Die Weggänger : das klingt freiwillig, ist es aber nicht.

Die Endgelebten: die zu Ende gelebt haben. Also bis zum Haltbarkeitsdatum.

Die Ausgelebten: Klingt nach Krankheit, ausgesondert.

Da muss ich drüber nachdenken. Es sollte Amtsdeutsch sein. Wird ja angeordnet und steht im Gesetz.


Bis später!
Amelie


Mir ist gerade ein Titel eingefallen: Endstation

 

Hallo AmelieS,

deine Geschichte geht mir unter die Haut, auch wenn die Idee nicht neu ist. Stell dir vor, es wäre wirklich so. Und dann muss man sich wieder fragen: Ist das wirklich Utopie?
Viele in Deutschland sind dabei zu vergessen, dass es so etwas vor noch nicht einmal hundert Jahren gegeben hat, wo Menschen, nur weil sie nicht ins Profil gepasst haben, kein Recht zu leben hatten. Aber denke ich an den Pflegenotstand, der noch weiter steigen kann, weil in späteren Generationen das Geld fehlen wird, dann stellen sich mir die Nackenhaare auf.

Deine Protagonistin sagt deshalb richtig:

„Ich habe Angst.“

So, wie du es beschreibst, könnten die Erwählten, wie du sie nennst, den alten indianischen Spruch sagen: Ein schöner Tag, zu sterben. Das Sterben ist ein wesentlicher Teil des Lebens. Es beendet dieses ja schließlich. Und es soll dies würdevoll geschehen. Nun, mit Musik von Mozart nach einer Injektion einzuschlafen, kann entspannt sein. Ist es aber würdevoll? Es bleibt ein Zwang. Und es ist Tötung. Und die Mutter deiner Prot. hatte noch nicht einmal das gesetzliche Alter erreicht. Sie musste gehen, weil Marie studieren wollte.

Ich habe studiert, meine Kinder haben studiert, bis auf den Großen.
Ich darf noch deine Geschichte kommentieren.

„Die bekommen sicher eine Spritze. Die merken nichts. Fang bloß nicht zu heulen an!“

Sie haben sie überredet, mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, zu sterben.

„Geht es dir wieder besser? Es ist alles überstanden. Gut, dass du ohnmächtig wurdest. Mutter wollte plötzlich nicht mehr. Ich hab‘s ihr aber ausreden können.“

Grausam.

Sie drängelten sich an die Betten, betatschten ihre Großmütter, ihre Mütter.

Beim Lesen gefiel mir das Wort betatschen nicht. Beim Kommentieren habe ich deine Intention gesehen. Eben dieses Würdelose wolltest du einfangen. Es gefällt mir immer noch nicht, aber ich weiß, es sollte dort stehen.

Keine schöne Geschichte, aber für mich sehr schön geschrieben. Du hast die Zweifel eingefangen, die deine Prot. hatte, und du hast die grausame Raffgier ihres Mannes eingefangen, der ihr die Mutter vorzeitig nahm.

Schönen Gruß
khnebel

 

Liebe AmalieS,
wovor hat die Erzählerin Angst? Davor, dass Sterbenswillige mit einer Spritze hingerichtet werden. Die Mutter in deiner Erzählung scheint ja ncht zu leiden. Aus wirtschaftspolitischen Gründen werden die Alten (90 Jahre) getötet, mehr oder weniger freiwillig.
Es ist richtig, dass du diese wirtschaftspolitische Dimension so darstellst.
Aber es ist nur eine kurze Geschichte, die der Dimension des Themas nicht ganz gerecht wird. Was unbedingt dazugehörte ist dieTötung auf Verlangen bei Leidenden.
Auch wünschte ich mir, dass die Dimensionen, die hinter dem Tötungsapparat in deiner Geschichte stehen, angedeutet werden. Gutes und wichtiiges Thema hast du gewählt, aber zu harmlos dargestellt.
Sprachlich angenehm zu lesen. Dein Instinkt für gute Themen ist bewundernswert.
Fröhlichst
Wilhelm

 

khnebel, ich danke dir sehr! Du hast dir viel Zeit für meine Geschichte genommen, es hat mich gefreut.

Beim Thema Sterbehilfe stelle ich mir immer vor, wieweit es wohl gehen wird. Bei unerträglichen Schmerzen kann ich mir eine Lockerung vorstellen. Bei lebenslangen Behinderungen ebenfalls, so sie für den Betroffenen unerträglich wären. In solchen Fällen wäre es grausam, dem Verlangen nach einem würdevollen Ende zu widersprechen. Doch wie sieht es aus, wenn die alte Oma pflegebedürftig wird und die Kosten fürs Pflegeheim müssen von den Kindern getragen werden? An so einen Fall habe ich gedacht, als ich diese grausame Geschichte getextet habe.

Du hast recht, betatschen ist nicht schön. Ich ändere es in betätscheln ab, dann passt es wieder. Eigentlich hatte ich auch tätscheln im Sinn. Danke für den Hinweis!

Einen geruhsamen Abend wünsche ich dir!
Amelie

 

Hallo Amelie,

eine kurze Geschichte mit doch großem Effekt. Die Subtilitäten (gibt es das Wort?) sind mir nicht entgangen ("Kränze auf den Kopf gedrückt" etc.) und ich fand die gelungen.

Ja, ja, die demographischen Dritte-Welt-Probleme, mit denen wir uns so auseinandersetzen müssen. Ich glaube, es ist "The Giver" von Lois Lowry, da werden Menschen auch ab einem bestimmten Alter euthanasiert. Da nennt man es "entlassen", den Ausdruck fand ich dafür immer gut.

Die Idee, das alles in einem Saal so morbide-zeremoniell stattfinden zu lassen, fand ich sehr gruselig-gut. Ebenso der Schwiegersohn, der da geradezu erpicht drauf ist einerseits, aber andererseits der Schwiegermama nicht in die Augen sehen kann dabei.
Und die Frau, die so halb-hysterisch mitspielt. Die Figuren hast du mit wenigen Pinselstrichen sehr gut dargestellt, hat mir besonders gut gefallen.

Allerdings muss man mit so einer Geschichte gar nicht so weit in die Zukunft gehen, oft genug kommt es im heutigen Gesundheitssystem dazu, dass man sagt: "Ja, den behandeln wir nicht mehr mit den teuren Medikamenten, der ist schon alt ..." Das ist dann auch eine Art von Euthanasie "unter der Hand" praktisch.

Die Schreckensvorstellung: Irgendwann ist es soweit, dass wir alle im Alter staatlich santkioniert umgebracht werden.
Das ist der Aspekt an der Euthanasie, der Widerwillen hervorruft, weil hier das Sterben eben ein Muss ist, Praktisch Platz machen für die Jugend, die Enkelin, die studieren will etc. (Auch dieses Detail der Geschichte: Gut überlegt eingebracht. ;))
Wobei man ganz klar sagen muss: Bei der Mutter war Tötung auf Verlangen, kein "Zwang" in dem Sinn.
Und in Zusammenhang mit Wilhelms Einwurf muss ich zugeben: Ich sehe es auch wie er, dass die Geschichte an und für sich der großen Thematik nicht ganz gerecht wird. Sie hat etwas "propagandistisches". Was dabei völlig außer Acht gelassen wird, ist die Art von Euthanasie, die aktuell gerade viel "heißer" diskutiert wird: Das Töten auf Verlangen, die Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden praktiziert wird (und in Deutschland wahrscheinlich nie bzw. erst in hundert Jahren). Die Sterbehilfe bei Totkranken.
Aber das war auch gar nicht deine Intention, das ist mir klar. ;) Ich denke, dem Aspekt, dem du gerecht werden wolltest, bist du gerecht geworden.

Viele Grüße
Tell

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wilhelm, vielen Dank für dein Interesse an meiner Geschichte und auch dir,

Tell, danke ich herzlich für deinen Kommentar!

Ich hoffe sehr, nicht unhöflich zu sein, wenn ich die beiden Antworten von Euch zusammen fasse. Es ist ja mehr oder weniger die gleiche Kritik an meinem Text, der zu kurz geraten zu sein scheint, oder wie auch immer.

Es ist eine meiner Kurzgeschichten in denen ich versuche, eine Situation zu beleuchten. Ich zeige nur und hinterfrage nichts. Meine Protagonisten kommen aus dem Nichts und bewegen sich auf ein offenes Ende zu. Meinen Lesern gebe ich Platz für eigene Gedanken. Das genaue Gegenteil von einem Roman.

Wenn meine Geschichte den Leser dazu anregt, über Sterbehilfe und deren Lockerung nachzudenken, bin ich voll zufrieden.

Wilhelm, auf deine Frage, wovor meine Protagonistin Angst gibt es nur eine Antwort: vor der Zukunft und vor den Menschen, die diese Zukunft gestalten.

Herzlichen Dank, dir Wilhelm und dir, Tell, dass Ihr meiner Geschichte so viel Aufmerksamkeit geschenkt habt. Über Euer Lob habe ich mich natürlich sehr gefreut!

Gute Nacht!
Amelie

 

Hallo Amelie,

eine bittere kleine Geschichte hast du da geschrieben. Ich habe mich an Soylent Green erinnert gefühlt. Die Idee ist nun nicht innovativ und total originell, aber du hast sie solide und gefühlvoll umgesetzt. Der Brustkorb wurde mir beim Lesen ganz eng.

„Geht es dir wieder besser? Es ist alles überstanden. Gut, dass du ohnmächtig wurdest. Mutter wollte plötzlich nicht mehr. Ich hab‘s ihr aber ausreden können.“
Puh, das war harter Tobak. So viel Grausamkeit in dieser lapidaren Bemerkung.

Den Begriff „die Erwählten“ habe ich einfach als bitterbösen Euphemismus empfunden. Eine andere Bezeichnung könnte aber wirklich besser passen. Falls du dir noch Gedanken dazu machst, versuch es mal mit klassischem Brainstorming, das wirkt echt Wunder. TOD in die Mitte des Blattes und dann ohne Nachdenken alles aufschreiben, was dir einfällt. Irgendwas mit Bezug auf „Schlafen“ könnte ich mir vorstellen, das ist ja seit jeher ein gern und häufig genutzter Euphemismus für den Tod.

Ich weiß nun nicht, ob du mehr an eine alternative Realität gedacht hast, oder an eine Dystopie. Bei zweiterem würde ich vielleicht die Namen überdenken. Wenn es sich um eine nicht allzu ferne Zukunft handelt, wären Namen wie Jeremy und Zoe-Chayenne vielleicht realistischer. *hust* ;)

„Musst du nicht. Sie war ja einverstanden.“
„Hat aber lange gedauert. Wir mussten sie ganz schön überreden.“
„So ein Blödsinn! Per Gesetz müsste sie in zwei Jahren sowieso gehen.“
„In zwei Jahren. Ja. Mit neunzig wird man gezwungen. Schon komisch.“
„Denk doch mal an die Kosten. Marie will in Amerika studieren, wie sollen wir das alles bezahlen?“
Hier würde ich mir Gedanken machen, ich halte den Dialog für unrealistisch. Sowas nennt man auch Maiden-and-Butler-Dialogue. Ich zitiere dazu mal Marcus Johanus:

Der Begriff kommt aus dem Theater. Er bezeichnet dort Dialoge, in denen Butler und Dienstmädchen an den Bühnenrand treten und ein Gespräch führen, das nur dazu da ist, für den Zuschauer Wissenswertes zu präsentieren:
“Du weißt doch, Margaret, dass der Lord heute früh in die Stadt in den Club gefahren ist.”
“Natürlich weiß ich das, Mr. Blank. Aber Sie wissen bestimmt nicht, dass er eigentlich zu seiner Geliebten fährt.”
“Gutes Kind, das ist doch ein offenes Geheimnis. Aber wie wir beide wissen, ahnt die Lady nichts von alledem.”
“Ganz richtig, so soll es auch bleiben.”

„Hat aber lange gedauert. Wir mussten sie ganz schön überreden.“
Das wissen doch beide, wieso sollte sie das erwähnen?

„In zwei Jahren. Ja. Mit neunzig wird man gezwungen. Schon komisch.“
Wenn das in ihrer Welt normal ist, dann erklären sie es sich nicht gegenseitig. „Schon komisch“ finde ich unpassend angesichts der Situation und der Gefühle der Frau. Außerdem nimmt der Satz Spannung vorweg. Ohne ihn hätte man vielleicht erstmal nur eine üble Ahnung, die sich dann später bestätigt.
Etwas eleganter könntest du das lösen, wenn du einfach das Alter der Schwiegermutter im Satz des Mannes einfließen lässt, ich würde den Einschub der Frau sogar ganz streichen:
„Musst du nicht. Sie ist achtundachzig, in zwei Jahren müsste sie sowieso gehen. Sie war ja auch einverstanden.“
Mehr Informationen sind meiner Meinung nach nicht nötig, alles andere kann man selbst aus der Geschichte schließen.

Auch im nächsten Satz wird eine Information in einer Form vermittelt, von der ich glaube, dass man sie in einem Gespräch vielleicht eher nicht so nutzen würde, auch wenn es hier subtiler ist:

„Denk doch mal an die Kosten. Marie will in Amerika studieren, wie sollen wir das alles bezahlen?“

Etwas weniger offensichtlich wäre es, wenn du z. B. schreiben würdest:

„Denk doch mal an die Kosten. Wie sollen wir Maries Studium finanzieren?“
Wo Marie studieren möchte, ist doch unwichtig.

War das richtig, was hier vor sich ging!
Ich würde ein Fragezeichen nehmen.

Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Tür öffnete, sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und denen man Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte.
Ich würde hieraus zwei oder sogar drei Sätze machen.

Martin reichte Mutter förmlich die Hand.
Wah, diese Gefühlskälte! Ich glaube, der Martin ist froh, wenn seine ungeliebte Schwiegermutter endlich aus dem Weg ist. Gruselig.

die ebenso weiß war, wie sein Totenhemd.
Kein Komma

Ein Pfarrer betrat den Saal. Wir durften uns von unseren Angehörigen verabschieden, bevor sie mit geweihtem Wasser besprengt wurden.
Wie jetzt, sind in der Zukunft alle katholisch? Gru-se-lig!

Mutti hielt sich die Augen zu.
So rührend, so traurig, so schrecklich. Ich möchte die alte Dame in den Arm nehmen.

der Saal drehten sich im Kreis
Hier ist dir ein n ausgekommen.

und als ich wieder zu mir kam, lag ich draußen,

„Ich habe Angst.“
Ich auch.

Schöne schreckliche Geschichte.

Liebe Grüße
raven

 

Wie raven, habe auch ich mich beim Lesen sofort an Soylent Green erinnert: Eine Dystopie, die einem wirklich an die Nieren ging.

Bei Deiner Geschichte, Amelie, kam dieses Gefühl nicht auf. Obwohl das Töten nach dem Erreichen eines bestimmten Alters das Potenzial dazu hätte. Aber die Prot ist für mich nicht glaubwürdig: Sie sorgt sich fast hysterisch um ihre Mutter, hat aber zugleich Zeit und Muße, genau zu schauen, was ihr Ehemann tut – Zitat: Ich beobachtete ihn genau, er vermied es, sie anzusehen.

Auch sonst sind die Rollen klar in schwarz und weiß verteilt: Der Ehemann ist nur böse, und die Ehefrau und Tochter nur lieb – sie hat dem Drängen ihres Mannes, die Tötung der Mutter um 2 Jahre vorzuziehen, nur widerwillig nachgegeben. Weil anscheinend auch sie will, dass ihre Tochter in Amerika studieren kann, was offenbar mehr Geld kostet. Das ist ein unglaubwürdiger Grund, denn die könnten die 2 Jahre noch locker abwarten. Und am Ende rettet sie sich – wie das Frauen im 19. Jahrhundert zu tun pflegten – in die Ohnmacht. Boah!

Eine Gesellschaftsordnung, die das Töten auf Verlangen – wie hier - auch ohne medizinische Gründe erlaubte, wäre nur in einer Diktatur möglich. Eine Diktatur könnte selbstverständlich die Menschen dazu zwingen, müsste sich auch nicht um Menschenrechte kümmern. Aber in dieser Geschichte scheint alles normal zu sein, sogar das Kind wird nun in Amerika studieren können. Und die Prot findet die Tötung aufgrund des Alters nicht etwa abscheulich, sondern nur komisch. Wie bitte?

Formal ist die Geschichte okay, d.h. Du kannst schreiben. Das kann bei leichteren Themen genügen, aber hier genügt das nicht. Leider.

 

Hallo raven, du hast meiner Geschichte viel Zeit geschenkt, herzlichen Dank!
Was den Titel betrifft, so schlug ich bereits "Endstation" vor. Darüber könnte ich nachdenken.
Ob es unwichtig ist wo ein Kind studiert, glaube ich nicht. In einer nahegelegenen Stadt
ist ein Studium sicher leichter zu finanzieren als in Amerika.

"Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Tür öffnete, sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und denen man Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte."

Aus diesem langen Satz einen zu machen, halte ich für einen sehr guten Vorschlag.

Du musst keine Angst haben, dass nun alle Menschen katholisch sind. Ich denke, das Altersheim Gertrudes ist ein katholisch geführtes Haus und da gibt es auch einen Pfarrer.

Das Gespräch zwischen den Eheleuten deutet darauf hin, soll darauf hindeuten, dass die Angelegenheit noch nicht ausdiskutiert ist. Die Gespräche drehen sich im Kreis. Der Ehemann hat keine Bedenken doch es ist ihm nicht gelungen, die Zweifel seiner Frau auszuräumen.

Dein Vorschlag mit dem Alter, bei dem man in die Ewigkeit geschickt wird, gefällt mir. Den würde ich gerne übernehmen, wenn ich darf.

Ich werde deine Verbesserungsvorschläge noch einmal studieren. Du hast mir sehr geholfen, vielen Dank!

Liebe Grüße!
Amelie


Hallo Dion, ich freue mich, dass du meine Geschichte gelesen hast. Sie hat dir nicht gefallen, das bedaure ich sehr. Für den Schluss deines Kommentars hast du dir eine besondere Nettigkeit einfallen lassen. Und ich dachte immer nur Frauen wären biestig. Trotzdem, ich weiß dein Interesse zu schätzen und schicke viele Grüße!
Amelie

 

Hallo Dion, ich freue mich, dass du meine Geschichte gelesen hast. Sie hat dir nicht gefallen, das bedaure ich sehr.
Falls Du das übersehen hast, Amelie: Ich habe nichts über gefallen oder nicht gefallen gesagt, sondern nur einige Dinge erwähnt, die ich nicht in Ordnung fand, und dies auch begründet. Dazu von Dir kein Wort. :cool:

PS: Normalerweise kommentiere ich nur gute Geschichten, und selbst die nur selten. Aber weil Du, Amelie, Dich bei meiner jüngsten Geschichte so vehement als moralische Instanz eingebracht hast, wollte ich mal sehen, was Du so schreibst. Diese Geschichte hier bestätigt den Eindruck, den ich beim Lesen Deiner Kommentare gewonnen habe: Du betrachtest die Welt aus einer Position, die man als naiv, ja fast kindlich nennen könnte. Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung.

 

Eigenartig, Dion, wie unterschiedlich man Dinge empfinden kann. Ich fand die Frau ganz und gar nicht "lieb", sondern in ihrem Verhalten noch schlimmer als ihn. Der ist eindimensional, klar, ein kaltherziger Kotzbrocken, dabei aber wenigstens sicher und geradlinig.

Die Frau dagegen ist so ein selbstmitleidiges, wimmerndes Wesen, macht einen auf trauriges Opfer, die Arme, sie wurde ja nur überredet. Aber ich gebe ihr die Hauptschuld am Geschehen. Es wäre an ihr gewesen, ihre Mutter zu schützen und ihr wenigstens noch ihre zwei letzten Lebensjahre in Frieden zu erkämpfen, pervers genug, dass die alte Dame dann abtreten muss. Wo wäre das Problem, wenn die Tochter halt zwei Jahre später ihr Studium beginnt? Eine Lösung fände sich, wenn man denn wollte.
Doch sie ist feige, wälzt ihre Verantwortung auf ihren Mann ab, indem sie sich seiner Entscheidung beugt und sich überreden lässt, anstatt sich auf die Hinterbeine zu stellen und klare Ansagen zu machen.
In ihrem Suchen und Rufen nach der Mutter, dem Weinen, all dem hysterischen Getue, sehe ich Selbstmitleid und ein gewaltiges schlechtes Gewissen, aber keine echte Liebe und Fürsorge.

Sicher muss man das alles ins Verhältnis zu der Welt setzen, in der die beiden leben. Wenn es normal ist, alte Menschen zu töten, dann entwickelt sich sicher gesamtgesellschaftlich eine Abgestumpftheit gegenüber dieser Thematik. Dennoch empfinde ich das Verhalten der Frau als verwerflich, verwerflicher noch als seines. Er wird auch in Zukunft ruhig schlafen, sein Gewissen ist nicht belastet, er bewegt sich innerhalb seines eigenen Moralkodex. So ist er, der unsympathische Sack.
Doch sie fühlt, sie weiß, dass es falsch ist. Sie entscheidet sich nicht klar für A oder B, sondern halbherzig, und sie weigert sich, anschließend die Verantwortung zu übernehmen. Er wollte es unbedingt, er hat mich dazu gedrängt, ich war ja von Anfang an eigentlich dagegen, lieber Gott, darf ich bitte trotzdem in den Himmel? Heuchlerin ... Eben das, wie sie sich trotz besseren Wissens und in der Hin- und Hergerissenheit lieber für den Tod eines geliebten Menschen entscheidet, als dafür, ihrem Mann mal vors Schienbein zu treten und Tacheles zu reden, finde ich armselig und verachtenswert.

Vielleicht hab ich zu viel hineininterpretiert, aber so habe ich es beim Lesen empfunden.

 

Hallo AmelieS,

ich habe die anderen Kommentare nur kurz überflogen, also sorry, wenn ich etwas zum zweiten Mal schreibe. Ich finde das Thema der Geschichte wahnsinnig interessant und ehrlich gesagt gar nicht so sehr utopisch. Unsere (westliche) Gesellschaft muss sich in Zukunft noch viel mehr mit der "Überalterung" auseinandersetzen und Lösungen finden. So krasse hoffentlich nicht;). Du hast das ziemlich glaubwürdig rübergebracht, man könnte sich das (wie in einem Sciencefiction-Film) schon vorstellen...Wer weiß, was in hundert Jahren ist, wenn alle Bodenschätze, Erdölvorräte, Wälder abgeholzt sind? 1-Kind-Politik in China, warum nicht auch ein vorgegebenes, begrenztes Lebensalter?

Trotzdem muss ich sagen, dass mich der Text sprachlich nicht so sehr überzeugt hat. Es mag vielleicht auch an der Perspektive liegen, ich hätte die dritte Person hier deutlich vorgezogen, das würde dem ganzen noch mehr Kühle und Distanz geben.

Der Tag war gekommen. Als sie aus dem Haus traten schien die Sonne. Sie hielt einen Strauß Veilchen in der Hand und folgte ihrem Mann zur Garage, in der ihr Wagen stand. Beim Losfahren fühlte sie einen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
Das hört sich doch gleich viel cooler an.

Du hast zwar die ich-Perspektive gewählt, trotzdem kommt bei mir keine Identifikation rüber, Deine Charaktere bleiben sehr blass.

Weiterhin muss ich bemängeln, dass die Dialoge und Szenen teilweise etwas ins Groschenheft-Niveau abgleiten:

Die Tür stand weit offen, von meiner Mutter fehlte jede Spur.
„Sind wir zu spät? Um Himmels Willen! Martin!“
oder:
Eine Gänsehaut rieselte mir den Rücken hinunter.
„Großer Gott, Martin!“
Das wirkt etwas kindlich geschrieben.

Ich denke, es würde sich durchaus lohnen, da nochmal etwas Zeit zu investieren, den Charakteren mehr Farbe zu geben und die Szenen noch schöner auszubauen.

Auf jeden Fall interessant zu lesen.

Gruß Kerkyra

 

Hallo AmelieS,

ich habe die anderen Kommentare nur kurz überflogen, also sorry, wenn ich etwas zum zweiten Mal schreibe. Ich finde das Thema der Geschichte wahnsinnig interessant und ehrlich gesagt gar nicht so sehr utopisch. Unsere (westliche) Gesellschaft muss sich in Zukunft noch viel mehr mit der "Überalterung" auseinandersetzen und Lösungen finden. So krasse hoffentlich nicht;). Du hast das ziemlich glaubwürdig rübergebracht, man könnte sich das (wie in einem Sciencefiction-Film) schon vorstellen...Wer weiß, was in hundert Jahren ist, wenn alle Bodenschätze, Erdölvorräte, Wälder abgeholzt sind? 1-Kind-Politik in China, warum nicht auch ein vorgegebenes, begrenztes Lebensalter?

Trotzdem muss ich sagen, dass mich der Text sprachlich nicht so sehr überzeugt hat. Es mag vielleicht auch an der Perspektive liegen, ich hätte die dritte Person hier deutlich vorgezogen, das würde dem ganzen noch mehr Kühle und Distanz geben.

Der Tag war gekommen. Als sie aus dem Haus traten schien die Sonne. Sie hielt einen Strauß Veilchen in der Hand und folgte ihrem Mann zur Garage, in der ihr Wagen stand. Beim Losfahren fühlte sie einen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
Das hört sich doch gleich viel cooler an.

Du hast zwar die ich-Perspektive gewählt, trotzdem kommt bei mir keine Identifikation rüber, Deine Charaktere bleiben sehr blass.

Weiterhin muss ich bemängeln, dass die Dialoge und Szenen teilweise etwas ins Groschenheft-Niveau abgleiten:

Die Tür stand weit offen, von meiner Mutter fehlte jede Spur.
„Sind wir zu spät? Um Himmels Willen! Martin!“
oder:
Eine Gänsehaut rieselte mir den Rücken hinunter.
„Großer Gott, Martin!“
Das wirkt etwas kindlich geschrieben.

Ich denke, es würde sich durchaus lohnen, da nochmal etwas Zeit zu investieren, den Charakteren mehr Farbe zu geben und die Szenen noch schöner auszubauen.

Auf jeden Fall eine interessante Idee.

Gruß Kerkyra

 

Eigenartig, Dion, wie unterschiedlich man Dinge empfinden kann. Ich fand die Frau ganz und gar nicht "lieb", sondern in ihrem Verhalten noch schlimmer als ihn.
Du hast Recht, raven, mit Deiner Analyse und der Einschätzung der Frau. Es wäre besser gewesen, ich hätte geschrieben: Sie spielte die liebe Tochter nur.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dion, auf deine Kritik bin ich nicht eingegangen, das will ich gerne nachholen.

Meine Prot ist nicht glaubwürdig, weil sie ihren Ehemann beobachtet. Für mich ist ihr Verhalten nachvollziehbar, da sie Unsicherheit zeigt. Ist das nicht so wie bei einem Kind, wenn es zur Mutter oder zum Vater hochschaut um zu beobachten, wie sie, er, sich in einer bestimmten Situation verhält.

Als ob sie nicht zwei Jahre abwarten könnten? Das ist eine Vermutung, die du als Leser hast und die nicht zwingend richtig ist.

In Ohnmacht fallen auch junge Leute. Diese Kritik, dass man nur früher in Ohnmacht fiel, kann ich nicht nachvollziehen. Du denkst sicher an die Zeiten, als die Damen noch Riechfläschchen mit sich trugen.

In deinem nächsten Beitrag hast du erzählt, dass du nur gute Geschichten kommentierst. Allerdings hast du bereits erwartet, dass meine Geschichte nicht funktioniert. Also habe ich dich wenigstens nicht enttäuscht. Kindlich, naiv, und das ist eine Feststellung. Nein, Dion, das ist deine Feststellung.

Davon abgesehen bin ich auch für Kritik dankbar, denn sie bringt mich weiter. DANKE!


Hallo Raven, du hast dich noch einmal gründlich mit meiner Geschichte auseinander gesetzt. Das hat mir gut gefallen und meinen Glauben an die Protagonistin gestärkt. Mit Sicherheit schwächelt meine Geschichte an einigen Stellen, doch ganz so belanglos scheint sie doch nicht daher zu kommen.

Vielen herzlichen Dank!


Danke, Kerkyra, dass du meine Geschichte gelesen hast und auch Danke für deine Kritik.

Da frage ich mich gleich, warum die Geschichte noch mehr Kühle und Distanz ausstrahlen soll.
Ich habe in der ersten Person geschrieben, da fühle ich mich immer wohl und die Dialoge erlebe ich hautnah. "Ums Himmels Willen" oder "Großer Gott" so rede ich auch im realen Leben. Und wenn es ganz unheimlich wird, dann rieselt mir auch schon mal eine Gänsehaut den Rücken runter.

Wie man sehen kann, es gibt viele Meinungen zu nur einer Geschichte und ich danke dir herzlich für deine Meinung. Gib mir ein wenig Zeit zum Nachdenken, vielleicht kommt die Einsicht etwas später.


Ich wünsche Euch allen einen sonnigen Sommertag!

Amelie

 

„Hat aber lange gedauert. Wir mussten sie ganz schön überreden.“
„So ein Blödsinn! Per Gesetz müsste sie in zwei Jahren sowieso gehen.“
[…]
„Die wer?“ Mein Herz fing zu klopfen an.

Naja, das Herz wird vielleicht heftiger als zuvor geklopft haben, denn wenn es nicht klopfte, müsste es doch immerhin noch schlagen - da ist die dt. Sprache merkwürdig,

liebe Amelie,

und nun muss der auch noch was zu den Erwählten sagen, obwohl doch alles schon gesagt wurd!

Denkste!, wie man hier anne Grenze vonnem westfälisch-sächsischen und rheinisch-fränkischen Ruhrlatein so sacht. Und ich schreib (spinn vielleicht auch nur) Deine in wie gewohnt ruhigem und souveränem Ton erzählte Geschichte weiter ...

Ich weiß (glaube wäre das falsche Wort) , dass die von Dir geschilderte gesellschaftliche Situation nicht allzu weit von uns entfernt ist. Warum? Weil alles, was Geschäft verspricht, auch durchgezogen wird, wenn sich erst mal eine Lobby bildet und hinter den Kulissen Politik treibt.

Ich nenn nun drei Beispiele - nicht etwa, weil Hollywood oder dem Silicon Valley zu trauen sei (wie überhaupt der Welt der Massenmedien), aber es gibt einen SF-Film, der nach seinem Titel bereits in sieben Jahren spielt und wenn die aktuellen Entwicklungen wie derzeit weiterlaufen, auch real werden kann, auch wenn nicht auf Punkt und Komma des Drehbuchs genau (dann hätte es im Silicon Valley geschrieben werden müssen, dass zu der Zeit der Verfilmung noch keine Rolle spielte).

In dem Spielfilm „Soylent Green – 2022 – Die überleben wollen“ ist unsere nahe Zukunft der reine Albtraum: Überbevölkerung und Elend machen Städte zu riesigen Slums, in denen die Normalbevölkerung ums Überleben ringt, während Eliten - incl. der Besitzer Soylent Greens" - es sich wohl sein lassen. Der Name des Konzerns weckt Assoziationen zu Soja (soy), aus-leihen, aus-geliehen (to lend, lent) und dem Grün der Natur. „Man“, wer immer das sei – will glauben machen, Wohltäter der Menschheit zu sein.

Ein Detektiv (dargestellt durch Charlton Heston, der die Rolle so gut ausfüllt wie seinerzeit als Ben Hur) entdeckt das Geheimnis des Konzerns: Er verarbeitet Verstorbene zu Energienahrung und verkauft das Produkt an nichtsahnende Hungrige. Ähnlich geht es in einem anderen SF-Film zu, in dem der Jugendlichkeitswahn zur herrschenden Ideologie geworden ist. Man darf nicht älter als 30 Jahre alt sein (der Zeit sinnigerweise, die der üblichen Definition der menschl. Generation zugrunde liegt). Danach muss man sich zur Hinrichtung melden … Diese negative Utopie lässt uns freilich noch ein wenig Zeit und heißt „Logans Run – Rückkehr ins 23. Jahrhundert“. So weit zu der Traumfabrik. Silicon Valley kommt gleich.

Kurze Atempause für Trivialeres, wie der Zeichensetzung (als wären nicht schon genug Zeichen gesetzt!)!

Als wir aus dem Haus traten[,] schien die Sonne.
„Martin, meinst du[,] es ist alles in Ordnung?“, fragte ich.
Und nun im Übergang zu Formulierungen
Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Tür öffnete[,] sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und [denen man] Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte.
(das „ihnen“ verträte zwar die „alten Menschen“ ganz gut, ist ja auch, wenn ich jetzt konzentriert genug meine Vorredner [Vorschreiber klänge nun arg autoritär] aber sie werden sich nicht selbst die Kränze aufs Haupt gedrückt haben, darum besser „denen man“ …)
Beim Losfahren fühlte ich einen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
Ja, so sagt man oft, wahrscheinlich auch in der Nähe von D’dorf. Weil es aber hier im Ruhrlatein übertrieben verwendet wird (ich/et bin/is’ am Kucken) nenn ich’s gerne German gerund (Eye’m/he’s looking).

Warum die Substantivierung? Selbst da gäb’s eleganteres (wenn man beim Thema „sterben“es überhaupt elegant treiben kann) im „während des Losfahrens“. Aber eleganter ist allemal die verbale Fassung „als ich/wir losfuhr/en“ bei einem Mehraufwand von keinem (sing.) bis drei Buchstaben (pl.) … [Du wirst verzeihn, dass ich bei den Dingen, die größten Ernst erfordern, schräg bin. Anders kann man etwa in der Flüchtlingshilfe gar nicht Hand anlegen.]

Fahren wir also fort in die schöne neue Welt des Silicon Valley:

»Innerhalb der winzigen Elite der Milliardäre, die die Cloud-Computer betreiben, herrscht der laute, zuversichtliche Glaube, dass die Technologie sie eines Tages unsterblich machen wird. Google zum Beispiel finanziert eine große Organisation mit dem Ziel, "den Tod zu überwinden". Und es gibt viele Beispiele mehr. Ich kenne einige der Hauptbeteiligten der Anti-Tod- oder posthumanen Bewegung, die im Herzen der Silicon-Valley-Kultur sitzt …«, sagt ein ausgebuffter amerikanischer Kenner der digitalisierten Welt in der Paulskirche zu Frankfurt. »Die Arithmetik ist klar. Falls die Unsterblichkeitstechnologie, oder auch nur eine Technologie der drastischen Lebensverlängerung zu funktionieren beginnt, müsste sie entweder auf die kleinste Elite beschränkt bleiben oder wir müssten aufhören, Kinder in die Welt zu setzen, und in eine unendlich fade Gerontokratie übergehen. Dies sage ich um hervorzuheben, dass in der digitalen Technologie häufig, was radikal scheint - was auf den ersten Blick wie kreative Zerstörung wirkt -, sich in Wirklichkeit, wenn es tatsächlich umgesetzt würde, als hyperkonservativ und unendlich fade und langweilig herausstellt. Eine weitere populäre Idee ist, unser Gehirn in die virtuelle Realität "upzuloaden", damit wir für immer in einer Softwareform weiterleben könnten. Und das trotz der Tatsache, dass wir noch nicht einmal wissen, wie das Gehirn funktioniert. Wir wissen nicht, wie Ideen durch Neuronen repräsentiert werden. Wir stellen Milliarden von Dollar bereit, um das Gehirn zu simulieren, dabei kennen wir jetzt noch nicht einmal die grundlegenden Prinzipien, nach denen es funktioniert. Wir behandeln Hoffnungen und Glaube, als wären sie etablierte Wissenschaft. Wir behandeln Computer wie religiöse Objekte …« Jaron Lanier: Für einen neuen Humanismus. Wie wir der digitalen Entrechtung entkommen. Rede zum Empfang des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 12. Oktober 2014 in der Frankfurter Paulskirche, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2014, S. 42 ff., zitiert wird S. 56

Bleibt die Hoffnung, dass jede Bewegung ihre Gegenbewegung erzeugt!

Gruß und schönes Wochenende vom

Friedel

 

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