Die erste Grosse Liebe
Alles begann mit dem Salatdressing. Französisches Salatdressing, welches ich noch schnell hätte mitbringen sollen, was ich aber nicht konnte, weil ich mal wieder kein Geld dabei hatte. Die Zeit wäre ohnehinn knapp gewesen.
Ich war gerade am Bahnhof angekommen als er mich per SMS darum bat. Seine SMS klang so herrlich unkompliziert und spontan. So ganz nebenbei. Es hatte etwas vertrautes, und obwohl ich mich schon immer gegen diesen Gedanken gesträubt hatte: es klang so, als wären wir ein Paar. Oder zumindest sehr gute Freunde, ein eingespieltes Team. Eine Liebesbeziehung zwischen uns kam für ihn nicht in Frage, das hatte er von Anfang an stets klar betont. Es wäre also nicht sehr klug von mir gewesen ihm meine Gefühle, die sich zwischenzeitlich entwickelt hatten, einzugestehen. Das hätte ihn nur provoziert.
Ich setzte mich ins Tram, noch fünfzehn Minuten bis zu seiner Haustür.
Das Haus in dem er wohnt befindet sich an einer ruhigen Lage. Eine Hand voll Bauernhöfe, hübsche Reihenhäuser, dazwischen schmale Strassen. Privatstrassen, Zubringedienst gestattet. Ich wurde nervös. Vor seiner Haustür hielt ich inne um mich zu sammeln. Noch bevor ich die Klingel drücken konnte öffnete er mir die Tür. Er hatte mich kommen sehen. Da stand er, er lächelte. Er küsste mich, einfach so, zur Begrüssung. Ich war total überrascht, meine Gefühle überforderten mich. Ich hätte vor Freude weinen können, riss mich aber zusammen und versuchte, cool zu wirken. Er bat mich im Wohnzimmer Platz zu nehmen, das Essen würde noch eine Weile dauern. Ich setzte mich auf das helle Ledersofa, der Ferseher war eingeschaltet. Ich tat so, als würde ich mir die News auf BBC ansehen und schaute mich vom Sofa aus heimlich etwas um. Der Tisch war schon gedeckt, ordendlich gedeckt. Er hatte sogar eine Kerze angezündet. Normalerweise halte ich überhaupt nichts von einem Abendessen bei Kerzenschein. Zu romantisch für meinen Geschmack, sinnlos, ein potenzielles Fluchtmotiv. Aber diesmal war alles anders. Es gefiel mir. Es gefiel mir sogar sehr.
Das Wohnzimmer war schlicht eingerichtet. Zweckmässig aber gemütlich, ohne Kleinkram und unnötigen Accessoires. Einfach und konfortabel. Nicht gerade sehr typisch für einen gutbezahlten Banker wie Dan. Das überraschte mich. Keine protzigen Möbel, keine luxuriöse elektronische Ausstattung. Genau so, wie ich es mag. Eine Singlewohnung eben, das beruhigte mich. Ich entspannte mich allmälich.
Er brachte mir einen Aperitiv, einen weissen Martini auf Eis im Longdrinkglas, und setzte sich zu mir aufs Sofa.
„ Es gibt Raclette heute mit Beilagen. Der Salat dazu ist leider etwas einfach. Mit französischem Dressing wäre er besser geworden.“, sagte er. Ich lächelte ihn an, bedankte mich herzlich für die Einladung und dafür, dass er für mich kocht.
Was ich ihm nicht sagte war, dass ich eigentlich gar keinen Hunger hatte und Raclette nicht besonders gerne esse. Denn das war mir auch total egal, ich würde alles essen was er kocht, auch wenn es scheusslich schmecken würde. Er hätte mir auch ein Butterbrot in einem Hundenapf angerichtet servieren können, ich hätte es gewürdigt. Nicht, dass ich kulinarisch absolut anspruchslos wäre. Ganz im Gegenteil: ich liebe gutes Essen! Wenn ich mir etwas gönne diniere gerne ausswerts, wobei ich mich stets für exquisite Restaurants entscheide um schliesslich eine Rechnung zu begleichen, in einem Betrag, für welchen ich gewöhnlich einen ganzen Tag mühsam arbeiten muss. Qualität hat nun mal ihren Preis, und ich hatte mittlerweile ein ausgezeichnetes Gespühr für gute Qualität. Der Grund, der dazu führte, dass ich an diesem einen Abend meine kulinarisch kritische Haltung völlig ausser Acht liess, war die Tatsache, dass er, Dan, der erste Mann in meinem Leben war, der für mich kochte. Auch wenn man, zugegeben, meiner Meinung nach bei der Zubereitung von Raclette nicht von kochen sprechen kann, bedeutete mir das selbst gekochte Raclette von Dan mehr, als all die Haut-Cuisine-Kreationen zusammen die ich jemals verspeist hatte.
Ich nippte an meinem Glas und versuchte dabei lässig und entspannt zu wirken. Dan rückte etwas näher zu mir, der Fernseher plapperte weiter. Wir redeten seit langem wieder miteinander von Angesicht zu Angesicht. Ich liebe die Gespräche mit ihm, sie inspirieren mich. In den drei Jahren, die wir uns kennen, haben wir uns oft und manchmal auch sehr lange unterhalten. Fast ausschliesslich telefonisch, abends, nachdem Dan seinen Arbeitstag beendet hatte und ich mich gerade schlafen legen wollte. Diese Gespräche waren leider immer etwas einseitig. Ich erzählte und er hörte zu. Er gab mir Ratschläge in schwierigen Situationen, half mir bei Entscheidungen und sprach mir Mut zu, wenn es mir schlecht ging und ich nicht mehr weiter wusste. Unsere Treffen waren immer kurz und mehrheitlich geplant. Wir hatten jedes mal Sex und redeten nicht viel. Das war ja eigentlich auch in Ordnung. Schliesslich hatten wir abgemacht, dass aus uns nichts werden kann. Und ich hatte ihm mein Wort gegeben. Aber an diesem Abend war alles anderst. Dan öffnete sich. Zum ersten Mal seit drei Jahren sprach er davon, wer Dan ist und was Dan so tut in seinem Leben, ausser arbeiten. Er erzählte mir von seiner Freizeit, verriet mir seine Vorlieben in Musik, Kultur und Literatur. Berichtete mir von den Ländern, die er bereist hatte und zeigte mir dazu einige Fotos von sich und von Freunden.
Plötzlich spührte ich wie er seine warme Hand auf meine legte. Er streichelte mich leicht, fast schon zärtlich. Das tat er zuvor noch nie! Meine Gefühle spielten verrückt, aufeinmal war alles auf den Kopf gestellt. In meinem Innern schien alles vor Freude zu hüpfen. Immer stärker, schneller und unkontrollierter. Etwas explodierte förmlich in mir. Ich war total überfordert und hatte keine Ahnung wie ich damit umzugehen hätte, denn so ein Gefühl hatte ich noch nie gehabt. Dann wurde ich feucht, sehr feucht. Für einen Moment konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Das war Erregung pur! Aber richtig geniessen konnte ich das nicht. Es war so unerwartet und neu. Irgendwie fühlte ich mich unsicher.
Diese Unsicherheit löste sich einwenig als wir uns zu Tisch begaben und er das Essen servierte. Es schmekte vorzüglich! Wir tranken Weisswein dazu, einen Chardonnay, der passte ausgezeichnet zu unserem Dinner. An diesem Abend schien einfach alles zu passen. Es war der perfekte Abend. Es war mehr als ich mir jeh erhofft hatte von ihm. Aber warum war das so? Warum jetzt nach drei Jahren, warum nicht schon früher? Was wollte er damit bezwecken? Wollte er überhaupt etwas bezwecken oder war das wiedereinmal nur meine blühende Phantasie die mich zu überlisten versuchte? Nein, es war real! Es war echt! Irgendeine Absicht musste dahinter stecken. Eine gute Absicht, etwas Erfreuliches musste es sein. Etwas schönes, eine Überraschung. Könnte er sich in mich verliebt haben? Könnte das sein? War das eine Geste um mir zu zeigen, dass ich ihm mehr bedeute, als ich bisher immer gedacht hatte? Vielleicht war es ja doch nicht ausgeschlossen, dass aus uns mal was werden würde. Kann es sein, dass ich dies all die Jahre übersehen hatte, weil ich mich schützen wollte und keine optimistischen Gedanken zugelassen hatte? Ohne Zweifel, das war es! Es musste einfach so sein, denn sonst wäre das ganze sinnlos. Und ich war mir absolut sicher, dass mir dieser Abend die Möglichkeit bieten würde, alle meine Gefühle ihm gegenüber nicht weiter zu verschweigen, sie endlich auszusprechen. Was noch fehlte war der geeignete Zeitpunkt dafür. Ich musste es zuerst wissen, ich musste ihn den ersten Schritt machen lassen. Aber dazu musste ich ihn womöglich aus seiner Reserve locken, ihn direkt nach seinem Vorhaben ansprechen. Ich legte das Besteck auf den Teller.
„Nun sag mal, ganz erlich Dan: zu welchem Zweck hast du mich heute eingeladen?“
„Na ich wollte dir mal etwas Gutes tun, wird man wohl noch dürfen! Und es gibt etwas, dass ich dir noch sagen wollte. Etwas, dass du wissen musst. Ich werde bald auswandern, für immer. Wohin weiss ich noch nicht genau. Den Job habe ich bereits gekündigt, es kann sich also nur noch um wenige Monate handeln, bis es so weit ist. Ich möchte einfach weg von der Schweiz, es ist mir zu langweilig hier. Und ich meine, es gibt nichts, wirklich nichts wofür ich hier noch bleiben sollte.“
Ich liess Gabel und Messer liegen, mein Appetit war weg. Alles war weg. Nur das Nichts war noch da.