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Die Bäume wachsen nicht in den Himmel

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18.10.2021
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Die Bäume wachsen nicht in den Himmel

Ich finde den Lichtschalter nicht, zu lange Zeit bin ich weg gewesen. Ich warte, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und arbeite mich entlang der Wand des Flurs zum Zimmer vor. Die Tür knarrt, als ich sie öffne. Ich erkenne die Papierkugel von IKEA wieder, die mir als Zimmerlampe diente. Das Bravo-Poster mit den Backstreet Boys. Den Globus, auf dem ich Weltreisen plante, möglichst weit weg von hier. Seit meinem Auszug vor gut zwanzig Jahren steht hier noch alles am alten Platz, Mutter hat aus meinem Kinderzimmer ein kleines Museum gemacht. Die Vorstellung, in diesen Bettdecken zu versinken, in Tagebüchern und Poesiealben alten Erinnerungen nachzuspüren, wirkt plötzlich absurd. Ich reiße die Fensterflügel auf, eine Wolke von Staub und abgeblättertem Lack kommt mir entgegen.

Ich zünde mir eine Zigarette an und blicke hinunter in den Garten. Er macht einen vernachlässigten Eindruck, die Bäume sind verwildert, der Putz ist von der Grenzmauer abgebröckelt. Meine Mutter scheint mit der Pflege des GRundstücks überfordert zu sein. Dort unten, erinnere ich mich, standen einmal meine Schaukel und das blaue Trampolin. Je mehr sich meine Eltern stritten, umso höher versuchte ich zu springen, hoch in den Himmel hinaus. Ich wollte vor allem meinem Vater imponieren. Diesem freundlichen Mann, der mit mir das Trampolin und das Baumhaus gebaut hatte. Doch an einem Samstagmorgen war er aus meinem Leben verschwunden, hatte sein zehnjähriges Kind und die immerzu keifende Ehefrau, die von ihm Fleiß, Sparsamkeit, beruflichen Erfolg verlangte, hinter sich gelassen.

Einfach alles hinter sich lassen, murmle ich vor mich hin und sauge an der verglimmenden Zigarette. Sollte das auch mir gelingen? Ausgerechnet hier, wo ich schon so früh das Weite suchte? Mütter scheinen jedenfalls froh zu sein, wenn ihre erwachsenen Töchter bei ihnen Unterschlupf suchen. „Es ist doch immer alles beruflich gut bei dir gelaufen, Susan“, versuchte sie mich am Telefon zu trösten, als ich von meinem „Crash“ erzählte. „Nimm ein paar Wochen Urlaub und zieh solange zu mir!“ Zu meinem Erstaunen willigte ich sofort ein. Nicht nur, weil ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen sollte. Ich spürte auch, dass Mutter etwas wiedergutmachen wollte.

Auch bei aufgerissenem Fenster riecht es hier muffig und feucht. Ich denke wieder an mein altes Baumhaus, diesen aus Brettern zusammengezimmerten, mit grünem Teppich ausgelegten, von einem wasserdichten Dach geschützten Verschlag auf dem Ahornbaum. Dorthin konnte ich mich zurückziehen, wenn es mir daheim zu eng wurde, las Abenteuergeschichten oder schaute hinaus in die „Prärie“. In den Sommermonaten konnte ich dort oben sogar übernachten.

Ich stecke mir eine neue Zigarette an suche die Baumreihe am Grundstücksrand nach dem Baumhaus ab. Ich finde den Ahornbaum und muss trocken schlucken: Er ist von dichten Efeuranken überwuchert, das Baumhaus darunter vollständig verschwunden. Die Äste in der Krone ragen mitleiderregend in den Himmel.

Ihr Anblick erinnert mich unweigerlich an das, was gerade in meinem Leben geschehen ist: hoch hinausgewollt und tief gefallen. Immer schlug ich mich alleine durch und hatte Erfolg: Gymnasium, Abitur, Studium, danach gleich eine feste Stelle. Und keiner im Betrieb wunderte sich, als ich mich mit Mitte dreißig für den Posten der Personalchefin bewarb. Schließlich hatte ich Günter hinter mir, diesen angenehmen, vornehm wirkenden Mann aus dem Vorstand. Seine dichten schwarzen Augenbrauen erinnerten mich ein wenig an Vater. Wie oft habe ich mit ihm beim Abendessen über das Geschäft gesprochen und nicht den kleinsten Hintergedanken gehegt. Auch dann nicht, als er nach dem Dessert beiläufig sagte: „Ich hab‘ noch Lust auf Sauna - kommst du mit?“ Augenblicklich wird mir wieder schlecht, als ich an die grauen Haare auf seiner Brust denke, sein Augenzwinkern, als er die Sanduhr umdrehte und leise zuflüsterte: „Wenn die durch ist, sehen wir uns in der Kabine.“ Trotz 80 Grad in der Saune ging ein Kälteschauer durch meinen Körper. Ich riss das Badetuch von den Holzplanken, bedeckte meinen nackten Körper vor seinen begehrlichen Blicken, rannte in die Umkleide und danach auf mein Hotelzimmer. Während meine Bewerbung weiterlief, sahen sich Günter und ich wochenlang nur von hinten. Eines Morgens trat ich noch etwas verschlafen an den Kopierer. Dort stand einer, zu spät erkannte ich, dass es Günter war. Er wandte sich nur kurz um und sagte mit einem Seufzer: „Tja, die Bäume wachsen eben nicht in den Himmel.“

Ich starre auf die erdrosselten Äste, das vom Efeu verschlungene Baumhaus und fühle, wie die Wut in mir hochsteigt. Plötzlich fällt mir wieder die Säge ein, mit der Vater und ich die Bretter für das Baumhaus zurechtgesägt hatten. Ich muss hinunter in den Keller und sie suchen! Tatsächlich liegt sie noch am gleichen Platz wie damals vor dem Holzstapel, der jetzt von Spinnweben überzogen ist. Ich reiße die Kellertür auf, eile zum Ahorn und suche nach den Ranken, die ihn einschnüren. Sie liegen oberhalb der Rinde und sind nicht, wie befürchtet, in den Stamm eingewachsen. Von der ungewohnten Anstrengung spüre ich nichts, wie betäubt säge ich eine Ranke nach der anderen durch und komme erst wieder zu mir, als ich am Fuß des Baums einen Haufen weißer Späne sehe. Ich atme tief durch und mir wird plötzlich leicht.

Beim Abendbrot erzähle ich Mutter davon.

„Aber Susan“, antwortet sie. „Efeu macht doch gar keine Bäume kaputt - es sei denn, sie sind schon vorher krank gewesen.“

Mutter hat recht, der Stamm und die Äste sind gar nicht vertrocknet. Ich verspreche ihr, im nächsten Frühjahr bei der Pflege des Gartens zu helfen. Dann werde ich auch mein Baumhaus von den trockenen Ranken befreien.

 

Hallo @A. Martin,

sie hat als Kind mit einer Axt ihr Baumhaus gezimmert? Das kommt mit fast vor wie eine Satire auf diese ganzen bläulich schimmernden „Wir hatten früher keine Handys und haben rohe Eichhörnchen gegessen und es war superschön“-Gruppen bei Facebook.

Die Rückkehr an den Ort der Kindheit, weil im Erwachsenenleben irgendwas in die Hose gegangen ist (Ehe, Job) oder weil es zu Hause ein bedeutendes Ereignis (Tod eines Elternteils) gegeben hat, das ist ein recht klassisches Motiv. Mit fällt Grishams Bleachers ein, da stirbt der Football-Trainer des inzwischen erwachsenen Prots. Kings Es spielt das Szenario als Horrorgeschichte durch. Meist folgt dann eine Aufarbeitung der Dinge, die in Kindheit und Jugend passiert sind, weil einem mit dem einen oder anderen Jahrzehnt Abstand erst bewusst wird, wie die sich im Erwachsenenleben ausgewirkt haben.

Ich habe mit der Geschichte zwei Probleme. Das eine ist Glaubwürdigkeit. Darum bin ich mit der Axt eingestiegen. Das ist so eine Kleinigkeit, aber der Teufel steckt im Detail. An anderer Stelle geht es an die Substanz der Story: Wenn der ihr schon mit so notgeilem Zwinkern vorschlägt, in die Sauna (!) zu gehen, warum macht sie das? Das kann sehr gut das Machtgefüge sein, dass sie das Gefühl hat, das Spiel mitspielen müssen, um mit ihrer Bewerbung überhaupt eine Chance zu haben. Das kommt hier aber überhaupt nicht raus. Also, ich lese das auch nicht zwischen den Zeilen, falls das die Absicht war.

Problem zwei ist, die Geschichte bleibt an der falschen Stelle an der Oberfläche. Eingangs wird sehr minutiös das Kinderzimmer beschrieben, ich erfahre aber so gut wie gar nichts über die Mutter, die ja wohl mit ihrer „Wenn dir was Schlechtes widerfährt, bist du immer selbst schuld“-Philosophie den Grundstein für die jetzige Arbeitsunfähigkeit gelegt hat. Und das ist ja der Kern deiner Variante einer „Nach Hause kommen“-Geschichte, da kommen Gegenwart und Vergangenheit zusammen.


Viele Grüße
JC

 
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Hallo, @A. Martin,
die Geschichte ist ja kurz, weshalb ich sie auch fertiggelesen habe, aber sie funktioniert für mich nicht. Es sind einige Dinge wirklich eigenartig daran, die ich versuchen will, aufzuzählen.

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel
Zunächst einmal habe ich mit dem Titel nichts anfangen können, bis Google mir gesagt hat, es handele sich um eine (mir bis dato unbekannte) Redewendung, die besagt, dass jeder Erfolg seine Grenzen hat. Okay. Eine Prämisse, mal schauen, wo mich das hinbringt.
In den dunklen Flur fällt ein dünner Lichtschein, die Zimmertür knarrt, ich halte kurz die Luft an. Tatsächlich ist noch alles am gleichen Platz, die IKEA-Lampe, der Globus mit Innenbeleuchtung, das Poster mit den Backstreet Boys, so als wäre ich erst vor kurzem ausgezogen.
Fragen hierzu: Wann ist Susan ausgezogen? Die Backstreet Boys hatten ihr "Comeback" so 2005, danach gab es sie zwar noch, aber wenn ich mich recht entsinne, eher so unter dem Radar, jedenfalls nicht mit Postern in der Bravo, die man sich an die Wand hängen konnte. An anderer Stelle schreibst du, sie sei Mitte dreißig, also entweder ist das jetzt bald zwanzig Jahre her, und sie hat das Zimmer mitten in der Pubertät verlassen, oder irgendwas ist ein bisschen schräg.
Was tun Erwachsene als erstes, frage ich mich, wenn sie für unbestimmte Zeit in ihr Kinderzimmer einziehen?
Das interessiert mich eher nicht, Viel mehr wüsste ich gerne, weshalb das Jugendzimmer so museal daherkommt. Warum ist das immer noch in diesem Zustand? Was ist da "zu Hause" passiert? Das würde mich interessieren, stattdessen hat man fast das Gefühl, sie komme als Gespenst in ein von den Eltern nicht mehr angetastetes Zimmer einer Verstorbenen.
Die Vorstellung, hier, im Schoß meines Elternhauses, Wunden zu lecken, fühlt sich fremdartig an.
Ebenso wie dieser Satz sich fremdartig liest. Was hat sie denn dazu bewogen, das elterliche Haus wieder aufzusuchen. Was ist mit ihrer Wohnung, was mit Freunden, warum kommt sie hierher zurück, wo sie recht offenbar bereits seit Dekaden nicht mehr gewesen ist? Die Motivation ist eine völlige Leerstelle.
Als Teeny sprang ich so hoch, dass ich auf die Glatze des Nachbarn schauen konnte.
Wenn dieser Satz so etwas wie Nostalgie vermitteln soll, hielte ich es für sinnvoll, das weiterzuverfolgen. Was ist heute mit dem Nachbarn? Dinge ändern sich, das kann man von dieser Kindheitserinnerung ausgehend weiterverfolgen. Was hat sich vor allem hier in der Familie geändert. Der Vater scheint ausgezogen zu sein, das schreibst du später, aber weshalb. Was ist hier passiert? In was für ein Haus kehr Susan zurück? Dieser Satz alleine hat gar keinen Daseinszweck.
Und verdammt - wo ist mein altes Baumhaus?
Und verdammt, was ist das für eine Formulierung? Wo war Susan die letzten 20 Jahre?
Der scheint jetzt vertrocknet zu sein, die dichten Ranken des Efeus haben dem Wirt offenbar jeden Tropfen Wasser entzogen.
Dass Efeu so etwas tut, ist eine Legende. Efeu schadet den Bäumen nicht, die Wurzeln sind nicht invasiv, sondern Haftwurzeln, und gehen üblicherweise mit dem Baum eine synergetische Beziehung ein. Wenn der Baum allerdings eh nicht gesund ist, kann ihm die Aufmerksamkeit des Efeu natürlich zum Verhängnis werden. Aber natürlich macht diese Tatsache (Efeu nicht böse) die Prämisse und das Finale der Geschichte etwas kaputt.
Beruflich habe ich immer alles richtig gemacht, jeden Tag Schminke aufgelegt und die Pobacken zusammengedrückt.
Aha, so macht man also alles richtig. Schminke auflegen und knackigen Po? Ich hoffe nicht, dass du oder Susan das wirklich so meint.
Und mich mit Mitte dreißig konsequenterweise für den Posten der Personalchefin beworben.
Vor allem, weil das Selbstverständnis von Susan, dass ihre Schminkexpertise und Körperhaltung ihr als hinreichende Kompetenz für eine Personalleitung vorschweben, wirklich lächerlich wären.
Jetzt bleibt mir als einziger Ausweg der gelbe Schein.
Sie kann nicht den Arbeitgeber wechseln? Der einzige (vor allem) Ausweg ist eine Krankschreibung? Was hat sie denn, außer Selbstmitleid?
Ich höre ihn wieder im Leitungsmeeting sagen: „Die Bäume wachsen eben nicht in den Himmel.“ Plötzlich drehte er sich zu mir und schaute mich eindringlich an,
Verstehe ich das richtig, sie bewirbt sich für eine Leitungsposition, die sie nicht bekommt, sitzt aber im Leitungsmeeting, wo sie vom Finanzvorstand angeblickt wird. Was macht sie denn da?
Der glockenhelle Sopran der Mutter reißt mich aus den Gedanken.
Passt überhaupt nicht in die ganze Szenerie. Und ist eine fürchterliche Klischee-Formulierung.
In der Küche begegnet mir eine spindeldürre Frau Mitte sechzig mit grauen Haaren.
Wer ist denn die Frau? Ist die zu Besuch? - Ja, ich weiß, es ist die Mutter, aber warum führst du sie so ein?

Und nun kommen wir zu dem Dialog, der mich geschüttelt hat:

„Iss erst mal, Kind“, wehrt sie ab.
„Aber Mama, du kannst doch den großen Garten nicht mehr alleine …“, rechtfertige ich mich.
„Nett von dir, dass du mich daran erinnerst - gerade jetzt“, antwortet sie eingeschnappt.
Bei Mutters Anspielung geht mir sofort die Galle hoch:
„Jetzt, wo ich selbst am Boden liege - meinst du das etwa?“
„Ach Mädchen, bei dir kann man nichts mehr richtig machen“, stammelt sie voller Selbstmitleid.
Mir fällt wieder das verschwundene Baumhaus ein und ich frage Mutter, was daraus geworden ist. „… hat sich inzwischen der Efeu geholt“, antwortet sie knapp. Dann beugt sie sich zu mir vor: „Und daran bin ich jetzt vermutlich auch noch schuld!“
Warum können die beiden nicht einfach miteinander sprechen, warum garnierst du jeden Satz mit einem Tell, anstatt sie einen Dialog führen zu lassen, der organisch zu dieser (in dieser Form auch völlig unvermittelten) Zuspitzung führt? Was ist hier los, welche unausgesprochenen Dinge bringen hier Mutter und Tochter gegeneinander auf?
Es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Auch wenn ich augenblicklich das Badetuch hochgerissen habe, um meinen Körper vor den begehrlichen Blicken des Chefs zu verhüllen; auch wenn ich in die Umkleide und danach auf mein Hotelzimmer gerannt bin – Schuld an allem bin ich am Ende selbst.
Hat sie das damals realisiert, realisiert sie das jetzt, realisiert sie, dass ihre Mutter das glauben würde, wenn sie erfährt, was Susan widerfahren ist? Der gesamte Gedankengang, angefangen vom Schminken und Pobacken zusammenkneifen bis zu dieser "beruflichen" Szene werfen mir einen Karton Fragezeichen vor die Füße. So wie du Susan hier darstellst, muss ich dem Urteil beipflichten: Da ist sie nicht viel besser als die selbstmitleidige Mutter, und sicherlich nicht unschuldig an dem, was ihr beruflich widerfahren ist.
Ich muss in den Keller hinunter und die Axt suchen, mit der ich damals die Bretter für das Baumhaus zurechtgezimmert habe.
Das hat schon @Proof angeschnitten, oder vielmehr angehackt: Die Axt im Haus erspart zwar den Zimmermann, aber eine Säge wäre meine Weapon of Choice, wenn ich Bretter für ein Baumhaus bearbeiten müsste.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragt Mutter verstimmt, als ich mit einem Ruck aufstehe und die Küche verlasse.
Das frage ich mich auch.
Die Axt liegt noch an der gleichen Stelle, ist aber viel leichter an als in meiner Erinnerung. Ich reiße die Kellertür auf, eile zum Ahornbaum und suche die Efeuranken, die seinen vertrockneten Stamm einschnüren. Ich haue, so tief kann, in sie hinein. Weiße Späne und Brocken mit dunkler Rinde fliegen durch die Luft. Ich schlage so lange in die Ranken hinein, bis der Ahorn wieder Luft fassen kann. Und mit einem Mal wird es auch mir leichter.
Ich verstehe das Bild, das du hier zum Finale setzen möchtest - die "Befreiung" des Baumes, die Freilegung des Baumhauses als einen Rückzugsort und Ort, an dem man frei sein und über den Dingen stehen konnte, soll ein Bild und Katalysator für die Selbstbefreiung aus der Opferrolle sein, in der sich Susan häuslich eingerichtet hat.
Und das ist auch nicht schlecht, nur musst du das unbedingt besser aufbauen, unterfüttern, dem Leser die Sprossen anbieten, an denen er oder sie in das Baumhaus hinaufgelangen kann.
Zum Schluss: Mein Feedback ist alles andere als garstig gemeint, ich hoffe, du kannst mit dieser Rückmeldung etwas anfangen und deine Axt neuerlich an den Text legen, um ihm mehr Kraft zu geben.
Gruß
bvw

 

Hallo @Proof und @brudervomweber,

danke Euch für die Zeit, die Ihr Euch genommen habt, meine Geschichte zu kommentieren. Ich habe sie vielleicht etwas zu schnell aus der Hüfte geschossen, nachdem ich eine Ausschreibung zum Thema "Erfolg" gelesen hatte und eine Idee zu beruflichem Misserfolg ausprobieren wollte. Ihr habt recht, sie lebt nur von der Idee, gut durchdacht und komponiert ist sie tatsächlich nicht.
Ich habe die Geschichte nun umgeschrieben und hoffentlich einige der von Euch freigelegten "Fragezeichen" beantworten können:
- Susan hat das Elternhaus vor 20 Jahren im Streit verlassen. Ihre Mutter hoffte jedoch auf ihre Rückkehr und hat das Zimmer im alten Zustand belassen. Als Susan beruflich aus der Bahn geworfen wird, nutzt die Mutter die Chance und bietet ihrer Tochter an, vorübergehend bei ihr einzuziehen.
- Den Charakter des Chefs, der jetzt etwas freundlicher dargestellt wurde, hat die Pr. lange Zeit falsch eingeschätzt und sich von der Ähnlichkeit mit ihrem verschwundenen Vater täuschen lassen.
- Mit "Pobacken zusammenkneifen" habe ich kein kokettes Verhalten, sondern harte Disziplin gemeint; da offenbar missverständlich, habe ich das jetzt eindeutiger formuliert.
- Statt der Axt setzt Susan die Säge an den Efeu an.
- Ich habe klargestellt, dass Efeu seinen Wirt nicht schädigt (auch wenn die Pr. fälschlicherweise davon ausging).
- Den Konflikt mit der Mutter am Kaffeetisch, ihre "Schuld-Lebensphilophie" habe ich komplett rausgelassen, das macht die Geschichte n.m.M. jetzt geschlossener.

Viel Spaß beim erneuten Lesen und beste Grüße,
A. Martin

P.S.: Keine Sorge, @brudervomweber, "garstig" fand ich Deine Kommentare nicht. Schließlich seid Ihr Wort-Krieger und keine Softbälle. Das weiß ich schon von früheren Beiträgen.

 

Hallo, @A. Martin,
einen schönen ersten Weihnachtstag!
Du hast die Geschichte ja quasi auf links gedreht, und es ist mir fast schon unangenehm, wie sehr du dich von meinem Feedback hast leiten lassen, vor allem, weil ich jetzt noch ein wenig nachlegen muss.
Grundsätzlich aber liest die Geschichte sich jetzt runder, flüssiger, Susan als Hauptfigur wird greifbarer und dreidimensionaler. Trotzdem gibt es weiterhin Fragen, die sich mir stellen, und die ich dir deshalb weiterstelle. :)

Ich finde den Lichtschalter nicht, zu lange Zeit bin ich weg gewesen. Ich warte, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und arbeite mich entlang der Wand des Flurs zum Zimmer vor. Die Tür knarrt, als ich sie öffne. Ich erkenne die Papierkugel von IKEA wieder, die mir als Zimmerlampe diente. Das Bravo-Poster mit den Backstreet Boys. Den Globus, auf dem ich Weltreisen plante, möglichst weit weg von hier. Seit meinem Auszug vor gut zwanzig Jahren steht hier noch alles am alten Platz, Mutter hat aus meinem Kinderzimmer ein kleines Museum gemacht. Die Vorstellung, in diesen Bettdecken zu versinken, in Tagebüchern und Poesiealben alten Erinnerungen nachzuspüren, wirkt plötzlich absurd. Ich reiße die Fensterflügel auf, eine Wolke von Staub und abgeblättertem Lack kommt mir entgegen.
Dieser erste Absatz liest sich sehr viel besser als die ursprüngliche Version, vor allem, weil sie mich mitnimmt als Lesenden, der jetzt mit Susan in das Zimmert tritt. Die lange Abwesenheit von zu Haue wird direkt eingeführt, auch der vernachlässigte Zustand des Hauses sowie der Beziehung zum Haus und den Eltern/der Mutter wird angeschnitten. Auch das Details des Museums addiert sich hier passend dazu. Man ist in der Geschichte angekommen, und auch im Zimmer, das deutlich besser Formen annimmt, als das in Version 1 der Fall war.
Den letzten Satz des Absatzes hast du allerdings beibehalten, und leider stört der mich immer noch. "Eine Wolke von Staub und Lack" ist mir zu groß. Wo kommt der Staub her? Ist die Fensterbank nicht gewischt? Dann wird der Rest des Zimmers ja vermutlich auch nicht Teil der Putzroutinen der Mutter sein. Eine Wolke ist mir persönlich aber zu "groß", dass der Lack am (vermutlich) Holzfensterrahmen abgeblättert ist, okay, passt, dass das Zimmer staubig ist, auch gut, dass eine Wolke entsteht, ist mir persönlich zu ... wolkig. :)
Meine Mutter scheint mit der Pflege des GRundstücks überfordert zu sein.
Hier nur ein kurzer Hinweis auf einen Tippfehler.
Der Satz passt für mich, auch wenn hier vielleicht (wieder: für mich) noch spannend wäre, wessen Domäne denn den Garten war - vom Vater oder der Mutter. Ist die Mutter mit der Gartenpflege tatsächlich überfordert, oder hat sich der Vater stets darum gekümmert, und die Mutter nimmt es einfach nicht wichtig oder lässt den Garten wie das Jugendzimmer von Susan unangetastet?
Diesem freundlichen Mann, der mit mir das Trampolin und das Baumhaus gebaut hatte. Doch an einem Samstagmorgen war er aus meinem Leben verschwunden, hatte sein zehnjähriges Kind und die immerzu keifende Ehefrau, die von ihm Fleiß, Sparsamkeit, beruflichen Erfolg verlangte, hinter sich gelassen.
Hier schüttelt es mich wieder.
Der Vater ist vor fünfundzwanzig Jahren ausgezogen, hat nicht nur den Kontakt zur Mutter, sondern scheint's auch zum eigenen Kind abgebrochen, und trotzdem nimmt Susan, die als damals 10jährige eine solche "reflektierte" Bewertung nur schwerlich vornehmen konnte (freundlicher Mann, keifende Mutter, die den Mann unter Leistungsdruck setzt), eine klare Schuldzuschreibung vor. Dass Susan der Mutter, vielleicht auch sich selbst diffuse Vorwürfe macht, dass der Vater gegangen ist, okay, aber eine Wertung des mütterlichen Verhaltens wird sich im Zweifel doch eher aus den fünf weiteren Jahren speisen, die Susan mit der Mutter allein daheim gewesen ist. Für mich klingt das schräg.
Einfach alles hinter sich lassen, murmle ich vor mich hin und sauge an der verglimmenden Zigarette. Sollte das auch mir gelingen?
Mir ist weiterhin unklar, was dieser Passus mir sagen soll. Wenn ihre Absicht ist, ihre gegenwärtige berufliche Situation hinter sich zu lassen, wäre ein Jobwechsel das naheliegende. Und der letzte Satz hat so etwas abwartendes - ich stehe hier am offenen Fenster und rauche eine Zigarette nach der anderen, vielleicht holt mich da der Big Friendly Giant und nimmt mich mit? Das ist zu passiv. Was ist der Plan? Wenn Susan eine Macherin ist, was macht sie denn hier.
Ausgerechnet hier, wo ich schon so früh das Weite suchte?
Genau das: Warum kommt sie denn ausgerechnet nach Hause, wo ja nun zweifellos nicht alles dafür eingerichtet ist, etwas hinter sich zu lassen. Das ist nicht die Home Basse, das ist ein Gegenbild dessen, was Susan für sich will, ein Hort nicht ganz guter Gedanken und Erinnerungen, und dennoch kommt sie jetzt hierher zurück.
Nicht nur, weil ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen sollte. Ich spürte auch, dass Mutter etwas wiedergutmachen wollte.
Please elaborate.
Wenn der Fokus auf der Frage liegt, wie sich Susan aus ihrer aktuellen Lebenssackgasse befreit, ist es wichtig, die Frage zu beantworten, weshalb Susan aus ihrem jetzigen Leben, das sie sich selbst aufgebaut hat, in ihr altes zurückweichen will, aus dem sie ja damals geflohen ist, und wie auch die Mutter ihre Beziehung der Tochter in den letzten zwanzig Jahren vielleicht hat Revue passieren lassen und für sich Learning und gute Vorsätze daraus abgeleitet hat. Welche Chance sieht Susan, welche Chance die beiden Frauen?
Auch bei aufgerissenem Fenster riecht es hier muffig und feucht. Ich denke wieder an mein altes Baumhaus, diesen aus Brettern zusammengezimmerten, mit grünem Teppich ausgelegten, von einem wasserdichten Dach geschützten Verschlag auf dem Ahornbaum. Dorthin konnte ich mich zurückziehen, wenn es mir daheim zu eng wurde, las Abenteuergeschichten oder schaute hinaus in die „Prärie“. In den Sommermonaten konnte ich dort oben sogar übernachten.
"Muffig" ist mir persönlich zu umgangssprachlich, und diese Schilderung von Susans Abenteuerreisen im Kopf kommt mir persönlich zu jungenhaft daher. Schon ein Baumhaus (und da bin ich vielleicht vorurteilsbehaftet) ist meiner Ansicht nach eher etwas für Jungs als für Mädchen, aber Prärie und Abenteuergeschichten klingt mir viel zu sehr nach Karl May. Hier würde ich eher Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter oder Roald Dahls Matilda als "passende" Lektüre sehen, und das Baumhaus als eine Art Villa Kunterbunt oder die Mattisburg.
Ihr Anblick erinnert mich unweigerlich an das, was gerade in meinem Leben geschehen ist: hoch hinausgewollt und tief gefallen. Immer schlug ich mich alleine durch und hatte Erfolg: Gymnasium, Abitur, Studium, danach gleich eine feste Stelle. Und keiner im Betrieb wunderte sich, als ich mich mit Mitte dreißig für den Posten der Personalchefin bewarb.
Das wiederum gefällt mir, zeigt weit besser die zielstrebige junge Frau als die vorherige Fassung mit den Pobacken. Selbst treibend anstatt nur "Tun-was-man-muss", um erfolgreich zu sein.
Schließlich hatte ich Günter hinter mir, diesen angenehmen, vornehm wirkenden Mann aus dem Vorstand. Seine dichten schwarzen Augenbrauen erinnerten mich ein wenig an Vater. Wie oft habe ich mit ihm beim Abendessen über das Geschäft gesprochen und nicht den kleinsten Hintergedanken gehegt. Auch dann nicht, als er nach dem Dessert beiläufig sagte: „Ich hab‘ noch Lust auf Sauna - kommst du mit?“ Augenblicklich wird mir wieder schlecht, als ich an die grauen Haare auf seiner Brust denke, sein Augenzwinkern, als er die Sanduhr umdrehte und leise zuflüsterte: „Wenn die durch ist, sehen wir uns in der Kabine.“ Trotz 80 Grad in der Saune ging ein Kälteschauer durch meinen Körper. Ich riss das Badetuch von den Holzplanken, bedeckte meinen nackten Körper vor seinen begehrlichen Blicken, rannte in die Umkleide und danach auf mein Hotelzimmer. Während meine Bewerbung weiterlief, sahen sich Günter und ich wochenlang nur von hinten. Eines Morgens trat ich noch etwas verschlafen an den Kopierer. Dort stand einer, zu spät erkannte ich, dass es Günter war. Er wandte sich nur kurz um und sagte mit einem Seufzer: „Tja, die Bäume wachsen eben nicht in den Himmel.“
Dieser Absatz ist weiterhin schwer verdaulich. Die Beschreibung von Günther ist ähnlich schwülstig-oberflächlich wie der "freundliche Mann", als der der Vater beschrieben wird. Hier wäre vielleicht auch der Ort, an dem mal die Beziehung zum Vater, insbesondere der Effekt, den das Verlassenwerden hatte, deutlicher gemacht werden sollte. Hat Susan ein Faible für ältere Männer? Wenn ja, ist sie sich darüber im Klaren, ob bzw. was das mit ihrem Vater zu tun hat? Hat dieses Faible eine rein platonische Dimension, oder ist da auch etwas Sexuelles mit im Spiel. Mir kommt sie hier vor wie eine 35-year-old-virgin, ist ihr zuvor nie so etwas passiert in einer (freundschaftlichen) Beziehung zu einem älteren Mann, dass mit einem Mal mehr erwartet wurde? Woher kommt ihre Naivität in dieser "Arbeitsbeziehung mit Abendessen"? In was für einem Hotel sind die beiden da abgestiegen? Es wirkt alles in allem irgendwie sehr holprig. Da wäre es fast schon besser, wenn er abends an ihrer Zimmertür steht und sie bedrängt und sie ihn mit einer Ohrfeige rauswirft. Dann wäre diese "Retourkutsche" für mich nachvollziehbarer, und würde Susan dennoch nicht so stark in eine Opferrolle setzen. Und verschlafen an den Kopierer treten ist auch ein Satz, den ich nicht brauche. Das ist so ein müdes Topos, wenn sie sich auf eine Führungs- oder Leitungsposition bewirbt, sollte sie so etwas hinter sich gelassen haben.
„Aber Susan“, antwortet sie. „Efeu macht doch gar keine Bäume kaputt - es sei denn, sie sind schon vorher krank gewesen.“ Mutter hat recht, der Stamm und die Äste sind gar nicht vertrocknet. Ich verspreche ihr, im nächsten Frühjahr bei der Pflege des Gartens zu helfen. Dann werde ich auch mein Baumhaus von den trockenen Ranken befreien.
Dass du das Efeu-Missverständnis hier aufgreifst, gefällt mir, vor allem, weil es ein Stück weit bedeutet, dass Susan hier erkennt, dass die sie einschnürenden Verhältnisse nicht an ihrer inneren Stärke rühren, auf die sie sich nun besinnen kann, um wieder in die Bahn zu finden ... sofern du diese innere Stärke einfach besser herausarbeitest.
Susan kommt mir leider weiterhin eher wie eine Mitläuferin und wie Treibholz vor, zu wenig aktiv, viel zu sehr den Umständen ausgeliefert, und dabei hat sie doch gerade mit ihrer Vorgeschichte - mit zehn vom Vater verlassen, mit fünfzehn von zu Hause ausgezogen, dennoch Abi, Studium, Karriere - sehr viel Durchsetzungsvermögen und Zielstrebigkeit bewiesen, das man hier aber gar nicht herausliest.
Dennoch: Es liest sich besser und runder als der erste Anlauf.
Noch schöne Feiertage!
bvw

 

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