- Beitritt
- 12.04.2007
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Hallo JuJu,
dann will ich auch mal tippen, pardon, ’n Tipp abgeben: Was mir in letzter Zeit unters Auge gekommen ist von den „neuen“ ist zumeist Kindskram, mit Ausnahme etwa einer
Herta Müller, die ich bis zu ihrem Skandinavienaufenthalt gar nicht kannte (es geht auch ohne viel Marketing!, dann aber auch radikal). Da wäre die Atemschaukel zu nennen, die freilich sehr sperrig ist und dennoch dem Gulag ironische und poetische Seiten abgewinnen kann – es werden in dem Roman Aufzeichnungen aus dem russischen Straflager eines andern Siebenbürger Dichters, Oskar Pastior (+ 2006) verarbeitet. Also Verdichtung pur.
Dann wäre
Arno Geiger zu nennen, der nun wiederum auch die komischen Seiten seines erkrankten Vaters im alten König in seinem Exil – Alsheim eben – aufzeigt.
Ausdrücklich warnen muss ich vor den bei Vorläufern gegebenen Empfehlungen Wells und Suter. Wenn Dich interessiert, was einer trägt und welche Farbe des Nagellacks jemand bevorzugt, dann sag ich: nur zu!, Lifestyle nimmt ja auch einen Großteil des Zeitmagazins ein, freilich redigiert der Diogenesverlag – bei dem beide veröffentlichen – miserabel. Eine Rezension zu Suter findet sich auch hier auf kg.de, die naturgemäß eher schlicht ausgefallen ist. Dem Büchlein und Marketing angemssen, wie ich find.
Jelinek und Bernhard kann man blind empfehlen, weil beide auch anecken und nicht nur Wohlgefallen auslösen – und beide sind dem Theater verbunden. Die Qualität Jelineks zeigt sich nicht nur im Nobelpreis, sondern auch in div. anderen Lobpreisungen. Mit Holzfällen könnte man beginnen ...
Richtig was lernen – z. B. wie rezensiert werden kann – kannstu bei Joachim Kaiser, der sich in dem mit der Tochter erarbeiteten biografischen Werk als letzter Mohikaner bezeichnet (was dann auch der Titel wird). Den schätz ich höher ein als MRR, was nicht bedeutet, dass der schlichter wäre! Unterhaltsam wie lehrreich sind sie beide. Unter den jüngeren Kritikern gefällt mir allein Thea Dorn (deren Pseudonym alles sagt: die weibl. Form TheoDor W. Adornos). Wie das Pseudonym, so die Frau, die auch Kriminalromane schreibt.
Mark Twains Ansichten und Auslassungen übers Deutsche wirstu sicherlich kennen. Karl Kraus hat sich seinerseits in den ersten Ausgaben der Fackel über den alternden und verbitterten Mark Twain hergemacht ... und setzt sich ständig mit dem Sprachgebaren & der Un- und Abarten auseinander. Man muss nun nicht 25000 Seiten Fackel lesen, die „Sprachlehre“ gibt’s gebunden und als Taschenbuch für die Innentasche.
Wenn Du was ganz Altes lesen willst, empfehl ich zur Abwechselung von den Schweizern zunächst
Adolf Muschg mit dem roten Ritter (1993; die aktuellste Ausgabe des Parzival, die ich kenn, aber’s erfordert Sitzfleisch: ein Wälzer) oder den handlicheren
Urs Widmer (viel Humor, der blaue Siphon und sein Kongo sind selbst für meine Verhältnisse schräg). Empfehlen darf ich noch
Gottfried Keller (manches Auge dreht sich nun nach innen) mit den Leuten aus Seldwyla – schon an den Einleitungen zu jedem Band wirstu sehen, um wie viel Jahrzehnte sozialer Entwicklung die Deregulierung seit den 1980-rn die Welt zurückgeworfen hat, dass der Oliver Twist Dickens bald wieder aktuell wird. Um auf den Geschmack zu kommen rat ich, mit dem einzigen Märchen in der Sammlung anzufangen: Spiegel das Kätzchen. Satire pur!, kein zeitgebundenes Kabarett und erst recht keine modische Comedy mit einer winzigen Halbwertszeit.
Und wenn Du Dich nicht mehr fürchtest vor Wortkaskaden, die als seitenlange Sätze daherkommen, dann sollte der Kohlhaas dran sein: ein Western zu Luthers Zeiten, der sogar eine historische Quelle im Händler Hans Kohlhase aus Berlin hat. Der Brandenburger Kaufmann beginnt - nach diversen erfolglosen Versuchen bürgerliches Recht gegenüber dem Sachsen von Zaschwitz durchzusetzen – eine Fehde und wird am 22. März 1540 gerädert. Kleist sollte man aber nicht an der Grammatik messen!, sonst wird er gewalttätig wie die meisten seiner Texte.
Wenn Du eine intelligente Witzesammlung suchst, warum nicht Freuds Witz und seine Beziehung zum Unbewussten?
So, das mag genügen.
Gruß
Friedel