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Der Wesenstest

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12.01.2012
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Der Wesenstest

Ich mache mich bereit – der Ablauf sitzt. Ich gehe die Geschichte noch einmal durch. Ich wiederhole die Fragen – worauf muss ich achten? Signale, kurze Momente, ein Augenblick der Ablenkung und alles ist vorbei. Einkaufen ist nur etwas für Psychopathen denke ich mir. Aber so ist die Welt – schau’ sie dir an – Betrüger, Verbrecher, Lügner und ... und Verkäufer. Die Schuhe sitzen, das Sakko überdeckt die Löcher in meinem besten Hemd. Jahre habe ich mich gewehrt, aber heute ist der Tag X. Mit der Berührung meines Fußes auf dem Bürgersteig trete ich ein eine Welt die mir vertraut ist, deren Regeln mir aber fremd sind. Darum spiele ich mein Spiel – wer nicht sein eigenes Spiel spielt, ist nur eine Figur auf dem Brett der Anderen und dann bist du verloren. Ich strecke meine Hand aus und bitte das Leben zum Tanz – ich führe, das ist klar!
Anonyme Menschenströme ziehen wie ein Schwarm Fische an mir vorbei.


Ich mache immer den gleichen Wesenstest mit Verkäufern. Ich erzähle zum Beispiel von meinem Urlaub, so als ob wir schon Jahre befreundet wären. Ich frage ihn, wo er zuletzt Urlaub gemacht hat – er überlegt, es interessiert mich nicht was er sagt – ich achte nur auf seine Augen. Die Richtung in die er blickt zeigt mir wohin er schaut, wenn er sich etwas bildlich vorstellt. Danach folgen ein paar Sätze Small Talk und dann bitte ich ihn sich vorzustellen wie ich wohl mit braunen Haaren aussähe – wieder achte ich auf seine Augen und weiß wohin er schaut, wenn er erst etwas konstruieren muss. Während ich wieder etwas Unbedeutendes erzähle achte ich dieses Mal auf sein Gesicht. Wie es aussieht, wenn es vollkommen entspannt ist. Häufigkeit des Lidschlags, Gesichtsfarbe – sonstige Auffälligkeiten.


Ich betrete ein Geschäft – gerader Gang, Kopf hoch – schließlich bin ich wichtig. Nun folgt der übliche Tanz um die Kleiderstangen, verbunden mit einem suchenden Blick und gelegentlichem Zupfen an einzelnen Kleidungsstücken. Bis nun endlich der Verkäufer kommt und fragt, was ich denn suche. Ich erzähle ihm, dass ich ein paar Tage da und dort gewesen sei und mir aufgefallen ist, dass meine Hemden völlig altmodisch sind und ich nach langer Zeit doch wieder etwas Neues bräuchte. Er führt mich zu einem Kleiderständer mit Hemden im mittleren Preissegment. Während des Laufens sage ich, dass das Verkäuferleben bestimmt auch sehr stressig sei und wo er zuletzt im Urlaub war. Er bejaht und erzählt dass dieser schon länger zurück läge und er kurz überlegen müsse.
In einem Bruchteil einer Sekunde zucken seine Pupillen nach links oben und ich wusste wohin er schaut, wenn er sich etwas bereits Erlebtes vorstellt. Nach dem Anschauen einiger Hemden und der Aussage, dass mir diese nicht gefallen – erzähle ich ihm, dass mir die Wichtigkeit des Aussehens erst richtig bewusst geworden sei, als ich mir die Haare dunkel färbte. Ich merkte wie mich meine Geschäftspartner ernster nahmen und ich meine Vorschläge viel besser durchsetzen konnte. Aber seit Langem, sage ich zu ihm, reizt es mich zu wissen wie es wäre eine Glatze zu tragen. „Können Sie sich mich mit Glatze vorstellen“ frage ich ihn. Wieder, in einem Bruchteil einer Sekunde zuckten seine Pupillen, diesmal nach rechts oben – dorthin schaut er also, wenn er erst etwas konstruieren muss. Jetzt habe ich alle Informationen die ich brauche.

Mit der Bemerkung, dass ich mich jetzt erst mal selbst umschauen möchte, schaffe ich Distanz zu meinen Fragen – wobei er nicht den Eindruck vermittelt etwas von meinem Test gemerkt zu haben. Nach ca. 20 Minuten habe ich ein paar Hemden rausgesucht – 4 davon gefallen mir sehr gut, von Zweien, weiß ich, dass sie mir nicht passen – aber ich will hören was der Verkäufer dazu meint. Ich probiere eines von denen die mir gut gefallen und achte auf seine Reaktion. „Wunderbar, der Schnitt ist super und die Farbe steht Ihnen“. Das übliche Bla Bla Bla. Da es aber kein abnormes Verhalten in seiner Tonalität, Mimik und Gestik gab – gehe ich von seiner ehrlichen Meinung aus und lege das Hemd beiseite mit der Option es später zu kaufen. Mich packt die Neugier und ich probiere jetzt ein Hemd von denen die mir nicht passen. Auf die Frage was er von diesem halte, bezeugt er, es stünde mir mindestens genauso gut wie das Hemd davor. „Wirklich, ist es an den Schultern nicht ein bisschen zu breit?“ – Frage ich ihn. Er bekräftigt „Nein nein, das ist modern, so trägt man die Mode von heute“ Ich mache ihm das Leben nicht leicht und bitte ihn mir den letzten Kunden zu beschreiben, der solch ein Hemd gekauft hat. Er überlegt... das sei ihm durchaus gegönnt- und während er spricht und mir beschreibt „ungefähr Ihre Statur, sogar noch etwas schmaler...“ zucken seine Pupillen mehrfach nach rechts oben und er kratzt sich kurz an seiner Nase. Mein Freund, sie haben sich – wie nicht anders zu erwarten war – selbst verraten. Es ist immer wieder das Gleiche. Er hatte eine faire Chance, aber auch er fiel durch meinen Wesenstest.

Ich probiere noch die anderen Hemden an – hoffe auf nichts anderes mehr als auf gute Unterhaltung in diesem Theaterstück. Doch als ich erneut in den Spiegel schaue, erschreckt mich etwas ...

Ab dieser Stelle hat mich der Protagonist, nennen wir ihn X, gebeten die Erzählung aus seiner Perspektive zu unterbrechen. Das, was ihm im Spiegel aufgefallen war, hat ihn zu sehr erschrocken. Aber was war passiert? Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finde – aber ich will es gerne probieren.
Als er damals in den Spiegel schaute, habe er für einen kurzen Moment das Gesicht des Verkäufers an der Stelle seines eigenen Gesichtes gesehen. Vielmehr setzte der Verkäufer ihm sein Gesicht als Maske auf den Kopf, während der Verkäufer wiederum das Gesicht von X als Maske trug. Als er den Wink des Schicksals verstand, kaufte er alle Hemden, auch die, die ihm gar nicht gefielen und ging ohne ein Wort zu sagen aus dem Geschäft...
Was hat ihn so verstört?

Er hat erkannt, dass er zu dem geworden war, der er nie hatte sein wollen. Er trug genau die gleiche Maske wie der Verkäufer – er manipulierte und log genauso wie derjenige der ihm die Hemden mit der falschen Größe andrehen wollte. Er war keiner von den Guten wie er immer glaubte. Seine Rüstung war nicht die eines Edelmanns der sich nur zu schützen versucht – es war eine Rüstung die es ihm ermöglichte noch brutaler Vorzugehen, ohne verletzt werden zu können.
Er kaufte die Hemden, um sich mit dem Persönlichkeitsteil zu vertragen, den er von sich abgestoßen hatte.
Ein befreundeter Psychologe meinte dazu, dass es hart sei, die Hässlichkeit der Welt zu erkennen. Die Schwachen gingen daran kaputt, weil sie die Welt noch durch Kinderaugen sehen wollen. Doch sie müssten verstehen, dass man nicht nur wie damals Spiele spielen kann, die einem Spaß machen. Sie müssten verstehen, dass man im Leben Menschen zurücklassen muss. Das mehr gehen werden, als bleiben. Wer versucht festzuhalten geht kaputt – wie es von Müll verseuchte Wohnungen zeigen.

Ob X an der Erkenntnis kaputt gegangen ist, weiß ich nicht – aber ich lasse los von ihm – nicht aus Herzlosigkeit, sondern aus gesundem Egoismus.

 

Hallo TobiasD.

Sorry die Geschichte hat mir nicht gefallen.

Du bleibst so abstrakt. Da fehlen mir alle konkreten Details. Du lieferst mir keine echten Bilder. Bzw. nur sehr selten. Ich weiß zwar, was passiert, aber das passende Bildmaterial muss ich mir fast vollständig selbst zusammen suchen.

Die Moral deiner Geschichte kommt so Holzschlaghammer mäßig. Die bösen Verkäufer manipulieren, der Erzähler aber auch. Wenn du die Verkaufmethoden, die derzeit weitverbreitet sind, kirtisieren willst, dann schreibe doch aus sicht eines Verkäufers, der gegen seine Überzeugung hinein gezwungen wird. So wirkt das leicht konstruiert. Außerdem: Ich verstehe, die Motivation deines Erzählers für den Test nicht. Will er sich selbst beweisen? (Es scheint so. Aber was ist die Rechtfertigung vor sich selbst?)

Den zweiten Absatz könntest du eigentlich löschen. Weshalb allgemein erklären, was er tut, wenn du danach ein Beispiel bringst. Das er das häufiger macht, kannst du ja nebenher einfließen lassen.

Überhaupt würde ich mit dem Betreten des Geschäfts beginnen, um von da ab den Dialog zwischen Verkäufer und Erzähler zu zeigen.

Soviel von mir.

Gruß,
Kew

 

Hallo Kew,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Meinst du mit "Bildern", dass du dir die Situation/Umgebung/die handelnden Personen nicht (gut) vorstellen kannst, weil sie zu detailarm beschrieben sind?
Oder "Bilder" im übertragenen Sinne, gemeint in Form von fest definierten "Handlungsetappen" an denen man sich gedanklich festhalten kann?

Es geht weniger um Moral, als die Verdeutlichung, dass die Außenwelt eine Spiegelung des Innenlebens des Protagonisten ist. Das Mistrauen, die Falschheit und seine gelernte Routine (der Test) spiegeln sich im Verkäufer wieder - der ihn ja ebenfalls versucht, durch Manipulationen zu etwas zu bewegen (in dem Fall zum Kaufen). Der Moment als er erkennt, dass er selbst wie der Verkäufer ist, wirkt so erschreckend auf ihn, dass ich es mit dem Bruch der Erzählung verdeutlichen wollte.

Die Intention des Protagonisten lässt sich vermutlich am besten so beschreiben: Er weiß, er braucht neue Kleidung, dieser "innere Druck" führte über die lange Zeit zum Tag X, weil es nicht mehr anders geht. Seine eingefahrenen Denkmuster kann er aber nicht (so leicht) Überwinden und so geht er eben mit der am Anfang beschriebenen Einstellung Einkaufen.

Noch mals herzlichen Dank für deinen Kommentar und ggf. eine Antwort. Ich freue mich natürlich auch über weitere Beiträge!

 

Hallo nochmal,

mit Bildern meine ich konkrete Beschreibungen, die ein "Bild" beim betrachter erzeugen. Du gibst in deiner Geschichte sehr viele abstrakte Angaben: Du erzählst was passiert - beschreibst aber weniger Dinge, die sinnlich wahrgenommen werden. Wie ist die Beleuchtung im Laden, der Geruch? Wie sieht der Verkäufer aus? So in die Richtung.

Wegen der Aussage: Da war ich wohl zu kurz.

Also es kommt schon rüber, dass der Erzähler an der selben Schwäche leidet, wie der Verkäufer und als er das erkennt, kommt auch der Schock raus.
Aber: So wie die Figurenkonstellation sich darstellt, liegt der Schluss der Kapitalismuskritik viel zu nahe, er drängt sich förmlich auf. Da ist der manipulierende Verkäufer und der Kunde, der diesen zwar durchschaut, dann aber feststellt, dass er längst vom System der Gewinnoptimierung um jeden Preis angesteckt ist (auch er manipuliert zu seinem Vorteil).
Um diesen zu Umgehen böte sich wohl nur ein anders Umfeld an, sprich unter Bekannten, Arbeitskollegen mit ihren Manipulationspielen. Ist zwar schwieriger, aber ich denke, die Fehldeutung ließe sich besser vermeiden.
Ich weiß, das wäre eine ganz andere Geschichte. Aber ich wollte ausführen, was ich meine.

Gruß,
Kew

 

Herzlichen Dank noch mal Kew.
Die deutlichere Erzeugung von Bildern und die Beachtung der Umgebung der Geschichte im Zusammenhang mit dem was die Geschichte transportieren soll, werde ich zukünftig besser beachten.

Gruß,
Tobias.

 

Moin,

ich bin etwas zwiegespalten. Bis etwa zur Hälfte fand ich es interessant und war neugierig, worum es eigentlich geht. Aber ab hier

Ab dieser Stelle hat mich der Protagonist, nennen wir ihn X, gebeten die Erzählung aus seiner Perspektive zu unterbrechen. Das, was ihm im Spiegel aufgefallen war, hat ihn zu sehr erschrocken. Aber was war passiert? Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finde – aber ich will es gerne probieren.
hast du mich einfach verloren. Mir missfiel dieser Bruch. Als ob du mitten drin aufhörst und etwas Neues anfängst.
Ich hätte es passender gefunden, wenn der Inhalt der zweiten Hälfte im Stil der ersten Hälfte in die Geschichte eingeflossen wäre. Also nicht jemanden, der mir erzählt, was den Protagonisten so erschreckt, sondern auf andere Art vermittelt.

Wie gesagt, die erste Hälfte hat mir gefallen und hat mich neugierig gemacht ;)

Viele Grüße

 

Hallo,
geht mir ähnlich wie Regenbogenschwarz, ich bin durch den Wechsel der Ich- zur Er-perspektive aus dem Text gefallen. Bis dahin war es sehr gut, dann kam der Wechsel und auch die holzhammermäßige Erklärung des Ganzen. Passiert leider auch Profis, wie ich zuletzt am eigenen Leib erfahren musste (Die Landkarte der Zeit von Palma).
Würde ich versuchen, zu ändern und auszubauen.
Ciao, nastro

 

Hallo Regenbogenschwarz und nastroazzurro,

euch auch vielen Dank für eure Beiträge. Es freut mich sehr, dass euch die erste Hälfte gefallen hat. Um ehrlich zu sein erstaunt es mich, dass der Bruch in der Erzählung eher missfällt - da ich darauf eigentlich recht stolz gewesen bin. Jedoch ist die Kritik für mich durchaus nachvollziehbar und ich werde mich bemühen in zukünftigen Geschichten flüssigere Übergänge zu schaffen und das Ende stärker an den Anfang der Geschichte anzulehnen, ohne zu viele neue Themen anzukratzen, die mit der vorigen Erzählung wenig zu tun haben.

Herzlichen Dank noch mal,
TobiasD.

 

Hallo Tobias,

Also, mir ist die Geschichte zu abstrakt. Der Protagonist ist - wie letztlich die ganze Geschichte - nur Träger abstrakter Gedanken und damit seltsam unstofflich. Es ist alles sehr unkonkret, bilderarm - um die "Botschaft" herum geschrieben. Das geht selten gut aus.

Vielleicht käme mit ein wenig mehr Schwung auch etwas mehr Farbe rein, oder besser: viel mehr Farbe durch viel mehr Schwung. Dieses ganze Vorausplanen, Räsonieren, Reflektieren ... Da würde ich ordentlich mit dem Rotstift durchwüten. Das Wesentliche, das was passiert lässt sich gut auf einem Viertel der jetzigen Fläche darstellen. Gleich mit dem Dialog in die Geschichte rein und zack-zack, dann könnte man's gleich besser lesen.

Erzähl mir weniger, warum der Protagonist, was, wann, auf welche Weise, aus welchen Gründen, nach welchen Vorausplanungen tut - sondern zeig's einfach!

Hier könnte es zum Beispiel losgehen:

Ich betrete ein Geschäft – gerader Gang, Kopf hoch – schließlich bin ich wichtig. Nun folgt der übliche Tanz um die Kleiderstangen, verbunden mit einem suchenden Blick und gelegentlichem Zupfen an einzelnen Kleidungsstücken. Bis nun endlich der Verkäufer kommt und fragt, was ich denn suche.
Wobei ich an der Stelle auch einige stilistische Kritikpunkte festmachen kann, die sich so oder ähnlich durch die Geschichte ziehen: Spätestens das zweite "nun" ist ein Füllsel, das den Satz ausdünnt und Platz raubt. Weg damit!
Dann: Der zweite Satz ist maximal leblos. Du schilderst die Handlungen deines Protagonisten in Substativierungen - du lässt einen "Tanz folgen", statt zu sagen: "Ich tänzele ...", "verbunden mit einem Blick" ... Das ist Beamten-Deutsch! Richtige Verben, weniger Füllsel, auch Adjektive raus, wenn möglich! Der Stil gehört entrümpelt. Auch wenn das die Stimme deines Protagonisten sein soll: weniger davon.
Apropos leblos: direkte Rede! "Was kann ich für Sie tun?" statt: "... fragt, was ich denn suche." Die Interaktion mit dem Verkäufer ist ja so was wie das Herzstück der Geschichte, das ist ja eben dieser Test, da wartet der Leser drauf. Da kannst du ihn nicht mit vager indirekter Rede abspeisen!

Die Kritik klingt vielleicht etwas hart, soll sie auch sein, denn so hat mir die Geschichte nicht gefallen. Aber ich denke auch, dass du's eigentlich besser kannst und das man die Geschichte recht schnell erheblich aufwerten könnte.

Grüße,
Meridian

 

Hallo Meridian,

ich bedanke mich auch für deine Kritik. Ich habe hier viele gute Ratschläge bekommen, wie ich meine Geschichten verbessern kann und werde sie in den folgenden Geschichten gerne beachten. Jede Kritik ist für mich verständlich und gut nachvollziehbar.

Grüße auch von mir,
Tobias.

 

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