- Beitritt
- 10.09.2014
- Beiträge
- 1.782
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 26
Der vergoldete Admiral
Um auf einen grünen Zweig zu kommen, bräuchte ich eine zündende Idee.
Nein, kein Dynamit für Tresore, sondern einen genialen Einfall, der mich reich macht.
So etwas wie diese kleinen Telefone, mit denen alle erst herumspielen, und dann ohne sie nicht mehr leben können. Aber ich habe niemanden, mit dem ich telefonieren könnte.
Ist sowieso zu spät. Der grüne Zweig ist dürr geworden und wird brechen.
„Charlotte, sei so gut!“, winke ich meiner Wirtin und schiebe ihr die leere Tulpe hin.
„Bei Lotti“ verkehre ich aus nostalgischen Gründen. Könnte auch sagen, ich liege auf der Lauer, hier mal einen zu treffen, mit dem ich bisschen reden könnte, der irgendwann mit mir auf demselben Kahn gefahren ist.
Das konnte drei bis vier Monate bedeuten, aber auch ein oder zwei Jahre.
Zur See fahre ich schon lange nicht mehr. Irgendwann waren es zu viele Zipperlein.
Den Amtsarzt vergess’ ich nicht: „Willem Fürmann“, sagt der, „geschädigte Lunge und geschädigte Leber sind keine Berufskrankheit – das hat eher was mit Lebensführung zu tun. Cholesterin, Herzprobleme und Gicht kommen dann automatisch dazu.“
Schaut mich dabei über den Brillenrand an mit Augen, die mich samt Einwänden und Ausreden entwaffnen.
Von wegen „Aber Herr Doktor ...“! Nix da, dem mach ich nichts vor. Also lass ich die Luft wieder ab, und er sagt noch: „Bin früher auch gefahren, Hanseatic I und II. Assistenzarzt in der First Class. Wenn es Sie interessiert: Die Superreichen zwickt’s an den gleichen Stellen wie Sie.“
„Ein kleiner Trost immerhin“, bescheide ich mich.
„Wie man’s nimmt. Die haben zumindest das Geld für eine anständige Kur.“
Lotte schiebt mein Bier über den Tresen: „Proust, Willem.“
Allein schon, wie die ‚Prost’ sagt!
Ich krieg das einfach nicht hin. Komme aus dem grünen Herzen Deutschlands. Binnenländer, gelernter Schreiner. Bin trotzdem ein anständiger Seemann geworden, hab’s bis zum Bootsmann gebracht. Aber drinnen, zwischen Herz und Seele, da fühl ich mich immer so halb. Bin nicht an der Küste geboren, bin nicht waschecht.
Na, Schwamm drüber, interessiert keinen. Touristen lassen sich gern mit mir fotografieren.
Ich mache mich dann zum Affen, hol die weiße Mütze raus und schaue wie Hans Albers in die Kamera. Schließlich geben die einen aus, denn mit meiner Rente könnte ich verdursten.
Na ja, die Seefahrt ist längst nicht mehr das, was sie mal war. Vor lauter Containern sieht man das Schiff nicht. Und das legt nicht im Hafen an, sondern im Terminal. Wenn ich das schon höre!
Nee, nee, die echte Seefahrt, die ist tot. Mausetot. Bin’s auch bald, hab so’n klammes Gefühl. Und dabei war das Meer mein Jugendtraum: ein unendlich weites Land, ohne Gräben, ohne Grenzen – frei für jeden. Raus aufs Meer; weg, nischt wie weg! Tschüss, Honni.
Immer weiter, bis von mir nichts mehr zu sehen ist. Am besten Sydney, auf der anderen Seite der Welt, wo mich keiner beobachtet oder belauscht, wo ich meinen Freunden trauen kann. Gewiss, ich hätte die Rote Armee von hinten angreifen, den Siegeszug des Sozialismus sabotieren können. Aber der war eh nicht aufzuhalten.
Ebenso wenig wie ich: Heimathafen Rostock – ausgestiegen in Veracruz.
Auf Nimmerwiedersehen, Bonzenstaat! Dilettanten im Größenwahn.
Was ist das denn für ein ‚Arbeiter- und Bauernstaat’, wo einer den anderen anscheißt, um selbst besser voranzukommen? Sozialistische Ethik!
Hab’s später erst begriffen, dass Kapitalismus keinen Deut besser ist, nur dass der auch die Kirche auf seiner Seite hat. Da höre ich was von ‚Unternehmens-Ethik’. Dass ich nicht lache!
Aber jetzt, mit dem Tatterich in der Hand, den ausgestopften Möwen, dem Gewusel der Fischernetze und Seesterne, den Windjammern überall, scheint der Traum zu Ende zu gehen. Ich hatte mir mein Leben in der großen Freiheit anders vorgestellt – mehr Luxus, mehr Glanz – westlich eben. Es hat nicht geklappt.
Falsche Weiche, falscher Beruf, falsche Frau? Zu viel Hollywood? Vielleicht zu viel Schnaps.
Bin jetzt so eine ulkige Figur wie der Klabautermann mit der Laterne. Erzähle am liebsten von früher, von den großen Taten, die ich gern getan hätte.
Aber was soll’s; einen warmen Winkel, etwas fürs Herz, das braucht der Mensch – der seefahrende ganz besonders. Der ist meist allein.
Wenn die Lotti das Lokal in andere Hände gäbe, würde man das alles rausschmeißen, auch mich. Time over. Dann gibt’s hier Donuts, oder Sushi.
„Ich nehm’ noch ’n Pils.“ Vielleicht ein bisschen früh am Tag, aber dieser besorgte Ton im Seemannsheim geht mir auf die Nerven. Bin heute noch vor dem Blutdruckmessen abgehauen. Das Resultat ist sowieso immer zu hoch.
Dieser Jakob ist der geborene Samariter, ein aufgeschossener Blonder, durch die randlose Brille sieht er aus wie ein Professor. Der hat’s mit Psycho-Kram. Und die betuliche Tiene, mit Brüsten wie Riesenbirnen und dickem Po, leiert wie eine Langspielplatte Kalendersprüche ab.
Wenn ich die beiden sehe, denke ich an ‚spannenlanger Hansel, nudeldicke Deern’. Ich höre sie schon rufen: „Pass auf, Vadder Willem, wenn du über die Straße gehst!“
Lotti greift nach meinem Schnapsglas und sieht mich fragend an. Ich nicke. Siebenmal um den Erdball, in einer einzigen Sekunde – das ist Lichtgeschwindigkeit, hab ich mal gelesen. Zu schnell fürs eigene Leben. Trotzdem, sechsmal hab ich auch geschafft, sechsmal um den Globus. Nicht in einer Sekunde, eher so in vierundvierzig Jahren.
Hatte aber nie das Gefühl, zu langsam zu sein. War nur viel auf Zick-Zack-Kurs. Caipirinha und Palmenstrand, die roten Korallen umgespritzt zu schwarzen, ganz seltenen. Einige sogar mit Goldpünktchen. Blüten der Evolution gegen Bargeld, manchmal auch Blüten.
„Eh, Cabrón, was machen hier?“ Ein sorgfältig ausrasiertes Menjoubärtchen zieht sich in die Breite, der Typ nimmt die Sonnenbrille ab und schiebt störrische Locken hinter die Ohren.
Ich verlasse meine Erinnerungen und richte meinen Blick auf den Fragenden: „Oh, Luis, du alter Sack – ich könnt’ ja auch umgekehrt fragen, was du hier machst?“
„Eh, nix. Gucken. Habe Schiff für Montag. Panama. Nich gutt, aber keine andere.“
„Was heißt ‚nicht gut’? Du wirst schon auf deine Kosten kommen!“
Der Luis hieß an Bord ‚Il Potente’. Wenn sich andere einen runterholten, lag der mit einem oder zwei Stewards in der Koje. Gingen wir an Land, war er der erste im Puff; ‚Campo Alegre’, über tausend Frauen. Der besteht nur aus Schwanz. Keine Ahnung, wie viele der in einer Nacht bespringt.
Aber Luis ist nett, er spendiert eine Runde.
Dann wird mir sonderbar zumute – und tatsächlich: Plötzlich verdunkelt sich das Lokal; die Möwen wirken noch toter, der eingepökelte Oktopus wischt sich achtarmig die Augen. Salz brennt und beißt, alles verschwimmt. Neptun und Thetis! Der Alptraum der Seefahrenden hat die Theke erreicht. Nein, es ist nicht der weiße Hai, es ist dieser Goliath, Carlos Maximus, der das Tageslicht verdrängt. Der kann den Laden in zehn Minuten auseinandernehmen, hat schon Schiffe mit bloßer Hand versenkt. Ich fühle mich unbehaglich.
Luis kennt ihn auch. Bevor dieser Unhold ihn zermalmt, sagt er höflich: „Oh, Mister Carlos! Viel Zeit nich gesehen!“
Er ist sich seines Deutschs nicht sicher und schiebt umso herzlicher hinterher: „Long time no see!“
Carlos ist der Riese mit den Edelstahlzähnen aus dem James Bond-Film, in Wirklichkeit noch größer und breiter.
Er schiebt Lotti beiseite, beißt den Bierhahn ab und trinkt und trinkt, um nicht zu sagen: säuft – weniger wie der Knabe an der Quelle als vielmehr Goliath an der Pipeline. Dann macht er mit seiner Eisenhand einen Knoten in die Leitung und biegt den Rest nach Südsüdwest. Er wischt sich den Mund und schaut uns beifallheischend an.
Wir Hasenherzen applaudieren und lassen ihn hochleben. Vielleicht wollte er uns nur aufheitern und hatte überhaupt keinen Durst?
Es ist Mittag. Der Edelstahl glitzert mörderisch. Wir trinken auf Carlos’ Kommando.
Was dann passiert, ist mir nicht klar.
Ich erinnere mich noch an ein sündteures Kriegsschiff, in unauffälligem Grau, beinahe nicht zu erkennen. Carlos erzählt mir, dass allein die Entwicklung des Tarnanstrichs ein halbe Milliarde verschlang. „Schade, dann kann es optisch nicht beeindrucken“, sage ich.
Er wird mir jetzt den Kopf abbeißen, doch er winkt nur ab: „Estúpido.“
Viel Geld, aber das ganze schöne Schiff mit der Flagge unserer Republik, vollgepfropft mit Kanonen, Radar und Raketen hat doch viel mehr gekostet, doch wohl mehrere Milliarden? Wenn man bedenkt, dass eine Milliarde hundert Millionen sind. Ich will keinen Schnaps mehr.
Und dann erfahren wir von Radio Buhne 13: Irgendwelche Idioten starten ein selbstgebautes Torpedo – und dieses Scheißding trifft!
Betroffenheit kennt ein vergoldeter Admiral nicht, trotz aufkommender Schlagseite. Er hat siebeneinhalb goldene Streifen am Ärmel, und wohl auch im Kopf. Seine Dienstmütze besteht aus reinem Gold. Seemacht Deutschland, dritter Versuch.
Er salutiert, hoch droben auf der Brücke; der Zerstörer neigt sich, neigt sich immer mehr.
Der goldene Admiral schaut in die Ferne. Dann zuckt er zusammen. Es sind keine Wasserbomben, die neben ihm zerplatzen – nur riesige Luftblasen. Sie weichen dem eindringenden Wasser. Er ist der Oberstkapitän und verliert das Gleichgewicht.
Sie helfen mir wieder auf, der spannenlange Hansel und die nudeldicke Deern. Dann nehmen sie mich in die Mitte und ab geht’s.