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Der treue Sohn

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15.04.2025
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Der treue Sohn

„Hör zu“, sprach der alte Handlanger zu seinem Sohn, als dieser in die Burschenjahre kam. „Aus dir soll etwas werden, so gehe hinaus in die Welt und versuche dich.“

„Aber, lieber Vater“, zögerte der Sohn, „wer kümmert sich um das Grab der Mutter, hält es sauber und rein?“

„Es wird schon sein“, entgegnete der Vater und schob das Kind zur Tür hinaus.

Der Sohn wanderte eine Weile, da kam der Hunger über ihn. Er dachte bei sich: „Ein Stück Brot, das ist immer fein. Ein Bäcker will ich werden, das will ich sein.“

Und als er in die Stadt kam, nahm ihn ein Bäcker zur Lehre. Des Handlangers Sohn machte ihm Ehre. Er wog und knetete, er maß ab und buk. Am Grab der Mutter der Vater seinen Kuchen aß.

„Danke, Herr Meister“, sprach der Bursche, „ihr habt mir genug gelehrt, ich will mich weiter versuchen.“

Und so zog er weiter, durch Tage und Nächte. Da wurde ihm kalt, und er dachte bei sich: „Ein Hemd und ein Rock, das ist immer fein. Ein Schneider, das will ich sein.“

Und als der Morgen anbrach, klopfte er an die Tür des Schneiders, und der nahm ihn zur Lehre. Des Handlangers Sohn machte ihm Ehre. Er säumte und maß, er nähte und trennte. Und am Grab der Mutter der Vater seinen Rock anzog.

Wieder sprach der Sohn: „Danke, Herr Meister, ihr habt mich genug gelehrt, weiter will ich mich versuchen.“

Und so zog er weiter, Jahr um Jahr. Das Herz wurde ihm schwerer und schwerer. Er ließ sich auf einen Stein sinken und dachte ganz leise: „Ein Mensch bei mir, das wäre fein. Nicht mehr einsam, das will ich sein.“

Und da klopfte es an sein Herz: „Komm, ich will dich lehren, wieder glücklich zu sein.“

Und sie tanzten und sangen, pflanzten die schönsten Blumen und erfreuten sich an ihrer Pracht.

Und am Grabe der Mutter der Vater eine Rose abbrach.

 

„Ein Mensch bei mir, das wäre fein. Nicht mehr einsam, das will ich sein.“

Das soll doch wohl gelingen,

liebe/r @cheeky1306,

und – egal was jetzt folgt – Du musst wissen, ich stamme aus Ironien, einem fernen Land, dessen Auslandsbilanz selten ausgeglichen ist und Lachen die preisgünsgtigste Medizin ist und dennoch m. E. Dein kleines Debüt ein gelungener Einstieg ist, wiewohl noch dies oder das ein wenig der Pflege bedarf, ohne dass ich zum Flegel werde, nämlich bereits hier

„Hör zu*“, sprach der alte Handlanger zu seinem Sohn, …
empfehle ich ein „!“, hört und liest sich doch die Einleitung nach mehr als einer bloßen Aussage – was sich für den dann folgenden väterlichen Wunsch auch gilt!
„Aus dir soll etwas werden, so gehe hinaus in die Welt und versuche dich.“

Er dachte bei sich: „Ein Stück Brot, das ist immer fein. Ein Bäcker will ich werden, das will ich sein.“
Gott sei bei uns!, bei wem denn sonst? Weg mit dem „bei sich“ ...

Hier eine wahrhaft denkwürdige Stelle

Am Grab der Mutter der Vater seinen Kuchen aß.
die auf mich wie von den Alten übernommen/-kommen wirkt ... und mir gefällt ...

Aber unser Held wird doch nicht nur höflich und freundlich plaudern, sondern auch schreiben

„Danke, Herr Meister“, sprach der Bursche, „Ihr habt mich genug gelehrt, ich will mich weiter versuchen.“
Und so zog er weiter, durch Tage und Nächte.
Komma weg!

Da wurde ihm kalt, und er dachte bei sich: „Ein Hemd und ein Rock, das ist immer fein. Ein Schneider, das will ich sein.“
„bei“ wem denn sonst? Weg mit dem „bei sich“

Wieder sprach der Sohn: „Danke, Herr Meister, ihr habt mich genug gelehrt, weiter will ich mich versuchen.“
Ihr, Höflichkeitsform, muss ja nicht gleich wie in Schillers Kabale und Liebe zugehen und zu einem Ihro Gnaden dero Sohn werden ...

Gern gelesen vom

Friedel,

der noch mit Wolf Biermann zusammen
frohe Ostern und fröhliche Western wünscht!!

 

Danke für ihre Rückmeldung, ihro Gnaden ;),
Ausdrücke wie "bei sich" oder die Ansprache mit "ihr" habe ich gewählt, da es sich um ein kleines Märchen handelt. Der entsprechende Tag ist beim Posten wohl verloren gegangen, vielleicht finde ich ihn ja zwischen den Ostereiern wieder.

 

Hallo cheeky1306,
danke für den Text - besonders:

Und am Grabe der Mutter der Vater eine Rose abbrach.
hat mich sehr bewegt. Ist der Vater bitter, weil seine eigene Liebe schon verstorben ist? Oder weil ihm der Sohn „untreu“ vorkommt (Bezug zum Titel?) jetzt, da der Sohn selbst eine eigene/andere Liebe hat als „nur“ die zum Vater?

Zum Text fällt mir ein: falls du die „immer“ weglässt und/oder durch „mir“ ersetzt, finde ich, passt der Rhythmus besser.
Und wenn du aus

Er wog und knetete, er maß ab und buk.
Er wog und knetete, er buk und maß.
machst, dann reimt es sich auf „aß“ im nächsten Satz :)
Es wird schon sein
Vom Vater könntest du in
Das wird schon sein
ändern, und dann passt es einen Ticken besser mit den
[…], das will ich sein.
, die danach kommen

LG
Faenna

 

Hallo @cheeky1306,

eine märchenhafte 'Erwachsen-Werden-Geschichte'. Hat etwas von der Naivität des 'Taugenichts'. Der Text ist angenehm zu lesen, 'Philosophisches' ist natürlich eine hohe Messlatte.
Der in die Welt hinausgeschobene Sohn geht von seinen Bedürfnissen gesteuert durchs Leben (wie wahr!), der Vater profitiert davon. Als Konklusion dann die Erfahrung: All das Wissen macht nicht glücklich, solange man einsam ist. Ist banal, aber gut 'verpackt' und treffend kurz.


Er dachte bei sich
Hat @Friedrichard angemerkt: Weg damit!

Und am Grab der Mutter der Vater seinen Rock anzog.
"seinen" ist zu unbestimmt: Da nicht erwähnt wird, dass ein "Rock" geschneidert wurde, ist nicht der Sohn als Hersteller nicht zwangsläufig klar ("seinen" - das könnte auch der Rock des Vaters sein).

Meint
Woltochinon

 

Hallo @cheeky1306,

dieser kurze und sehr philosophische Text hat mich sehr angesprochen und berührt. Sehr poetisch. Ich finde es toll, was Du mit so einem kurzen Text ausdrückst.

Liebe Grüße
Silvi

 

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