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Der Traum
Ein lautloser Schrei. Schweißgebadet sitze ich im Bett. Hektisch rollend durchsuchen meine Augen den dunklen Raum. Doch außer der Schwärze der Nacht entdecken sie nichts. Mein Herz rast. Meine Hände gleiten durch die Decken, bis sie gefunden haben, was sie suchen. Ich höre meinen schnellen Atem und das leise Schnarchen der beiden Personen, die das Bett mit mir teilen.
‚Alles ok!‘ sage ich mir leise. ‚Es ist alles in Ordnung.‘
Langsam werde ich ruhiger. Bis die Bilder wieder da sind.
Blut. Soviel gottverdammtes Blut überall! Noch immer höre ich die Schüsse. Laut und dröhnend brennen sie sich in mein Ohr. Daniel schreit. Mit aller Kraft versuche ich ihm die Augen und den Mund zu zuhalten, drücke ihn fest an mich. So fest ich kann. Er strampelt, will sich losreißen, beißt mir in die Hand.
Es wird wieder dunkel. Ich schlafe ein, an Daniels kleinen, zerbrechlichen Körper gekuschelt. Spüre seine Hand, die nach meiner greift, um sie fest zu umklammern. Wie immer.
Ein Geräusch läßt mich aufschrecken. Ich öffne meine Augen, versuche etwas zu erkennen. Nichts. Ich schüttle unmerklich den Kopf und schließe die Augen wieder.
Als ich das nächste Mal wach werde, ist das Zimmer hell erleuchtet. Grell scheint mir das Licht der Lampe ins Gesicht. Ich richte mich auf. Noch immer geblendet und orientierungslos, als ich eine rauhe Stimme vernehme.
„Ah. Dornröschen ist erwacht. Um so besser. So macht das Ganze doch viel mehr Spaß.“ Ein widerliches Lachen folgt dem Satz. Endlich haben sich meine Augen an das Licht gewöhnt und ich sehe drei hässliche Typen, die sich bewaffnet vor dem Bettende aufgebaut haben.
Einer kommt in meine Richtung. Ich kralle meine Fingernägel der rechten Hand in Michaels Arm, kneife in der Hoffnung, dass auch er endlich wach wird. Stöhnend und fluchend richtet er sich auf. Der hässliche Mann steht nun neben dem Bett, an der Seite, wo Daniel liegt. Ich ahne, was jetzt kommt. Ich werfe mich auf Daniel. Erschrocken beginnt er zu wimmern. Hilfe suchend starre ich Michael an, doch der sitzt nur da und glotzt blöd.
Ich spüre einen dumpfen Schlag. Plötzlich wird alles schwarz.
Mein Kopf dröhnt, als ich die Augen wieder öffne. Ich höre Daniel schreien und Michael winseln.
Der Hässliche neben meinem Bett ist weg und steht wieder bei den anderen. Doch er hat Daniel auf dem Arm, der nach mir schreit und mühevoll versucht, die Arme nach mir auszustrecken.
„So Süsse.“ Es fällt ihm schwer, zu reden und gleichzeitig meinen zappelnden und um sich schlagenden Sohn unter Kontrolle zu halten.
„Lass' uns ein bisschen spielen!“ Die beiden bisher Stummgebliebenen lachen. Flehend schaue ich zu Michael, doch an seinem Zustand hat sich nichts geändert. Der Hässliche nickt dem Typen mit den fettigen Locken zu. Ich schließe die Augen, greife nach Michaels Hand. ‚Warum hilft er mir nicht? Warum sitzt er nur da?‘ Schlaff hängt seine Hand in meiner, während der Lockige über mich drüber steigt. Ich denke an Daniel. Sehe ihn vor mir. Seine braunen, leuchtenden Augen, sein blondes, dichtes Haar, seine weißen, weichen Arme, die sich um meinen Hals schlingen. Die Gedanken machen es mir leichter.
Der Gestank des einen verschwindet. Ein neuer steigt in meine Nase. Unmöglich ihn zu definieren. Ich denke an Daniel. Sehe ihn vor mir. Seine braunen, leuchtenden Augen, sein blondes, dichtes Haar. Es macht die Sache leichter. Den Dritten spür' ich gar nicht mehr. Ich denke an Daniel. Es ist vorbei.
Daniel weint. Ich sehe sein nasses Gesicht, die geröteten Augen. Ich versuche, zu lächeln. Er lächelt zurück.
Michael hat seine Stimme wiedergefunden. Daniel zuckt zusammen. Der Schrei geht durch Mark und Bein. Können Männer wirklich so kreischen? ‚Halt's Maul!‘ brüllt es in mir. ‚Denk an Daniel. Willst du ihm noch mehr Angst machen, du Idiot? Halt dein Maul!‘
Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis Michael verstummt und er wieder in Apathie zurücksinkt. Nun ist er an der Reihe. ‚Er hat es verdient.‘ denke ich mir.
Der Gedanke erschreckt mich. Der mit dem undefinierbaren Geruch fesselt Michael. Sein dünner Körper wehrt sich nicht. Ich will nicht sehen, was sie mit ihm anstellen, schließe die Augen und drehe mich weg.
Der Hässliche legt Daniel wieder neben mich. Daniel krallt seine Finger in meine Haare. Versteckt sein Gesicht in meinem. Ich küsse die feuchten Augen. Presse ihn an mich. Sein Körper zittert und bebt. Ich höre Michaels Schreie nicht. Will sie nicht hören. Will nichts sehen. Daniel hat aufgehört zu zittern. Er ist erschöpft, ist eingeschlafen. Bis der erste Schuss zu hören ist.
Das Knäuel, das wir bilden, zuckt zusammen. Daniel will den Kopf heben, ich drücke ihn nach unten. Er schreit wieder. Michael heult wie ein kleines Kind. Der Treffer war wohl nicht tödlich. Der nächste Schuss fällt. Und noch einer. Michaels Weinen hat aufgehört.
Daniel schreit. Mit aller Kraft versuche ich ihm die Augen und den Mund zu zuhalten, drücke ihn fest an mich. So fest ich kann. Er strampelt, will sich losreißen, beißt mir in die Hand.
Ich richte mich auf, schaue dem Hässlichen in die Augen. Ich brauche nichts zu sagen. Er weiß es und er nickt. Ich lächle müde, dankbar, nicke zurück und beuge mich über Daniel, um ihn ein letztes Mal zu küssen, sein Haar zu berühren, seine Hand zu drücken, ihn zu spüren. Und ich bete. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben. Bete dafür, dass Daniel das alles irgendwann vergisst und mich so in Erinnerung behält, wie er mich kennt.
Ein lautloser Schrei. Schweißgebadet sitze ich im Bett. Hektisch rollend durchsuchen meine Augen den dunklen Raum. Doch außer der Schwärze der Nacht entdecken sie nichts.
© Pandora (K.B.) 2002