Schriftsteller - was ist das?
Eine Bezeichnung wie Briefmarkensammler
Wenn ich gefragt werde, was ich von Beruf bin, antworte ich also: "Schriftsteller". Das hat fast immer zur Folge, dass die Leute sehr erstaunt, zumeist auch beeindruckt sind. Schriftsteller/Schriftstellerin - ein Markenzeichen, ein Etikett, das etwas Außergewöhnliches verspricht, fast schon ein Titel. Sofort ist die gedankliche Verbindung zu großen Namen wie Goethe, Shakespeare, Balzac, [...] Tucholsky, Brecht oder auch Virginia Woolf, Anna Seghers, Ingeborg Bachmann [...] hergestellt. [...]
Ein Schriftsteller, ein richtiger Schriftsteller, ist nach weit verbreiteter Auffassung jemand, der dicke Romane schreibt, Kurzgeschichten verfasst, lyrische Gedichte, bissige Satiren oder Glossen, vielleicht noch Theaterstücke, Hörspiele, Kindergeschichten oder Drehbücher. Er kann sich seine Zeit frei einteilen, ist unabhängig, nur sich selbst verantwortlich. Das ist ungewöhnlich, fast schon unglaublich. [...]
Mit der Unterscheidung zwischen hauptberuflichen und nebenberuflichen Schriftstellern lässt sich keinerlei Wertung verbinden. Kafka war Versicherungsangestellter, Storm Amtsrichter, Mörike Pfarrer, Stifter Schulinspektor, Lessing Bibliothekar. Natürlich waren sie daneben, und aus unserer Sicht vor allem, Schriftsteller. Allerdings ist bekannt, dass sie in ständigem Zwiespalt lebten und zum Teil sehr unglücklich mit der Berufstätigkeit waren, die sie ernährte. [...]
Es lässt sich daher feststellen, dass es den Schriftsteller/die Schriftstellerin gar nicht gibt [...]. Die Bezeichnung "Schriftsteller" ist ja nicht geschützt wie Doktor, Diplomingenieur oder Rechtsanwalt. Wie sich jemand Briefmarkensammler, kann sich ein anderer als Schriftsteller bezeichnen.
Wer zehn Gedichte, fünf Kurzgeschichten und ein paar Zeitungsartikel geschrieben hat, die womöglich veröffentlicht worden sind, wer über die Geschichte seines Schützenvereins oder die Entwicklung der Kreissparkasse berichtet, darf sich Schriftsteller, Dichter, Poet, Lyriker, Journalist, Publizist, Privatgelehrter, Texter, Literat usw. nennen. Das Lebensrisiko wird freilich gering gehalten indem man hauptberuflich möglichst Beamter ist; vielleicht hat man auch noch reich geheiratet oder geerbt. Der Literatentitel bringt zusätzliches Prestige.
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Zusammenfassend kann man nur sagen, dass Schriftsteller nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass jemand Texte schreibt und veröffentlicht.