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Der Tag ist gerettet
Der Kaffee ist alle. So ein Scheiß. Wie soll ich jetzt wach werden? Eine Stunde habe ich noch, bevor ich los muss. Ich beschließe, mir einen Becher Kaffee beim Bäcker um die Ecke zu holen.
Es sind nur ein paar Meter, duschen kann ich danach. Ich werfe mir ein weites Shirt über und hoffe, dass es meine Hüften kaschiert. Die Jeans hat einen Fleck, aber was soll’s. Wird schon keiner so genau hinsehen. Beim Versuch, das Nest auf meinem Kopf mit der Bürste zu bändigen, reiße ich mir etliche Haare aus, bevor ich aufgebe. Ohne Waschen und eine ordentliche Portion Haarkur wird das nichts. Ich fasse den Wust am Hinterkopf mit einer Spange zusammen, verstecke die Augenringe hinter meiner Sonnenbrille und schnappe mir Geldbeutel und Wohnungsschlüssel.
Zu viele Menschen sind unterwegs. Hektische Betriebsamkeit herrscht um mich herum, ich brauche dringend einen Kaffee, um das zu ertragen. So früh am Morgen, das ist einfach nicht meine Zeit.
An der Ampel wartet ein Grüppchen Menschen, und in deren Mitte steht SIE. Alles an ihr ist Anmut. Makellos die zart gebräunte Haut. Der Wind spielt mit glänzendem Haar, das ihr wie ein honigfarbener Wasserfall über den Rücken fließt. Nicht der Hauch eines Ansatzes ist zu sehen. Naturblond, natürlich. Eine unwirklich schlanke Taille geht in perfekter Rundung in die Hüften über. Was ist sie, ein verdammter Engel?
Ich bleibe hinter ihr stehen und fühle mich wie ein Bauerntrampel in meinem Schlabber-T-Shirt und den ausgelatschten Chucks, schäme mich für die zerzausten Haare und den dicken Hintern. Wie Miss Piggy muss ich aussehen neben ihr. Aber die hatte wenigstens eine Frisur und schicke Klamotten. Verdammt, wieso hab ich nur die dreckige Jeans angezogen?
Sie überragt mich um einen ganzen Kopf. Ich glaube, noch nie so lange Beine gesehen zu haben, und die münden auch noch in High Heels mit filigranen Absätzen. Ich wünschte, ich könnte solche Schuhe tragen. Aber selbst wenn ich Absatzschuhe finde, in die ich meine Entenfüße gequetscht bekomme, habe ich zehn Minuten später solche Schmerzen, dass ich keinen Schritt mehr gehen kann. Zwei Stunden in meinen Stiefeletten mit den Vier-Zentimeter-Blockabsätzen und ich fühle mich wie eine Heldin.
Hinter der Sicherheit meiner Sonnenbrille betrachte ich ihren Po. Das Röckchen bedeckt ihn so knapp, dass ich den Blick nicht abwenden kann. Ein kleiner Windstoß würde genügen, es die drei Fingerbreit nach oben zu bewegen, die notwendig wären, um alle Umstehenden den Anblick ihrer vollkommenen Arschbacken genießen zu lassen. Was sie wohl darunter trägt? Sicher keinen lilafarbenen Baumwollslip wie ich. Spitze? Nein, Seide. Ein zartes Nichts aus Seide auf blankrasierter Haut, anders kann es nicht sein. Wenn sie sich überhaupt rasieren muss. Sicher wächst ihr nur etwas federweicher Flaum genau an der richtigen Stelle.
Unauffällig schiebe ich mich einen Schritt zur Seite, um einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen, doch da springt die Ampel auf grün um, und die Elfengleiche setzt sich in Bewegung. Sie geht genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Wie ein Supermodel auf dem Laufsteg. Bei jedem ihrer dynamischen Schritte flattert das Haar um ihre Schultern, und das Röckchen wippt, wippt, verspricht, was es doch nicht hält. Ich watschle hinterher, wie gebannt starre ich sie an, kann nicht wegsehen, und da passiert es: Der zarte rechte Knöchel knickt nach außen um, nach innen, die Elfe schwankt bedenklich, fällt beinah, strauchelt ein paar Schritte, bevor sie das Gleichgewicht wiedererlangt. Den Rest des Weges bis zur anderen Straßenseite geht sie in vorsichtigen Trippelschritten und verschwindet dann rasch hinter der nächsten Biegung.
Ich atme durch, ein Lächeln umspielt meine Mundwinkel. Der Frühlingswind weht mir ins Gesicht und macht mich etwas munterer. Was für ein schöner Morgen. Hoch erhobenen Hauptes betrete ich die Bäckerei und bestelle mir einen großen Milchkaffee zum Mitnehmen.