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Der Tag ist gerettet

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02.11.2001
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Der Tag ist gerettet

Der Kaffee ist alle. So ein Scheiß. Wie soll ich jetzt wach werden? Eine Stunde habe ich noch, bevor ich los muss. Ich beschließe, mir einen Becher Kaffee beim Bäcker um die Ecke zu holen.
Es sind nur ein paar Meter, duschen kann ich danach. Ich werfe mir ein weites Shirt über und hoffe, dass es meine Hüften kaschiert. Die Jeans hat einen Fleck, aber was soll’s. Wird schon keiner so genau hinsehen. Beim Versuch, das Nest auf meinem Kopf mit der Bürste zu bändigen, reiße ich mir etliche Haare aus, bevor ich aufgebe. Ohne Waschen und eine ordentliche Portion Haarkur wird das nichts. Ich fasse den Wust am Hinterkopf mit einer Spange zusammen, verstecke die Augenringe hinter meiner Sonnenbrille und schnappe mir Geldbeutel und Wohnungsschlüssel.

Zu viele Menschen sind unterwegs. Hektische Betriebsamkeit herrscht um mich herum, ich brauche dringend einen Kaffee, um das zu ertragen. So früh am Morgen, das ist einfach nicht meine Zeit.
An der Ampel wartet ein Grüppchen Menschen, und in deren Mitte steht SIE. Alles an ihr ist Anmut. Makellos die zart gebräunte Haut. Der Wind spielt mit glänzendem Haar, das ihr wie ein honigfarbener Wasserfall über den Rücken fließt. Nicht der Hauch eines Ansatzes ist zu sehen. Naturblond, natürlich. Eine unwirklich schlanke Taille geht in perfekter Rundung in die Hüften über. Was ist sie, ein verdammter Engel?
Ich bleibe hinter ihr stehen und fühle mich wie ein Bauerntrampel in meinem Schlabber-T-Shirt und den ausgelatschten Chucks, schäme mich für die zerzausten Haare und den dicken Hintern. Wie Miss Piggy muss ich aussehen neben ihr. Aber die hatte wenigstens eine Frisur und schicke Klamotten. Verdammt, wieso hab ich nur die dreckige Jeans angezogen?
Sie überragt mich um einen ganzen Kopf. Ich glaube, noch nie so lange Beine gesehen zu haben, und die münden auch noch in High Heels mit filigranen Absätzen. Ich wünschte, ich könnte solche Schuhe tragen. Aber selbst wenn ich Absatzschuhe finde, in die ich meine Entenfüße gequetscht bekomme, habe ich zehn Minuten später solche Schmerzen, dass ich keinen Schritt mehr gehen kann. Zwei Stunden in meinen Stiefeletten mit den Vier-Zentimeter-Blockabsätzen und ich fühle mich wie eine Heldin.
Hinter der Sicherheit meiner Sonnenbrille betrachte ich ihren Po. Das Röckchen bedeckt ihn so knapp, dass ich den Blick nicht abwenden kann. Ein kleiner Windstoß würde genügen, es die drei Fingerbreit nach oben zu bewegen, die notwendig wären, um alle Umstehenden den Anblick ihrer vollkommenen Arschbacken genießen zu lassen. Was sie wohl darunter trägt? Sicher keinen lilafarbenen Baumwollslip wie ich. Spitze? Nein, Seide. Ein zartes Nichts aus Seide auf blankrasierter Haut, anders kann es nicht sein. Wenn sie sich überhaupt rasieren muss. Sicher wächst ihr nur etwas federweicher Flaum genau an der richtigen Stelle.
Unauffällig schiebe ich mich einen Schritt zur Seite, um einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen, doch da springt die Ampel auf grün um, und die Elfengleiche setzt sich in Bewegung. Sie geht genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Wie ein Supermodel auf dem Laufsteg. Bei jedem ihrer dynamischen Schritte flattert das Haar um ihre Schultern, und das Röckchen wippt, wippt, verspricht, was es doch nicht hält. Ich watschle hinterher, wie gebannt starre ich sie an, kann nicht wegsehen, und da passiert es: Der zarte rechte Knöchel knickt nach außen um, nach innen, die Elfe schwankt bedenklich, fällt beinah, strauchelt ein paar Schritte, bevor sie das Gleichgewicht wiedererlangt. Den Rest des Weges bis zur anderen Straßenseite geht sie in vorsichtigen Trippelschritten und verschwindet dann rasch hinter der nächsten Biegung.

Ich atme durch, ein Lächeln umspielt meine Mundwinkel. Der Frühlingswind weht mir ins Gesicht und macht mich etwas munterer. Was für ein schöner Morgen. Hoch erhobenen Hauptes betrete ich die Bäckerei und bestelle mir einen großen Milchkaffee zum Mitnehmen.

 

Ich mache es kurz: Herzlichen Dank für die ausgleichende Gerechtigkeit.... das hat mir den Tag gerettet wie der Protagonistin... aber im Ernst, gut geschrieben, frau kann sich sofort identifizieren, man kann sich gut in die Person reinfühlen. Alles was zwischen den Zeilen steht ist sofort klar, so gut auf den Punkt gebracht, einfach knackig (wie der Hintern der Schönheit *lol*)!

 

Hallo raven,
wie apollox geht’s mir auch. Eine frisch und knackig geschriebene Miniatur; ein schöner Dreh aus einem angekratzten Morgen in eine positive Wendung. Der Text tut uns allen gut, die wir nicht göttinnengleich durch die Weltgeschichte stolzieren können. Wie sich rausstellt, sind unsere flachen Treter nicht nur bequemer, sondern senken auch das Risiko des tiefen Falls - so hoffen wir jedenfalls.

raven, du zauberst ein Schmunzeln auf unsere Mienen.:):Pfeif:

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Danke, Schwestern!
Das ist eine fast wahre Geschichte. Mein Schlüppi war nicht lila, und das blonde Geschöpf wurde nach ihrer Stolpereinlage auf der anderen Straßenseite von einem adonisgleichen Jüngling in Empfang genommen. Ich wollte aber lieber ein Happyend. :D

 

Liebe Raven,

Du hast mir sicher vielen Frauen, die nicht mit Modelmaßen gesegnet sind, den Morgen versüßt. Wäre schön, wenn auch einige Männer Gefallen an der Geschichte finden könnten ;-)
Deine Sprache ist sehr klar und unkompliziert, Du schilderst die Situation sehr anschaulich, in Deinen Beschreibungen kommst Du mit wenigen Worten genau auf den Punkt.
Schön finde ich, dass man aus Deiner Geschichte nicht nur Neid, sondern auch Bewunderung für die Elfengleiche lesen kann (ich tue es zumindest) und dass das "Happy End" nicht allzu drastisch für sie endet (sie hätte ja auch komplett zu Boden gehen können).

 

Danke auch dir, Luzia. :)
Ich bewundere schöne Frauen immer. Das Gefühl, neben ihnen eine pickelige Pummelfee zu sein, entspringt ja nur dem eigenen schwachen Selbstwertgefühl, und dafür kann niemand anderes etwas. In Wahrheit bin ich doch ganz froh um meine Fähigkeit, mich in Menschenmengen unsichtbar zu machen. ;)

Das Happyend ist für mich das beschämte Wegtrippeln. Die Grazie huscht um die Ecke, macht sich unsichtbar, und Miss Piggy sammelt ihren Stolz auf und trägt das Kinn wieder hoch, wie es sich gehört. Gestolpert ist sie wirklich, und ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich das Schauspiel genossen habe. :lol:

 

Hallo raven,

letztens hatte ich das Fotografenglück, genau bei so einer Situation auf den Auslöser drücken zu können :D (eigentlich wollte ich nur die extremem High-Heels mit Trägerin fotografieren) - und ja, ich muss unumwunden zugeben, dass ich Schadenfreude verspürte. Zu ihrem Glück hielt sie grade Händchen.
(unter meinem Profil -> Album zu sehen ;) )

Eine alltägliche, aber deswegen nicht langweilige, kleine Geschichte. Ich frage mich nur, wieso denn die Protagonistin ihren Kaffee nicht daheim machen kann, die Arme.

Liebe Grüße
bernadette

 
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Ach Mensch, in Wirklichkeit treff ich immer solche "Göttinnen" und die straucheln nie! -.-" Aber dafür ich - und dabei hab ich nicht mal High heels an!

Aber die Geschichte ist einfach cool. 8) Und meinen Schlabberlook und meine be***** Haare hast du auch super beschrieben. Woher weißt du das? XD

Lg

 

Erfrischen schön und heiter, deine kleine Geschichte, raven, die ich in einem Rutsch gelesen habe. Obwohl ich schon Gute Nacht gesagt habe, es hat sich gelohnt. Vielen Dank für das schöne Bild in meinem Kopf, das mich in die Nacht begleiten wird. Wir Frauen sind doch alle gleich, fällt mir dazu ein. Und wenn man es recht bedenkt, sind wir alle Göttinnen, auch wenn man es uns nicht gleich ansieht.

Liebe Grüße!
Amelie

 

das blonde Geschöpf wurde nach ihrer Stolpereinlage auf der anderen Straßenseite von einem adonisgleichen Jüngling in Empfang genommen

Ja, das klingt auch realistischer. Gut zu wissen, dass das Happy End - wie alle Happy Ends - nicht echt war, da fühl ich mich gleich etwas besser. Okay, um ehrlich zu sein fühl ich mich noch immer gleich gammelig und un-blondes-model-like. Deshalb brauch ich jetzt ein Bier. :P

 
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Hallo, das ist hier wohl ein Frauenfaden? Ja? Nun denn.
Ich musste so lachen über eure Kommentare, weil sich gleich jede mit der strubbeligen Heldin identifiziert hat und keine mit der anderen. Ihr tut ja grad so, als hätt hier jede lila Schlüppis (schönes Wort übrigens), dicken Bobbes, Schlabberklamotten und so eine Art Explosion auf dem Kopf statt Haare. Und dabei seid ihr bestimmt bildschön, ihr Schwindlerinnen.

So, jetzt aber zur Geschichte. Ich fand die sehr vergnüglich, gerade weil die so wunderbar frech und unkorrekt daherstolziert kommt. Das ordentliche Paketchen Bewunderung und Neid darf die Protagonistin nämlich mit einem wunderbaren Geschenkband aus Schadenfreude zubinden.
Ist als Geschichte nichts zum tierisch langen Nachdenken, aber braucht man ja auch nicht immer, sondern so ein kleines Vergnügen eben. Und das ist genau gut so.

An der Ampel wartet ein Grüppchen Menschen, und in deren Mitte steht SIE. Alles an ihr ist Anmut. Makellos die zart gebräunte Haut. Der Wind spielt mit glänzendem Haar, das ihr wie ein honigfarbener Wasserfall über den Rücken fließt. Nicht der Hauch eines Ansatzes ist zu sehen. Naturblond, natürlich. Eine unwirklich schlanke Taille geht in perfekter Rundung in die Hüften über. Was ist sie, ein verdammter Engel?
Das fand ich auch gut in Szene gesetzt, vorher relativ nüchtern, berichtend. Dann sprachlich gut abgesetzt, wie so ein Werbespot, in dem eine Schönheit aus einer Riesenmuschel auftaucht und sofort alle Farben einen leicht milchigen Ton annehmen und im Hintergrund ein Haufen Geigen rumjault. Und dann ertönt eine Stimme aus dem Off ....
Fand ich einfach witzig.

Tell ich nehm auch ein Bier. Ist noch eins da?

Liebe Grüße von Novak

 

wie so ein Werbespot, in dem eine Schönheit aus einer Riesenmuschel auftaucht und sofort alle Farben einen leicht milchigen Ton annehmen und im Hintergrund ein Haufen Geigen rumjault.

Ich lieg hier unter dem Tisch vor Lachen! :lol:

Also ich hab tatsächlich einen lila Schlüppi, du etwa nicht? :confused:
Und natürlich sind wir alle wunderschön.

Danke euch allen für eure netten Kommentare, ich freu mich sehr, dass ich euch mit meiner kleinen Szene erheitern konnte. Ich war mir völlig unklar darüber, ob sie außerhalb meines Kopfes auch lustig ist.

 

wie so ein Werbespot, in dem eine Schönheit aus einer Riesenmuschel auftaucht und sofort alle Farben einen leicht milchigen Ton annehmen und im Hintergrund ein Haufen Geigen rumjault.
Novak Jaaaa ... Genau das musste ich auch denken. :D :D :D
Bier ist leider alle, bin jetzt zum Freixenet übergegangen, davon gibt's noch reichlich. Mädels, ihr seid alle herzlichen eingeladen! :)

Ich hab auch lila Unterwäsche, allerdings dazu schon den Kommentar gehört, lila Unterwäsche signalisiere Gefühlskälte und Unnahbarkeit. Tja, alles Ausreden, können wir ja nichts dafür, wenn die Typen heute alle feige Schlaffis sind und sich auf Farben fixieren! :P

 
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Der Kaffee ist alle.
Ach herrje, der erste Satz. Wo war mein Kopf? Wahrscheinlich bei der Blonden mit den High-Heels :D. Trotzdem ist mir das fern, weil ich nicht mal kurz ums Ecke kann, wenn der Kaffee alle ist. Sorry.

 

lila Unterwäsche signalisiere Gefühlskälte und Unnahbarkeit.
Muahaha, die spinnen, die Wäscheanalysten. "Ich fühl mich heut so unnahbar, da zieh ich mal lieber den lila BH an!"

Bernadette, bei so viel Schönheit können einem schon mal unwichtige Details entfallen. ;)
Ums Ecke, der der Kaffee alle ist? Hihihi.
Sorry, ich bin albern. :D

 

Hallo Raven,
das ist eine hübsche kleine Frauenwohlfühlgeschichte. Ich mag so etwas. Ich kann mich zwar theoretisch in die Frau Schlabber einfühlen, habe mir das aber aus den oben genannten Gründen abgewöhnt, so auf die Straße zu gehen. Ich hasse das minderwertige Gefühl, auf Göttinnen zu stoßen und mich klein und schmutzig zu fühlen.
Auch eine Art des Minderwertigkeitskomplex, :D Keine Ahnung, warum wir Frauen immer die Tendenz haben, uns permanent zu vergleichen. Ich habe noch nie einen Mann mit Bierbauch gesehen, der den Bauch einzieht, weil ihm ein männlicher Astralkörper entgegenkommt.
Ich bin jetzt mal eben Beine rasieren und Wimpern tuschen.
Grüßle, Gretha

 

Liebe Raven,

ich kann mich den Kommentaren nur anschliessen. Wirklich, das Gefühl deiner Protagonistin hatte ich auch schon mehrmals, und es ist schön zu lesen, dass es uns allen so geht (und wahrscheinlich würde es dieser engelsgleichen, hochhackigen Schönheit genauso ergehen, würde sie eine noch engelsgleichere, hochhackigere Schönheit an der Ampel sehen).

Danke dir vielmals für deine so sympathische Protagonistin (die irgendwie das halbe Forum verkörpert :D) und das Schmunzeln im Gesicht beim Lesen. Schadenfreude ist halt doch immer wieder die schönste Freude... :Pfeif:

Gern gelesen!
Liebe Grüsse
Raki

 

Hallo Raven,

jetzt hat der Teufel auf meiner rechten Schulter doch gewonnen. Ich wollte die Schnauze halten, weil ich eigentlich niemandem den Spaß auf dieser Pyjamaparty verderben wollte. Aber weil das jetzt so ein bisschen als Text für das halbe Forum, für die Frauen des Forums gefeiert wurde, wollte ich mich nur mal kurz als der andere Teil (ob's die Hälfte ist, kann ich nicht sagen) zu Wort melden und sagen: Das ist so eine Art seichter Chick Lit, mit der ich gar nichts anfangen kann. Nicht weil ich mich immer wie eine Göttin fühle, aber ich hab solche Texte mit so sympathisch-durchschnittlichen Bridget Jones-Frauen, die über ihr mittelmäßiges Aussehen lamentieren, und dann - natürlich: ist ja Wohlfühlliteratur - über die Oberflächlichkeit triumphieren, einfach über. Ich seh auch nicht, dass da jetzt irgendeine wahnsinnige Pointe drinsteckt, oder ein umwerfender Witz, der mir das aufs Neue schmackhaft macht. Das ist mir einfach von allem zu wenig.
Aber wie gesagt: Nur ne ganz subjektive Einschätzung. Der Text tut ja niemandem was und hat schon einige Leser erfreut. Also ich pack jetzt einfach meinen rosa Häschenpyjama wieder ein, mach mich vom Acker und lass Euch weiterfeiern :D

lg,
fiz

 

Oh je, fiz, warst du das an der Ampel? :D

Ja, ist vielleicht seicht, aber das brauch ich ab und zu mal. Danke für deinen Kommentar! Meine nächste Geschichte wird wieder anspruchsvoll und schwierig, versprochen. ;)

 

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