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Der Sprung

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18.06.2015
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Der Sprung

Vier Meter. Das ist nicht viel. Das ist zu schaffen. Gestern war er dort und hat nachgemessen. Hat einen Ast in den Boden gesteckt, ein Schnurende darum gewickelt, das andere Ende an einen Stein geknüpft, den Stein rüber zum anderen Ufer geworfen. Vier Meter von der einen Seite zur anderen. Das kann man schaffen. Scheisse, das hätten wir nicht gedacht, Lureng. Das werden sie zu ihm sagen, nachdem er gesprungen ist. Respekt, werden sie sagen.
Und wenn es doch nicht reicht? Nicht daran denken. Einfach durchziehen. Er wird abheben, fliegen, ihre offenen Münder sehen, wenn er über dem Wasser schwebt. Das war easy, wird er nach der Landung sagen. Oder: Keine Sache. Oder …
„Lureng?“, fragte Frau Giudici.
„Was?“
„Wie lautet die Antwort?“
„Entschuldigung, ich habe die Frage nicht gehört.“
„Also echt.“ Frau Giudici verschränkte die Arme. „Ich finde, man sollte dich mal abklären. Das ist doch nicht normal“, sagte sie. „Sitzt jeden Tag hier und bist doch nie da.“ Die Klasse lachte. Lureng senkte den Kopf und starrte auf die Zeichen, die einer in die Pultfläche geritzt hatte. LML. Keine Ahnung, was das bedeuten mochte. Er dachte nach. Vielleicht: Lebe mutig, Lureng. Frau Giudici schimpfte noch immer mit ihm. Wenn sie wüsste, was er vorhatte.

Nach der Schule machte er sich mit Pablo auf den Weg nach Hause. Es dämmerte, dabei war es noch nicht mal fünf. Der Schnee knirschte unter ihren Moonboots.
„Du willst über den Ribibach springen?“, fragte Pablo.
„Ja.“
„Auf einem Schlitten?“
„Ja.“
„Wie?“
„Ich baue eine Schanze. Oben beim Cladetsch-Hof. Neben der Brücke.“
„Du spinnst.“
„Ich schaff‘ das“, sagte Lureng.
„Du spinnst trotzdem.“ Pablo zog seine Handschuhe aus, griff in den Schnee, der am Wegrand lag, und formte daraus einen Ball. „Wer weiter wirft, gewinnt!“
„Du zuerst, Spanioggel!“, rief Lureng. Pablos Eltern kamen aus Spanien. Alle Spanier stinken, sagten die Jungs. Das war scheisse. Dennoch nannte Lureng seinen Freund manchmal Spanioggel. Weil Pablo ihn ja auch manchmal einen Spinner nannte.
„Whoaah!“, schrie Pablo und sein Geschoss verschwand in der Dunkelheit.

Am Samstag trafen sie sich beim Cladetsch. Pablo hatte eine Schaufel mitgebracht, Lureng eine leere Zweiliter-Colaflasche. Sie arbeiteten, bis die Sonne entkräftet hinter dem Ribihorn verschwand. Am Ende war die Schanze mehr als einen Meter hoch. Und sie hatten eine Piste hochgezogen, vorbei an zwei Rottannen, die alleine standen, und dann nach oben, bis fast zum Waldrand. Hatten den Schnee festgeklopft und mit dem Schlitten gespurt, Meter für Meter. Hatten die Flasche hundert Mal in den Bach getaucht, um die Sprunganlage zu wässern und über Nacht gefrieren zu lassen.
„Und jetzt?“, fragte Pablo.
„Unbemannte Testfahrt. Morgen Vormittag.“ Lureng grinste und klatschte in die klammen Hände. Pablo hüpfte auf und ab. Aus Vorfreude oder weil ihm so kalt war.

Nach dem sonntäglichen Gottesdienst blieben zwei Stunden bis zum Mittagessen. Lureng band eine Kartonschachtel, die er auf dem Dachboden gefunden hatte, auf den Schlitten und zog los. Seine Eltern hatten nichts mitgekriegt. Mutter stand in der Küche und Vater rauchte in der Stube seine Pfeife. An den letzten Häusern des Dorfes vorbeigekommen, dauerte es noch zehn Minuten bis zum Cladetsch-Hof. Dort angelangt, machte sich Lureng auf die Suche nach Steinen. Als sein Freund auftauchte, war die Schachtel schon fast voll.
„Soll ich helfen?“, fragte Pablo.
„Schon gut. Das sollte reichen.“
Gemeinsam setzten sie den Schlitten in die Spur und zogen ihn nach oben. Die Piste war vereist, zwei oder drei Mal rutschten sie aus und hätten dabei das Gefährt, das zusammen mit den Steinen ganz sicher mehr als vierzig Kilo wog, und das sie mittlerweile auf den Namen Sputnik getauft hatten, beinahe losgelassen.
„Und wenn Sputnik im Wasser landet?“, schnaufte Pablo.
„Ich hab‘ Gummistiefel dabei.“
Oben angelangt, stellten sie den Schlitten quer und setzten sich in den Schnee. Im dichten Nebel konnte man den Bach fast nicht mehr sehen. Aber man konnte sein Rauschen gut hören.
„Auf geht’s“, sagte Lureng. Sie hievten den Schlitten zurück in die Spur, Lureng zählte auf drei, und sie schoben Sputnik kräftig an. Die ersten Meter ging alles gut. Doch dann kam er von der Bahn ab. Er brach nach rechts aus, dorthin, wo die Tannen standen, und hinter dem nebligen Schleier konnten sie sehen, wie Sputnik in den vorderen Baumstamm krachte.
„Heilige Scheisse“, rief Pablo.
Sputnik war hin. Drei Latten der Sitzfläche waren zersplittert und, schlimmer, die linke Kufe ruiniert. Der Metallstreifen hatte sich vom Holz gelöst und war so deformiert, dass man ihn in Frau Giudicis Garten hätte stellen können, wo seltsame Skulpturen standen, über die ihre Lehrerin sagte, das sei Kunst.
„Heilige Scheisse“, sagte nun auch Lureng.
„Und jetzt?“, fragte Pablo.
„Kann ich deinen Schlitten haben?“

Pablo besass bloss einen Bob. Einen orangen aus Plastik. Das wäre auch gegangen, wahrscheinlich sogar besser. Aber Lureng hatte den Jungs gesagt, er springe mit einem Schlitten über den Ribibach. Also musste ein Schlitten her. Bis der Zorn seiner Eltern verraucht war und sie ihm einen neuen kauften, das konnte dauern. Als Lureng darüber nachdachte, von wem er sich einen leihen konnte, kam ihm nur Livia in den Sinn.
Livia war nett. Sie war gleich alt wie er, besuchte die Parallelklasse, trug einen schwarzen Pony und wenn sie ihn sah, lächelte sie meistens. Viel miteinander gesprochen hatten sie allerdings noch nicht, dafür war sie viel zu hübsch und Lurengs Knollennase zu gross.
Vor einiger Zeit hatte er ihr einen Stein geschenkt. Auf dem Schulweg gefunden. Der hatte ausgesehen wie kein anderer Stein, dunkelgrün und mit feinen Rissen drin. Livia hatte sich bedankt. Mehr nicht.
Lureng atmete erleichtert auf, als Livia und nicht ihr Vater öffnete, nachdem er geklingelt hatte.
„Du willst meinen Schlitten? Was ist denn mit deinem?“, fragte sie.
„Kaputt.“ Livia sah ihn fragend an. „Lange Geschichte“, sagte er.
„Dann komm rein und erzähl‘.“
„Muss gleich wieder nach Hause. Erster Advent. Gemeinsam Kerzen anzünden.“
„Ach so.“
„Also wenn du vielleicht …“
„Jetzt?“
„Wäre super.“
„Wozu brauchst du denn heute Abend einen Schlitten?“
„Nicht heute Abend, aber morgen …“
„Ja?“
„Da geh ich nach der Schule mit Pablo …“
„Weshalb lügst du, Lureng?“ Livia schüttelte den Kopf. So erinnerte sie ihn an Frau Giudici. Nur tausendmal schöner.
„Wieso?“, stammelte er.
„Die ganze Schule redet davon.“
„Ach ja?“
„Wieso willst du so was machen?“
Ja, warum eigentlich?
„Damit sie dich das nächste Mal einladen, wenn es ein Geburtstagsfest gibt?“, fragte Livia. „Gehörst du dann zu ihnen? Weil du mit einem Schlitten über einen Fluss springst?“
Das war fies. Lurengs Herz klopfte. Nur ja keine Tränen.
„Damit sie aufhören, meine Schuhe zu verstecken. Und Kaugummi in mein Etui zu kleben“, sagte er leise.
„Und das soll funktionieren? Ich versteh euch Jungs echt nicht.“ Etwas mehr Mitleid hätte Lureng schon erwartet. Immerhin war Livias Stimme jetzt etwas sanfter.
„Ich eigentlich auch nicht.“ Lureng versuchte zu lächeln.
„Hör zu“, sagte Livia. „Du kriegst den Schlitten. Weil ich dich mag. Aber ich werde morgen nicht dort oben sein und dir dabei zuschauen, wie du diese Idioten beeindrucken willst. Weisst du, was ein Boykott ist?“
„Nein.“
„Eben das“, sagte Livia. Danach führte sie ihn zum Schuppen, wo der Schlitten stand.
Lureng rannte nach Hause. Er verschwendete keinen Gedanken an die Frage, was ein Boykott war, obwohl er das noch immer nicht ganz verstanden hatte. Weil ich dich mag. Weil ich dich mag.

Er konnte nicht einschlafen. Vier Meter. Wieder und wieder stellte er sich den Sprung vor. Nur nicht mit den Füssen abstossen. Einfach sitzen bleiben. Wenn du versuchst, mit den Füssen abzuspringen, bist du tot! Aber das war es nicht, was ihn wach hielt. Wenn er hätte wählen können, ob alle Jungs im Dorf ihn springen sehen oder bloss Livia, er hätte Livia gewählt. Aber die wollte das ja gar nicht sehen. Das war wirklich verwirrend.

Montagnachmittag. Dicke Skihosen, zwei Skijacken. Knieschoner. Ellenbogenschoner, Skibrille, der schwarze Mofahelm seines Grossvaters. So sass er auf dem Schlitten. Sputnik Zwei. Die Sitzfläche war viel zu klein, er fand keine Position, die sich richtig anfühlte. Als er seine Beine anwinkelte und die Füsse auf die schmalen Kufen stellte, spürte er einen stechenden Schmerz in seinen Hoden. Doch es gab kein Zurück. Er schlug mit der flachen Hand dreimal gegen seinen Helm, so wie Pablo es ihm geraten hatte, tock, tock, tock, und gab ein entschlossenes Knurren von sich. Unten, hinter dem Bach, standen die Jungs und johlten. Mach schon, Knolli!
„Los!“, schrie Lureng.
Pablo gab dem Schlitten einen Stoss und Sputnik Zwei setzte sich in Bewegung, langsam zunächst, dann schneller und immer schneller. Vor den Tannen war die Schneedecke dünn, dort musste er links halten, um den Wurzeln auszuweichen. Geschafft! Jetzt ging es nur noch geradeaus, steil hinunter zur Schanze. In der Nacht hatte es geschneit und auch jetzt fiel Schnee. Weisser Staub legte sich auf Lurengs Brille, er konnte kaum mehr etwas sehen. Damit hatte er nicht gerechnet. So würde er die Schanze nicht erwischen. Er riss sich die Skibrille vom Kopf und warf sie in den Schnee. Nun sah er klar, nun sah er, wie die Schanze näher kam, grösser wurde, eine Nase in der Piste, nur nicht verfehlen, nur nicht die Füsse bewegen, still halten, keine Panik, Lureng, keine Panik.

Und da blieb die Zeit stehen. Schneeflocken schwebten in der Luft. Lureng sah die Jungs. Sie bewegten sich nicht. Standen da wie Bäume. Der Himmel war grau und alles war still. Lureng atmete ein, und er glaubte, ein leises Pfeifen zu hören. Dann sah er Livia. Sie stand auf der Brücke und hatte ihren Arm erhoben, als winkte sie ihm zu. Sie trug eine rote Jacke. War es wirklich Livia? Manchmal sah er Dinge, die waren gar nicht da. Und jetzt? Weshalb war sie gekommen? Weil sie ihn mochte?

Lureng gab Sputnik einen Ruck und der Schlitten sprang aus der Spur. Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren, aber er hatte Glück. Lureng streckte seine Beine und bremste die Fahrt. Kurz vor der Brücke blieb er stehen.
„Hallo Lureng.“ Livia lächelte.
„Hallo Livia.“ Er hörte die Jungs schreien. Knolli, du Feigling! Wie peinlich! Buuh!
„Du warst ziemlich schnell. Das war unheimlich“, sagte Livia.
„Ja, das war heftig.“
„Hattest du Angst?“
„Eigentlich nicht.“
„Schön, dass du nicht gesprungen bist.“
„Mhm.“
„Die werden dich ganz schön ärgern.“ Sie blickte zu den Jungs, die näher kamen.
„Ich weiss.“
„Schlimm?“
„Nö.“
„Hauen wir ab?“
„Ja!“

 

Man hat festgestellt, dass man Musik, die man in der Jugend gehört hatte, auch im Alter am meisten liebt. So scheint es auch mit Geschichten zu sein: Wenn sie einen an die eigene Jugend erinnern, an die blödsinnigen Mutproben, die manchmal mit dem Fuß oder der Hand in Gips endeten, dann ist das so, als ob man die Musik von damals wieder hörte.

Deine Geschichte, Peeperkorn, hat genau das bei mir geschafft. Kompliment.

 

Hallo Peeperkorn,

was soll ich noch großartig sagen, zu einer beindruckenden Geschichte, zu der schon so viel Richtiges geschrieben wurde.
Was mir besonders gefällt ist die melancholische Wärme, mit der du die Story erzählst, ohne irgendwann triefend zu werden. Eine Geschichte zum Wohlfühlen, was nach wenig klingt, aber eine ganze Menge bedeutet.
Ach ja! Das Ende ist toll. Kein Wort zu viel. Offen und dennoch fertig erzählt!
Kompliment dafür.
Eine einzige Kleinigkeit:

„Ich finde, man sollte dich mal abklären.“
Kenn ich so nicht als Begriff, ist das regional bedingt? Ich verstehe es als: „Dir müsste man mal eine Abreibung verpassen.“ Nicht so stark, aber so in der Art?
Tolle Geschichte.
LG svg

 

Hi Peeperkorn,

ich glaube, es wurde schon alles gesagt, was zu deiner Geschichte gesagt werden kann. Da sie mich aber so beeindruckt und berührt, und weil positives Feed-back ja eigentlich nie zuviel werden kann: Vielen Dank, es war einfach schön, dies hier zu lesen!!!

Grüße,

Eva

 

Hey Dion

Ganz herzlichen Dank! Unsere Wettbewerbstexte sind, was den Wohlfühlfaktor angeht, so ziemlich am gegensätzlichen Ende des Spektrums angesiedelt. Umso mehr freut mich dein Lob!

Hallo svg

Was mir besonders gefällt ist die melancholische Wärme, mit der du die Story erzählst, ohne irgendwann triefend zu werden.

Vielen Dank! Sehr cool, das von jemandem zu lesen, der so gut erzählen kann und dessen Geschichte weit oben auf meiner Favoritenliste steht

[„Abklären“] Kenn ich so nicht als Begriff, ist das regional bedingt? Ich verstehe es als: „Dir müsste man mal eine Abreibung verpassen.“ Nicht so stark, aber so in der Art?

Offenbar ist das regional bedingt, ja. War mir nicht bewusst. „Jemanden abklären“ meint herausfinden, ob zum Beispiel ADHS oder sonst was vorliegt. Also etwas harmloser als deine Lesart.


Liebe Eva

und weil positives Feed-back ja eigentlich nie zuviel werden kann: Vielen Dank, es war einfach schön, dies hier zu lesen!!!

Man soll ja auch erfahren, wenn man was richtig gemacht hat. :) Ganz herzlichen Dank für deine Worte.

Euch allen einen lieben Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

bestimmt, ich habe keine Zeit sie zu lesen, hast du bereits jede Menge begeisternde Kritiker in den vorangegangenen Kästen gesammelt. Du musst jetzt einfach ganz tapfer sein und mich auch noch ertragen. ;)
Ich kann nicht viel zu deiner Geschichte sagen, was dich inhaltlich weiterbringt, wobei ich da von mir auf andere schließe. Kritik eröffnet einem die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, Lob ist der Brennstoff, um durchzuhalten.

Du gehst flott rein in den Stoff und begnügst dich mit wenigen Wortpinselstrichen und man ist sofort drin in der Geschichte. Perfekt gemacht. Kein Wort zuviel, punktgenaue Dialoge und obendrein noch ein herrlich winterlicher, fast märchenhafter, herzerwärmender Plot, ohne Kitsch und Tand und Spannung ist auch drin.

Ich glaube, man kann es wirklich nicht besser machen. *Chapeau und Verneigung*

Wir wären nicht bei den Wortkriegern, wenn ich nicht doch noch .... :D

Weisst du, was ein Boykott ist?“
Ich finde sie fragt da reichlich altklug. Eigentlich passt dieser Satz nicht so recht, denn vorher ist sie ja fast schon zärtlich in ihrer Zugewandtheit. Jetzt grenzt sie sich ab, indem sie dieses Fremdwort gebraucht und obendrein noch davon ausgeht, dass er es nicht kennt. Dachtest du, du wärst vor einer Kitschfalle gelandet und die musste mit dieser Distanz wieder geschlossen werden?

Ok, das war jetzt echt Nörgelei auf hohem Niveau, nicht die Nörgelei meine ich, sondern das Niveau der Geschichte. Deine Geschichte wäre so oder so eine sehr gute Geschichte, bei der ich sehr viel Lesefreude hatte.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita

Ganz lieben Dank für deine Worte, ich fühle mich geehrt.

Kritik eröffnet einem die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, Lob ist der Brennstoff, um durchzuhalten.

Sehr schön. Ich hoffe, was ich hier eingesammelt habe, reicht für eine Weile. Denn es werden Zeiten kommen, auf die man sich eigentlich freuen sollte, weil man die Möglichkeit erhalten wird, sich weiter zu entwickeln; aber eben ...

Ich finde sie fragt da reichlich altklug. Eigentlich passt dieser Satz nicht so recht, denn vorher ist sie ja fast schon zärtlich in ihrer Zugewandtheit. Jetzt grenzt sie sich ab, indem sie dieses Fremdwort gebraucht und obendrein noch davon ausgeht, dass er es nicht kennt. Dachtest du, du wärst vor einer Kitschfalle gelandet und die musste mit dieser Distanz wieder geschlossen werden?

Auch andere haben moniert, dass Livia altklug daherkomme. Das war in früheren Versionen noch schlimmer. Weshalb ich "Boykott" stehen gelassen habe? Nicht wegen der drohenden Kitschfalle - auch wenn ich den Verdacht gut nachvollziehen kann. Die Geschichte handelt von einem Lernprozess und ich denke, dass solche Prozesse einen Anstoss brauchen, ein Vorbild - zumindest in einer Kurzgeschichte. Insofern muss Livia in meinen Augen weiter und reifer als Lureng sein. Und die Verwendung eines Fremdworts, das Livia kennt und Lureng nicht, ist m.E. ein sparsames Mittel, um diesen Abstand zu zeigen. Aber mir ist klar, dass Livias pädagogische Redeweise nicht so ganz zum Ton der Geschichte passt.
Es ist interessant, dass viele den Text als den Beginn einer Liebesgeschichte lesen. Ich bin mir da - wegen diesem Abstand - nicht so sicher. Aber vielleicht ja doch.

Merci für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Bas

Besten Dank für deine Rückmeldung, die mich sehr freut. Ja, das abklären. Hier in der Schweiz versteht man das gut: klären, ob eine bestimmte Krankheit, Auffälligkeit oder so vorliegt. Ich wusste nicht, dass man das in Deutschland nicht kennt.


Ich verstehe mich nicht wirklich auf Kritik

Keine Sache. Schildere einfach deine Leseeindrücke, was dir gefallen hat, worüber du gestolpert bist, etc. Nachdem ich deine Geschichte gelesen habe, bin ich mir auch ziemlich sicher, dass du anderen in punkto sprachlicher Eleganz einiges mitgeben kannst.

Wie lange schreibst du schon?

Seit etwa zwei Jahren, Kurzgeschichten seit ungefähr einem Jahr. Ich habe beruflich viel mit (Fach-)sprache zu tun und lese und lese. Das hat den Einstieg vereinfacht. Und dann hatte ich das gleiche Glück, wie du jetzt: Ich habe die Wortkrieger entdeckt!

Merci und lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

Ja, das abklären. Hier in der Schweiz versteht man das gut: klären, ob eine bestimmte Krankheit, Auffälligkeit oder so vorliegt. Ich wusste nicht, dass man das in Deutschland nicht kennt.

Also, ich kenne das, und ich war noch nie in der Schweiz. :) Nach meinem Sprachempfinden ist es eher so, dass man etwas abklärt (also einen [medizinischen] Sachverhalt oder eine Fragestellung) und nicht unbedingt jemanden. Ich hatte aber keine Schwierigkeit, mir das zu erschließen.

Nur mal so als Eindruck aus dem nördlicheren Teil Deutschlands.

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Peeperkorn,

weißt du, was mich am meisten beeindruckt hat? Es ist die Leichtigkeit, mit der du uns mitnimmst in die Spanne zwischen Kindheit und Jugendzeit, in der erste Entscheidungen den Charakter prägen. Ich stelle mir Livia zwei Jahre älter vor. Ich glaube,es ist nicht ungewöhnlich, dass Jungs mit dreizehn oder vierzehn ältere Mädchen anhimmeln. Und es muss nicht auf eine Liebesgeschichte hinauslaufen. Die zwei schließen vielleicht "nur"ein Bündnis gegen den johlenden Rest.

Ich wusste gleich beim ersten Lesen (noch im alten Jahr), dass hier ein Anwärter auf den Hauptpreis am Werk war!

Wunderbar!

Gruß wieselmaus

 

Hallo wieselmaus

Es ist die Leichtigkeit, mit der du uns mitnimmst in die Spanne zwischen Kindheit und Jugendzeit, in der erste Entscheidungen den Charakter prägen.

Ich halte es für eine schwierige Sache, Texte leicht werden zu lassen (so wie ich es für eine ernste Sache halte, witzige Texte zu schreiben). Daher freut mich dein Kommentar ungemein.
Danke auch für deine Ausführungen zum Verhältnis von Lureng und Livia. Das sehe ich sehr ähnlich.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hi Peeperkorn,

ich hoffe, es verstößt nicht gegen die Forenregeln, wenn ich diese Geschichte, die du vor über eineinhalb Jahren hier eingestellt hast, noch einmal ausgrabe.

Ich wollte einen Text von dir lesen, um dich dadurch ein wenig kennenzulernen, und natürlich habe ich mir etwas mit dem Romantik-Tag herausgesucht. :shy:

Vielleicht lesen andere Neulinge deine Geschichte nun auch. Ich kann nur sagen, es lohnt sich. :thumbsup:

Eine Geschichte von schlichter Schönheit.

Eine Geschichte, die so schön ist, dass ich es sogar ertrage, dass der Protagonist Lureng heißt.

Gleich mit der ersten Szene, als Lureng träumt und die Lehrerin ihn drannimmt, hast du mich sofort überzeugt. Die Abkürzung LML, ha, super Idee!

Livia (das ist ein sehr schöner Name übrigens) ist eine Protagonistin, so wie ich mir sie wünsche. Die weiß, was sie will.

Diese Verwundbarkeit in jungen Jahren, diese Sehnsucht, dazugehören zu wollen, das hast du sehr eindringlich beschrieben.

Und dann der Dialog zwischen den beiden, als sie ihm den Schlitten leiht, das ist ganz großes Kino. Wie sie ihn durchschaut. Wie ihre Stimme dann sanfter wird. Und dann hallt es in Lureng nach: Weil ich dich mag. Weil ich dich mag.

Ich dachte mir, dass auch Leute wie du, die schon wissen, dass sie gut schreiben können, es trotzdem von Zeit zu Zeit gerne hören. :)

LG, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49

Ich hoffe, es verstößt nicht gegen die Forenregeln, wenn ich diese Geschichte, die du vor über eineinhalb Jahren hier eingestellt hast, noch einmal ausgrabe.

Zumindest jemand freut sich sogar darüber. :D

Ich wollte einen Text von dir lesen, um dich dadurch ein wenig kennenzulernen, und natürlich habe ich mir etwas mit dem Romantik-Tag herausgesucht. :shy:

Hehe. Ja, da gibt's bei mir keine grosse Auswahl, das ist sicher der Wohlfühltext unter all meinen Versuchen.

Eine Geschichte von schlichter Schönheit.

Das freut mich sehr. Ich denke, dass ich mit diesem Text damals einen wichtigen Schritt getan und die Grundlagen zu einem Erzählstil gelegt habe, der mir liegt.

Diese Verwundbarkeit in jungen Jahren, diese Sehnsucht, dazugehören zu wollen, das hast du sehr eindringlich beschrieben.

Auch das freut mich. Ich arbeite weiterhin an diesen Themen und Konstellationen, die sind sehr dankbar, weil sich praktisch jeder Leser damit identifizieren kann.

Ich dachte mir, dass auch Leute wie du, die schon wissen, dass sie gut schreiben können, es trotzdem von Zeit zu Zeit gerne hören. :)

Ich gehöre zu den Leuten, deren Selbstzweifel sich sehr flexibel auf das bereits Erreichte einstellt, damit er kontinuierlich und in derselben Stärke weiternagen kann. Von daher, ja. Und da ich momentan in meinem Schreiben zu einem grossen Teil auf mich alleine gestellt bin, umso mehr. Vielen Dank! Hat mich sehr gefreut, Anne.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo peeperkorn,
mit deiner Geschichte hast du mich voll erwischt: lustig, traurig - das wahre Leben - vor allem spannend!

Und da blieb die Zeit stehen. Schneeflocken schwebten in der Luft. Lureng sah die Jungs. Sie bewegten sich nicht. Standen da wie Bäume. Der Himmel war grau und alles war still. Lureng atmete ein, und er glaubte, ein leises Pfeifen zu hören. Dann sah er Livia. Sie stand auf der Brücke und hatte ihren Arm erhoben, als winkte sie ihm zu. Sie trug eine rote Jacke. War es wirklich Livia? Manchmal sah er Dinge, die waren gar nicht da. Und jetzt? Weshalb war sie gekommen? Weil sie ihn mochte?

Der Höhepunkt, dachte ich und sah ihn schon fliegen, doch das kam ja erst noch, was für eine Überraschung! Und wie er es damit allen gezeigt hat!
Lehren ohne zu belehren, das ist dir ausgezeichnet gelungen, damit hast du mich glücklich gemacht.

„Du zuerst, Spanioggel!“, rief Lureng. Pablos Eltern kamen aus Spanien. Alle Spanier stinken, sagten die Jungs. Das war scheisse. Dennoch nannte Lureng seinen Freund manchmal Spanioggel.

Großschreibung

Sehr gerne gelesen.
Liebe Grüße Damaris

 

Hallo Damaris

Es freut mich, dass dir der Text gefallen hat.

Lehren ohne zu belehren, das ist dir ausgezeichnet gelungen, damit hast du mich glücklich gemacht.

Ein sehr schönes Kompliment. Merci!

Großschreibung

Hier wird "scheisse" als Adjektiv verwendet.

Vielen Dank fürs Reinschauen, Damaris.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

das ist eine richtig schöne Geschichte, vielen Dank!
Da sie aufgrund der aktuellen Kommentare in der Anzeigeliste "nach oben gerutscht" war, hatte ich gerade das Glück, sie zu lesen. Hat mein Herz erwärmt :)

Meine Töchter sind schätzungsweise knapp jünger als deine Hauptfiguren, also darf ich solche netten Geschichten hoffentlich bald sozusagen live miterleben ;) - Wenn die Jungs dann so lieb, wie dein Lureng sind, freu ich mich jetzt schon ...

Wahrscheinlich ist die Geschichte längst überarbeitet, in der Ablage gelandet oder was weiß ich. Trotzdem möchte ich zwei kurze Anmerkungen loswerden. (Habe aber nicht alle 59 Kommentare komplett gelesen, wenn das also bereits da war - vergiss es)

„Ich finde, man sollte dich mal abklären. Das ist doch nicht normal“

Die Lehrerin macht ihn vor versammelter Klasse nieder? Das hat mich echt irritiert.
Offenbar ist meine Schulzeit zu lange vorbei :hmm:
Übrigens weiß ich auch gar nicht, was sie meint. Ist "abklären" Jugendsprache, die ich nicht kenne?

„Wollen wir wegrennen?“

Kinder oder Jugendliche würden (zumindest bei uns) "Hauen wir ab?" sagen.

Insgesamt nochmal Danke für das schöne Bild im Kopf.

Pinkbaerbel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Pinkbaerbel

Der gestrige Tag war für mich etwas schwierig, zum ersten Mal wurde einer meiner im Print veröffentlichten Texte rezensiert und das war, na ja, ein ziemlich übler Verriss.
Daher habe ich mich sehr gefreut, heute morgen deine Zeilen zu lesen, schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Wahrscheinlich ist die Geschichte längst überarbeitet, in der Ablage gelandet oder was weiß ich.

Ja, die liegt weit unten im Keller, ist schon eine Weile her. Dennoch habe ich deine Anregung ...

Kinder oder Jugendliche würden (zumindest bei uns) "Hauen wir ab?" sagen.

aufgenommen und in den Text eingearbeitet. Klingt viel besser als das umständliche: "Wollen wir wegrennen?" Merci!

Übrigens weiß ich auch gar nicht, was sie meint. Ist "abklären" Jugendsprache, die ich nicht kenne?

Da bist du nicht die erste Kommentatorin, der es so ergangen ist. Was habt ihr alle? :D Das Wort steht ganz normal im Duden, ohne "selten" oder sonst was. ("eine Sache klären"). Nee, ich seh das Problem schon, denn in der Schweiz lässt sich das auch auf eine Person anwenden: Jemanden abklären = klären, ob mit der Person was nicht stimmt.

Ganz herzlichen Dank fürs Reinschauen, Pinkbaerbel, hat mich sehr gefreut.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

schön, dass mein Kommentar passend kam!

Danke für die Erklärung, jetzt habe ich auch die Lehrerin verstanden.
Das ist ja dann gar nicht so fies, was sie sagt. Ich würde dazu 'durchchecken' sagen, oder so.
Abklären klingt für mich irgendwie gewaltsam, so wie 'zusammenschlagen und wieder in die richtige Spur bringen' ... liegt wahrscheinlich daran, dass ich so ein ähnliches Wort mal im Zusammenhang mit Jugendbanden gelesen habe, glaube ich.

Viele Grüße, pinkbaerbel

 

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