Der Seiltänzer
Marana's Geschichte hat mich an etwas ganz klitzekurzes erinnert, das ich vor längerer Zeit geschrieben habe. Vielleicht gefällt das ja ausnahmsweise mal. Wobei es möglicherweise eher seltsam ist, weil schwer verständlich.
Der Seiltänzer
Sie sind es, die alles erreicht haben, was wir zu erreichen suchen. Sie sind es, die schon lange nichts mehr fürchten, die sicher sind nichts mehr fürchten zu müssen. Alles haben sie überwunden, was uns hält. Sämtlicher Boden ist fernab. Hoch auf dem Seil, halb laufend, halb fliegend tanzen sie, wie Sterne hoch im Nichts. Und sie waren wie die Sterne. Alles sahen sie von dort oben, alles anders, alles vollkommener, verbundener. Es ist die Sicht der Seiltänzer, die zu erreichen es gilt.
Sprosse um Sprosse, hinauf auf die Leiter. Sein erster, sein letzter Auftritt. Sein größter, sein einziger Traum. Ein Traum, zu einem Licht zu werden, sich und jeden sonst endlich zu erleuchten und ebenso sein Ziel, sein Lebenswunder. Der Nachthimmel erfüllt von silbernem Feuerwerk, der Platz erfüllt von Staunenden tritt er den endlichen Weg an.
Langsam nähert er sich dem Abgrund. Von dort oben gibt es nie ein Zurück. Die Menge die unten steht, gafft, schreit, wundert, drängt ihn, es zu tun. Er tut einen weiteren Schritt und ist frei. Er steht auf dem dünnen Draht, sein ganzer Halt ist er nun selbst. Das Grölen der Masse erreicht ihn nicht. Einen Fuß vor den Anderen, immer voran, die Augen starr in den Himmel gerichtet, die Arme weit ausgebreitet tastet er sich auf dem Seil fort. Unter ihm ist es still geworden. In ihm ebenfalls. Alles ist gespannt, wie seine Grundlage zu seinen Füßen. Es würde keine Entspannung geben. Nirgendwo, für niemanden.
Er ist in der Mitte angekommen, dreht sich seitlich, sieht hinab. Die Menschen sieht er nicht mehr. Gleich blind sind sie nun, er für sie und umgekehrt. Alles was da ist, auf dem blau glänzendem Pflaster, ist ein kleiner Junge, den Blick nach oben gerichtet. Wie als schaute er gerade einen Stern, betrachtet er den Seiltänzer und dieser ihn. Beide scheinen sie seltsam verbunden, ineinander verwoben, verschmolzen zu Einem, jeder das Glück des Anderen.
Ewigkeiten vergehen allein in diesem Moment, lassen den Unteren wachsen und den Oberen klein werden. Klein und verletzlich, doch voller Licht und Freude. Alle Sorge ist von ihm herabgeregnet, ein schwarzgrauer Regenbogen der den Himmel an die Erde bindet. Langsam erhebt sich der Tänzer nun und steigt, der Draht unter seinen Füßen hinwegsinkend, hinauf. Aufgehend in Licht, explodiert er und hinterlässt ein silberweißes Feuer, das die Welt erfüllt.