Mitglied
- Beitritt
- 08.03.2002
- Beiträge
- 13
Der Schönheitschirurg
Der Schönheitschirurg
Bernhard Fassbinder wurde Schönheitschirurg
Niemand verstand so recht, warum ausgerechnet er sich der Schönheit verschrieben hat.
Wie sollte jemand wie er, Schönheit überhaupt beurteilen können?
Oder sollte es anderen nur besser gehen als ihm?.
Wie auch immer, Bernhard war nun DR. Bernhard, und darauf bestand er auch.
Sechs Uhr morgens am dritten November. Ein monotones, sich schnell wiederholendes leises Piepen war für Dr. Bernhard Auslöser, die Augen zu öffnen und sich innerhalb der nächsten zehn Sekunden aufzurichten. Mitunter gelang ihm dies auch wesentlich schneller; an guten Tagen stand er neben dem Bett, bevor der Wecker fünf mal gepiept hat.
Selbstverständlich entzog es sich naturgegeben seinem Wissen, wie oft das Piepen schon erklang, bevor er schließlich den Wachzustand erreicht hat. Deshalb installierte er vor einem halben Jahr eine Videokamera oberhalb seines Bettes, die sich, mit Hilfe einer Zeitschaltuhr, exakt eine Minute vor sechs automatisch aktivierte. Die Kamera wiederum war mit dem Rechner verbunden worden, der zur gleichen Zeit hochfuhr, wie Kaffeemaschine und Radio ihren Betrieb aufnahmen, nämlich um fünf Minuten vor halb sieben. Zu dieser Zeit verlässt er geduscht, elektrisch rasiert und mit einem weißen Handtuch bekleidet das Badezimmer, um sich in einem kleinen Ankleideraum, neben dem Schlafzimmer, der Garderobe zu bemächtigen, die er am Abend zuvor auf dem stummen Diener drapiert hat.
An diesem Morgen stieg er vorsichtig in eine schwarze Baumwollhose, stülpte einen schwarzen Rollkragenpullover aus Schurwolle über und nahm den Bügel mit dem ebenfalls schwarzem Cashmir Jackett, nach einem kontrollierendem Blick in den großen Spiegel, mit auf den langen Flur, wo er ihn an dem chromfarbenen Garderobenständer zurück ließ. Sein Weg führte ihn weiter in die Küche. Dort wusste er den schon durchgelaufenen Kaffee vorzufinden. Er trank ihn schwarz, immer schon, obgleich ihm etwas Zucker -und die damit verbundenen Kalorien-, kaum geschadet hätten.
Schon früher forderte ihn seine Mutter regelmäßig auf, mehr zu essen. Er sei viel zu dürr, wirke schlaksig und unbeholfen. Auch Wilhelm Buschs Suppenkasper, jeden Abend von Mutter Fassbinder am Bettrand vorgetragen, konnte keine Veränderung des Essverhaltens erwirken. Wenn sie jetzt jeden Abend anrief, galt ihre erste Frage noch immer den Speisen, die er zu sich genommen hat und nach wie vor ertönte nach seiner wahrheitsgemäßen Beantwortung: “Bernhard, wie oft habe ich das schon gepredigt. Du musst mehr essen, wenn Du eine Frau abkriegen willst!“. Aber Bernhard wollte nicht mehr essen, er war sich ja nicht einmal sicher ob er eine Frau wollte. Frauen waren übersät mit Fettgewebe, für ihn waren sie der Inbegriff von Fett, ja, sie definierten sich gar über zwei Fettgeschwülste. Es war nicht so, dass er prinzipiell keine Brüste mochte. Um so größer sie waren, um so besser gefielen sie ihm, vorausgesetzt, er hat zuvor Hand angelegt um sie mit Silikonkissen zu füllen. Einen solchen Busen vermochte er, frei von Ekel, stundenlang zu betrachten.
Den Kaffeebecher stellte er im Arbeitszimmer auf den dafür vorgesehenen Untersetzer, nahm Platz vor dem Rechner und löschte ungesehen die Videoaufnahme seines Erwachensprozesses. Sein Versagen an diesem Morgen wollte er sich nicht auch noch bildlich vor Augen führen.
Dr. Bernhard lauschte aufmerksam der Stauschau, die das Radio punkt sechs Uhr dreißig zum besten gab. Seitdem er hier wohnte, und es waren immerhin zwei Jahre, wurde für seine Strecke noch nie etwas gemeldet. Aber es ging auf den Winter zu, überraschend könnte ein Schneesturm auftauchen; und Mutter Bernhard pflegte immer zu sagen: „Nur weil Dir bisher noch keine Taube auf den Kopf geschissen hat, heißt das nicht, es würde nie passieren. Du musst auf alles im Leben vorbereitet sein, Bernhard“ (Sie hat diese selbstkreierte Weisheit –denn von einem anderen Menschen hat er sie niemals gehört- dermaßen verinnerlicht, dass sie auf freien flächen ständig einen aufgespannten Regenschirm mit sich trug.) Und er war vorbereitet. Zwar verzichtete Bernhard auf den Regenschirm, jedoch kalkulierte er, seit er die Stelle in der Schönheitsklinik inne hielt, eine halbe Stunde Stauzeit ein. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem sich diese halbe Stunde rentiert. Am heutigen Tage allerdings nicht.
Die geleerte Kaffeetasse brachte er zurück in die Küche, tröpfelte etwas Spülmittel hinein, hielt sie unter warmes Wasser, trocknete sie ab und stellte sie zurück in den Hängeschrank, neben die anderen elf Tassen, die dort seit zwei Jahren unbenutzt ihr Dasein fristeten.
Sein Cashmir Jackett streifte er um sechs Uhr vierzig über, der routinierte Griff zur Flusenrolle erfolgte im Anschluss daran. Die Auswahl des passenden schwarzen Schuhs fiel nicht sehr schwer, stand im Schuhschrank doch fünf mal das gleiche Modell. Im Sommer bereicherte er diese Auswahl um die Farbe beige.
Radio, Kaffeemaschine und Computer waren darauf programmiert, sich um sechs Uhr fünfundvierzig auszuschalten. So lange stand er neben der Tür, auf die einsetzende Stille wartend. Während es beim Radio und Rechner noch leicht auszumachen war, ob alles seinen geregelten Weg ging, erwies sich dies beim Kaffeeautomaten als wesentlich schwieriger. Nie konnte er sich der Inaktivität hundertprozentig sicher sein. Früher zwang ihn dies, obgleich er schon beschuht war, den Weg in die Küche ein weiteres mal zu beschreiten. Mit einer simplen Spiegelkonstruktion löste er jedoch auch dieses Problem. Nun war es ihm möglich, von der Wohnungstüre aus, das erloschene rote Lämpchen der Maschine zu überprüfen und er konnte die Wohnung ohne weitere Verzögerungen verlassen.
Die unter der Klinik gelegene Tiefgarage erreichte er um sieben Uhr zwanzig.
Wenn er in die Parknische einbog, an der Rückwand das weiße Metallschild mit den schwarzen Lettern „Dr. B. Fassbinder“ las, erfüllte seinen Körper eine seltsame Wärme, die er nur mit der durchblutungsfördernden Wirkung von Rheuma Pflastern gleichzusetzen wusste. Er genoss dieses Gefühl, ziemlich genau fünf Minuten lang, dann stieg er aus und drehte eine komplette Runde um den Wagen, um dabei jede der Türen, inklusive der des Kofferraums, durch das Hochziehen der Türgriffe, auf ihren verriegelten Zustand zu überprüfen. Die Tatsache, dass er vor drei Jahren zusammen mit dem Mercedes eine Zentralverriegelung erstand, konnte ihn davon nicht abhalten.
Auf dem Weg in die Klinik –er führte ihn auch ein kurzes Stück über die Hauptstraße- sah er an diesem Tag besonders viele verkrüppelte Nasen und hängende Gesäße. Die Zahl der Tränensäcke und inakzeptablen Lippen hingegen bewegte sich am normalen Soll. Aber was er vor allem sah, war Fett! Selten zuvor, glaubte er, so viel Fett gesehen zu haben. Innerhalb von drei Minuten passierte er etliche Berge davon, die sich um völlig überforderte Knochen schlangen. Meist schaute er stur zu Boden, während er an einem solchen Fettberg vorüber ging. Er wagte nicht auf zu sehen, er konnte dem Grauen nicht ins Gesicht blicken. In solchen Momenten klemmte er seine schwarze Aktentasche mit beiden Armen vor seinen Bauch, beugte den Oberkörper etwas nach vorn und ging, den Blick auf seine Schuhspitzen gerichtet, eiligen Schrittes vorbei. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme war er dann immer ganz außer sich. Allein der Gedanke an Fett ließ sein Herz rasen und bewirkte eine ungeheure Adrenalinausschüttung der Nebenniere. Heute empfand er es als besonders schlimm, so dass er die letzten Meter fast rannte. Mit schwindelndem Kopf und pochenden Schläfen erreichte er um sieben Uhr fünfunddreißig sein rettendes Büro.
Für den Vormittag war lediglich ein Beratungsgespräch angesetzt. Es gehörte zu den Dingen, die er mittlerweile als notwendiges Übel ‚auf dem Weg zum göttlichen Schaffen’ zu nehmen wusste, jedoch alles andere als gerne tat. Ein solches Gespräch degradierte ihn herab, machte ihn zu einem Klinkenputzer, zu einem charmant lächelndem Schleimer, der jeglicher Würde enthoben alles tut, um seine Ware los zu werden. Er wurde zu einem Verkäufer. Hat er dafür studiert? Sollte es wirklich seine Aufgabe sein, rettungslos verbauten Hausfrauen und dümmlichen Modellen ins Ohr zu säuseln: „Nein Frau Meier, ich glaube dieser Busen ist nichts für Sie. Schauen Sie doch mal hier, dieser steht Ihnen wesentlich besser.“
Er rückte seine Tastatur und das 250 ml Silikonkissen zurecht, welches er als Ellebogenschoner verwendete, seit es bei einer Operation ausgepackt, dann jedoch nicht implantiert wurde. Grund war die Wette mit seinem Chef, der diese Größe für angebracht hielt –die Patientin im übrigen auch-, er jedoch war überzeugt, es würde auch ein größeres passen. Früher oder später würden diese, zu recht unzufriedenen, Kreaturen doch wieder kommen, mit dem Wunsch nach einem noch größerem Busen. Also wieso es nicht gleich erledigen, um sich in den nächsten OPs um den Rest des Körpers kümmern zu können.
„Notwendiges Übel...“, ermahnte er sich selbst, als der acht Uhr dreißig Termin um acht Uhr achtunddreißig an seine Tür klopfte. Er musste den Satz noch einmal wiederholen, als für ihn sichtbar wurde, was genau da geklopft hat. Im Kopf zählte er in rasender Geschwindigkeit durch, wie viele Operationen nötig seien, um daraus einen Menschen zu machen. Er war gerade bei den Reiterhosen angelangt, bis ein leises Räuspern ihn, seines Erachtens nach recht unhöflich, unterbrach.
„Ähm, entschuldigen Sie Frau Thiemann, ich war gerade... (dabei Ihre Beine zu amputieren, um die Welt vom Anblick solcher Abartigkeiten zu befreien)...mit meinen Gedanken woanders. Setzen Sie sich doch, bitte. Sie sind...“, dabei warf er einen kurzen Blick in seine Unterlagen, „...(tatsächlich nur)... wegen ihres Busens hier?“
Die voluminöse, hochgewachsene Erscheinung setzte sich in den ihm gegenüberliegenden Stuhl, legte, unter Zuhilfenahme der linken Hand, das rechte über das linke Bein und wischte im Anschluss daran mit beiden schwitzigen Händen über den Stoff ihrer braunen Leggins.
„Dann erzählen Sie doch mal Frau Thiemann, was stellen Sie sich denn vor?“ Dr. Bernhard blickte abermals in seine Unterlagen, wollte auch vermieden je wieder aufzusehen, so lange dieses Stück Fett seinen Bürostuhl in Beschlag nahm. Aber es ließ sich nicht vermeiden. Früher oder später müsste er sie ansehen, wäre gar gezwungen sie berühren, ihre nackten hängenden Fettgeschwülste zu berühren. Sein ganzer Körper begann zu jucken, eine Schar von Ameisen schien über seine Haut zu rasen. Unbeholfen zog er die Schultern nach oben, ließ sie in alle Richtungen kreisen und presste sich in seinen Sessel, so dass die Reibung der Kleidung etwas Abhilfe verschaffte.
Irgendwie würde er es schaffen, er müsste einfach durch sie hindurchsehen. Wenn er sich nur ausreichend konzentrierte, sollte es schon gelingen.
Fast flüsternd begann sie: “Herr Dr. Fassbinder, man hatte mir am Telefon gesacht, et wäre gut, wenn ich ’nen Bild mitbrächte. ’Nen Bild von dem Busen, den ich gerne hätte.“ Dr. Bernhard nickte ruhig, derweil begann sie den ausgeleierten Lederbeutel zu durchwühlen, bis sie schließlich wieder ihn ansah, als warte sie auf eine Aufforderung seinerseits, ihm das Mitgebrachte zu präsentieren. Dr. Bernhard dachte nicht daran sie zu ermutigen. Es war ihm genau genommen völlig egal, was dieses Subjekt sich wünschte. Aber das Unvermeidbare blieb auch dieses mal nicht aus und Frau Thiemann zog aus dem Beutel, was sie nunmehr schon seit einer Minute in Händen hielt. Dr. Bernhard hob widerwillig den Kopf und seine Stirn legte sich ungläubig in Falten, während sein Blick an das Videocover von „Tittenparade Teil 2“ gefesselt war.
„Haben Sie ’nen Videorecorder?“, quiekte das Subjekt nun schon deutlich mutiger. „Also ich hätte gerne den Busen von Boom-Boom-Susi. Dat iss die Nummer drei im Film.“
Dr. Bernhard schwieg. Er musste schweigen, denn die Kontrolle über sein Sprachzentrum, welche er zu verlieren glaubte, wäre in dem Moment, da das erste Wort seinen schmalen, fast bläulichen Lippen verlässt, ganz gewiss nie wieder herzustellen gewesen. Dann, genau sechs Sekunden später, dachte er, er sei so weit. Karpfengleich öffnete er den Mund, gerade wollte er ansetzen, der erste Vokal quetschte sich aus den Tiefen seines ausgemergelten Leibes bis zum hinteren Teil des Rachens vor. Seine Hals- und Kiefermuskulatur verspannte sich in froher Erwartung der Dinge, die da kommen mögen. Die ohnehin zu großen Augen drückten sich aus ihren Höhlen nach vorn, die Lippen zitterten - bereit die kleinste Regung der Stimmbänder sofort umzusetzen-, als er merkte, dass es nicht nur ein Wort war, sondern auch sein um acht Uhr dreißig verspeistes Brötchen, das die Freiheit suchte. Ein Gemisch aus Magensäure und Brocken festerer Konsistenz überflutete seine Mundhöhle. Blitzartig presste er die Lippen wieder so fest zusammen, dass sie völlig aus seinem Gesicht verschwanden. Dann legte er die rechte Hand auf die Stelle, an der sich vor Sekunden noch etwas ähnliches wie ein Mund befand. Sie wirkte ein wenig beruhigend und verschaffte ihm wieder etwas Zeit, trotz dessen rollten seine Augen wirr von links nach rechts und die Restfarbe seiner Haut ersetzte sich durch kalten Schweiß. Plötzlich klappten zwei Lider, von roten Äderchen durchzogen, über die herausquellenden Fischaugen nieder und ein lautes Schlucken durchbrach die Stille.
Diese Frau musste verschwinden, schnell aus seiner Reichweite verschwinden. Er wendete sich kurz ab und mit dem Handrücken entfernte er rasch den gelben Schleim von seinen Lippen, dann sank der rechte Arm zurück auf das 250 ml Silikon Kissen. Er war bemüht, zwang sich, seinen Blick von der Tischplatte zu lösen. Schon vorher setzte er an: „Also...Frau, Frau Thiemann, ich glaube ..ich halte es für besser“, und hob langsam den Kopf, um in dem Augenblick zu verstummen, da sein gesamter Körper erstarrte. Ihr Oberkörper war entkleidet, bis hinab zur Leggins, über deren Bund sich nun drei befreite, riesige Fettrollen ihren Platz erkämpften. Er wollte wegsehen, den Kopf abwenden und so tun, als hätte er nie etwas wahrgenommen, doch die Verbindung zwischen Hirn und Gliedmaßen war unterbrochen.
So sah er sie also an, jeglicher Motorik beraubt. Der bittere Geschmack von Erbrochenem mischte sich mit dem abstoßendem Anblick, der sich ihm nun bot. Der schlaff nach unten hängende Busen, dessen riesige Brustwarzen zwischen der oberen und mittleren Fettrolle zu verschwinden drohten. Achselhaare, schwarz und feucht glänzend, schlängelten sich widerwärtig ihm entgegen. Eine unendlich scheinende Zahl von Leberflecken sprenkelte die weiße, wabbelige Haut. Sie schienen sich fast zu bewegen, ja doch, sie bewegten sich, sie bewegten sich auf ihn zu. Eine Herrschaar von braunen Hautstücken kroch über seine Arbeitsplatte. Von weit her drang die Stimme der fetten Kreatur in seinen Kopf, fraß sich durch die tiefsten Winkel seiner Hirnes, bereit jede noch aktive Zelle in sich aufzusaugen. Sie hörte nicht auf zu reden. Immer und immer wieder schien sie etwas zu fragen. Der Schmerz in seinem Kopf wurde unerträglich, die Sätze überschlugen sich. Plötzlich zuckten ihre Brüste. Jetzt erst sah er die einzelnen Härrchen auf dem verwarzten Vorhof. Ihre Nippel richteten sich auf , beobachteten ihn, während der Busen selbst mehr und mehr an Volumen gewann. Sie hatten nun die Größe von Medizinbällen weit überschritten, die Haut darum spannte sich zusehends, er konnte nun schon hindurch blicken, konnte das Fett dahinter brodeln sehen. Sekündlich wuchsen die Fetttaschen weiter seinem Gesicht entgegen, nur noch wenige Zentimeter und der behaarte Nippel würde in seinen geöffneten Mund eindringen.
Es war Punkt neun, als Dr. Bernhard über den Schreibtisch sprang und genau sechsundneunzig mal mit dem Skalpell auf die Brüste von Frau Thiemann einstach.
Und die Moral von der Geschicht: Wilhelm Busch, den liest man nicht.
[Beitrag editiert von: Miss O'Gyn am 21.03.2002 um 13:39]