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Der Samstag ist eine verchromte Wundertüte

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13.11.2002
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Der Samstag ist eine verchromte Wundertüte

Der beste Tag der Woche heißt Samstag. An Samstagen scheint immer die Sonne. An anderen Tagen auch, zugegeben, aber nicht so wie samstags.
Böse Zungen mögen zischen, dass verdammt nicht jeden Samstag die Sonne scheint, aber da zucke ich nur wissend mit den Schultern – weiß ich doch, dass uns all diese im Prinzip tödlichen Strahlen auch durch Wolkendecken erreichen, die wie die benutzte Watte aus den Clerasilspots der Achtziger aussehen. Man wird nur schlechter braun, vor allem an einem Tag gegen 16.00 Uhr kurz vor Weihnachten in Erkenschwick, aber die Sonne ist da, denn ansonsten hätte gekaufter Blockspinat aus dem Lidl die Farbe der Steinquadern, die Ken Follett in DIE SÄULEN DER ERDE so schön beschreibt. Photosynthese, dann Kältetod. Spinat hat’s nicht leicht.
Wir auch nicht, aber samstags geht’s.

Das geht schon morgens los.
Samstags ist mein Casual Day, ein Bekleidungskonzept, dass ich einem alten Artikel der Wirtschaftswoche entnommen habe, dessen Verfasser ihn seinerseits aus einem John Grisham Roman geklaut haben dürfte: Der Standardamerikaner, Bürojob, trägt üblicherweise unter der Woche Anzüge mit zu hohem Bund und schwarze Schuhe mit Budapester Lochmuster zu nass gekämmtem Haar. Freitags hingegen ist Casual Friday, und das bedeutet nicht, dass der Mann dann im Aufzug der Chefsekretärin des Chairman of the Board »na, du alte Sau« zuraunen darf, sondern dass bekleidungstechnisch kultivierte Sportlichkeit gelebt werden kann und sogar muss.
An meinem Casual Saturday trage ich also die Sachen, die am Uncasual Friday noch sauber waren und fühl mich wohl dabei. Ich habe samstags frei und tue nur, was mir behagt. Ich frühstücke im Ruhrpark Bochum, und zwar bei Nordsee. Wie die Japaner. Die verzehren ebenfalls Fisch zur Morgenstunde- zwar weder bei Nordsee im Ruhrpark noch mit doppelt Kroketten, aber Fisch als Startmahlzeit kann so verkehrt nicht sein, und ich bin mir sicher, dass mir stets nur von der Pepsi schwindelig wird, und nicht von dem Kübel Remoulade.
Dann spaziere ich zu Buch Habel und bestelle inkognito Bücher von mir, weil dieses Traditionshaus zumeist keines vorrätig hat, da sie den gesamten Platz für Bücher benötigen, in denen Katzen mit Adelstiteln verworrene Kriminalfälle lösen.
Mein Plan liegt auf der Hand. Ich bestelle meine eigenen Sachen unter falschem Namen, hole die Bücher nie ab und sie wandern ins Regal. Und warten auf neue Käuferschichten.

Das ist mal fast schief gegangen.

»Guten Morgen. Haben Sie diesen Bestseller…« Ich schnippe mit den Fingern.
»Welchen meinen Sie?« fragt die Dame am Computer.
»Von dieser Lichtgestalt…ich komm nicht drauf.«
»Henning Mankell?«
»Gewiss nicht. Ein Deutscher. Auf eine herbe Art attraktiv, schwer zu beschreiben.«
»Ah«, lächelt sie, »Frank Schätzing. Der Schwarm?«
Wer ist dein Schwarm, denke ich, was ist dein Lieblingsbuch, deine Lieblingsplatte, deine beste Freundin…
»Nö. Der hat doch dieses sperrige Dingens geschrieben, über Wasser und so.«
»Wurde eine Millionen mal verkauft.«
»Den meine ich nicht. Ich weiß! Irgendwas mit trä. Fängt mit S an, meine ich. Hört, wenn ich mich recht erinnere, mit ter auf. «
»Später?« fragt sie.
»Sträter«, sage ich, »genau.«
Sie runzelt die Stirn. »Kenn ich so nicht.«
Lernst du gleich kennen, denke ich.
»Also der hat da einige von Kritikern und Lesern hochgelobte Bücher verfasst. Unfassbar guter Stoff. Komisch, dass Sie den nicht dahaben, irgendwie.«
»Ich kann mal im Computer schauen«, sagt sie mit einer Betonung, als zöge sie nicht eben in Betracht, der von herber Attraktivität gekrönte Unfassbargutstoffautor könne sich unter den ISBN-Nummern der richtigen Schriftsteller tummeln.
»Na gut«, sage ich gelangweilt.
Nach einigem Klackern auf der Tastatur findet sich mich.
»Ja hier. Wir hatten mal eins.«
Ich weiß, denke ich. Vom 2 Juli 2005 bis 26 Januar 2006. Dann hat es irgendwer aus versehen gekauft.
»Schön. Bestellen Sie es mir?«
»Eins?« fragt sie ohne aufzusehen.
»Achtzig«, gebe ich ruhig zurück.
Nun blickt sie auf, und etwas in ihrem Gesicht sagt mir, dass ich eine Idee zurück rudern sollte.
»Vier, meine ich. Ich hatte verstanden, Sie wollten meinen Ruhepuls wissen.«
»Vier?«
»Ja klar.«
»Ihr Name bitte?«
»Sinclair«, sage ich.
Sie sieht mich lange an.
»Nicht englisch geschrieben. Das wäre ja wohl der passende Name für eine Katze, die Kriminalfälle löst. Schreibt sich wie man’s spricht. Sinckleer. Mit Doppel-E. Horst.«
»Horst Sinkleer?«
In diesem Moment klatscht mir eine Hand auf die Schulter, und die tönende Stimme meines Arbeitskollegen Helmut erfüllt die Hallen.
»Sträter, alte Socke.«
»HA!«, belle ich. »Bestell ich gerade, diesen Strä-ter. So was. Mensch. Nenn mich Ismael. Wie läufts? Alle Fußnägel noch dran?«
»Torsten Sträter«, sagt er tadelnd. »Hast du gesoffen?«
»Herr Sinkleer?« fragt die Angestellte.
»Was?« fragt Helmut.
»Was hast du denn da für ein Buch?« überbrülle die sich unschön klärende Situation, und Helmut hält es hoch. Ah, denke ich, wieder so ein Zwitterprodukt. Eine Mischung aus den beiden Genres, mit denen man den Deutschen Momentan immer kommen kann: Fußball und Fantasy. Es heißt: Der zwölfte Mann ist der Ball, der zehnte ist ein Elf.
»Haben Sie Kundentoiletten?« gehe ich die Dame an.
»Nein«, sagt sie.
»Mensch, da husch ich doch rasch nach Karstadt und werd da mal ordentlich einen…«
»Ja ja«, kommt es unisono aus den Kehlen von Dame und Kollege ... und ich verschwinde.
An jedem anderen Wochentag wäre das in die Hose gegangen.

Im Ruhrpark ist auch das UCI.
Das Kino meiner Wahl.
Der Zugang zu den Kinos erfolgt über zwei von Kartenabreissern kontrollierte Gänge. Der Linke führt zu den Kinos 1-12, der recht zu den Sälen 13 bis 25. Hat man das Personal einmal passiert, kann man sich, wenn man von Saal zu Saal spaziert, praktisch jeden Film ansehen, wenn auch nicht vollständig. Es ist hirnrissig, begeistert mich aber.
An einem Samstag im Sommer habe ich zwischen 15 und 17.00 Häppchenweise Fluch der Karibik, King Kong, Batman Begins und weite Strecken einer älteren Komödie gesehen, in der ein dumm aussehender junger Mann sein Gemächt in einen Apfelkuchen rammt, was mir, der ich mit der Lebensmittelpornoästhetik von Neuneinhalb Wochen groß geworden bin, zu unsubtil erschien.
Immerhin: Zwei Stunden voller schwuler Piraten, Riesengorillas, Psychos in Gummi und penetriertem Gebäck, und das für den Preis einer einzigen Eintrittskarte.
Eines Tages wird allerdings irgendwer den Käsesoßenspuren folgen, die von Kino zu Kino führen du mir das Handwerk legen. Aber das wird kein Samstag sein. Wenn man sich an die Regeln hält, kann man ein Großraumkino wie seine eigene Wohnung nutzen.
Geht aber nicht, um ein Beispiel zu nennen, mit der Lichtburg in Datteln. Dieses Kino ist tot, leider, hat es aber noch nicht gemerkt.
Es wird nur ein Film gezeigt, und so muss der Kartenverkäufer und Filmvorführer in Personalunion darauf verzichten, sich das Gezänk von Pärchen anzuhören, weil der männliche Besucher sich weigert, in der KÖNIG DER LÖWEN zu gehen, weil Steven Seagal nicht mitspielt, auch wenn der Titel eigentlich danach klingt.
Abzuraten ist in der Lichtburg übrigens davon, den Filmvorführer auf einen Projektionsfehler hinzuweisen. Das habe ich einmal gemacht, als bei der Ausstrahlung von Jurassic Park ein winziger Flusen an der Linse klebte, welcher durch eben jene Projektion als flirrender Balken manifestierte, der von der Größe her auch Steven Seagal hätte sein können - zumal er sich auch wie Steven Seagal benahm und nichts zur Handlung beitrug außer zu zucken und im Weg zu sein.
»Den kann ich jetzt nicht weg machen«, knurrte der rauchende Vorführer.
»Aha«, sagte ich.
»Noch was?«
»Ja. Entfernen Sie den Flusen.«
»Ich entferne dich gleich, du Suppenkasper.«
Ich nahm wieder Platz, notierte mir geistig die Lichtburg als erste Adresse, wenn man auf den ruppigen Charme eines Gefängniskinos abfuhr und dachte unentwegt FLUSEN! FLUSEN!, während sich woanders auf der Leinwand Saurier balgten. Das war aber an einem Dienstag.

Die Supermarktkette REAL hat samstags bis 22.00 geöffnet. Hat sie freitags und donnerstags auch, aber nur samstags gegen 21.00 kann man eines Barrilla-Nudel-Etikettierers ansichtig werden, der wie eine fleischgewordene Nahtoderfahrung im Kittel aussieht, weil das seine dritte Schicht im Neonlicht ist. Dort beschließe ich gern meinen Sonnabend, diese verchromte Wundertüte von einem Tag.
Um diese Uhrzeit lässt sich auch am besten die Qualität von Fleisch monieren:
Ich trete dann zur Frischfleischtheke und nehme solange das Rinderhack unter die Lupe, bis es von selbst grau wird.
Da nur sehr wenige Kunden anwesend sind, kann man sich auch ohne Weiteres erlauben, mit dem Fleisch zu sprechen. Der Frau hinter der Theke ist das egal, und das wäre es mir auch, wenn ich wie sie gerne den Samstags- FILM-FILM, der gut und gerne auch einfach nur Film heißen dürfte, sehen will, stattdessen aber nur Kontakt zu roher Leber habe.
»Es tut mir leid«, murmele ich, den Blick ins Innere der Fleischtheke geheftet. »Es tut mir leid, Kitty.«
Diesem Satz folgt zumeist die direkte Ansprache der Verkäuferin.
»Das da«, sage ich dann, »war Kitty. Sie war meine Kuh. Ich bin mit ihr groß geworden. Ich habe sie geliebt. Morgens, wenn ich mit bloßen Füßen über die taunasse Wiese lief, hörte ich sie schon muhen. Kitty, meine Kitty.«
Ich schluchze kurz, habe mich ansonsten aber bemerkenswert im Griff.
Die Verkäuferin hebt die Hand, aber ich würge sie harsch ab.
»Ja. IHNEN bedeut sie nichts! Ist schon klar! Sie waren nicht dabei, als ich Nivea auf ihre entzündeten Zitzen auftrug. Sie waren woanders, tanzen vermutlich, zu Peter Kraus oder irgendeinem anderen Kretin, der nicht weiß wann Schluss ist. Sie haben schweigend hingenommen, dass Kitty der Garaus gemacht wurde, vermutlich von einem stumpfen Schlächter, mit dem Sie sich zu trostlosen Schäferstündchen in der Kühlkammer treffen, wenn Sie mal wieder das erbärmliche Muhen in Ihrem Schädel nicht ertragen.Sie haben es nicht gesehen - das Glück in ihren Augen, wenn sie mich erkannte. Liebe. Richtige Liebe, nicht nur ein Instinkt. Da war mehr. «

»Das ist Schwein«, sagt die Verkäuferin, und mir wird klar, dass man auch ab und zu daneben liegt.
Aber samstags macht mir das nichts aus.

 

Hallo, von herber Attraktivität gekrönter Unfassbargutstoffautor,

nach dem Sonntag eine Geschichte über den Samstag - heißt das, ich darf darauf hoffen, dass du uns auch noch mit Montag, Dienstag, Mittwoch und so weiter beglückst?
Die Übergänge zwischen den einzelnen Gedankengängen kommen mir diesmal ein bisschen angestrengt vor - aber ich habe natürlich trotzdem gelacht. Sehr sogar. Wahrscheinlich fange ich heute noch mal irgendwann unvermittelt an zu lachen, wenn ich an das Wort "Flusen" denken muss und werde von meinen Mittmenschen dafür komisch angesehen. Aber weil schon fast Samstag ist, macht mir das nichts aus :)

Grüße von Perdita

 

Hallo Jack,
erst dachte ich ja auch: ach Gott, macht er jetzt vom Erfolg befluegelt eine Wochentags- Serie daraus? Aber nachdem ich deinen Text gelesen habe, kann ich es eigentlich nur hoffen! Lange nicht mehr so gelacht! Deine Texte sind wirklich mit das Witzigste, was ich bislang hier so unter "Humor" gelesen habe.
Lass mich raten - von Max Goldt inspiriert? Jedenfalls kannst du ihm durchaus das Wasser reichen. Die "casual Friday" Ueberlegungen fand ich ein bisschen platt, aber die Szene im Buchladen hat alles wieder rausgerissen, dicht gefolgt von dem kroenenden Schluss: das ist Schwein.

:rotfl:


Toll!
Gruss, sammamish

 

Okay, die Lobeshymnen bekommst du von anderen en masse, da muss ich mir nix Originelles mehr einfallen lassen und dass es mir gefällt, weißt du eh. .-)
Bleibt mir noch der sexy Posten der Fehlerfee:

ein Bekleidungskonzept, dass ich einem alten Artikel
-> das
aus einem John Grisham Roman
-> John-Grisham-Roman
dass der Mann dann im Aufzug der Chefsekretärin des Chairman of the Board
Kein Fehler, aber ich fänds geschmeidiger, das "im Aufzug" hinter "der Chefsekretärin des Chairman of the Board" zu setzen ... oder hat die Dame einen eigenen Aufzug? :susp:
aus versehen gekauft.
-> "Versehen"
zurück rudern
Zusammen.
Momentan
Klein.
Der Linke führt zu den Kinos 1-12, der recht
-> "linke" und "rechte"
die von Kino zu Kino führen du mir das Handwerk legen.
Du? Dubidubiduh ... soll wohl ein "und" hin.
Ich habe samstags frei und tue nur, was mir behagt.
HA!

Und einige Male fehlt das Komma hinter den abschließenden Anführungszeichen ... das findest aber alleine.

Ginny :-*

 

@stiffchaney & Jutta:
bitte nicht einfach nur ein-Wort-/ EIn-Satz-beiträge hinklatschen. Auch positive Kritik kann man in Worte fassen. :rolleyes:

 

Hallo JackTorrance,

eine schöne Geschichte hast du geschrieben.
Ich bin auch im Handel tätig, aber nicht im Buch- und auch nicht Lebensmittelhandel sondern bin eher für den casualFriday zuständig. Beim Lesen musste ich daran denken, wie es ist, wenn die Kunden kurz nach Feierabend an die bereits geschlossene Tür hämmern und irgendwelche unerfüllbare Wünsche vorbringen, dann sollte man ihnen immer den Rücken zuwenden und so tun, als wäre man blind, taub und dumm (was sie sowieso vom Personal annehmen!)- sie kaufen NIE! Um es mal mit deinen Worten zu sagen: es ist immer Schwein- nie Kuh!!
Nun sehe ich dem Feierabend an diesem verregnetem Samstag lustig erregt entgegen, hab mich gut amüsiert!
Schreib doch mal etwas über den Montag :lol:!

Ciao,
jurewa

 

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