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Der Pferdehändler
Ich hab’ dir Spargel mitgebracht.
Sie strahlt dabei, hat kleine Grübchen überall und Fältchen, die sie unsterblich machen. Ihr Lächeln ist für ihn und darauf ist er unheimlich stolz. Jetzt hält sie ihm die rot gefärbte Papiertüte unter die Nase.
Dein Spargel, sagt sie, nimm ihn. Er reicht für eine schöne Portion, die dich schon satt machen wird.
Er rückt seine Brille zurecht. Groß sind dahinter seine Augen. Er geht ins Wirtshaus essen. Wann hat er das letzte Mal selbst gekocht? Meine Kurzsichtigkeit treibt mich ins Grab, denkt er. Es ist noch richtig warm. Der Mai treibt schon dem Sommer zu. Er genießt ihre Nähe und auch die Musik, die er nicht einordnen kann. Weil er sich mit modischen Dingen nicht so sehr auskennt. Trotzdem gefällt ihm die Melodie. Vielleicht auch, weil er dabei jedes ihrer Worte verstehen kann. ,I feel real love for the land where I live in’ singt Robbie Williams.
Sie hat sich hübsch gemacht, spielt mit ihrem Armband. An der Innenseite ist ihr Name eingraviert, doch das weiß er nicht. Er hat sie immer anders genannt. Er hat ihr solche Namen gegeben, die ihm gerade eingefallen waren. Es war ihm damals egal. Sie hätte den Pferdehändler nicht heiraten dürfen. Sie wollte nicht. Sie musste. Ihr Vater hatte das Testament und die Hundepeitsche. Er traf sie trotz allem regelmäßig, weil er ahnte, dass sie ihn brauchte, weil sie zwischen all den Pferden vor ihrem Fenster im Unglück schwamm. Es war ihr und ihm auch egal, wo sie sich ihre Küsse gaben. Sie hatten damals nichts als das Brennen auf ihren Lippen.
Ich hab’ mir heute Mittag Spargel gemacht. Gedünstet hab’ ich ihn und Brösel hab’ ich darüber getan, sagt sie. Er hat mir gut geschmeckt. Es ist die Zeit dafür. Er ist gesund.
Ich hab’ dich ja noch gar nicht begrüßt, sagt er und krault das Fell ihres kleinen Hundes. Sie kramt Kekse aus der Handtasche. Da, sagt sie. Der Hund kaut krachend, speit etwas davon wieder aus. Ach, ach, sei nicht so, sagt sie, sei nicht so nervös, und wischt mit einer Papierserviette das Erbrochene vom Boden. Ein Spaniel knurrt unter dem Nachbartisch.
Ich kann dir ein gebackenes Putenschnitzel empfehlen, sagt sie.
Sie liebt ihn auf ihre Art. Über ihre Art hat sie nie gesprochen. Er ahnt ihre Art nur, oder spürt etwas, weil er sensibel genug ist. Sie beschönigt aber auch nichts. Sie war eine schöne Frau. Jetzt ist sie eine Göttin, denkt er.
Deine weißen Socken passen nicht, sagt sie. Nicht zu dir, sagt sie. Er lächelt zu ihren Worten, sucht selbst keine Entgegnung darauf. Er spürt, dass sie ihn liebt, obwohl er ihre Art nicht wirklich kennt, diese nur ahnt. Doch auch mit der Ahnung darüber begnügt er sich, hat sich begnügen müssen damit.
Sie schlägt die Speisekarte auf.
Was wirst du nehmen, fragt sie, obwohl sie merkt, dass seine noch geschlossen am Tisch liegt, er in ihren Augen sein Bad sucht und der Hunger für den Magen noch gar nicht angekommen zu sein scheint. Fast alle ihre Fältchen kenne ich, denkt er.
Die Tischplatte ist weiß. Gelbe Buschröschen stehen in der Vase. Der Spaniel vom Nachbartisch schnauft. Sie trägt ein dunkelgrünes Kleid. Ihre Beine sind schlank. Er weiß, was sie mit denen machen konnte. Sie ging mit dem Pferdehändler. Er verlor damit seine Liebe. Der Glaube daran blieb irgendwie. Und irgendwann viel später kam ihr Anruf.
Ich trinke heute Weißwein, sagt er. Ausnahmsweise, sagt er augenzwinkernd dazu.
Wenn sie sich an ihren Plätzen trafen, sagten sie ,unsere weißen Nächte’ dazu. Weil beide das Schwarz hassten und es in Wahrheit auch nicht ganz für voll nahmen. Umso schlimmer hatte das Schwarz danach um sich geschlagen und gezeigt, was das Weiß wert war.
Ich werde einen Roten bestellen, weiß sie gleich darauf. Und, denkt sie, so können wir voneinander kosten. Die Laternen sind an. Motten und Nachtfalter verbrennen sich die Flügel am heißen Glas. Sie weiß nicht, dass er morgen früh zur Magenspiegelung bestellt ist. Sie trägt violett farbenen Lippenstift, hat sich ihr Gesicht für ihn zurecht gemacht. Obwohl sie es aus seiner Sicht nicht hätte machen müssen. Wenn er ihre Augen aufblitzen sieht, dann möchte er augenblicklich alles zurückdrehen, alles von vorne beginnen. Die Gräser beginnen schon zu blühen. Sie niest hinter vorgehaltener Hand, entschuldigt sich dafür. Was er nicht mag, weil es da nichts zu entschuldigen gibt. Weil sie dafür nichts kann. Er bietet ihr sein Taschentuch. Daheim wird er in den Duft weinen, den sie darauf zurückgelassen hat.
Wieder deine Allergie, fragt er.
Sie isst gebackene Champignons und bestellt sich dazu einen Kartoffelsalat. Bitte die Marinade mit etwas Zucker, sagt sie. Sie hatten nächtelang über den Zucker im Salat diskutiert. Sie hatten sich gestritten deswegen und noch eine Flasche Chianti geöffnet, weil sie nicht gewusst hatten, wie denn dieses Thema zu beenden wäre. Sie liebte das Zuckerthema, weil sie meinte, ihm in dieser Richtung etwas weismachen zu können. Ihr Vater hatte Zeit seines Lebens in der Zuckerfabrik gearbeitet und die Familie litt somit nicht an Zuckermangel. Sie meinte, durch dieses Überangebot auch an überdurchschnittlichem Wissen darüber zu verfügen. Dann nannte er sie Zuckermäuschen.
Er sieht nicht gut aus, denkt sie.
Der Spaniel vom Nachbartisch leckt ihrem kleinen Hund die Schnauze.
Ich hätte den Pferdehändler gehen lassen sollen. Ich hätte der Hundepeitsche meines Vaters ein Ohr schenken sollen, denkt sie und sieht seine tiefen Falten, das Grau um seine Augen. Das Schwarz? Sie hört auf zu essen, schiebt den Teller weg, sucht seine Hand, die irgendwo zwischen dem leeren Aschenbecher und der Vase mit den gelben Buschröschen liegt.
Er ist tot, sagt sie. Sie liebt seinen Blick, der verloren irgendwo unterzugehen scheint.
Wir haben Zeit, sagt sie. Ein paar Jahre, endlich. Für unsere Fehler, über die wir lachen wollen.
Ja, sagt er. Lachen mit dir wäre wirklich schön.