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Der Pferdehändler

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02.11.2001
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Der Pferdehändler

Ich hab’ dir Spargel mitgebracht.
Sie strahlt dabei, hat kleine Grübchen überall und Fältchen, die sie unsterblich machen. Ihr Lächeln ist für ihn und darauf ist er unheimlich stolz. Jetzt hält sie ihm die rot gefärbte Papiertüte unter die Nase.
Dein Spargel, sagt sie, nimm ihn. Er reicht für eine schöne Portion, die dich schon satt machen wird.
Er rückt seine Brille zurecht. Groß sind dahinter seine Augen. Er geht ins Wirtshaus essen. Wann hat er das letzte Mal selbst gekocht? Meine Kurzsichtigkeit treibt mich ins Grab, denkt er. Es ist noch richtig warm. Der Mai treibt schon dem Sommer zu. Er genießt ihre Nähe und auch die Musik, die er nicht einordnen kann. Weil er sich mit modischen Dingen nicht so sehr auskennt. Trotzdem gefällt ihm die Melodie. Vielleicht auch, weil er dabei jedes ihrer Worte verstehen kann. ,I feel real love for the land where I live in’ singt Robbie Williams.
Sie hat sich hübsch gemacht, spielt mit ihrem Armband. An der Innenseite ist ihr Name eingraviert, doch das weiß er nicht. Er hat sie immer anders genannt. Er hat ihr solche Namen gegeben, die ihm gerade eingefallen waren. Es war ihm damals egal. Sie hätte den Pferdehändler nicht heiraten dürfen. Sie wollte nicht. Sie musste. Ihr Vater hatte das Testament und die Hundepeitsche. Er traf sie trotz allem regelmäßig, weil er ahnte, dass sie ihn brauchte, weil sie zwischen all den Pferden vor ihrem Fenster im Unglück schwamm. Es war ihr und ihm auch egal, wo sie sich ihre Küsse gaben. Sie hatten damals nichts als das Brennen auf ihren Lippen.

Ich hab’ mir heute Mittag Spargel gemacht. Gedünstet hab’ ich ihn und Brösel hab’ ich darüber getan, sagt sie. Er hat mir gut geschmeckt. Es ist die Zeit dafür. Er ist gesund.
Ich hab’ dich ja noch gar nicht begrüßt, sagt er und krault das Fell ihres kleinen Hundes. Sie kramt Kekse aus der Handtasche. Da, sagt sie. Der Hund kaut krachend, speit etwas davon wieder aus. Ach, ach, sei nicht so, sagt sie, sei nicht so nervös, und wischt mit einer Papierserviette das Erbrochene vom Boden. Ein Spaniel knurrt unter dem Nachbartisch.
Ich kann dir ein gebackenes Putenschnitzel empfehlen, sagt sie.
Sie liebt ihn auf ihre Art. Über ihre Art hat sie nie gesprochen. Er ahnt ihre Art nur, oder spürt etwas, weil er sensibel genug ist. Sie beschönigt aber auch nichts. Sie war eine schöne Frau. Jetzt ist sie eine Göttin, denkt er.
Deine weißen Socken passen nicht, sagt sie. Nicht zu dir, sagt sie. Er lächelt zu ihren Worten, sucht selbst keine Entgegnung darauf. Er spürt, dass sie ihn liebt, obwohl er ihre Art nicht wirklich kennt, diese nur ahnt. Doch auch mit der Ahnung darüber begnügt er sich, hat sich begnügen müssen damit.
Sie schlägt die Speisekarte auf.
Was wirst du nehmen, fragt sie, obwohl sie merkt, dass seine noch geschlossen am Tisch liegt, er in ihren Augen sein Bad sucht und der Hunger für den Magen noch gar nicht angekommen zu sein scheint. Fast alle ihre Fältchen kenne ich, denkt er.
Die Tischplatte ist weiß. Gelbe Buschröschen stehen in der Vase. Der Spaniel vom Nachbartisch schnauft. Sie trägt ein dunkelgrünes Kleid. Ihre Beine sind schlank. Er weiß, was sie mit denen machen konnte. Sie ging mit dem Pferdehändler. Er verlor damit seine Liebe. Der Glaube daran blieb irgendwie. Und irgendwann viel später kam ihr Anruf.

Ich trinke heute Weißwein, sagt er. Ausnahmsweise, sagt er augenzwinkernd dazu.
Wenn sie sich an ihren Plätzen trafen, sagten sie ,unsere weißen Nächte’ dazu. Weil beide das Schwarz hassten und es in Wahrheit auch nicht ganz für voll nahmen. Umso schlimmer hatte das Schwarz danach um sich geschlagen und gezeigt, was das Weiß wert war.
Ich werde einen Roten bestellen, weiß sie gleich darauf. Und, denkt sie, so können wir voneinander kosten. Die Laternen sind an. Motten und Nachtfalter verbrennen sich die Flügel am heißen Glas. Sie weiß nicht, dass er morgen früh zur Magenspiegelung bestellt ist. Sie trägt violett farbenen Lippenstift, hat sich ihr Gesicht für ihn zurecht gemacht. Obwohl sie es aus seiner Sicht nicht hätte machen müssen. Wenn er ihre Augen aufblitzen sieht, dann möchte er augenblicklich alles zurückdrehen, alles von vorne beginnen. Die Gräser beginnen schon zu blühen. Sie niest hinter vorgehaltener Hand, entschuldigt sich dafür. Was er nicht mag, weil es da nichts zu entschuldigen gibt. Weil sie dafür nichts kann. Er bietet ihr sein Taschentuch. Daheim wird er in den Duft weinen, den sie darauf zurückgelassen hat.
Wieder deine Allergie, fragt er.
Sie isst gebackene Champignons und bestellt sich dazu einen Kartoffelsalat. Bitte die Marinade mit etwas Zucker, sagt sie. Sie hatten nächtelang über den Zucker im Salat diskutiert. Sie hatten sich gestritten deswegen und noch eine Flasche Chianti geöffnet, weil sie nicht gewusst hatten, wie denn dieses Thema zu beenden wäre. Sie liebte das Zuckerthema, weil sie meinte, ihm in dieser Richtung etwas weismachen zu können. Ihr Vater hatte Zeit seines Lebens in der Zuckerfabrik gearbeitet und die Familie litt somit nicht an Zuckermangel. Sie meinte, durch dieses Überangebot auch an überdurchschnittlichem Wissen darüber zu verfügen. Dann nannte er sie Zuckermäuschen.

Er sieht nicht gut aus, denkt sie.
Der Spaniel vom Nachbartisch leckt ihrem kleinen Hund die Schnauze.
Ich hätte den Pferdehändler gehen lassen sollen. Ich hätte der Hundepeitsche meines Vaters ein Ohr schenken sollen, denkt sie und sieht seine tiefen Falten, das Grau um seine Augen. Das Schwarz? Sie hört auf zu essen, schiebt den Teller weg, sucht seine Hand, die irgendwo zwischen dem leeren Aschenbecher und der Vase mit den gelben Buschröschen liegt.
Er ist tot, sagt sie. Sie liebt seinen Blick, der verloren irgendwo unterzugehen scheint.
Wir haben Zeit, sagt sie. Ein paar Jahre, endlich. Für unsere Fehler, über die wir lachen wollen.
Ja, sagt er. Lachen mit dir wäre wirklich schön.

 

Hallo Aqua,
schöne Geschichte, die einen etwas traurig stimmt.
Jetzt , wo die beiden endlich nicht mehr heimlich zusammen sein müssen und ihre Zweisamkeit geniessen könnten, scheint er ja krank zu sein. (Magenspiegelung, wahrscheinlich Krebs,oder?)Man spürt fast in jedem Satz, wieviel die beiden noch füreinander empfinden.
Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen:
Ich habe mir heute mittags Spargel gemacht - heute mittag oder nur mittags.
Eine Frage, warum benutzt Du keine Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede? Hat das einen besonderen Grund?

Ein sehr gefühlvoller,melancholischer Text.
LG
Blanca

 

Hallo Blanca,

dankeschön für deine Kritik. Die Spargelzeit hat mich zu diesem Text gebracht, der Mai auch. Liebe im Mai, anders betrachtet. Das ,mittags' habe ich geändert, du hattest recht.
Ich empfinde Anführungszeichen in einem Text, der nur wenig direkte Rede beinhaltet, als störend. Deshalb versuche ich sie wegzulassen und die Wörter weiterfließen zu lassen. Der Faden bleibt aufrecht, wenn die Wortwahl dazu passt.

Liebe Grüße an dich - Aqua

 

hi aqua,

gelesen & traurig gestimmt!

intention erreicht!

bye

barde :D

 

Aber jetzt nicht mehr traurig sein, Barde.
Der Mai ist der Monat des Glücks und der Liebe und der Maikäfer und der Maibäume....

Danke fürs Lesen, für die Kritik.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hi Aqua!

Schön geschriebener Text. Ob die beiden noch etwas der verlorenen Zeit aufholen können? Ob das Testament das aufwiegen kann?
Bei den Anführungszeichen kann ich Dich voll verstehen - der Text gefällt mir ohne sehr gut, weil alles ineinanderfließt, alle Aspekte und Details, alle Beobachtungen und Gedanken.

hat mir sehr gut gefallen...

schöne Grüße
Anne

 

Hey,
klasse Geschichte wie ich finde. Ein gehöriges Stück an Traurigkeit bleibt schon als Kloß im Hals zurück, aber letztlich ist ja nicht gesagt, dass er so krank ist, dass er bald sterben muss oder?
Für mich spielt der Funken Hoffnung, der noch immer irgendwo ist die entscheidende Rolle in deiner Geschichte. Vielleicht sehe ich da was nicht richtig, aber dass sie sich immer wieder gesehen haben, trotz der Schwierigkeiten zeugt doch von Hoffnung. Und letztlich bedeutet eine Magenspiegelung alleine nicht den Tod. Wer weiß, was die Zukunft bringt...?

Außerdem geht es mir im Moment zu gut um die Geschichte alleine auf ihre traurigen Aspekte zu reduzieren.

Liebe Grüße
Roman

 

Hi Aqua,

wunderbar traurige Geschichte. Mir fehlen ehrlich gesagt gerade wirklich die Worte. Hast mich damit echt berührt. Aber nicht, daß es jetzt heißt; Spargelzeit - Trauerzeit... ;)

Griasle!
stephy

 

Hallo Mäuschen, Prodi, stephy,

ich freue mich sehr über eure Kritik und das euch der Text berührt. Danke.

Liebe Grüße - Aqua

 

Das Traurige in Deiner Geschichte baut auf der Unwissenheit des Lesers auf. Denn auch, wenn "Magenspiegelung" schlimm klingt, ist es trotzdem keine Krankheit, sondern nur eine moderne Untersuchungsmethode.
Sehe daher nichts Trauriges in Deiner Geschichte, nur eine öde Unterhaltung bei Tisch.

 

Hallo Susi,

danke für deine Kritik.
Auch über die habe ich mich sehr gefreut.
Ich hab' ja nicht behauptet, dass Magenspiegelung eine Krankheit ist. Warum sollen die Leser unwissend sein, Susi? Ich bitte dich, nicht beleidigend zu sein.
Auch öde Unterhaltungen haben ihr Plätzchen im Alltag.

Liebe Grüße, Gräfin - Aqua

 

Es ist doch keine Beleidigung, zu sagen, daß Magenspiegelung keine Krankheit ist und Deine Geschichte darauf aufbaut, daß sich jeder etwas Schlimmes denkt - was aber gar nicht gegeben sein muß.
Abgesehen davon wird sich wohl niemand, der drei Tage Diät halten muß (=Vorbereitung auf die Magenspiegelung), sich in ein Restaurant setzen, das wäre reinster Masochismus...

 

Mensch, Susi,

genau das ist es ja. Er hat NICHTS gegessen!
Wo also siehst du den Fehler im Text?

Liebe Grüße - Aqua

 

Lieber Aqualung!

Wie gut die Geschichte gelungen ist, kann ich nicht wirklich beurteilen, weil ich nicht weiß ob du überhaupt etwas, und wenn, dann was du rüberbringen wolltest. Denn ich glaub eher du hast nur eine Garnierung zum Spargel gesucht. ;)

Sollte es aber doch Traurigkeit sein, die du erwecken wolltest, hast du es den Kritiken nach, mehrheitlich hervorgebracht und damit wäre sie dir gelungen. Dem Gefühl von Traurigkeit kann ich mich aber nicht anschließen.

Ich empfand die Geschichte eher wie eine Feststellung von gemeinsamer Leere die du mit viel Essen auffüllst. Die Möglichkeiten sind längst verpasst und darüber hinaus scheint mir mehr als fraglich, ob sich das fehlende Ohr überhaupt gelohnt hätte. Tiefe und Intensität einer Beziehung scheinen mir nicht gegeben zu sein.

Ein bisserl ratlos alles in allem -
lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo Eulchen,

nachträgliche Feststellung gemeinsamer Leerjahre ist hier sicher beinhaltet. Aber kein gemeinsames Essen im herkömmlichen Sinne. Tiefe und Intensität dieser Beziehung waren nie gegeben - genau richtig erkannt.
Muss ja auch nicht immer sein, hmm....
Wie soll man also den Text noch hinbiegen, dass eine interpretierbare Analyse dabei herausschaut?
Es wäre auch mal ein Versuch, die Ratlosigkeit so stehen zu lassen. Sie ist als Reaktion nicht weniger wertvoll als Entsetzen, Zufriedenheit, Freude.....
Danke, dass du deine Interpretation gefunden hast.

Liebe Grüße - Aqua

 

genau das ist es ja. Er hat NICHTS gegessen!
Wo also siehst du den Fehler im Text?
Eben weil er gerade am dritten Tag der Diät vor der Magenspiegelung schon besonders großen Hunger hat (ich kenn das), wird er es sich nicht antun, sich ins Restaurant zu setzen, um allein schon vom Duft ein Krachen im Magen zu bekommen, wo er doch nichts essen darf. Den Punkt halte ich für absolut unlogisch. Außerdem darf er da Wein auch keinen mehr trinken, nur Wasser.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Susi,

er hat sich das Treffen im Gasthaus aber angetan, weil er die Frau sehen wollte. Den Wein hat er bestellt, um nicht unhöflich zu wirken. Vielleicht, um sie auf seinen Zustand nicht aufmerksam zu machen.
Wäre das eine für dich annehmbare Erklärung zum Text?
Ich dachte, diese Feinheiten wären beim Lesen erkennbar....
Wenn nicht, dann ist die Geschichte schlecht gemacht und ich werde einen Mod bitten, sie zu löschen.
Das Lesen solcher Ungereimtheiten soll niemanden belasten.

Liebe Grüße - Aqua

 

Servus Robert!

Diese Ratlosigkeit als genauso präzises, gleichberechtigtes Ergebnis einer Betrachtung stehen zu lassen - ehrlich, den Gedanken find ich Klasse! Manchmal ist man gedrängt eine Summe vorzufinden ohne an die Möglichkeit einer Unbekannten zu denken.

Lieben Gruß Eva

 

Schneeiges Eulchen,

die Ratlosigkeit als unbekannte Interpretationsmöglichkeit ist doch gar nicht so schlecht, wenn man genau überlegt.
Hab' dich doch noch überzeugen können. Schön.

Liebe Grüße - Aqua

 

Habe Tränen in den Augen, Aqua.
War so lange nicht hier und wollte nur mal schnell hineinsehen. Da steht es so klar von dir formuliert.
Die Zeit, die Fehler, die den Rückweg nicht mehr antreten können. Und die großen Gefühle, die wir suchen obwohl sie schon neben uns stehen.
Alles Liebe
*merlinwolf***********

 

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