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Der Maschinist

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18.05.2011
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Der Maschinist

Die Maschinen vibrieren nicht mehr und das ist das Schlimmste, was ihm passieren konnte.

Er starrt auf die Pfütze aus Motoröl auf dem geriffelten Bodenblech des Maschinenraumes. Wie hat es nur soweit kommen können? Die Pfütze steht vollkommen still jetzt. Noch vor ungefähr 15 Stunden hat sie sich noch bewegt, kleine Wellen sind schwerfällig von einem Ende zum anderen geschwappt. Das passierte, während er verzweifelt versucht hat, die letzte Maschine wieder in Gang zu bringen. Ohne Erfolg. Dann ist die Pfütze erstarrt, mit ihr die letzte Maschine und mit dieser Maschine auch seine letzte Hoffnung.

Seitdem hat ihn eine bleierne Müdigkeit in einen apathischen Zustand versetzt. Die Bewegungen des eigenen Körpers verändern sich mehr und mehr zu einem Bild vor seinen Augen. Der Verstand kann mit ihnen nichts mehr anfangen, die Bilder laufen ins Leere.

Nach 62 Stunden ohne auch nur eine Minute Schlaf, ist er am Ende seiner Kräfte. Ein leerer Blick fällt von der Pfütze auf die schmutzige Hose an seinen Beinen. Sie sind unfähig zu jeder Bewegung. Es kribbelt kurz in den Knien, bevor sie weich werden und er zusammensackt. Der Kopf schlägt dumpf gegen das Handrad eines Absperrschiebers. Noch während er fällt greift seine Hand wie von selbst gegen das Geländer, um sich selbst davor zu bewahren, über das Bodenblech in den Rumpf des Schiffes zu fallen. Er verspürt keinen Schmerz, nur die Wärme, die sich auf der Seite des Kopfes ausbreitet, mit der er aufgeschlagen ist. Flüssigkeit, beinahe wie das Öl für die Maschinen, denkt er. Und warm ist es, so wie das Öl für die Maschinen. Aber nur, wenn sie laufen und vibrieren. Jetzt ist alles kalt geworden, sich selbst eingeschlossen.
Er sackt auf eine Stufe der schmalen Treppe.

Sitzend richtet er seinen schlaffen Oberkörper wieder etwas auf, blickt um sich. Das schimmernde Licht des Vollmondes fällt durch die offenen Luken herein. Seine Augen zeigen ihm ein halbvertrautes, schemenhaftes Bild, Rohrleitungen, Schieber, Gehäuse, Schaltschränke. Aber seine Ohren und seine Beine, sagen ihm, dass dieses Bild nicht mehr richtig ist. Es ist zu dunkel hier, es herrscht absolute Stille und Ruhe im Maschinenraum.
So sollte es nicht sein. Das ist nicht richtig. Sie sollten vibrieren und lärmen, dann wäre es richtig.

Seine Erinnerung verblasst langsam an das, wie es begonnen hat, hier drinnen still zu werden. Er setzte eine Meldung ab, dass die Hauptmaschine ausgefallen war. Dann helles Licht im Schaltraum, gefolgt von einem Knall wie bei einer Explosion. Ein beißender Geruch nach verschmorter Kabelisolierung stieg ihm kurz darauf in die Nase. Im nächsten Moment war der gesamte Maschinenraum gefüllt mit weißem, stinkendem Qualm. Ein Kurzschluss im Schaltraum. Danach wurde es langsam dunkel hier drinnen, stockdunkel. Der weiße Qualm wurde mit der Dunkelheit, die sich im Raum ausbreitete, mehr und mehr unsichtbar, der Gestank nach verbranntem Gummi und geschmolzener Isolierung jedoch blieb.
Eine Ewigkeit stolperte er herum, schnappte nach Luft, brennender Gestank in seinen Lungen, ein Würgen in seinem Magen, er verkrampfte sich. Das Erbrochene kam seinen Hals wie Schwefelsäure wieder hoch. Ein stinkender Schwall von Wodka und Pulverkaffee auf der Haut seiner Hand. Abwischen mit dem Ärmel der anderen Hand, befahl er sich selbst, um sich nicht ein zweites Mal übergeben zu müssen.

Die Eingangsluken wurden aufgerissen, durch die das schimmernde Licht des Nachthimmels herein fiel. Zusammen mit dem faden Licht wanden sich ein paar Matrosen die enge Treppe herunter.
Was los ist, fragten sie. Warum kein Strom mehr da ist, wann der Strom denn nun endlich wieder kommt, fragten sie, diese Arschlöcher.
Dann kam der Kapitän mit zwei Taschenlampen, stellte dieselben dummen Fragen, dieses blöde Schwein.
Was sollte er selbst jetzt nur machen?
„Den Notdiesel starten natürlich, Du Schwachkopf“ schrie ihn der Kapitän an.
„Aber doch nicht so, Du Arschloch“.
Das gleißende Licht der zerspringenden Lampen brannte in seinen Augen. Für einen kurzen Moment sah er in das Gesicht des Kapitäns, der ein „NEIN“ zu schreien schien, während ein weiterer dumpfer und ohrenbetäubender Knall folgte, ein weiterer Kurzschluss im Schaltraum.
Er hatte alles falsch gemacht, das weiß er jetzt, aber nun ist es zu spät und die Maschinen sind kaputt. Den gesamten Maschinenraum innerhalb weniger Stunden zu zerstören, war so gut wie undenkbar, das wusste er. Und doch hatte er es irgendwie geschafft. In Wirklichkeit geschah es aber nicht plötzlich. Um die Maschinen am Laufen zu halten, hatte er die letzten Tage schon sehr viele der Sicherheitseinrichtungen abgeschaltet.
Wenn er es doch nur verstanden hätte dieses verfluchte, von unendlich vielen Speicherchips gesteuerte System. Sein Blick hebt sich und fällt auf den Schaltraum. Er ist immer noch durchzogen von Schwaden des weißen Qualms, das ist sogar im schimmernden Mondlicht noch zu erkennen.
Verdammte Scheiße, so eine verdammte Scheiße.

Das Schiff war nicht weit von einer Bucht entfernt und ist auf eine abgelegene Insel zugetrieben. Der Kapitän war oben in seinem Steuerhaus, versuchte gerade einen Notruf abzusenden. Er hatte das Funkgerät kurz wieder zum Laufen gebracht. Hinein geschrien hatte er, dieses dumme Schwein, dass die Maschinen ausgefallen sind und der Maschinist den kompletten Maschinenraum verschrottet hat. Er wollte die Antwort nicht mehr abwarten, es kam ohnehin keine, und stapfte wieder hinunter. Noch nie in seinem Leben hatte ihn etwas so sehr gedemütigt wie dieser Funkspruch.
Während er die Stufen hinab zum Maschinenraum kletterte, passierte es dann. Das Schiff lief auf ein Riff auf. Ein ohrenbetäubendes Quietschen und Kreischen von berstendem Metall dröhnte durch den Rumpf, so als ob der Schiffskörper schreien und sich vor Schmerz winden würde. Das Riff riss einen Teil des Rumpfes auf. Schwarzes, stinkendes Öl ergießt seitdem in die Bucht.
Die Hauptmaschine verschob sich dabei von ihrer Verankerung, vor seinen Augen. Es war, als hätte ihm selbst jemand sein Herz an eine andere Stelle gerückt, herausgerissen und an einem sinnlosen Platz wieder eingepflanzt.
Seitdem ist es still und das Schiff bewegt sich nicht mehr.
Und er sitzt hier auf der Treppe, Schuld daran, und nicht mehr dazu fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Wenn er nur doch etwas anderes gefunden hätte anzuheuern, verdammte Scheiße. Nur diese letzte Reise hätte er gebraucht, um sich mit dem Geld dann irgendwo eine Bleibe zu suchen und noch mal von vorne anzufangen. So wie alle Seeleute, alle wollen es, keiner macht es zum Schluss auch. Es ist wie eine alte Gewohnheit, die man einfach nicht ablegen kann. Genau wie bei den Huren, wenn sie verrunzelt werden und keiner sie mehr haben will.

Ein Bild flackert plötzlich vor seinen Augen auf. Die braunen und vor Angst erstarrten Augen eines schlitzäugigen Hurenmädchens sehen ihn wieder an. Er ist sich selbst danach zum ersten Mal wie ein Fremder gegenüber gestanden, nachdem er mit ihr fertig war. Irgendwann würde er eine so schlimm zurichten, dass er das Ding danach umbringen musste, dacht er damals. Es kam schleichend und mit jedem Mal sah das Mädchen danach schlimmer aus.
Bis er dann endlich damit aufhören konnte.
Seitdem schlug ihn der Alkohol. Er schlug ihn jeden verdammten Tag und lockte ihn gleichzeitig unwiderstehlich an. So wie einen der Duft nach einem warmen Essen anlockt, wenn man nach einer elend langen Reise und vor Kälte zitternd die Eingangstür seines eigenen Hauses öffnet, voller Erwartung und nur um dann zu bemerken, dass ein Anderer eingezogen ist.
Diese dreckige Hure.
Immer wieder und jeden Tag aufs Neue fiel er wieder darauf herein, verdammte Scheiße.

Jetzt sitzt er hier und starrt auf diese verdammte Pfütze aus Motoröl. Sie werden kommen, bald, und sie werden Fragen stellen, die er nicht beantworten will. Sie werden ihn langsam zermalmen, ihn Stück für Stück zerpflücken und zerteilen, um dann die einzelnen Teile in beschissenen Gutachten festzuhalten. Jemand wird den Wodka bemerken, ihn zuerst mit einer aufgesetzt freundlichen Art fragen, ob er öfter mal etwas trinkt. Sie werden es herausbekommen, dass dieses Zeug sein Leben in einem eisernen unentrinnbaren Griff genommen hat. Irgendwann werden sie auch darüber stolpern, dass seine Seemannspapiere gefälscht sind. Wie hätte er sonst denn noch irgendwo anheuern können? Dieses Schwein von einem Kapitän damals hatte ihn verraten, obwohl eigentlich nicht sehr viel kaputt gegangen war. Alles nur weil er damals etwas zu viel getrunken hatte.
Untersuchungen folgten und dann der Entzug seiner Seemannspatente. Ein Seemann ohne seine Patente. Sie hätten ihm damals auch genauso gut seine Hände amputieren und zur Aufbewahrung in einen Kühlschrank legen können.
Er wird für das, was hier passiert ist, aus einer grauen vergitterten Zelle nicht mehr herauskommen.

Seine Hand gleitet in die Tasche des Overalls und zieht ein Klappmesser hervor. Nicht nachdenken, aufklappen. Seine Hand macht es wie von selbst.
Zwei Schnitte und warmes Blut fließt über seine beiden Handgelenke. Einen Augenblick später rammt sich die Klinge in seinen Hals, dreht sich und durchschneidet etwas Zähes.
Wie etwas trinken fühlt es sich an, etwas Warmes trinken.
Die Sekunden vergehen wie qualvolle Stunden.
Kein Schmerz, seltsam, nicht die Spur davon.
Nur die Kälte der Nacht schleicht sich langsam in seinen Körper, er fängt an zu zittern.
Sein Atem wird kürzer, er schnappt nach Luft.
Ertrinken, so fühlt es sich an, Ertrinken und Erfrieren gleichzeitig.
Er starrt immer noch auf die Pfütze, sie beginnt vor seinen Augen zu verschwimmen. Irgendjemand wird sie später wegwischen. Es wird sie danach nicht mehr geben. So wie sein Leben, einfach weg.

Das Bild vor seinen Augen beginnt zu verschwimmen, es dreht sich.
Ein letzter Gedanke schießt durch seinen Kopf:
„Gott, wenn es Dich gibt, bitte lass mein Leben nicht noch mal an mir vorbei ziehen, ich will es nicht noch einmal sehen, bitte nicht …“.

 
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Hallo Klaus,

Noch vor ungefähr 15 Stunden hat sie sich noch bewegt, kleine Wellen sind von einem Ende zum anderen geschwappt. Sie bewegte sich schwerf

Es war, als er verzweifelt versucht hat, die letzte Maschine wieder in Gang zu bringen.

„Es war“ klingt irgendwie, als käme als nächstes „einmal“. Das alles passierte, während er verzweifelt versuchte ...

verändern sich mehr und mehr zu einem bloßen Bild vor seiner Augen

seinen. Das Gegenteil wäre ja ein angezogenes Bild. Wo ist da der Unterschied?


Seine Erinnerung verblasst langsam an das, wie es angefangen hat, wie es begonnen hat, hier drinnen ruhig und still zu werden.

Seine Erinnerung an den Anfang der Stille verblasst langsam.

aber dass sie nach 15 Minuten schon leer waren, mit dem hat selbst er nicht gerechnet.

damit statt „mit dem“

Das Erbrochene kam seinen Hals wie Säure wieder hoch.

Erbrochenes ist Säure, zumindest stark säurehaltig.



in Horsts Augen. Er sah in die weit aufgerissenen Augen des Kapitäns

der ein stummes „NEEEIIIIN!!!“ zu schreien schien,

Einfach „Nein“. Nicht so comicmäßig.


gefolgt einem weiteren Blitzen im Schaltraum.

von


Dann während er die Stufen hinab zum Maschinenraum kletterte,

Dann, … Kommas fehlen viele, würde mir die Regeln noch einmal anschauen.


Herz an eine andere Stelle gerückt, herausgerissen und an einem sinnlosen Platz wieder zurückgestellt

Schiefes Bild, Herz rausreißen okay, aber wieder zurückstellen? Vielleicht eher einpflanzen ...


dass ein Anderer an seinem eigenen Tisch sitzt

Solange der Andere an seinem Tisch sitzt, ist doch alles in Ordnung?


Die ganze Geschichte über habe ich gedacht, hey, für ein (kg.de-)Debüt mal ein überraschend unverbrauchtes Setting, auch den Plot fand ich nicht schlecht. Ich musste wirklich lachen, als du deinen Prot dann auf den letzten paar Metern doch noch per Selbstmord den Heldentod sterben lässt.

Zu viele Rückblenden verlangsamen das Erzähltempo, das merkt man bei dieser Geschichte ganz deutlich. Der Prot sitzt im Maschinenraum, hat Mist gebaut, und er weiß, sie werden runterkommen und sagen, es sei alles seine Schuld. Womit sie womöglich noch nicht einmal Unrecht haben. Das reicht für vier, fünf spannende Seiten, die ich an deiner Stelle auch schnörkellos so durchziehen würde. Dieses endlose Sinnieren über Hongkong, Nutten, Alkohol, mnnaahh – zumindest wesentlich kürzer würde ich es fassen, oder etwas subtiler. Das Öl spritzt auf die Tätowierung, die er sich in HK hat machen lassen, sein Schritt juckt, seit er dagewesen ist, irgendwas.


Überhaupt: Willkommen.

JC

 

Hallo JC,

danke für Deine Kritik und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast.
Ich habe versucht, Deine Anmerkungen einzuarbeiten und die ganze Geschichte auch etwas zu verkürzen.
Vielleicht wirfst Du noch mal einen Blick darauf ...

Ach ja, und danke auch für das Willkommen auf kg.de, freut mich sehr.

Gruss
Klaus

 

Hallo Klaus,

willkommen hier!
Eine interessante Geschichte, deren Schwerpunkte ich allerdings falsch gesetzt finde. Ein großer Teil des Textes bezieht sich auf die frischen Probleme im Maschinenraum, dabei ist das eigentlich Spannende doch dieser Mensch selbst, mit seiner offenbar üblen Vergangenheit und seinen Süchten.

Apropos: Kein Säufer spricht oder denkt an 'Alkohol', das ist Sozialtherapeutendeutsch. Ein echter Seemann wird sich für Gin, Whisky oder Rum erwärmen.

Insgesamt wird es mit dem Possessiven arg übertrieben, der Leser weiß auch so, von wessen Körper, Augen, Verstand, Kräften, Blick, Knien hier die Rede ist:

'Die Bewegungen seines eigenen Körpers verändern sich mehr und mehr zu einem Bild vor seiner Augen. Sein Verstand kann mit ihnen nichts mehr anfangen, die Bilder laufen ins Leere in seinem Kopf. Nach 62 Stunden ohne auch nur eine Minute Schlaf, ist er am Ende mit seinen Kräften und am Ende mit sich selbst. Sein leerer Blick fällt von der Pfütze auf die schmutzige Hose an seinen Beinen. Sie sind unfähig zu jeder Bewegung. Es kribbelt kurz in seinen Knien, bevor sie weich werden und er in sich zusammensackt. Sein Kopf schlägt ...'

Das Folgende ist unwahrscheinlich, weil der Riechsinn, wie sämtliche Sinnesorgane, der Reizgewöhnung unterliegt. Nach ein paar Minuten wird der Gestank nicht mehr wahrzunehmen sein:

' ... der Gestank nach verbranntem Gummi und geschmolzener Isolierung jedoch blieb ...'

Redundanz:

'Das Riff riss einen Teil des Rumpfes auf. Schwarzes, stinkendes Öl fließt seitdem in die Bucht aus dem Schiffsrumpf.' - Ja, in der Tat, wohl kaum aus der Kombüse und auch nicht aus dem Schornstein. ;-)

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo Gox,

vielen Dank für Deine Anmerkungen und Deine Kritik. Ist mir noch gar nicht so aufgefallen mit dem Possessiven.
Das mit der Vergangenheit habe ich versucht, in der ersten Version mehr einzubringen, aber ich denke der Proof hatte recht, dass ich es damit etwas übertrieben habe.

Danke auch für Dein Willkommen hier

Gruss
Klaus

 

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