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Der Mann, der sehen kann!
Eine Reise, ich trete sie an, für viele Jahre, so hoffe ich. Fremde Länder, ich will sie erleben, möchte irgendwo bleiben, … vielleicht, wenn ich darf? Fernab von Wohlstand, Norm und Ordnung. Bürgerkälte, sie treibt mich fort. Das Schicksal entscheidet, … wir werden sehen! Hinaus auf die Meere, meine letzte Hoffnung. Die Einfahrt zum Glück, die suche ich. Das Stück Freiheit, das nehme ich mir, sprenge die Ketten, verlasse die Lieben. Die Lieben? Ein Containerschiff, es nimmt mich mit, in fremde Welten. Noch trägt es das Wasser der Elbe, bald verschwindet es in den Weiten der Ozeane.
An der Reeling, ein letzter Blick. Zum letzten Mal schaue ich auf das Nordufer der Nordelbe, St. Pauli Landungsbrücken, die Speicher am Hafen der Hansestadt, die Barkassen. Sie bringen die Ausflügler in die Restaurants auf den Brücken. Massen, die durch den Alltag hetzen, kaum Zeit zum Atmen. Hektik des Alltags!
Menschen an der Kaimauer! Objektive Betrachter, sie beobachten die Schiffe, die Ladekräne, bestaunen die gewaltigen Dockanlangen und … diskutieren!
Abseits, ein Mann alleine! Er trägt eine dunkle Regenjacke, sie schützt ihn vor dem leichten Sprühregen. Er atmet durch, genießt die frische Brise, die die See bringt. Er verharrt am Ufer. Seinen Blick lässt er über das Elbgewässer wandern, er bleibt am Wellenschlag haften. Seine Augen wollen das Wasser durchdringen, suchen den Grund und finden ihn. Das Wasser klatscht an die Hafenmauer, … die Nässe! Es stört ihn nicht, gar nicht, … nein, er schmeckt das Salz an seinen Lippen und lächelt.
Dieser Mann, kein Mann, der mit den anderen singt.
Ich beobachte ihn. Er sieht sehr viel, sieht, was auch ich sehe.
Er hat das Auge, das Auge für die Dinge des Lebens, die sich so nie wiederholen. Richtig hinschauen, er hat es gelernt! Er legt seinen Kopf in den Nacken und entdeckt die Möwe.
Die Möwe, getragen vom Nordwind. Sie steht still in der Luft und saust hinab, … ganz plötzlich, hinab in die Netze eines Fischkutters, der die Fahrrinne meines Schiffes kreuzt. Die Einmaligkeit im Schauspiel der Natur, er sieht sie.
Einige Meter von ihm entfernt. Eine Frau, kurz das Haar, braun mit rötlichem Stich. Sie will zu ihm, zu dem Mann, der sehen kann. Sie nähert sich, ihre Schritte werden langsamer. Sie hat ihn gesucht, ganz sicher
Ich würde den Kapitän gern bitten, die Fahrt zu drosseln. Zwecklos, er wird es nicht tun!
„Herr Kapitän! Mach´ nicht soviel Fahrt! Schau´ doch, dort drüben. Mann und Frau, anders, als die anderen, siehst du sie?“
„Ich sehe nichts, was meinst du?“
Zwei Menschen, sie gehören zusammen, sie wissen es. Ich weiß es!
Ihre Hände berühren seine Wangen. Sie sprechen miteinander, sie flüstern, ganz leise. Bin mir sicher, ganz sicher, es kann nur so sein! Diesen Eindruck, den letzten aus der alten Welt, den nehme ich mit. Das arg Vermisste, ich erlebe es, am letzten Tag! Gibt es sie doch, diese Liebe! Ich winke ihnen zu, sie sehen mich nicht, … oder?