Der letzte Flug der Ponape
Marcus Chestera, Astrogator und Kopilot der PONAPE lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Wir sind am Orientierungspunkt Sonne Kiwu, Commander", verkündete der Terra-Geborene. „Du musst Dich jetzt entscheiden, ob wir den nächsten Orientierungspunkt anfliegen oder nicht."
Commander Michelangelos Canvas, Hauptgesellschafter der PONAPE-INTERSTAR-TRANSPORT-CORPORATION, kratzte sich am Hinterkopf. „Das wäre der Pulsar Nemfil, nicht wahr. Und nahe bei Nemfil liegt Carmen. Das ist eine besiedelte Welt des Imperiums mit sprichwörtlich pedantischer Verwaltung. Wenn wir da auftauchen, könnten wir bald Patrouillenschiffe am Hals haben. Ich möchte nicht, dass unser gutes altes Mädchen noch stillgelegt wird, nur weil sie angeblich nicht mehr voll raumtauglich sein soll. Und ich will auch nicht, dass irgendwelche aufgeblasenen planetaren Beamte im Frachtraum herumschnüffeln."
Die Befürchtungen von Michelangelos Canvas hatten durchaus einen realen Hintergrund. Nicht nur, dass die Auftraggeber des aktuellsten Transport mehr als offensichtlich gefälschte Frachtpapiere übergeben hatten (Canvas hatte angesichts eines beträchtliches Vorschusses davon nichts bemerkt) Die PONAPE war zudem alt, eigentlich schon zu alt. Und Geld für die dringend notwendige Instandsetzung von Grund auf – nach Chestera müsste die PONAPE eigentlich völlig neugebaut werden - gab es nicht. Canvas und seine Crew trieben sich deshalb nur zwischen den Randwelten des besiedelten Teil der Galaxis herum, dort, wo die Behörden es mit den Vorschriften des Imperiums nicht allzu genau nahmen. Sie fristeten mit kleineren Transportaufträgen ihr Dasein so gut es ging.
„Nein!" Canvas hatte sich entschieden. „Wenn wir aufgegriffen werden, sitzen wir ohne Schiff und Zaster auf Carmen fest."
„Ich sagte es ja. Mit diesem Schiff �überhaupt noch einmal zu starten, war glatter Selbstmord", mischte sich Shiren, die blonde Maschinistin , ein. „Der Kasten kann jeden Moment auseinanderbrechen."
„Wenn wir unsere Fracht abgeliefert haben, können wir uns eine nagelneue PONAPE II kaufen. Ich habe mir schon ein Schiff der Werft von Altira im Prospekt ausgesucht. Ein Klasseding, mit dem wir auch wieder die Transportlizenz für das Imperium bekommen. Wir müssen nur noch diese eine Fracht nach St. Paul bringen und kassieren. Dann sind wir saniert. Wie ohne unser altes Mädchen sollten wir jemals nach St. Paul kommen?", dozierte Canvas die allseits bekannten Tatsachen.
Chestera grinste. „Vor allem mit den Containern an Bord. Ich möchte nicht wissen, was darin ist. Wer soviel für den Transport zahlt und uns engagiert, ohne Zulassung, der muss etwas zu verbergen haben."
„Mir ist der Transport unheimlich“, sagte Shiren. „Ich frage ja nicht viel, aber irgendwie bin ich froh, wenn wir die Container los sind. Will gar nicht wissen, was drin ist."
Chestera begann den neuen Kurs einzugeben. "Also auf nach St. Paul ohne Umweg über Nemfil. Nehmen wir einen Stern im Mata-Sektor als Ersatz-Orientierungspunkt?"
Canvas nickte. "Okay. Der Mata-Sektor ist unerforschtes Gebiet, da gibt es keine Patrouillenschiffe. Wir können einige Sterne aus dem Mata-Gebiet von hier anpeilen. Such die einen schönen hellen Überriesen aus.“ Der Commander drehte sich mit seinem Sitz halb zur anderen Seite und schaute die Maschinistin an. „Shiren, Maschinen für Hyperspace vorbereiten."
Die Remlingertriebwerke liefen an. Der stählerne Zylinder der PONAPE verließ die normale Raumzeit. In einem Raum, den kein Mensch je erfassen kann, jagte das Raumschiff seinem fernen Ziel entgegen.
Der Navigationsrechner signalisierte eine Kursabweichung und begann zu piepsen. „Was ist los?" fragte Canvas.
„Ich weiß nicht", Chestera beugte sich �über seine Instrumente. „Wir kommen vom Kurs ab."
"Sehe ich selbst", knurrte Canvas. „Marc, verdammt, sag mir den Grund."
„Vielleicht arbeiten die Hypertriebwerke unregelmäßig."
„Meine Maschinen sind okay", fauchte Shiren. „Du hast Dich verrechnet. Das ist alles."
„He, seht mal." Canvas deutete auf den großen Zentralschirm, der ein Bild an der Außenhülle angebrachten Kameras übermittelte. Das grünliche Wabern des Hyperspace schien sich nun in kreisförmigen Wellen vom Mittelpunkt des Bildschirmes bis �über den Rand hinaus zu bewegen.
Shiren murmelte entgeistert: „Das habe ich noch nie gesehen!“
Canvas kratzte sich erneut am Kopf. „Ich schon, zumindest davon gehört. Ein schwarzes Loch im Normalraum. Es wirkt mit seiner Gravitation in den Hyperspace hinein."
Chestrea war kalkweiß angelaufen, bemühte sich aber, gefasst zu wirken. „Wenn Du davon gehört hast, muss es ja jemand erzählt haben. Und wenn jemand davon noch berichten konnte, muss man es überleben können, logisch. Also, was tun wir jetzt?“
Canvas seufzte. „Im Normalraum wären wir verloren. Der tote Stern würde uns mit seiner Anziehungskraft für ewig gefangen halten. Doch hier? Ich weiß es nicht. Das ist mein erstes schwarzes Loch. Der Raumfahrer, der mir von dem Effekt berichtete, hatte selbst nur davon gehört und wusste auch nicht mehr.“ Canvas war versucht, sich erneut zu kratzen. „Mmh, das schwarze Loch kann irgendwo in unserem Universum sei, muss noch nicht einmal zur Milchstraße gehören. Vielleicht sollten wir in den Normalraum zurückkehren und hoffen, dass das Loch ganz, ganz weit weg ist. – Nein, zu gewagt. Gegenschub! Wir müssen den ursprünglichen Kurs wieder erreichen. Das ist am sichersten. Gegenschub, sagte ich. Verdammt, Shiren, weshalb fliegen wir immer noch in Richtung auf dieses Ding da?"
„Die alte Kiste gibt nicht mehr her", sagte Shiren. „Ich habe keine zusätzliche Energie mehr und hätt‘ ich welche, würde uns der Remlinger um die Ohren fliegen."
Die auf dem Bildschirm dargestellten Wellen pulsierten nun zunehmend schneller.
„Dann Normalraum! Schalt den Remlinger ab!
Bevor die Maschinistin reagieren konnte, erschütterte ein harter Schlag die PONAPE bis in die letzten Schrauben. Canvas, der nicht angeschnallt war, schleuderte aus dem Pilotensitz. Das leise Brummen des Überlichttriebwerks war verstummt.
„Wir sind wieder in unserem Universum. Der Hyperspace hat uns einfach ausgespuckt", stellte Chestera überflüssigerweise vom Boden der Kommandozentrale fest.
„Das schwarze Loch! Ist es da? Saugt es uns an?" Shiren versuchte auf den Bildschirm etwas zu erkennen.
Canvas rappelte sich wieder auf und las die Scanneranzeigen ab. „Unglaublich. Kein schwarzes Loch weit und breit. Aber drei Lichtstunden entfernt eine kleine gelbe Sonne. Wir sind mitten in einem Sonnensystem", sagte er mit sehr erleichterter Stimme. „Marc, versuch herauszufinden, wo in aller Welt wir sind. Hast Du den Überriesen noch in der Peilung?
Marcus Chestera begann hektisch zu arbeiten. Offensichtlich reagierte er damit auch seine Spannungen ab. Plötzlich rief er laut: „Scheiße, Scheiße, Scheiße."
Canvas zog die Augenbrauen hoch. „Was ist los?"
"Michi, Shiren, unser Bordrechnet behauptet, wir befänden uns mitten im Solsystem, ganz nah bei der Erde. Meine ganze Navigation muss im Eimer sein. Das ist eine Sch..."
„Die Erde?" Canvas runzelte die Stirn. „Wäre das möglich? Kann uns das schwarze Loch durch den Raum geschleudert haben?
Chesteras Miene verfinsterte sich zusehends. „Seit Terra renaturiert wurde, ist das Solsystem für den instellaren Verkehr gesperrt. Nur Terra-Geborene und Flottenschiffe mit Sondererlaubnis dürfen einfliegen. Terra ist so gut abgeriegelt, da käme noch nicht einmal eine damparische Sprungmaus unbemerkt durch. Nein, wären wir in der Nähe der Erde, wären wir längst von Patrouillenschiffen gestellt."
„Wieviel Planeten?" fragte Canvas.
„Acht, neun Großplaneten, je nachdem, was Du als Großplanet ansiehst. Dazu eine Reihe von Monden und viele kleine Planetoiden. Sagt jedenfalls unser Bordrechner." Chestera zuckte hilflos mit der Schulter. „Der will uns immer noch einreden, wir wären im Sol-System.“
„Ruhe, Kinder. Wir fliegen den dritten Planeten an. Ist es die Erde, haben wir mächtig große Probleme. Ist es nicht die Erde, bekommen wir wahrscheinlich noch größere", entschied Canvas. „Dann nämlich können wir irgendwo sein in diesem Scheißuniversum und werden uns bald nach den gemütlichen Gefängniszellen von Carmen sehnen.“
Die PONAPE nahm Kurs in das Innere des Systems. "Da!" Shiren zeigte auf den Bildschirm. „Hinter dem Asteroidengürtel gibt es einen rötlichen Planeten. Das könnte doch der Mars sein. Man sagt, er sei rot."
Mit halber Lichtgeschwindigkeit flog die PONAPE weiter auf den dritten Planeten zu. Als das Gestirn auf dem Zentralschirm immer größer wurde, sich als blauschimmerndes Juwel mit weißen Wolkenbändern offenbarte, versicherte Chestera, es müsse doch die Erde sein.
„Jetzt glaube ich das auch", sagte der Commander. "Aber wieso bekomme ich keinen Funkkontakt? Die können doch nicht alles entzivilisiert und statt Funkstationen ihre grünen Bäume gepflanzt haben. Irgendwo müssen doch noch Menschen leben."
Das Schiff schwenkte schließlich in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. „PONAPE ruft Erde! He, schlaft Ihr alle?" Canvas schrie schon fast in das Funkgerät hinein. Doch die Erde blieb stumm, antwortete nicht.
"Michi, Commander!" Shirens Stimme klang schrill. "Bitte dringend um Landeerlaubnis. Die PONAPE ist endgültig hin. Der Tanz mit dem schwatzen Loch hat ihr den Rest gegeben. Meine Maschinen stehen kurz vor dem Ausfall. Wenn wir jetzt nicht runter gehen, bleiben wir ewig in der Umlaufbahn."
„Die antworten einfach nicht. Okay, wir gehen so runter. Irgendwo wird ja ein Raumhafen sein", entschied der Kommandant.
Die PONAPE bremste vorsichtig ab und schenkte in eine niedrige Bahn ein. Auch als sie die Erde zur Hälfte bereits am oberen Atmosphärenrand umrundet hatten, ortete Chestera keinen Raumhafen. „Können wir irgendwo so einfach landen? Es muss doch halbwegs passable Flächen geben. Wenn wir den Gegenschub genau austarieren …" fragte Kerpult die Maschinistin.
„Nein!" Shiren klang bestimmt. Ohne Raumhafen mit Landegitter schafft es die PONAPE nicht. Wir würden abstürzen."
"Dann doch lieber eine stabile Umlaufbahn. Okay, Kinder, ich ziehe wieder hoch." Canvas drückte den Steuerhebel nach oben. Die PONAPE reagierte zögernd, dann begannen die Triebwerke protestierend zu arbeiten, um aber schnell in ein Stottern überzugehen.
"Verdammt", schrie Shiren, "Etwas stört die Normaltriebwerke.“
„Was stört? Shiren drück‘ Dich bitte klarer aus. He, was ist das für ein Geräusch?“ Canvas breitete die Arme aus, um Ruhe zu signalisieren. Eine Art rhythmisches Pochen drang durch die metallen Wände des Schiffes.
„Der Laderaum!“ Shirens Stimme überschlug sich. „Das kommt aus dem Laderaum. Die Container sind aktiv geworden. Verdammt, was ist da drin? Was hast Du uns da aufgehalst? Wieso werden meine Maschinen davon angegriffen?“
Der Schub brach ganz weg. Die PONAPE strebte nun wieder der Erde zu. Auf dem Bildschirm zeigten sich in der Vergrößerung kleine Städte mit Fabriken und rauchenden Schornsteinen, Dörfer, Felder. „So muss die Erde vor hunderten von Jahren ausgesehen haben", flüsterte Chestera fest. "Das ist nicht das Ergebnis der Renaturierung. Das scheiß Schwarze Loch hat uns nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit gestoßen. Deshalb gibt es da unten keine Landegitter. Die haben noch keine.“
Shiren drückte verzweifelt die Knöpfe an ihrem Schaltpult. „Mischi, tu was! Wir stürzen ab!
Am Morgen des 30. Juni 1908, gegen 7 Uhr und 17 Minuten, geschah in der sibirischen Taiga etwas, das nie völlig geklärt werden konnte. Ein Feuerball explodierte �über der Steppe und verbrannte riesige Landflächen, rodete weite Wälder, knickte ungezählte Bäume; noch in 1000 Kilometer Entfernung war ein Krachen zu hören und die seismographischen Stationen der Welt registrierten eine deutliche Erschütterung. Spätere russische Expeditionen entdeckten nur eine verwüstete Landschaft. Von einem Meteoritenkrater fand sich jedoch keine Spur. Man nahm an, dass ein Komet eingeschlagen und verdampft sei.