Hi liebe @Anne49.
war deine Geschichte immer schon so kurz? Sie steht, seit du sie eingestellt hast, auf der ewigen und stetig wachsenden Liste der Geschichten, zu denen ich gerne einen Kommentar schreiben würde, und wenn du sie nicht erheblich gekürzt hast, frage ich mich, warum das so lange gedauert hat. Gelesen hab ich sie nämlich schon lange. Aber ich hab die Länge bzw. Kürze wahrscheinlich vergessen.
Also, jetzt aber. Die Idee finde ich auf jeden Fall sehr ansprechend, auch am Verlauf der Handlung hab ich - glaube ich - nichts auszusetzen. Dann aber die im weiteren Sinn sprachliche Gestaltung, hm, da wird's komplizierter. Im großen und Ganzen gefällt mir das natürlich auch. Aber im kleinen sind da viele Stellen, die irgendwo zu platt erscheinen, zu sehr dahingesagt, mit einem Tüpfelchen Besonderheit vielleicht, aber das Tüpfelchen sitzt dann manchmal etwas wacklig. Natürlich versuche ich mich zu erklären.
Gleich am Anfang:
Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden, betrachte das Kleid in der Auslage. Der mit violetten Blüten bedruckte Stoff fließt in eleganten Bahnen, umschmeichelt das Becken der Schaufensterpuppe, die mit hohlen Wangen durch Glas lächelt.
Ich finde viele Adjektive nicht automatisch schlimm, nein: oft sogar gut. Kommt halt drauf an. Hier packst du mich jedenfalls mit nicht mit den Adjektiven. Aber daran liegt's auch gar nicht,merke ich,denn du packst mich auch nicht mit den Verben. Der Stoff, der fließt, der das Becken umschmeichelt: Das bezieht sich ja eigentlich auf Empfindungen. Dass Schmeicheln sowieso, das Fließen meinem Eindruck nach auch, denn da fließt ja nichts, außer man hat fühlt es so, dass der Stoff elegant den Körper entlang fließt. Die hohlen Wangen sind mir dann auch zu viel, aber nicht, wenn sie alleine stehen. Wenn der Stoff etwas mehr von außen bestaunt würde, dann fänd ich das nicht schlecht. Irgendwie in der Art: "Der Stoff ist soundso und so und so. Die Schaufensterpuppe schaut mir hohlen Wangen durchs Glas." Das fänd ich dann eigentlich ziemlich cool.
Als nächstes gefällt mir hier der Nachsatz nicht:
"Vladislava – meine Lippen formen stumm das Wort."
Jetzt ist nur die Frage: Warum nicht? Ich hab den Eindruck, dass mir das so nachgeschoben zu aufgeladen vorkommt. Und dass außerdem "Wort" mir etwas unbeholfen erschient, weil es ja ein Name ist. Ob Name ein Wort ist? Schon, aber kein normales. Ich würd "Name" sagen. Und halt irgendwie ohne Nachsatzkonstruktion, also so wie: "Meine Lippen formen (stumm) den Namen Vladislava." Oder wenn es doch gewichtiger aussehen soll vielleicht mit Doppelpunkt: "Meine Lippen formen stumm einen Namen: Vladislava." Na, wie auch immer. Mit Nachsatz finde ich das jedenfalls irgendwie gestolpert, aber das muss dir ja auch nichts ausmachen.
Beim Kobold würd ich vielleicht neu ansetzen. Wie soll man den beachten, der ist ja nicht sichtbar. Also in etwa:
"Passanten schleppen Einkaufstüten an mir vorbei, niemand beachtet mich. Niemand sieht den Kobold, der sich auf meiner Schulter festkrallt."
Dann "außerdem - würd ich rausnehmen. Die Figur muss sich ja zwar nicht über ihr Gehalt definieren. Trotzdem würde ich das flüssig mitnehmen als Aspekt, der nicht zu ihr gehört, wenn es hieße: "Das bist nicht du. Das ist viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein" Und schließlich - ich hör grad gar nicht mehr auf, wie du merkst - ist mir das "Übersetzerlein" zu niedlich.
"Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte?" Ja nun - und was wär dann? Klar, kann schon sein, dass man sich in so einer Situation beobachtet fühlt. Aber eins und eins zusammenzählen - hm, dann würde man vielleicht als Summe darauf kommen, dass ein Mann seiner Freundin ein besonderes Geschenk machen will. Wär das nicht eher eins und eins zusammengezählt? Also kurz: Ich find die Formulierung nicht griffig.
Hier ist es mir wieder zu umständlich:
"Hastig wende ich den Blick ab, lenke meine Schritte Richtung Metro." Vor allem: "lenke meine Schritte" ... "Zwinge mich, zur Metro zu gehen" oder so, wenn du ausdrücken möchtest, dass es Kraft kostet, die Schritte vom Kleid weg zu lenken. Wenn nicht, lass die Figur doch einfach gehen. "Lenke meine Schritte" hängt so dazwischen: Halb aufgeplustert, aber so richtig entschieden auch wieder nicht.
Jetzt hab ich schon ganz viel herumsalbadert aber - der größere Kritikpunkt kommt erst noch. Dieses Einflechten, worum es in dem Manuskript geht, die Hinführung, mit der angedeuteten Nacherzählung des Inhalts, das find ich alles nicht atmosphärisch.
Ich würde dir gerne sagen, woran es liegt, aber ich muss sagen, wenn ichd as lese: "Ich will wissen, was die Hauptfigur im Schilde führt, wie er sich weiter für die Künstlerkolonie am Meer einsetzt." - dann will ich das halt noch lange nicht wissen. Besser fänd ich schon, einfach das Zitat zu bringen. Meinetwegen kannst du mir auch erklären: es geht darum dass, usw. Aber wenn du so tust, als hätte ich das Manuskript mitgelesen und wüsste wovon du sprichst - dann macht mir das an der Stelle keinen Appetit.
Ein Problem ist dann mit dem folgenden Zitat, dass mir das nach einem schnulzigen esoterischen Findungsroman klingt. Das kann ja sein, viele mögen ja auch z.B. Paulo Coelho. Aber wenn du mir erst sagst, wie das Manuskript reinzieht, und dann kommt so ein Zitat, dann spüre ich eine Abwehrreaktion.
Und dann wieder das:
"Was geschieht jetzt mit den Malern? Wieso beschäftigt er sich auf einmal nur noch mit sich selbst?" und ich denk mir: Was redest du? Welche Maler? was hab ich mit denen zu tun? usw.
Diesen Satz:
"Anscheinend kann er sogar ein bisschen Deutsch." find ich nicht schlimm, aber locker entbehrlich, weil ich davon ausgehe, dass das Übersetzerin auch ganz passabel in Santis Muttersprache kommunieren kann. Später wird das wichtig, aber dann würde ich das vielleicht auch lieber später unterbringen.
Und das:
"Sie wissen es nur nicht." wissen die bestimmt ...
Hier das:
"wie viele es genau sind, vermag ich nicht zu sagen." könnte von mir aus wiederum gerne weg.
Auch
"die makellosen Zähne" sind zwo sicher attraktiver, als schwarze Ruinen im Mund, aber auch nicht unbedingt das entscheidende Kriterium. Klingt für mich recht oberflächlich, würd ich lieber gestrichen sehen. Das der nur Stummel im Mund hat, glaub ich von selbst sowieso nicht.
Die
"verbalen Neuschöpfungen" tönen mir auch nicht ganz so toll. Es werden bei einem Schriftsteller wohl schon verbale Neuschöpfungen sein. (Gerne aber auch noch etwas abgeklärter: "Wir gehen einen Textabschnitt durch, klären Schwierigkeiten. Feminine Wörter werden maskulin und umgekehrt." - oder so.
Und dann wieder hast du mich noch längst nicht überzeugt, dass das
"Glanzlichter" seinen, ich könnte mir auch vorstellen, dass das sehr albern wirken kann. Besser fänd ich daher eine subjektivere Beurteilung: "Das sind für mich (warum?) die besonderen Glanzlichter, ich versuche ..." usw.
"Santi scheint es zu mögen" - was genau? Das wär jetzt natürlich toll, wenn ich hier einen ganz konkreten Einfall sehen kann: Aus X wird Y, das geht auf Deutsch nicht gut, dafür finde ich ... So was in der Art. Abgesehen davon, dass das ganz hübsch wirken könnte, denke ich mir sonst vielleicht auch: Was ist so schwer an der Aufgabe? Muss die Figur halt einfach auch aus Maskulina Feminina machen. (Gut, es gibt Neutra, aber dann muss das Neutrum halt erst M oder F werden und dann entsprechend.) Dass Santi das mag: ja klar, dass sich die Figur bemüht, diese Spielerei nachzuahmen, ist doch eigentlich selbstverständlich. Umso wichtiger, dass du ein konkretes Beispiel findest, dass zeigt, warum er das mag bzw. was er gelungen findet.
A propos Deutsch: Hier ist es ja gesagt:
"und sein süßes Deutsch von sich gibt", das reicht doch eigentlich.
Und am Ende dann die Wendung, die ja wirklich viel für sich hat. Nur in der Form ist mir das zu schmalzig. Besser fänd ich schon, erst das Zitat und dann den Funkenschauer. Dann fühle ich mich weniger künstlich auf die Folter gespannt - und weniger enttäuscht. Wenn ich das danach als Reaktion der Figur sehen kann, dann mache ich das viel eher mit.
Also und der Schlusssatz - den find ich ja wirklich gut.
Tja, jetzt hab ich den Text so schlimm zerpflückt. Inwiefern ich die Idee usw. gut finde, ist da jetzt leider ganz untergegangen. Na, am besten du glaubst es mir einfach ...
Besten Gruß
erdbeerschorsch