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Der letzte Buchstabe

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09.06.2017
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Der letzte Buchstabe

Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden, betrachte das Kleid in der Auslage. Der mit violetten Blüten bedruckte Stoff fließt in eleganten Bahnen, umschmeichelt das Becken der Schaufensterpuppe, die mit hohlen Wangen durch Glas lächelt. Vladislava – meine Lippen formen stumm das Wort.
Passanten schleppen Einkaufstüten an mir vorbei, niemand beachtet mich oder den Kobold, der sich auf meiner Schulter festkrallt. Das bist nicht du, außerdem ist das viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein, raunt er mir ins Ohr und resigniert ziehe ich den Kopf ein, halte im Kaufhaus Ausschau nach blickdichten Strumpfhosen in Schwarz, die zum Kleid passen würden. Schleiche mit warmem Gesicht zurück, bleibe vor dem Schaufenster stehen, sehe genau hin, als könne ich dadurch das zarte Weich des Materials auf mir spüren. Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte? Hastig wende ich den Blick ab, lenke meine Schritte Richtung Metro.

Ich liebe dieses Manuskript und bis zu zehn Stunden pro Tag verbringe ich damit am Notebook. Gut die Hälfte davon habe ich bereits in Rohfassung übertragen. Diesmal hatte ich vorher keine Zeit, den Text einmal komplett zu lesen, und Santi hat mich am Haken: Ich will wissen, was die Hauptfigur im Schilde führt, wie er sich weiter für die Künstlerkolonie am Meer einsetzt.

Der Tag ist gekommen, da er die Höhle betreten und für sieben Wochen fasten und meditieren wird, während draußen Stürme und Gewitter toben.
Was geschieht jetzt mit den Malern? Wieso beschäftigt er sich auf einmal nur noch mit sich selbst?

Als Santi sich bereiterklärt, mit mir zu skypen, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Anscheinend kann er sogar ein bisschen Deutsch. Nur selten bekomme ich Kontakt zu meinen Autoren, obwohl ich ihnen nahe bin, so nahe. Sie wissen es nur nicht. Wie ich tief in die Textur ihrer Werke eindringe, allen Schwingungen nachspüre, diese wie Silberglasfäden neu verschmelze und in meinen eigenen Text einwebe. Vor lauter Aufregung leere ich ein paar Gläser Wein - wie viele es genau sind, vermag ich nicht zu sagen.

Er nennt mich bei meinem Namen.
„Vladislav, lieber Freund“, raunt er, dass es mich durchrieselt, beugt sich nach vorne, zeigt die makellosen Zähne. Wir gehen ein paar seiner verbalen Neuschöpfungen durch. Feminine Wörter werden maskulin und umgekehrt. Nicht ganz einfach, aber ich versuche, vergleichbare Glanzlichter in der deutschen Übertragung zu setzen. Santi scheint es zu mögen und schenkt mir ein weiteres Lächeln.
„Warum kämpft er denn nicht weiter?“, platze ich heraus.
„Das wirst du bald sehen.“ Wie er sich mit den schmalen Händen durchs Haar fährt und sein süßes Deutsch von sich gibt, da könnte ich mich kringeln. Am liebsten würde ich ihn ...
Berühren.
Und dann gefriert das Bild.
Ich hasse Skype.
Santis Stimme klingt verzerrt. Seine deutschsprachigen Leser seien ihm wichtig, er habe Vertrauen in meine Arbeit. Die Verbindung bricht ab.

Während Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, fahre ich im Text fort. Immer weiter, bis mich ein heißer Funkenschauer durchfährt:

Als die Sonne über den Dünen erstrahlt, verlässt sie die Höhle und streift den neuen Mantel über.
Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen vom Kinn. Dass der Mantel mit violetten Blüten bedruckt ist, steht nicht im Text, aber ich weiß es auch so.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Anne49,

ich fange mal an. Hier geht bestimmt gleich die Post ab. :)

Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden,
"Wie zufällig schlendern" klingt toll, ergibt aber nicht so richtig Sinn für mich.
Edit:
Ach, jetzt kapier ich den Satz. Er tut nur so, als schlendere er zufällig, ungeplant und total beiläufig zu seinem Ziel: dem Kleid. Das bezieht sich gar nicht auf „durch die Arkaden“. Er wusste also von dem Kleid, hatte es schon bei einem voherigen Bescuh gesehen, oder? Denn das "wie zufällig" ist doch eine intentionale Nummer. Da hatte ich Pflaume ein Brett vor dem Kopf. :schiel:

den Kobold, der auf meiner Schulter lastet.
Ich denke, eine Figur oder Person "lastet" nicht auf den Schultern, wie z. B. eine Schuld. Vllt. "hockt"? Aber das drückt die Schwere nicht so richtig aus.

Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte?
Reicht nicht "ertappt" und "zusammenzählt"?

Er nennt mich bei meinem Namen.
„Vladislav, lieber Freund“,
Was, ein Mann? Sehr raffiniert, Anne. :thumbsup:

Wie er sich mit den schmalen Händen durchs Haar fährt und sein süßes Deutsch von sich gibt, da könnte ich mich kringeln. Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.
Hach ... schön.


Der Tag ist gekommen, da er die Höhle betreten und ...

Als die Sonne über den Dünen erstrahlt, verlässt sie die Höhle


Liebe Anne, in dem kurzen Text hat du gekonnt eine logische, ganz reizende Handlung, einen Konflikt und die Wende, als Entwicklung deiner Hauptfigur aufgezeigt.

Gern gelesen. Danke fürs Teilen.
wegen

 

Oh, du Anne49,

da isses ja, das Gefühl ;) Und dann noch so kompakt und intensiv.

Violett ist hervorragend gewählt für diesen Protagonisten. Eine Farbe der Macht und Leidenschaft, weiblich plus männlich. Mächtig, weil er als Übersetzerlein Santis atmosphärischen Roman in der Hand hält, Leidenschaft, weil er na ja, weil Vladislav offenbar liebt. Ein Kleid, Santi, seine Arbeit. Hach, so ein feiner Mensch.

Der mit violetten Blüten bedruckte Stoff fließt in eleganten Bahnen, umschmeichelt das Becken der Schaufensterpuppe, die mit hohlen Wangen durch Glas lächelt. Vladislava – meine Lippen formen stumm das Wort.

Ein schöner Einwurf. Zum einen, weil er in meinen Ohren exotisch klingt und ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, wohin damit. Dann löst du Füchsin ihn auch noch als einen männlichen Namen auf.

Schleiche mit warmem Gesicht zurück, bleibe vorm Schaufenster stehen, sehe genau hin, als könne ich dadurch das zarte Weich des Materials überall auf mir spüren.

Ich weiß sehr wohl, wie sorgsam du deine Worte und Sätze gebildet haben magst, dennoch rutscht mir dieser nicht so gut durchs Hirn ins Herz. Anders geht immer, klar. Mich hindern wohl daran Worte wie schleichen, warmem Gesicht, vorm, sehe genau hin, Weich des Materials, überall auf mir. Na ja, schon der ganze Satz.
Schleichen klingt so aktiv nach Verstecken, aber ich denke, er ist ganz bei sich und diesem Stoff.
Warm sind eher bloß die Wangen, wenn du mir damit seine Erregung zeigen möchtest, vielleicht sogar heiß
ich denke vor dem gefiele mir
wenn er genau hinsieht hört es sich eher analytisch an - du könntest sagen, was er sieht und sich vorstellt. Ich hätt’ Zeit dafür ;)
Denn das Material/der Stoff, möglicherweise Seide, liegt gar nicht mal überall, zu spüren ist am ehesten auf den Schultern, der Taille, den Hüften, auf den Schenkeln. Er hat ja auch richtig Lust auf dieses Gefühl, so deucht mir.

Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte?

Poor Boy. :(

Diesmal hatte ich vorher keine Zeit, den Text einmal komplett zu lesen, und Santi hat mich am Haken:

Mit Santi bringst du jemanden ins Spiel, dessen Geschlecht mir auch nicht gleich klar ist - das ist clever, weil es so gut in dieses Gefühlsgeraffel passt und mich neugierig hält, ich will jetzt wissen, wer wer ist und wie die zueinander stehen n stuff.

Was geschieht jetzt mit den Malern? Wieso beschäftigt er sich auf einmal nur noch mit sich selbst?

Weil er jetzt schon schlau ist. ;)

Wie ich tief in die Textur ihrer Werke eindringe, allen Schwingungen nachspüre, diese wie Silberglasfäden im Sprachuniversum neu verschmelze und in meinen eigenen Text einwebe.

Santi muss ihm wirklich vertrauen, erstaunlich, dass man sich dennoch nie vorher begegnet ist.

Vor lauter Aufregung leere ich ein paar Gläser Wein - wie viele es genau sind, vermag ich nicht zu sagen.

Ich dachte, dieses alkoholisierte Bewusstsein würde während des Skypens eine Rolle spielen ...

Santi scheint es zu mögen und schenkt mir ein weiteres Lächeln.

Vlad ist so genügsam. :herz:

„Warum kämpft er denn nicht weiter?“, platze ich heraus.

Okay, diese Impulsivität könnte ein Indiz für seine Beschwipstheit sein (ich krieg dieses Geplatze allerdings auch ohne Alkohol hin:shy:)

Wie er sich mit den schmalen Händen durchs Haar fährt und sein süßes Deutsch von sich gibt, da könnte ich mich kringeln. Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.

Hach ja, I know. Aber süßes Deutsch scheint mir etwas ... infantil. Das erinnert mich an einen verliebten Teenager. Mir würde es gefallen, wenn ihm erneut etwas wie die schmalen Hände in Verzücken bringen würde. Also , ginge es nach mir.

Während Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, fahre ich im Text fort. Immer weiter, bis mich ein heißer Funkenschauer durchfährt:

Als die Sonne über den Dünen erstrahlt, verlässt sie die Höhle und streift den neuen Mantel über.


Heidegott, hat Santi ihn deshalb als Übersetzer ausgewählt? Weiß er mehr über ihn, als Vlad wusste, dass er's wüsste? Wow. Nur, dass er schon mal einen neuen Mantel mit die Höhle nahm, um zu meditieren? Hm. Aber wie sollte man sonst den Wandel zeigen und die ... eventuellen violetten Blüten. :hmm: Ach, mir egal.
Nun aber los, Vlad, sonst ist das Kleid vergriffen.

Sie erkenne ihr wahres Ich, höre ich Santi wieder und wieder sagen.

Ich sags nicht gern, aber das kann weg. Manno, ich weiß das doch und freue mich, dass ich’s kapiere.

Du liebe Anne49, das war eine schöne Geschichte und du hast es nicht mal übertrieben mim Gefühl. :kuss:

Lieber Gruß und viel Respekt, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49,

also gleich vorab: Ich habe die Geschichte gerne gelesen. Vor allem wohl auf sprachlicher Ebene, ich mag es einfach, wie die Sätze sich ineinanderfügen, wie du die Worte gebrauchst, das fließt, das fühlt sich richtig und gut an.

Und im Grunde mag ich die Geschichte auch inhaltlich, obwohl das ... schwierig ist. Ich habe beim ersten Lesen nämlich so ziemlich gar nicht verstanden, was da vor sich geht, es fühlte sich an, als hättest du mir die Puzzleteile gereicht, zusammensetzen muss ich es selbst.

Glücklicherweise ist sie kurz, die Geschichte, und ich erahne mittlerweile, dass der gute Vladislav lieber eine Vladislava wäre, dass es sein sehnlichster Wunsch ist, den violett geblümten Mantel zu tragen und Frau zu sein und dass das Eintauchen in die Geschichte, die er/sie gerade übersetzt, ihm dabei hilft, den Kobold auf der Schulter zu besiegen und die Höhle zu verlassen. Ich nehme an, dass diese übersetzte Geschichte eigentlich etwas ganz anderes behandelt, nicht die Mann-zu-Frau-Verwandlung, aber zum Glück darf ja jeder eine Geschichte auf seine eigene Art und Weise interpretieren und nutzen.

Insofern ist das eine spannende Geschichte, weil sie so subtil ist, weil sie viele Lücken lässt. Nur Puzzleteile, zusammensetzen muss ich selbst. Das muss man mögen, man muss gewillt sein, einzutauchen, denke ich, beim ersten Lesen dachte ich nämlich mehr oder weniger, hm, was soll denn das, ich kapier nichts.
Das ist nicht unbedingt meine bevorzugte Art des Lesens, denn auch jetzt, nach dem ... vierten Mal denke ich noch, vielleicht habe ich hier etwas ganz Elementares überlesen, vielleicht habe ich das Puzzle ganz falsch zusammengesetzt, aber wie sagte vor nicht allzu langer Zeit ein sehr weiser Mensch: Zum Glück darf jeder eine Geschichte auf seine eigene Art und Weise interpretieren und nutzen. :Pfeif:

Eine Kleinigkeit noch:

Das bist nicht du, außerdem ist das viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein, raunt er mir ins Ohr und resigniert ziehe ich den Kopf ein, halte im Kaufhaus Ausschau nach blickdichten Strumpfhosen in Schwarz, die zum Kleid passen würden.

Hätte hier ein Komma nach "Ohr" gesetzt, aber ... wahrscheinlich weißt du genau, warum du es nicht getan hast.

Liebe Grüße,

Lani

 

Hey Anne,


routiniert geschrieben, sprachlich ruhig und ausgewogen, wobei mir das schon zu ruhig und ausgewogen ist, bei dem inneren Konflikt, der in deinem Prota wüten muss. Ich finde das nicht passend, mehr Spitzen, Ecken und Kanten, mehr Drama hätte ich mir sprachlich, aber auch inhaltlich gewünscht. So wirkt alles ein wenig wie eine Schreibübung auf mich. Was wolltest du erreichen? Ging es dir womöglich nur um den Twist? Oder wolltest du mehr?

Das Thema wird sehr häufig beackert, wobei mir nicht mal ganz klar ist, um was es eigentlich geht. Geht es um Transsexualität? Transvestismus? Oder nur um eine Cross-Dressing-Neigung? Homosexualität mit Transvestismusneigung oder gar doch einschließlich transsexueller Sehnsüchte? Geht es um Outing oder Selbstakzeptanz, ein Sich-Eingestehen? Hm.
Ich tippe mal auf Transsexualität mit der Sehnsucht nach einem männlichen Beziehungspartner. Und ich finde, das zeigt ein weiteres Problem auf, das ich mit dem Text habe. Er ist zu unpräzise. Ich weiß nicht genau, was er beabsichtigt. Kann aber natürlich einfach auch nur an mir liegen, klar.
Ein Übersetzer sehnt sich nach dem Tragen von Frauenkleidern (zumindest diesem einen), ein Teil seiner Selbst (Kobold) lehnt das ab, der Prota hat Angst davor, sein Interesse (am Kleid) könne von anderen (Gesellschaft?) bemerkt werden. Er ist angetan von einem männlichem Autor (Optik, Gestik), will ihn berühren (homosexuelle Sehnsucht). Im zu übersetzenden Manuskript liest er, wie die Hauptfigur (Mann) sich in eine Höhle zurückzieht, zu sich selbst findet und als Frau die Höhle wieder verlässt (Transsexualität?), was den Übersetzer zu Tränen rührt.
Was bewegt ihn nun derart? Sieht er das als Aufforderung? Fühlt er sich erkannt? Vermutlich. Und jetzt?

Um mich mitreißen zu können, bräuchte es mehr. Der Prota müsste aus seiner Passivität treten, aktiv werden zum Beispiel. Muss aber nicht. Aber die Hindernisse müssten auf jeden Fall klarer, direkter und auch größer sein - Passanten (Gesellschaft) sind ein Allgemeinplatz. Ich meine, der ist Buchübersetzer, kein Eishockeyspieler in der NHL, er hat keine Freundin oder Ehefrau, keine mormonischen Eltern, keine Kinder, nichts (zumindest findet sich nichts darüber im Text). Wer oder was sollte es als befremdlich, abstoßend oder so empfinden, wenn dein Prota im Fummel gekleidet in seinem Kämmerlein Bücher übersetzt, nachdem er 'ne heiße Nummer mit einem Hot-Latin-Lover geschoben hat. Oder wenn aus Vladislav eine Vladislava wird? Er selbst? Ja, vermutlich, aber auch in dieser Richtung hält sich der Text zu sehr zurück. Ich spüre keine Zerrissenheit in der Figur. Mir fehlt Konsequenz, sei es theoretischer oder praktischer Natur.

Da könntest du nachlegen, wenn du willst, meine ich. Dem ganzen mehr Drama, mehr Konflikt, mehr klar umrissene Gegenspieler (kann auch nur er selbst sein) geben - Fallhöhe definieren -, um mich aufzuwühlen, mitzureißen oder auch nur, um mich anzufixen, mich weiter gedanklich mit dem Text auseinandersetzen zu wollen. So lässt mich die Geschichte nur mit einem Achselzucken zurück.


Danke fürs Hochladen


hell

 

Hallo Anne49,
ich hatte diesmal auch Schwierigkeiten mit deinem Text, ehrlich gesagt. Hab beim ersten Mal Lesen erstmal gar nichts kapiert, aber das war vielleicht auch deine Absicht, alles ein bisschen vage zu halten, oder vielleicht, dass die Form den Inhalt spiegelt, nämlich die Verwirrung deines Prots. Ich finde das Thema an sich interessant, war natürlich auch überrascht, dass Vladislava in Wahrheit Vladislav war, der Überraschungseffekt ist dir mMn gut gelungen. Auch die Stimmung, die Sehnsucht Vladislav(a)s ist dir gelungen, vor allem mit deiner Art zu schreiben. Es kommt für mich schon rüber, wie verzweifelt er ist, dass er seine Neigung nicht ausleben kann, aber irgendwas fehlt mir, ich kann dir gar nicht genau sagen, was es ist. Vielleicht der Grund, warum er sich deshalb so schämt, bzw. sich versteckt. Man muss und soll natürlich nicht immer alles erklären, dem Leser Raum zum Interpretieren lassen, aber hier hat mich das überfordert. Heutzutage ist es ja keine Schande mehr, schwul zu sein, man wird deshalb nicht mehr politisch verfolgt oder ähnliches. Verwirrend ist es sicher trotzdem erstmal, und vielleicht dauert es auch noch eine Weile bis zum coming out, das kann ich schon verstehen. Aber für mich klang es nicht so, als ob ihm das erst durch das Kleid bewusst wird.
Vielleicht geht es auch nur um eine unglückliche Liebe, und er hat sonst gar kein Problem, das Kleid ist einfach nur zu teuer oder viel zu klein, und er ist eher stämmig. Das kann natürlich auch sein. Aber in der Kombination klingt es zumindest für mich so, als ob er grundsätzlich Schwierigkeiten mit seinen Gefühlen hat. Hm. Wenn dem so ist, hätte ich wirklich gern ein paar mehr Hinweise gehabt, warum er es denn so verstecken muss, sich offenbar dafür so schämt.
Ich persönlich fände es schön, wenn du die Geschichte noch etwas ausbauen würdest.

Liebe Grüße von Chai

 

Hallo wegen,

danke danke danke für deinen Kommentar! Der erste ist ja irgendwie immer besonders … :shy:

"Wie zufällig schlendern" klingt toll, ergibt aber nicht so richtig Sinn für mich.

Mir geht es darum, dass der Protagonist seine Neigung überhaupt erst einmal erkennt. Diese Dinge, die irgendwo zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein rumwabern. Quasi direkt unter der Oberfläche des Bewusstseins treiben. Du weißt, es ist da, und du weißt es wieder nicht, könntest es nicht konkret in Worte fassen. Er wird von diesem Schaufenster und den Kleidern darin magisch angezogen, ist sich dessen aber noch nicht vollständig bewusst.

Gleichzeitg geht es mir darum, dass er fürchtet, entdeckt zu werden. „Wie zufällig schlendern“ die Kinder zu der Kiste mit den Süßigkeiten, so in etwa. Vielleicht ergibt es jetzt ja Sinn für dich?

Auch wenn er ins Deutsche übersetzt: Nicht ganz zufällig habe ich ihm einen slawischen Namen gegeben.

Ich denke, eine Figur oder Person "lastet" nicht auf den Schultern, wie z. B. eine Schuld. Vllt. "hockt"? Aber das drückt die Schwere nicht so richtig aus.

Danke für den Hinweis. An der Stelle werde ich noch einmal überlegen. „Hockt“ ist in der Tat auch hübsch, aber es fehlt, wie du auch bemerkt hast, die Schwere. Der Kobold ist ein veritabler Quälgeist, der gewaltigen Druck ausübt. Wie wir aufwachsen, was uns als richtig und falsch vermittelt wird, und so weiter.

Reicht nicht "ertappt" und "zusammenzählt"?

Um meine Konjunktivquote zu erreichen (die Gleichstellungsbeauftragte, du weisst schon … :D), muss ich hier leider auf den beiden Konjunktiven bestehen. Es ist ja äußerst hypothetisch. Seit wann dürfen Männer keine Frauenkleider in Schaufenstern begucken bzw. welche Schlüsse ließen sich daraus ziehen?

Wie er sich mit den schmalen Händen durchs Haar fährt und sein süßes Deutsch von sich gibt, da könnte ich mich kringeln. Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.
Hach ... schön.

Bin dir sehr dankbar für die Rückmeldung. An der Stelle plagen mich die Zweifel, zu sehr das Klischee zu bedienen, dass es so … na ja, irgendwie … kindisch oder tuntig klingt. Aber mein Protagonist wird da gerade von seinen Gefühlen überwältigt.

in dem kurzen Text hat du gekonnt eine logische, ganz reizende Handlung, einen Konflikt und die Wende, als Entwicklung deiner Hauptfigur aufgezeigt.

Es freut mich, dass du trotz der Kürze des Textes die Entwicklung nachvollziehen konntest. (Inwieweit das „reizend“ ist, weiß ich nicht.)

Liebe Grüße
Anne

---

Hallo AWM,

auch dir vielen Dank für deinen erfreulichen, ermutigenden Kommentar! :)Wegen der Textstellen verweise ich auf meine Antwort an wegen. Wegen des Kobolds muss ich noch überlegen. Falls dir was einfallen sollte ...

Liebe Grüße
Anne

 

Hallo, Anne49

Wahnsinn. Ich habe mich richtig in diese Geschichte und ihren Prot verliebt. Tatsächlich trägt das Staunen und Wundern mich durch den ganzen Text und am Ende: Bumm! Ich muss sagen, ich hatte das Gefühl, die Geschichte nach dem ersten Lesen verstanden zu haben, und ich glaube auch immer noch, dass alle meine ersten Ansätze richtig waren. Für mich funktionierte das also schon sehr gut. :thumbsup:

Beim zweiten Lesen fällt mir auch das hier auf:

Als die Sonne über den Dünen erstrahlt, verlässt sie die Höhle und streift den neuen Mantel über.

Und da denke ich: Moment, aha, was? (Super Gedanke.) Kurz dachte ich wirklich, dass Vlad das einfach da einfach reininterpretiert, denn Santi sagt ja nur:

Die Hauptfigur erkenne ihr wahres Ich, sagt er.

Und das kann ja alles Mögliche bedeuten. Da können Vlad und ich einiges reininterpretieren. Nachdem ich darauf gekommen bin, war ich dann doch enttäuscht, in dem fraglichen Satz das verräterische „sie“ zu finden. Also doch keine Überinterpretation. Andererseits …

Wir gehen ein paar seiner verbalen Neuschöpfungen durch. Feminine Worte werden maskulin und umgekehrt.

Ah, also in diesem Text gibt es wirklich viel zu entdecken. Und das mag ich. Wie gesagt, ich hatte eigentlich beim ersten Lesen nicht das Gefühl, dass jetzt Fragen offen geblieben sind – zumindest keine, die ich nicht gerne durch meine Fantasie fülle. Aber beim zweiten Lesen stricke ich richtig Theorien, das ist eigentlich kein Lesen mehr, es ist eine Analyse, ein Abwägen von verschiedenen Deutungshypothesen. Ich glaube, das gefällt wirklich nicht jedem. Ich mag’s.

Einziges:

Passanten schleppen Einkaufstüten an mir vorbei, niemand beachtet mich oder den Kobold, der auf meiner Schulter lastet. Das bist nicht du, außerdem ist das viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein, raunt er mir ins Ohr

Dieser Kobold ganz am Anfang. Da habe ich hochgescrollt und geschaut, ob Du „Fantasy“ oder „Humor“ getaggt hast. Hast Du nicht – zu Recht. Aber dieser Kobold stört für mich die Atmosphäre des Textes, das klingt so, als würdest Du Deine Figur nicht so ganz ernstnehmen. Gefällt mir gar nicht, und ich glaube, Du könntest gut ohne ihn auskommen.

Einen Fussel habe ich noch gefunden:

Vor lauter Aufregung leere ich ein paar Gläser Wein - wie viele es genau sind, vermag ich nicht zu sagen.

Hier hast Du einen Bindestrich anstelle eines Gedankenstrichs verwendet. :p

Ansonsten habe ich wirklich nichts zu meckern. Es macht Spaß, sich mit diesem Text zu beschäftigen. Vielleicht mache ich gleich noch weiter.

Hypothetische Grüße,
Maria

 

Hey Anne49,
jetzt habe ich gerade meinen Kommentar abgeändert, da schreibst du schon fleißig zurück. :)

Zitat von wegen
Wie er sich mit den schmalen Händen durchs Haar fährt und sein süßes Deutsch von sich gibt, da könnte ich mich kringeln. Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.
Hach ... schön.
Bin dir sehr dankbar für die Rückmeldung. An der Stelle plagen mich die Zweifel, zu sehr das Klischee zu bedienen, dass es so … na ja, irgendwie … kindisch oder tuntig klingt. Aber mein Protagonist wird da gerade von seinen Gefühlen überwältigt.
Hm. Ich bin halt nen Mädchen. ICH mag das, besonders den letzten Satz mit den Auslassungszeichen.

Zitat von wegen
in dem kurzen Text hat du gekonnt eine logische, ganz reizende Handlung, einen Konflikt und die Wende, als Entwicklung deiner Hauptfigur aufgezeigt.
Es freut mich, dass du trotz der Kürze des Textes die Entwicklung nachvollziehen konntest. (Inwieweit das „reizend“ ist, weiß ich nicht.)
"reizend" im Sinne von entzückend, mitreißend, schönes Sujet mit dem Übersetzungsdienst und der Romanfigur, ... :shy:

LG
wegen

 

Liebe Anne49,

schön geschrieben wieder mal, deine kleine Geschichte, und ich lese sie einfach als das persönliche Coming-Out von einem, der seine Homo- oder Transsexualität erkennt, nicht mehr und nicht weniger.
Wie viele andere stört mich der Kobold auch, also diese Formulierung, obwohl natürlich klar ist, was du ausdrücken willst.
Was mich aber wirklich irritiert, und ich weiß nicht, ob es das soll: Wo spielt das denn? In Deutschland ja wohl nicht, da heißen die Metros alle „U-Bahn“, wenn ich mich nicht irre. Und da sitzt also irgendwo, meinetwegen in Moskau oder in einer anderen osteuropäischen Stadt, dieser Vladislav und übersetzt Sachen aus dem, sagen wir Spanischen oder Italienischen ins Deutsche … Das mag es ja geben, aber wie gesagt, mich hat es irritiert, und ich frage mich jetzt, warum du das bewusst so gemacht hast. Weil die Toleranzschwelle in östlichen Ländern gegenüber Homosexualität niedriger ist und es für den Prot deshalb ein größerer Konflikt ist, als es hier wäre? Oder weil es so perfekt ist, mit dem einen Buchstaben am Ende einfach das Geschlecht zu ändern. (Nee, kann auch nicht sein, klappt mit deutschen Namen auch: Paul - Paula, Gerd- Gerda, Heinz … ) Also, sag doch mal bitte!

Feminine Worte werden maskulin
Denke, das müsste Wörter heißen, Worte sind doch Redewendungen etc.

Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.
Fände es schöner, wenn du „Berühren“ in der nächsten Zeile groß schreibst, wie einen neuen Satz, der andere ist abgebrochen. Sieht sonst komisch aus, finde ich.

Ich schließe mich Kanji an:

Sie erkenne ihr wahres Ich, höre ich Santi wieder und wieder sagen.
Das brauchen wir nicht!:D Und die Tränen, die vom Kinn tropfen, müssen auch nicht sein: einfach der allerletzte Satz allein erzielt viel mehr Wirkung, finde ich.

Das war’s auch schon,
liebe Grüße von Raindog

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49

Du machst in diesem Text vieles gut, aber insgesamt wird er in meinen Augen seinem Thema nicht gerecht, bleibt so sehr an der Oberfläche, dass ich ihm wenig abgewinnen kann.

Nun könnte man natürlich an der Länge des Textes ansetzen – was vielleicht insgesamt die beste Lösung wäre. Aber es wäre auch die einfachste Lösung. Ich möchte lieber darüber nachdenken, was ich als problematisch empfinde, ohne den Rahmen, d.h. den Umfang a priori in Frage zu stellen.

Der Text wirkt auf mich uneinheitlich. Der erste Abschnitt umfasst beinahe einen Drittel der gesamten Geschichte. Hier skizzierst du das Thema, die Ausgangslage, vor allem auch die Sehnsucht. Diese Sehnsucht wird anhand eines Gegenstands, das violette Kleid, gezeigt. Dementsprechend umschreibst du dieses Kleid sorgfältig, verwendest Begriffe wie „elegant“, „umschmeicheln“ „lächeln“. Das ist nicht grossartig originell, aber technisch sauber. So weit, so gut. Dieser Abschnitt atmet in einer gewissen Tiefe, nimmt einen gewissen Raum ein, lässt sich Zeit für Details. Wenn ich ihn lese, gehe ich davon aus, dass er den Takt der Geschichte anschlägt und es entsprechend weitergeht – was aber nicht der Fall ist. Der Text wird anschliessend deutlich kurzatmiger.

Die Sehnsucht, die du im ersten Abschnitt etablierst, wird im Folgenden vorausgesetzt, bildet den Hintergrund. Du leuchtest diese Sehnsucht nicht aus. Stattdessen bringst du diese zweifache Ebene ins Spiel, Text und Wirklichkeit, das Buch, das mit seinem eigenen Schicksal verwoben scheint. Um dies aber wiederum etablieren zu können, brauchst du Hintergrundinfos, die jeglichen Zauber vermissen lassen. Ich habe mal ein paar herausgepickt, das allein umfasst etwa 15% des Textes.

bis zu zehn Stunden pro Tag verbringe ich damit am Notebook. Gut die Hälfte davon habe ich bereits in Rohfassung übertragen. Diesmal hatte ich vorher keine Zeit, den Text einmal komplett zu lesen // Anscheinend kann er sogar ein bisschen Deutsch. Nur selten bekomme ich Kontakt zu meinen Autoren // Nicht ganz einfach, aber ich versuche, vergleichbare Glanzlichter in der deutschen Übertragung zu setzen.

In diese Passagen sind Sätze eingestreut, die etwas Poesie zurückbringen sollen, die aber in dieser Dichte und angesichts der textlichen Umgebung – zumindest auf mich – prätentiös wirken:

diese wie Silberglasfäden im Sprachuniversum neu verschmelze und in meinen eigenen Text einwebe.

Einen weiteren Strang eröffnest du mit Santi, eine weitere Projektionsfläche offenbar, denn der Prota scheint ihn ja per Skype das erste Mal zu sehen/hören. Um diese Beziehung, oder weitere, entsprechende Sehnsüchte zu zeigen, fehlt dir mittlerweile aber der Raum, so dass du zu der in meinen Augen nicht sehr überzeugenden, weil zu direkten und offenkundigen Mitteilung:

Am liebsten würde ich ihn ...
berühren.

greifst. (Vor allem die Auslassungspunkte stören mich hier, aber das ist Geschmackssache. Das ist so ein Effekt, gleichzeitig aber auch ein Eingeständnis, dass man an die Grenze des eigenen Ausdrucks geraten ist.)

Die Hauptfigur erkenne ihr wahres Ich, sagt er.

Diesen Holzhammer würde ich streichen.

Mir gefällt innerhalb der Abschnitte einiges, auch in technischer Hinsicht. Wie du andeutest, offen lässt, Details setzt, das ist gut gemacht. Aber als Ganzes betrachtet scheint mir der Text zu überladen und am Ende dann doch zu kurz, um der Problematik, auch der Wende gerecht zu werden. Und das ist es, was mich denn auch am meisten stört: (An)erkenne dein wahres Ich – in einem Buch gelesen! Das kann und darf die Quintessenz eines Textes sein, auf alle Fälle. Aber so vor die Füsse geklatscht, gibt mir das überhaupt nichts, denn darüber habe ich mir doch auch schon mal den einen oder anderen Gedanken gemacht. Der Text kann mir das Gewicht, die Bedeutung einer solchen Aussage leider weder in emotionaler noch in atmosphärischer Hinsicht greifbar machen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden, …
beginnt Dein neues Werk,

liebe Anne49 -

aber wie zufällig kann der Zufall mit dem voranstehenden relativierenden „wie“ sein? Nicht die Bohne und somit einer Neigung folgend, schlendert da wer – ob real oder nicht - mit dem Schalk im Nacken (und sei‘s ein Kobold) durch Arkadien, heiße er Vladislav oder Vladislava (vlado/volod „herrschen“, slava =Slave/Ruhm) – dabei verrät die westgermanistische Zunge den Slawen als S(kl)aven(?) - hoffentlich nur seiner selbst ...

Wer ist schon nur fro (ahd., nhd. "Herr") oder frouwe* (Herrin), immer in Frondiensten eigener Zwänge und irgend daselbst zwischen den Polen Mars ♂ und ♀ Venus - inzwischen ja amtlich beglaubigt und richterlich abgesegnet, dass irgendwann die drei grammatischen Geschlechter nicht mehr reichen werden ...

Eine Anmerkung zum Konjunktiv

Das bist nicht du, außerdem ist das viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein, raunt er mir ins Ohr und resigniert ziehe ich den Kopf ein, halte im Kaufhaus Ausschau nach blickdichten Strumpfhosen in Schwarz, die zum Kleid passen würden. Schleiche mit warmem Gesicht zurück, bleibe vorm Schaufenster stehen, sehe genau hin, als könne ich dadurch das zarte Weich des Materials überall auf mir spüren. Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte? Hastig wende ich den Blick ab, lenke meine Schritte Richtung Metro.

- warum Konj. I „als könne ich“, wenn schon Strumpfhose „zum Kleid passen würde“ (da wäre schon das „können“ in seiner Zwowertigkeit von kann oder kann nicht Potentialität genug) und dann Konj. I, wo der Konj. irrealis durch die trennende Scheibe geradezu erzwungen wird?

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der jetzt übern letzten Buchstaben sinniert und dazu das Video zum Last Waltz der Band laufen lässt

* darf jeder wissen, dass mir da der Schalk im Nacken saß und eigentlich ein "fro + uwe" hinsollte ...

 

Huhu Kanji,

bin zurück vom Strand … :Pfeif:

Violett ist hervorragend gewählt für diesen Protagonisten. Eine Farbe der Macht und Leidenschaft, weiblich plus männlich. Mächtig, weil er als Übersetzerlein Santis atmosphärischen Roman in der Hand hält, Leidenschaft, weil er na ja, weil Vladislav offenbar liebt. Ein Kleid, Santi, seine Arbeit.

Ja, Rosa wäre over the top. Ich denk auch, dass das leidenschaftliche Violett gut passt.
Übrigens habe ich ein weiches Herz für literarische Übersetzer und Respekt vor dem, was sie leisten, denn das wird gerne mal unterschätzt. Vor einiger Zeit habe ich Interviews mit Übersetzern gelesen. Es ist total spanned, wie die das machen, wie sie versuchen, den Stil des Originalwerkes in eine andere Sprache und damit letztlich in eine andere Kultur zu übertragen. Wenn sich ein Wortspiel nicht übersetzen lässt, an einer anderen Stelle, wo es der Text erlaubt, eines einzubauen. Oder ab welcher Szene Figuren sich nicht mehr siezen, sondern duzen, wenn es diese Unterscheidung in der Originalsprache gar nicht gibt. Die Bezahlung dafür ist mau, daher das selbstironische „Übersetzerlein“.

Ein schöner Einwurf. Zum einen, weil er in meinen Ohren exotisch klingt und ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, wohin damit. Dann löst du Füchsin ihn auch noch als einen männlichen Namen auf.

In meinen ersten Entwürfen hieß die Hauptfigur noch Julia/n. Da hätte sie gerne ihren letzten Buchstaben abgegeben. Dann musste aber unbedingt ein slawischer Name her, weil im homophoben Osteuropa und Russland Cross-Dressing ein Tabu ist, und jetzt möchte Vladislaw in Gedanken seinem Namen einen letzten Buchstaben hinzufügen.

Schleichen klingt so aktiv nach Verstecken, aber ich denke, er ist ganz bei sich und diesem Stoff.

Das spielt nicht in Deutschland (daher die Metro) und - vielleicht mit ein wenig Selbstironie und Galgenhumor - möchte ich Vlad gerne weiter schleichen lassen.

Warm sind eher bloß die Wangen, wenn du mir damit seine Erregung zeigen möchtest, vielleicht sogar heiß

Ich denke da weniger an Erregung, sondern eher an Scham. Ein Brennen erschiene mir dafür zu stark, Wangen waren mir seltsamerweise zu feminin. Kurios, denn Männer haben ja nun einmal auch Wangen.

ich denke vor dem gefiele mir

Kein Problem, das ändere ich zurück

wenn er genau hinsieht hört es sich eher analytisch an - du könntest sagen, was er sieht und sich vorstellt. Ich hätt’ Zeit dafür

Momentan tendiere ich dazu, das nicht weiter auszubauen. Die Gewichtung liegt ja jetzt schon sehr auf dieser Kleid-im-Schaufenster-Szene. Dann würde ich das noch weiter verstärken. Ich möchte die Geschichte nicht ausweiten, sondern in dieser kompakten Form daran arbeiten.

Denn das Material/der Stoff, möglicherweise Seide, liegt gar nicht mal überall, zu spüren ist am ehesten auf den Schultern, der Taille, den Hüften, auf den Schenkeln. Er hat ja auch richtig Lust auf dieses Gefühl, so deucht mir.

Daaaanke, dass der Stoff nicht überall aufliegt, hatte ich mir auch schon überlegt (und dann wieder vergessen). Ich denke, das Wort „überall“ kann ich streichen.

Mit Santi bringst du jemanden ins Spiel, dessen Geschlecht mir auch nicht gleich klar ist - das ist clever, weil es so gut in dieses Gefühlsgeraffel passt und mich neugierig hält, ich will jetzt wissen, wer wer ist und wie die zueinander stehen n stuff.

Psst, ist die Abkürzung von Santiago, also männlich. Bis ich deine Zeilen gelesen habe, war mir die Rätselhaftigkeit dieser Stelle gar nicht so direkt klar. War wohl mehr so unterbewusst, dass Santi (je nach Background des Lesers) auch ein bisschen feminin anmuten kann.

Santi muss ihm wirklich vertrauen, erstaunlich, dass man sich dennoch nie vorher begegnet ist.

Meiner Kenntnis nach haben literarische Übersetzer eher selten Kontakt mit ihren Autoren. Der Autor (also Santi) entscheidet normalerweise auch nicht, wer sein Buch übersetzen wird. Der Verlag kauft die Lizenzrechte für die deutsche Fassung und beauftragt den Übersetzer.

Ich dachte, dieses alkoholisierte Bewusstsein würde während des Skypens eine Rolle spielen [...] Okay, diese Impulsivität könnte ein Indiz für seine Beschwipstheit sein (ich krieg dieses Geplatze allerdings auch ohne Alkohol hin

Ja, die Beschwipstheit ist sehr dezent. Freut mich, dass du sie bemerkt hast.

Hach ja, I know. Aber süßes Deutsch scheint mir etwas ... infantil. Das erinnert mich an einen verliebten Teenager. Mir würde es gefallen, wenn ihm erneut etwas wie die schmalen Hände in Verzücken bringen würde. Also , ginge es nach mir.

Mein ganz privater Spleen. Das kommt daher, dass ich finde, dass gerade gebildete Menschen mit einem (in ihrer Muttersprache) hoch entwickelten Sprachempfinden, Fremdsprachen sehr putzig aussprechen, das hat eine ganz eigene Ästhetik. :shy:

Also, die letzte Entscheidung über diese Stelle ist aber noch nicht gefallen. Da muss ich nochmal mit Abstand draufgucken.

Heidegott, hat Santi ihn deshalb als Übersetzer ausgewählt? Weiß er mehr über ihn, als Vlad wusste, dass er's wüsste? Wow. Nur, dass er schon mal einen neuen Mantel mit die Höhle nahm, um zu meditieren? Hm. Aber wie sollte man sonst den Wandel zeigen und die ... eventuellen violetten Blüten. :hmm: Ach, mir egal.

Siehe oben, ich denke Santi hatte keinen Einfluss auf die Wahl der Übersetzers. Das ist also Zufall. Manchmal benötigt jemand doch einfach noch einen kleinen Input, irgendetwas Unbedeutendes, und dann rieselt die Erkenntnis, auf einmal wird etwas klar, was schon die ganze Zeit unterschwellig vorhanden war.

Das mit der Geschichte in der Geschichte auf so engem Raum, verknappt und mit weniger als 600 Worten, ist riskant. Ich interessiere mich gerade für kurze Kurzgeschichten und das ist irgendwie die Herausforderung, zumindest für mich.

Sie erkenne ihr wahres Ich, höre ich Santi wieder und wieder sagen.
Ich sags nicht gern, aber das kann weg. Manno, ich weiß das doch und freue mich, dass ich’s kapiere.

Stimmt, es ist ein sehr, sehr plakativer Satz. Ich hatte gehofft, damit durchzukommen, dass es nicht im Manuskript steht, sondern dass Santi das sagt, aber gut, Holzhammer bleibt Holzhammer. Ich muss mal überlegen, was ich da mache.

Danke für deinen hilfreichen Kommentar! :)

Liebe Grüße
Anne

---

Hallo Lani,

lieben Dank für deinen wohlwollenden Kommentar und das Lob zur Erzählsprache.

Tut mir leid, dass es dir ein wenig zu kryptisch war. Ich selbst hasse ja manchmal auch Geschichten, wenn sie zu rätselhaft sind und ich beim Lesen so viel denken muss. :D
Obwohl du das wirklich sehr hübsch resümiert hast. Du hast auch nichts übersehen.
Mein Plan war (und ist), dass das ein kurzer Text sein soll und er als solcher möglichst funktioniert.

Die Geschichte in der Geschichte: Der, der da in die Höhle geht und als Sie wieder herauskommt, das war lange Zeit ein Zauberer / eine Zauberin. Ja, wie du ganz richtig schreibst, glaube ich auch nicht, dass es da in der Geschichte in der Geschichte darum geht, dass ein Mann eine Frau wird. Es ist nur ein kleiner Schubs, der Vlad die Augen öffnet. Manchmal ist es doch so, dass es nur ein kleines Detail braucht, und auf einmal ist es klar und da kommen die Tränen, weil man es endlich sieht.

Wie sehr Vladislav sich wünscht, Vladislava zu sein - keine Ahnung. Auf jeden Fall ist da so eine gewisse Tendenz und vor allen die Sehnsucht, dieses Kleid zu tragen. (Der niederländische Autor Maarten ´t Hart (Fan!) ist vor Jahren auch einmal in High Heels und Abendkleid aufgetreten. Na ja, bei ihm war es wohl mehr eine Provokation, nachdem ihn jemand Spießer genannt hatte.)

Was das Komma betrifft, das muss an der Stelle nicht da hin. Die zwei Hauptsätze sind schon durch das „und“ miteinander verbunden. Hat mir der Friedel beigebracht. :shy:

Liebe Grüße
Anne

 

Hallo hell,

schade aber auch, das mit dem Achselzucken … :hmm: Trotzdem vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast für kritische, hilfreiche Anmerkungen!

Als Schreibübung war das nicht gedacht. (Hm, dieselbe Frage hast du schon bei einer meiner letzten Geschichten gestellt, was will mir das sagen?! ;)) Wohl aber möchte ich den Umfang des Textes in etwa beibehalten. Das ist als kurze Kurzgeschichte angelegt und ich möchte, dass sie in der Kürze gut funktioniert. Nicht ganz einfach.
Der Leser muss Lücken füllen und je nach persönlichem Hintergrund oder Gefühlslage mag man eben „nur“ den Twist sehen oder (hoffentlich) auch mehr. Wer aber die inhaltliche Fülle eines längeren Textes erwartet, der muss zwangsläufig enttäuscht werden.
Ich fange gerade erst an, mich mit dem kürzeren Format zu befassen, selbst solche kurzen Kurzgeschichten zu lesen und herauszufinden, was da geht und was nicht.

Das Thema wurde inzwischen sehr häufig beackert, schreibst du. Aber weißt du, das ist für mich so ein Totschlagargument, denn das trifft auf sehr viele Themen zu. Wenn es danach ginge, bräuchten wir gar nichts mehr zu schreiben. Ich weiß also nicht recht, was ich mit diesem Hinweis von dir anfangen soll.

Du hast auch nach dem ganz konkreten Thema gefragt. Vlads Cross-Dressing-Neigung ist, denke ich, deutlich erkennbar. Wie viel mehr noch dahintersteckt, bleibt offen. Soll offen bleiben. Mir geht es um den einen Moment des Erkennens und des Sich-Eingestehens. Das ist also erst der Anfang. Ein Coming-Out (möglich, aber nicht obligat) wird nicht beschrieben. Der Moment des Erkennens, das ist - denke ich - vom Umfang her Thema genug, um es in diesem Kurzformat zu würdigen.

Die (von dir geforderten) Hindernisse, das Drama, die Fallhöhe ergeben sich aus den slawischen Namen und der Metro. Vlad könnte sich beispielsweise in Moskau aufhalten. Kein guter Ort für diese Neigung, er wird sie dort nicht ausleben können. Schon die Erkenntnis und das Sich-Eingestehen dieser Disposition ist je nach familiärem Hintergrund in diesem Umfeld ein schwierigerer Prozess (kein Vergleich mit dem Leben in deutschen Großstädten, Christopher-Street-Day und alles).

Ob und inwieweit ich nachlegen kann, muss ich ausloten. Da ich die Frühphase der ersten Erkenntnis beschreiben will, wird es vom Umfang her nicht viel sein.

Danke und liebe Grüße!
Anne

---

Hallo Chai,

vielen Dank für deine Leseeindrücke, auch für die Rückmeldung, dass du den Text etwas verwirrend fandest und dir noch etwas fehlt.

Heutzutage ist es ja keine Schande mehr, schwul zu sein, man wird deshalb nicht mehr politisch verfolgt oder ähnliches.

In Russland schon, daher habe ich ihn Vladislav genannt und in die Metro steigen lassen.

Er übersetzt halt ins Deutsche, vielleicht sollte ich ihn konsequenterweise doch ins Russische übersetzen lassen.
Aber: Der Inhalt des Manuskriptes, mit der Verwandlung der Figur, nachdem sie aus der Höhle tritt, könnte auf dem russischen Buchmarkt schon problematisch sein. Deshalb hatte ich mich für diesen Kompromiss entschieden. Das ist auch die Antwort auf eine Frage, die Raindog gestellt hat. Bin mittlerweile schwer am Überlegen, ihn doch ins Russische übersetzen zu lassen, dadurch würde das Drama vermutlich deutlicher.

für mich klang es nicht so, als ob ihm das erst durch das Kleid bewusst wird.

Aber genau das war mein Plan.

Vielleicht geht es auch nur um eine unglückliche Liebe, und er hat sonst gar kein Problem, das Kleid ist einfach nur zu teuer oder viel zu klein, und er ist eher stämmig. Das kann natürlich auch sein.

Nope. ;)

Aber in der Kombination klingt es zumindest für mich so, als ob er grundsätzlich Schwierigkeiten mit seinen Gefühlen hat.

Yep. :thumbsup:

hätte ich wirklich gern ein paar mehr Hinweise gehabt, warum er es denn so verstecken muss, sich offenbar dafür so schämt.
Ich persönlich fände es schön, wenn du die Geschichte noch etwas ausbauen würdest.

Du beschäftigst dich ja gerade eher mit dem längeren Format, so Richtung Novelle, oder? Das Ding ist, ich will versuchen, den Text in der Kürze zu optimieren/polieren.

Liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anne49

Was für ein Unterschied zu früheren Texten von dir! Fast meine ich, du bist ähnlich am Experimentieren wie ich unlängst. Ein entscheidender Augenblick soll festgehalten werden oder vielmehr zwei Momente, die verschmelzen.

Während Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, fahre ich im Text fort. Immer weiter, bis mich ein heller Funkenschauer durchfährt.

Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen vom Kinn. Dass der Mantel mit violetten Blüten bedruckt ist, steht nicht im Tex, aber ich weiß es auch so.

Das violette Kleid aus dem Schaufenster und der Mantel, den der Protagonist aus dem Roman tragen wird, sind also die Symbole für eine unerfüllte und unerfüllbare Sehnsucht. Der Twist mit dem Namen und die sich dahiner verbergende Geschlechtszuordnung hat mich jetzt nicht besonders überrascht. Ich selbst habe mich ja damit auseinandersetzte müssen, wie man diese Info im Text unterbringt. Ich finde es richtig raffiniert mit den Vornamen, bei denen nur ein Buchstabe dazukommt oder wegfällt, und schon bekommt die Geschichte eine andere Wendung.

Ich denke, du hast nicht umsonst Namen aus dem slawischen Kulturkreis genommen. Du gehst davon aus, dass dort Homosexualität gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und und teilweise kriminalisiert wird. Insofern kann ich die Traurigkeit und die Angst davor, "entlarvt" werden, gut nachvollziehen. Ich finde übrigens, es spielt hier keine Rolle, welche Spielart sexueller Orientierung du hier meinst. Es ist jedenfalls eine, die es dem Betroffenen nicht leicht macht, sie zu akzeptieren.

Mir hat die Komprimierung auf zwei Momente ganz gut gefallen, auch wenn es bestimmt Leser gibt, die sich eine richtige Story alter Prägung wünschen.
Im vorliegenden Fall denke ich mir ein Treffen zwischen Santi und Vladislav aus, leider entwickelt sich daraus keine Liebesgeschichte, weil Santi viel zu sehr am Erfolg seines Romanes interessiert ist und gar kein Risiko eingehen möchte. Noch ein wenig Verfolgung durch Staatsgewalt, Verhaftung und internationale Irritationen, und du hättest einen Politkrimi :D

Nein, ernsthaft, du wolltest eben genau das nicht. Ich versteh dich so gut. Ich tröste mich meist mit dem Gedanken, dass es prima ist, wenn die Leser mehr wissen möchten und nicht nach Kürzungen rufen.

Noch was zum Sprachlichen.

... niemand beachtet mich oder den Kobold, der auf meiner Schulter lastet.

Dem Kobold würde ich eine aktive Rolle geben: z. B. er krallt sich an der Schulter fest, so als richtiger Quälgeist.

... da könnte ich mich kringeln.

Der Ausdruck ist mir zu harmlos, klingt zu sehr nach unbeschwerten Spaß.
Irgendwas mit Dahinschmelzen und gerührt sein. Weißt du, was ich meine?

Schöner Text, ich konnte was damit anfangen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hey Anne - ganz kurz:

Das Thema wurde inzwischen sehr häufig beackert, schreibst du. Aber weißt du, das ist für mich so ein Totschlagargument, denn das trifft auf sehr viele Themen zu. Wenn es danach ginge, bräuchten wir gar nichts mehr zu schreiben. Ich weiß also nicht recht, was ich mit diesem Hinweis von dir anfangen soll.
Es trifft wohl auf die meisten Themen zu ;). Ich meinte ja nicht, dass man neue Themen zu suchen hat als Autor, du hast das fehlinterpretiert. Vorsicht, Totschlagargument: Mir fehlt das Besondere und oder Einzigartige, um mich noch berühren oder interessieren zu können - sei es sprachlich oder eben inhaltlich -, gerade bei einer Thematik, die von unterschiedlichsten Medien schon breit beackert wurde und wird. Einzigartigkeit, das Alleinstellungsmerkmal kann schon dadurch erreicht werden, indem du in ein Einzelschicksal tauchst, nicht nur auf ihm surfst - indem du die Hauptfigur so richtig ausleuchtest. Dann erst kann ich verstehen, warum sie so handelt wie sie handelt, warum sie so denkt wie sie denkt, verdrängt wie sie ... du weißt schon :). Dann kann ich mitfiebern, mich ärgern, wütend werden, ablehnend reagieren ... Bestenfalls schaffst du es eben dann, mich beim Wickel zu haben, mich auf emotionaler Ebene zu erreichen - mitfühlen zu können und wollen.
Ein Mann erkennt, dass er (warum auch immer) gerne Frauenkleidung tragen würde. Möglicherweise in Moskau. Ganz ehrlich: So what?

Ich will dich nicht ärgern, Anne, im Gegenteil. Vielleicht ein wenig anstacheln - ja, sei ruhig wütend auf mich :). Ich finde, du hast großes Potenzial. Ich glaube, du hast die Fähigkeit, mehr zu erreichen. Du bräuchtest nur einen weiteren Schritt zu gehen, müsstest nur ein wenig tiefer graben. Ich sehe einfach noch zu viel Distanz zwischen Autor und seinen Figuren, den Themen, die er nicht mal selbst klar benennen will oder kann. Wirkt manchmal irgendwie gehemmt, mit angezogener Handbremse, auf Armeslänge entfernt. Bisschen mehr mutige Verschmelzung, dann kämst du einen Schritt weiter nach vorn, denke ich.

Bitte empfinde das dich als allzu anmaßend, ist ja eh nur 'ne rein subjektive Denke. Aber ich glaube einfach daran, dass da noch mehr in Anne49 steckt, das ich gerne mal in Augenschein nehmen würde, denn schreiben kannst du, das ist nicht (mehr) die Frage, bei deinem Entwicklungsstand, finde ich.

Gruß


hell

 

Hallo liebe Anne49,

ich hatte keine Verständnisprobleme mit deiner kleinen Geschichte. Manchmal ist es rätselhaft, aber das ist ja nicht schlimm.

Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden
Ich finde die Formulierung passend und verstehe sie so wie du es gemeint hast, eben wie die Kinder mit der Keksdose.

außerdem ist das viel zu teuer fürs kleine Übersetzerlein
Bei Übersetzerlein habe ich gestockt und gedacht, dass der Begriff für eine Frau irgendwie unpassend ist, eher „kleine Übersetzerin“. Klar du willst das Geschlecht hier offen halten, trotzdem finde ich es nicht ganz rund.
Vielleicht eher: außerdem bringt das Übersetzen viel zu wenig Geld ein,

resigniert ziehe ich den Kopf ein, halte im Kaufhaus Ausschau nach blickdichten Strumpfhosen in Schwarz, die zum Kleid passen würden.
Hier stolperte ich auch kurz. Resignieren bedeutet eigentlich aufgeben, was er ja dann doch nicht macht, weil weiter nach Strumpfhosen für das Kleid schaut. Vielleicht einfach streichen?

Schleiche mit warmem Gesicht zurück, bleibe vor dem Schaufenster stehen, sehe genau hin, als könne ich dadurch das zarte Weich des Materials auf mir spüren.
Den Satz mag ich, der ist warm und weich. :)

Diesmal hatte ich vorher keine Zeit, den Text einmal komplett zu lesen, und Santi hat mich am Haken: Ich will wissen, was die Hauptfigur im Schilde führt, wie er sich weiter für die Künstlerkolonie am Meer einsetzt.
Diese Geschichte in der Geschichte gefällt mir leider gar nicht. Man wird so abgelenkt von dem Protagonistin und dass dann ein Autor eine Geschichte schreibt, praktisch maßgeschneidert für den Übersetzer und dieser dadurch zu sich selbst findet. Nee, das ist mir zu verschwurbelt.
Brauchst du diese Textstellen aus dem Buch? Vielleicht könnte Vladislav auch durch ein intensives Gespräch mit Santi über den Inhalt zu der Erkenntnis kommen. Dann muss ich mich nicht auch noch in ein anderes Buch eindenken.

Er nennt mich bei meinem Namen.
Den Satz würde ich weglassen, ist irgendwie klar, oder?

da könnte ich mich kringeln
Kringeln finde ich hier auch unpassend albern. Es gibt da ja so ein schönes Wort für, wenn man jemanden so lieb hat, dass man ihn zerknuddeln möchte: verpisematuckeln. Aber vielleicht auch etwas unangebracht hier. ;)

Mhh, das Ende. Ja, es ist schön und auch irgendwie stimmig im Text. Aber da ich den Ansatz mit der Geschichte von Santi nicht mag, finde ich das Ende insgesamt nicht so überzeugend.
Vladislav lebt in Deutschland, kann deutsch so gut, dass er sogar als Übersetzer arbeitet. Das heißt auch, wenn er slawische Wurzeln hat, müsste ihm die deutsche Kultur vertraut sein. Und hier kommt man doch andauernd mit LGBT in Berührung. Deswegen kann ich nicht glauben, dass ihm erst eine Übersetzung die Augen öffnet.

Vielen Dank für deine kleine Geschichte im tiefsten Sommerloch. :)

Liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

Hallo Anne49,

ich hab auf jeden Fall schon einige Texte von dir gelesen, bin aber grade nicht sicher, ob ich schon mal einen davon kommentiert habe. Deshalb sage ich mal ganz pauschal: Ich mag die. Das hat eine gewisse Ironie, denn einer der Gründe, warum ich deine Texte gerne lese, ist dass die eben nicht auf Pauschalurteilen aufbauen, sondern sehr feinfühlige Geschichten über individuelle Persönlichkeiten erzählen, die von größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen betroffen sind. Sie gefallen mir auch deshalb, weil du ein sehr sicheres Sprachgefühl hast, das allein macht sie schon lesenswert, aber außerdem finde ich, die haben auch einen ... pädadogischen Wert? Das klingt total furchtbar, aber mein eigenes Sprachgefühl gibt leider grade nichts Besseres her. :Pfeif:

Also vielleicht etwas besser ausgedrückt: Ich habe nach dem Lesen oft das Gefühl, dass ich aus dem Text etwas gelernt habe. Und diese Geschichte ist dafür ein besonders gutes Beispiel.

Wie zufällig schlendere ich durch die Arkaden, betrachte das Kleid in der Auslage. Der mit violetten Blüten bedruckte Stoff fließt in eleganten Bahnen, umschmeichelt das Becken der Schaufensterpuppe, die mit hohlen Wangen durch Glas lächelt.
Was ich sehr spannend fand, ist, dass ich bei diesem Anfang sofort eine weibliche Erzählstimme im Kopf hatte.

Weil: Ich bin ja selber eine Frau, und cis, also ich habe noch nie das Gefühl gehabt, das wäre nicht richtig so. Unabhängig davon finde ich persönlich beispielsweise violette Blütenkleider ... nicht so richtig prickelnd. Ich trage, wenn es sich vermeiden lässt, eigentlich nie Röcke oder Kleider. Ich habe aus Prinzip noch nie Schuhe mit Absätzen angezogen, und ich finde Make-up etc. ist Zeitverschwendung.

Ich habe mitbekommen, dass das für viele trans-Frauen anders ist, und das war für mich, wenn ich ehrlich bin, immer schwierig nachzuvollziehen, weil ich halt der Meinung bin, das ganze Zeug braucht mensch nicht, um eine Frau zu sein. Und es hat für mich auch etwas Problematisches, wenn man diese traditionell als "feminin" deklarierten Sachen überbetont - wer gerne Stöckelschuhe und Lippenstift tragen will, soll das von mir aus herzlich gerne tun, unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlecht, aber ich möchte bitteschön auch nicht dahin zurück, dass man als Frau mit flachen Schuhe und ohne Lippenstift als "nicht weiblich genug" angesehen wird.

Deshalb war das ein echter Aha-Moment für mich. Denn von der Logik her ist es ja überhaupt nicht zwingend, dass eine Person, die ein Kleid im Schaufenster bewundert, eine Frau sein muss - könnte ja auch ein Mann sein, der ein Geschenk für seine Freundin sucht oder so. Und mein Gehirn hat das trotzdem automatisch angenommen, aufgrund so einer traditionell als femininen definierten Äußerlichkeit. Wenn diese "gefühlte" Geschlechtszuordnung aufgrund von solchen Attributen wie "mag lila Kleid" so tief drin steckt, auch bei jemandem, der die für sich selber gar nicht als wichtig empfindet, dann ist es ja nicht verwunderlich, dass das für jemanden, der von anderen äußerlich nicht entsprechend seinem "wahren" Geschlecht wahrgenommen wird, das aber gerne möchte, solche Äußerlichkeiten eine viel größere Bedeutung bekommen.

Das war jetzt irgendwie total viel Geschwurbel, ohne dass ich das Gefühl habe, ich hätte es auf den Punkt gebracht, aber letzten Endes heißt das halt: Ich habe aus der Geschichte was gelernt.

Was, wenn mich jemand dabei ertappte und dann eins und eins zusammenzählte?
Sehr gekonnt, das ist nur ein Satz, und man weiß: Die Figur lebt wohl nicht in einer besonders offenen und toleranten Gesellschaft. Denn dass jemand, der wie ein Mann aussieht, sich ein Kleid anschaut, muss ja wie gesagt überhaupt nicht zwingend irgendwas bedeuten. Dass sie das befürchtet, zeigt aber, dass es da eine tief verwurzelte Angst und Scham gibt.

Wie ich tief in die Textur ihrer Werke eindringe, allen Schwingungen nachspüre, diese wie Silberglasfäden im Sprachuniversum neu verschmelze und in meinen eigenen Text einwebe.
Den Aufhänger mit dem übersetzten Roman mag ich sehr und mir gefällt auch diese Beschreibung mit den "Silberglasfäden" total gut. Was mich in diesem Satz ein bisschen gestört hat, war das "Sprachuniversum". Vom Bild her ist das halt auf der einen Seite so etwas ganz feines, kaum wahrnehmbares, und auf der anderen Seite - ein Universum, also etwas, was gigantischer gar nicht geht. Das beißt sich so ein bisschen, hatte ich das Gefühl. Einen Alternativvorschlag kann ich allerdings auch nicht machen, so poetische Beschreibungen kann ich nicht :shy:

Feminine Wörter werden maskulin und umgekehrt.
nudge nudge, wink wink. :D Das ist wirklich schön gemacht, wie sich diese Andeutungen durch den Text ziehen.

Als die Sonne über den Dünen erstrahlt, verlässt sie die Höhle und streift den neuen Mantel über.
Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen vom Kinn. Dass der Mantel mit violetten Blüten bedruckt ist, steht nicht im Text, aber ich weiß es auch so.
Das hat mich so gefreut. Natürlich für deine Erzählerin, dass sie jetzt Klarheit hat. Aber möglicherweise noch mehr für Santi. Denn das ist ja ein Traum für einen Autor, wenn das eigene Werk so einen Effekt hat, wenn es einem Leser so eine fundamentale Erkenntnis schenkt und sein Leben für immer verändert.

Ein Text, der mit so wenigen Worten so viel Freude macht, gehört empfohlen, finde ich. Das kriege ich vor der Pause, in der der Webmaster hinter den Kulissen basteln will, wahrscheinlich nicht mehr hin, aber danach bestimmt.

Grüße von Perdita

 

Hallo TeddyMaria,

keine Ahnung, ob du das noch vor der Server Downtime liest. Jedenfalls vielen Dank für deine Leseeindrücke und den wohlwollenden Kommentar! :)

Ah, also in diesem Text gibt es wirklich viel zu entdecken. Und das mag ich.

Das freut mich sehr, wenn du das so siehst!

Dieser Kobold ganz am Anfang. Da habe ich hochgescrollt und geschaut, ob Du „Fantasy“ oder „Humor“ getaggt hast. Hast Du nicht – zu Recht. Aber dieser Kobold stört für mich die Atmosphäre des Textes, das klingt so, als würdest Du Deine Figur nicht so ganz ernstnehmen. Gefällt mir gar nicht, und ich glaube, Du könntest gut ohne ihn auskommen.

Dieser Kobold. Nichts als Ärger hat man mit dem Kerl! :D
Aber ich kann mich (noch) nicht recht von ihm trennen und überlege noch hin und her. Hab ja jetzt vier Tage Zeit dazu … Er ist eine innere Stimme und drückt Vlad schwer auf den Schultern, sag ich dir. Die mag ich gerne personifizieren. Es ist keine Witzfigur, kein Schlumpf oder Pumuckel.
Ein Unhold wäre mir wieder eine Spur zu finster, das würde mich auch an den gleichnamigen Film erinnern.
Meine Hauptfigur Vlad nehme ich natürlich schon ernst. Allerdings könnte es sein, dass er als Künstler auch eine überschäumende Phantasie hat und sich diesen inneren Quälgeist als Kobold vorstellt.Quälgeist, jetzt denke ich über dieses Wort nach. Aber dem fehlt die Schwere eines Kobolds, ein Geist hätte mehr so etwas Leichtes, Ätherisches.
(Fantasy hatte mich ganz zu Anfang mal gejuckt, als es in der Geschichte in der Geschichte noch um einen Zauberer ging, der als Zauberin wieder aus der Höhle kommt.)

Hier hast Du einen Bindestrich anstelle eines Gedankenstrichs verwendet.

Hab ich verbessert. Hoffe ich jedenfalls. Control plus Minuszeichen beim Nummernblock. Müsste ich in meinen älteren Texten auch noch verbessern, hüstel.

Liebe Grüße
Anne

---

Hallo Raindog,

auch dir vielen Dank für deinen aufmunternden und hilfreichen Kommentar!

ich lese sie einfach als das persönliche Coming-Out von einem, der seine Homo- oder Transsexualität erkennt, nicht mehr und nicht weniger.

Ich glaube, Coming-Out meint, dass man sein Umfeld informiert (so man das überhaupt für nötig befindet). Hier geht es erst einmal darum, es für sich selbst zu erkennen. Das ist ein Schritt vorher.

Wie viele andere stört mich der Kobold auch, also diese Formulierung, obwohl natürlich klar ist, was du ausdrücken willst.

Danke für die Rückmeldung. Siehe oben, was ich an TeddyMaria geschrieben habe.

Was mich aber wirklich irritiert, und ich weiß nicht, ob es das soll: Wo spielt das denn? In Deutschland ja wohl nicht, da heißen die Metros alle „U-Bahn“, wenn ich mich nicht irre. Und da sitzt also irgendwo, meinetwegen in Moskau oder in einer anderen osteuropäischen Stadt, dieser Vladislav und übersetzt Sachen aus dem, sagen wir Spanischen oder Italienischen ins Deutsche … Das mag es ja geben, aber wie gesagt, mich hat es irritiert, und ich frage mich jetzt, warum du das bewusst so gemacht hast. Weil die Toleranzschwelle in östlichen Ländern gegenüber Homosexualität niedriger ist und es für den Prot deshalb ein größerer Konflikt ist, als es hier wäre? Oder weil es so perfekt ist, mit dem einen Buchstaben am Ende einfach das Geschlecht zu ändern. (Nee, kann auch nicht sein, klappt mit deutschen Namen auch: Paul - Paula, Gerd- Gerda, Heinz … ) Also, sag doch mal bitte!

Dazu habe ich in meiner Antwort an Chai (#15) schon etwas geschrieben. Ja, Santi ist die Abkürzung für Santiago, also die Sprache des Manuskriptes soll Spanisch sein.
Vladislav und die Metro, weil Cross-Dressing, Homosexualität und Transsexualität in Osteuropa und Russland tabuisiert sind und am Rande der Legalität. Es spielt wohl in Moskau, aber ich möchte die schöne russische Sprache nicht so explizit nennen.

Denke, das müsste Wörter heißen, Worte sind doch Redewendungen etc.

Vielen Dank, das habe ich geändert!

Fände es schöner, wenn du „Berühren“ in der nächsten Zeile groß schreibst, wie einen neuen Satz, der andere ist abgebrochen. Sieht sonst komisch aus, finde ich.

Sehr schön. Auch das habe ich übernommen!

Sie erkenne ihr wahres Ich, höre ich Santi wieder und wieder sagen.
Ich schließe mich Kanji an: Das brauchen wir nicht! Und die Tränen, die vom Kinn tropfen, müssen auch nicht sein: einfach der allerletzte Satz allein erzielt viel mehr Wirkung, finde ich.

Dieser Satz ist gekillt, gleich beide Male. Aber die Tränen tropfen weiter vom Kinn, das ist mir ein eindrückliches Bild, mit dem ich viel verbinde und das mir noch unverbraucht erscheint.

Vielen Dank für dein Hilfe und liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Anne49,

du bist ja sogar im Urlaub produktiv, unglaublich …

Ich wollte mich vor dem Wochenend-Shut-Down auf jeden Fall noch äußern. Da du wahrscheinlich schon genug an Textkram bekommen hast, beschränke ich mich auf den Inhalt:

Der letzte Buchstabe, jo der macht den Unterschied. ich mag diesen RL/ Prosamix. Da ist der lila Mantel im Text greifbarer als das lila Kleid hinter Glas und fungiert als Indikator für die gelungene Verwandlung. Zugleich sorgt er auch für ein bissl Mystery im sehr reduzierten Text. Der Autor bringt Vladislavas Träume zu Papier. Faszinierend. Verwirrender, schöner letzter Satz.

Während Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, fahre ich im Text fort. Immer weiter, bis mich ein heißer Funkenschauer durchfährt:
Beim ersten Lesen dachte ich: Da wüsste ich gerne, was im Text passiert, wie sich das aufbaut, denn du überspringst die Erklärung für den Twist.
Dann las ich den Absatz darüber noch mal und stellte fest, es bahnt sich in Andeutungen an: die Geschlechtsänderung der Wörter, die körperliche (einseitige?) Anziehung der beiden, die Ankündigung von sieben Wochen fasten und meditieren des Prots. Und auch das kann ich so lesen: Das Gesicht gefriert, die Stimme ist verzerrt, die Verbindung unterbrochen, die Metamorphose beginnt.
Du lieferst die Bausteine quasi vor dem eigentlichen Twist, so dass ich zuerst gar nicht weiß, worauf du hinaus willst. Sehr ungewöhnlich und ein bissl tricky, weil man es sich so von hinten erklärt.

Über den bin ich gestolpert:

„Warum kämpft er denn nicht weiter?“, platze ich heraus.
... für die Künstlerkolonie am Meer? Das stört mich ein wenig, denn der Kampf des Prots ist - wie der Kampf Vladislavs - in Wirklichkeit ein persönlicher und damit ganz anderer. Das hat mich eher abgelenkt.

Gerne zweimal gelesen.

Peace, Linktofink


ps. Café-Maschine (Cappuccino-tauglich) aufgetrieben?

 

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