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Der Lachforst

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15.10.2009
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Der Lachforst

Wenn man von Salzburg nach Braunau fährt, kommt man am Schluss der Fahrt durch den Lachforst. Ich weiß nicht, wer diesem Stückchen Wald diesen Namen gegeben hat, denn soweit ich weiß, gibt es in einem Wald nichts zu lachen, schon gar nicht in diesem. Ich selbst bin diese Strecke nicht sehr oft gefahren. Mir ist auch damals, im Jänner 2005, nichts aufgefallen, außer dass mein Benzin zu Ende ging und ich keine Zigaretten mehr hatte. Kurz vor der Ortschaft Ranshofen liegt dort linker Hand ein verfallenes Gasthaus, das den klingenden Namen „Drecksauwirt” hatte, weil man erzählte, der Wirt habe, wenn er getrunken hatte, einem Gast schon mal eine Maurerforelle mit völlig verdreckten Pfoten serviert. Eine Maurerforelle ist ein in der Mitte durchgeschnittener Knacker, innen mit Senf bestrichen. Stefan G., (ich habe seinen Namen ändern müssen) mit dem ich damals befreundet gewesen war, hatte in der Nähe gewohnt.

Wir haben uns aus den Augen verloren, als er nach München studieren ging und ich meinen Wohnort wechselte. Ich zog nach Salzburg. Es soll schon im Winter 1999 angefangen haben, aber das habe ich natürlich nicht überprüft. Im Winter ist der Lachforst ein gefährlicher Ort für Autofahrer. Es gibt da Lichtungen, die Schneeverwehungen begünstigen, und so ist es fast sicher, dass jemand bei Neuschnee im Graben landet. Stefan wohnte damals in Neukirchen, einem Örtchen etwas südlich von Braunau. Er fuhr die Strecke Neukirchen-Braunau beinahe jeden Tag, oder besser gesagt jede Nacht, denn er arbeitete als Kellner in einem Braunauer Lokal, dessen Namen nicht zu nennen ich ihm habe versprechen müssen. Als ich Stefan vor einem knappen Jahr traf, hatte er sich ziemlich verändert. Er hat zu trinken aufgehört und ist heute Vegetarier. Nur das Rauchen hatte er sich nicht abgewöhnt.

Er sieht einigermaßen gut aus, auch wenn er immer noch diese scheußliche karierte Jacke anzieht, die den Eindruck macht, er sei gerade aus der Haft entlassen worden. Wir haben uns in Salzburg getroffen, als ich gerade dabei war, einen sündteuren Parkschein zu lösen. Ich wollte in die Bücherei, um mir für das Wochenende ein wenig Lesestoff zu besorgen, da berührte mich jemand nach Volksschülerart von hinten an der Schulter und wich schnell einen Schritt zur Seite, so dass ich ihn nicht sehen konnte, als ich mich umdrehte. So etwas mag ich gar nicht. Ich drehte mich einmal um mich selbst, bis ich das billig grinsende Gesicht Stefans erblickte. In seiner unmöglichen Jacke stand er vor mir, Stefan, und wenn man seine Art ertragen kann, ist er ein netter Kerl.

Er fragte mich, ob ich Zeit hätte für einen Kaffee? Ich hatte sie nicht und sagte ja, weil ich nicht nein sagen kann. Wir gingen ein Stück stadteinwärts und hockten uns in ein Café. Nachdem wir uns eine Zigarette angezündet und bestellt hatten (er einen schwarzen Tee, pfui Teufel, ich eine Cola), begann der übliche Gesprächsanfang („was geht denn alleweil“, „was macht das Salzburger Nachtleben“, „wie geht’s der Familie“ und noch mehr dergleichen). Von Smalltalk habe ich nie viel gehalten, also habe ich ihm seine Fragen mit Gegenfragen beantwortet. Und dann erzählte er mir diese seltsame Geschichte.

Im Lachforst seien in den letzten vier Jahren drei Menschen verschwunden, meinte er. Ich habe das natürlich nicht ernst genommen. In Österreich verschwinden keine Menschen, und für verschwörungstheoretischen Blödsinn habe ich schon überhaupt kein Ohr. Aber je länger Stefan erzählte, desto unsicherer wurde ich. Stefan hatte einen Freund bei der Braunauer Polizei. Der Einfachheit halber nenne ich ihn hier Georg. Ich sage hatte, denn Georg zog letztes Jahr nach Berlin. Georg hatte in den letzten Jahren bei vielen Unfällen im Lachforst ermittelt. Die besondere Gefahr im Lachforst liegt, wie ich schon erwähnt habe, in seiner kurvenreiche Strecke. Bei Neuschnee kann sie ganz schnell zur Todesstrecke werden. Auf den Geraden zwischen den Kurven gibt es kaum Unfälle; nicht einmal bei den riskanten Überholmanövern einiger Führerscheinneulinge.
Aber in den Kurven, die in Lichtungen liegen, hat schon mancher Autofahrer den Tod gefunden. Georg und Stefan waren dicke Freunde gewesen. Georg hatte, wie Stefan erzählte, hin und wieder nach Feierabend in Stefans Stammlokal wieder einmal einen über den Durst getrunken. Stefan erzählte mir, dass es etwa drei Wochen vor Georgs Übersiedelung nach Berlin gewesen war. Nach dem dritten Bier sei er auf die Unfälle zu sprechen gekommen, die sich jeden Winter im Lachforst ereignen. Es seien keine schweren Unfälle, die da passieren; die Leute fahren einfach zu schnell, können die Rutschfestigkeit ihrer Reifen bei Neuschnee nicht richtig einschätzen und setzen ihren Wagen in den etwa ein- bis eineinhalb Meter tiefen Graben. Dabei muss man sich nicht einmal verletzen; es reicht aber aus, dass der Wagen einen Totalschaden hat, weil das Chassis verzogen wird. Aber das sei es nicht, sagte mir Stefan. Es blieb nicht bei den drei Bieren, sagte Stefan. Ich habe Stefan gefragt, ob sich Georg nicht alles einfach ausgedacht haben konnte. Stefan erzählte mir, dass er genau das auch gedacht habe, bis zum 12. Januar 2005 jedenfalls.
Denn da verunglückte seine ältere Schwester. Und diesmal war der Unfallausgang tödlich. Hat man ihm und seinen Angehörigen jedenfalls gesagt. Die Leiche hat nie jemand zu Gesicht bekommen. Man wolle die Angehörigen schonen, hatte man gesagt. Seltsam wurde es, erzählte Stefan weiter, als jemand aus Linz aufkreuzte und erklärte, dass das Land Oberösterreich für die Begräbniskosten aufkomme. Das Land Oberösterreich war auch noch spendabel: Es zahlte 12.000 Euro an die Angehörigen aus, damit man davon absehe, ein Kreuz am Unfallort aufzustellen. Die gefährliche Strecke im Lachforst sei dem Magistrat in Linz bekannt, und bis es im Jahr 2008 zum Ausbau der Strecke kommt – was mittlerweile trotz typisch-österreichischer Straßenbauverzögerungstaktik tatsächlich geschehen ist – möchte das Land Oberösterreich dem seelischen Ungemach der Hinterbliebenen (so hieß es in dem Begleitschreiben) mit einer symbolischen Geste von 12.000 Euro entgegenkommen. Ich glaubte Stefan aufs Wort, dass er das Geld gut gebrauchen konnte; man wird nicht reich als Kellner. Nur hat dieser Georg an diesem Abend eben behauptet, dass Stefans Schwester gar nicht tot sei.

Es ist nicht außergewöhnlich, dass sich ein angeheiterter Gast schon mal im Ton vergreift, hat mir Stefan gesagt, aber diese Bemerkung war wirklich geschmacklos. So kenne er Georg gar nicht, hat er mir erzählt. Dann fing der Wahnsinn an. Stefans Schwester soll nicht die einzige sein, die nach dem Unfall verschwunden ist.
„Uhuhu”, machte ich und hob die Hände. Ich spielte Stefan mein Entsetzen vor.
„Die große Entführungswelle in Oberösterreich. Terroristen entführen Neuschneeopfer. Echt genial. Klingt plausibel, wirklich.”
„Ich bin dir nicht böse, dass du mir nicht glaubst”, sagte er mit einem abgeklärt-melancholischen Blick.
„Lieber Stefan. In Österreich werden keine Leute entführt. Weil in Österreich die Menschen normal sind, verstehst du? Wir sind hier nicht am Balkan oder sonst wo. Dieser Georg hat dir nichts als einen Bären aufgebunden. Und du ...?”
„Spinnst du? Glaubst du im Ernst, ich nehme so was ungeprüft hin? Natürlich bin ich zur Polizei gegangen und habe gefragt, ob sie meine Schwester gesehen haben nach dem Unfall. Die haben mir natürlich gar nichts gesagt. Wir sind kein Auskunftsbüro und so. Dann haben sie wissen wollen, wo ich jetzt arbeite, ob ich in ärztlicher Behandlung bin, ob ich etwas mit den anderen Toten zu tun habe und so weiter. Diese Arschlöcher.”
„Und? Was weiter?”
„Ich bin nach Linz gefahren, was sonst? Ich hab mir einen Tag Zeit genommen, habe den Amtsschimmel bestiegen und bin von Büro zu Büro galoppiert. Ein Dr. Kienast hat mich dann darauf hingewiesen, dass ich vom Land einen Betrag erhalten habe. Ich solle die Sache auf sich beruhen lassen. Also bin ich wieder zurück; Georg war nicht zu Hause, auch die Tage darauf nicht. Am Tag, bevor er nach Berlin ging, hat er sich noch einmal im Lokal blicken lassen. Ich hab ihn natürlich darauf angesprochen, aber er tat so, als ob er mich nicht verstünde.”
„Da hast du es. Er hat dich zum Narren gehalten. Und außerdem: wenn wer einen Unfall baut, dann kommt doch ein Auto nach und bleibt stehen. Was ist mit dem? Sie die auch alle ‘eingeweiht’”?
„Du nimmst mich nicht ernst.“
Nein, das tat ich nicht, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass das sonst wer tat, von Dr. Weihs vielleicht abgesehen, meinem Psychiater. Ich habe schon sein Jahren meinen Psychiater und ich schäme mich nicht dafür. Nach landläufiger Meinung brauchen einen Psychiater nur die geistig Kranken (was immer das auch sein soll), solche also, die den anderen, den Normalen, sonst im Wege sind. Man schämt sich ihrer. Man schämt sich der Kranken und der Psychiater.
Ich fand es amüsant, wie Dr. Weihs einmal mit ruhiger Stimme und gestelztem Ton erklärte, man müsse sich wirklich nicht schämen, wenn man heutzutage mit einem Psychiater zu tun hätte. Wenn man auf der Straße die Polizei um Rat fragt, dann hat man ja auch mit der Polizei zu tun, obwohl man nichts mit der Polizei zu tun hat, oder nicht? Dafür schämt man sich ja auch nicht usw. Nein, habe ich ihm damals gesagt, dass ich mich nicht schäme. Wie sollte er auch wissen, dass er in mir keinen mistschaufelnden Bauern vom Lande und keinen feigen Drösel vor sich hat, der seine Hose nass macht, nur weil ein Doktor vor ihm steht?
Ich habe ihm klipp und klar gesagt, dass ich Freud gelesen habe (alles, einschließlich seiner Briefe) und dass ich ihn für einen großartigen Romancier halte. Alles mit ernstestem Ton. Er hat die Verarsche nicht bemerkt. Das kann daher rühren, dass ein Psychiater in jedem Kunden einen potentiellen Patienten sieht, und jede seiner Aussagen könnte schon ein Indiz sein, nicht? Aber ich muss sagen, er ist ein feiner Kerl. Wenn man von Problemen berichtet, dann kategorisieren einen die Leute doch gleich. Du bist neurotisch, hast eine Zwangsstörung, du bist gestört. Das ist der Matsch. Der Volksmatsch. Dr. Weihs hat mir gesagt, dass ich zwar etwas oft die Hände wasche, aber deswegen solle ich mir erst mal keine Sorgen machen. Eher, dass ich soviel trinke.
Ja, ich trinke eine Flasche Wein pro Tag, na und? Dafür muss ich mich doch nicht vor einem Psychotypen rechtfertigen, oder? Ich möchte gar nicht wissen, wie viel er selber trinkt! Wahrscheinlich weiß er um die Gefahr aus eigener Erfahrung!
Mir kam sofort der Gedanke, Stefan von Dr. Weihs zu erzählen. Ich verwarf den Gedanken sehr schnell wieder. Das würde er als schwere Beleidigung ansehen. Er war jetzt schon sauer, weil ich ihm nicht glaubte.
„Schau, Stefan, ich freue mich, dass wir uns wieder sehen. Aber dann fängst du an, mir eine solche Geschichte zu erzählen, erwartest auch noch, dass ich sie glaube. Das tust du doch, oder?
„Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast; ich muss dir das nicht erzählen. Ich habe mich nur erinnert, dass du früher ein guter Kumpel gewesen bist und vielleicht der einzige bist, dem ich es erzählen kann, ohne dass er mir den Rat gibt, einen Psychiater aufzusuchen.“
Hu, jetzt war ich froh, dass ich ihm nichts von Dr. Weihs erzählt hatte.
„Nun, das ist ja auch so. Nur solltest du mir irgendeinen Anhaltspunkt dafür liefern, dass ich deine Geschichte glauben kann.“
„Ich kann dir sagen, was ich selbst gesehen habe.“
„Du warst dort?“
„Ja. Als es im Dezember wieder geschneit hat. Ich habe zwei Wochen darauf gewartet. Zwei Wochen, jeden Abend. Die Wolken haben nichts rausgerückt, und dann, am achtzehnten, da flockten sie endlich. Da bin ich hin.“
„Und?“
Stefan warf dem gelangweilten Hund einen Knochen zu. Der Hund fraß den Knochen und wurde neugierig auf mehr.
„Vorher bin ich zur Zeitung.“
„Aha.“ Stefan schien mir nicht naiv zu sein, sondern hatte Mut und Ideen.
„Ich wollte wissen, wie viele Unfälle es in den letzten vier Jahren im Lachforst gegeben hat. Wie viele Tote, wie viele Verletzte, wie viele Verschwundene. Es waren vierundzwanzig Unfälle. Davon sind drei tot. Offiziell...“
„Ah, unsere Verschwundenen.“ Ich verhehlte meinen Spott nicht. Aber Stefan ging nicht darauf ein.
Stefan fuhr sich mit dem Zeigefinger in die Nase.
„Genau.“
„Und? Sind irgendwelche Aliens aufgetaucht?“
Er ignorierte meine böse Bemerkung. Dafür rückte er ein wenig näher an den Tisch heran.
„Ich war dort. Es war wenig Verkehr, ich hatte ein paar Batterien für meine Taschenlampe dabei. Grausam kalt, aber ich hab mir ein paar Pullover und eine Überhose vom Militär angezogen. So hab’ ich’s ausgehalten.“
„Hat es einen Unfall gegeben“?
„Nein, nicht an dem Abend. Ich bin dort im Wald ’rumgestiegen wie ein Stück Rotwild. Die Viecher haben mir eine Scheißangst eingejagt, sag ich dir.“
„Ja, und weiter!“
Der Hund wachte auf. Jetzt wollte er fressen.
„Ich hatte anfangs damit zu kämpfen, nicht auf der Stelle nach Hause zu fahren. Es war so zehn am Abend, die Zeit, wo das Wild am aktivsten ist.“
Der Hund knurrte. (Am aktivsten? Aktiv, aktiver, am aktivsten. Aber ich wollte ihn nicht unterbrechen. Es ist rotzlöffelhaft, wenn man jemandes Erzählung zugunsten einer sprachlichen Korrektur unterbricht. Das ist, wie wenn man jemandem ins Gesicht sagt: Wenn du zu blöde bist, um deine Geschichte in korrektem Deutsch zu erzählen, dann will ich sie auch nicht hören. Mein Onkel tut das ständig. Bei ihm ist es in der Tat eine Zwangsneurose. Man könnte ihm erzählen, dass der Ballhausplatz jetzt im Rahmen einer Aktion für Licht ins Dunkel an die Lebenshilfe abgegeben wurde, er würde nicht hören, was man da erzählt. Es sei denn, man tut es ohne Fehler. Es müssen alle Tempi und Casus und Präpositionen stimmen, dann kommt man bei ihm durch. Nicht einmal die „Alarmklingel Auto“ würde da helfen: Wenn man ihm sagte: Du hast einen gehörigen Kratzer im Auto, so würde der Normalmann sofort fragen: Wo? (mit aufgerissenen Augen). Mein Onkel würde sagen: Im Auto oder außen? Wenn im Auto, dann wird’s wohl eins meiner Kinder gewesen sein.)
Der Hund machte Sitz und gab Pfote. Ich winkte dem Kellner, weil mein Cola in mir verschwunden war. Als er heranschlurfte, drückte ich ihm das Glas in die Hand und bat ihn, die Luft herauszulassen.
„Um zehn war gar nichts. Ich hab es mir auf einem Hochsitz bequem gemacht, etwa zwanzig Meter von der Straße runter. Aus dem Auto hab ich mir zwei Steppdecken mitgenommen. Da war’s dann einigermaßen warm. Um zirka elf dürfte ich ein wenig eingeschlafen sein. Als ich aufgewacht bin, war es halb zwei.“
Die Vorstellung, im Wald einzuschlafen, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Gut, im Winter ist es sicher nicht so schlimm wie im Sommer. Aber man sollte schon ein paar Folgen „Man vs. Wild“ gesehen haben. Ich persönlich finde ja, „Bear Grylls“ klinkt eher nach einem Wodka als nach einem Survivaltypen. Von Stefan wusste ich es ja. Wirklich, ich bewundere diese ganzen Überlebenskünstler, die mit einem Messer und ein paar Streichhölzern ganze Wälder bezwingen. Ich weiß nur nicht, wozu das gut sein soll. Ich bin froh, dass es im Lachforst keine Bären gibt.
„Huhu, ich glaube, ich hätte mir vor Angst die Gedärme aus dem Arsch geschissen.“
„Ach was, daran gewöhnst du dich. Musst es einmal machen, ist halb so wild.“
Nein, musste ich nicht. Der Hund winselte.
„Ich hab es gleich gesehen. Es war vielleicht hundert Meter von meinem Hochsitz entfernt. Nicht mehr.“ Er machte eine Pause.
Aus dem Maul des Hundes troff Speichel. Das Winseln wurde lauter.
„Stefan. Was hast du gesehen? Was?
„Eine Art Kreis, der, hm, phosphoreszierte.“ Er machte wieder eine Pause, der Arsch. Der Hund bleckte jetzt seine Zähne, weil er sein Fressi nicht bekam. Ein Kreis. Ja, klar, das erklärte natürlich alles. Ein Kreis also. Der Kreis hat die Toten in sich hineingezogen, und auf wundersame Weise wurden sie dann auf ein Raumschiff im Orbit entrückt, wo sie jetzt „untersucht“ werden. Ich beschloss, Stefan doch von Dr. Weihs zu erzählen. Nicht dass ich nicht glaubte, dass Stefan was gesehen hat. Aber nach einer Flasche „Bear Grylls“ konnte man sicher Halluzinationen bekommen. Auch bei der größten Dunkelheit. Stefan genoss es, mich leiden zu sehen.
„Ich bin langsam hingegangen. Es hat schwach bläulich geleuchtet. Und dann hab ich gleich gewusst: das muss was mit dem Werk zu tun haben.“
Der Hund war aufgestanden und schnüffelte. Jetzt machte er wieder Sitz.
„Ein Indianertipi? Die Zigeuner?“ Ich musste ihn ärgern, ihn aus der Reserve locken. Außerdem wollte ich in die Bibliothek.
„Du fängst schon wieder so blöd an.“
Jetzt musste ich aufpassen, sonst verpatzte ich mir alles. Wenn ich Stefan jetzt noch einmal schräg kam, würde er mich sitzen lassen.
„Ok, entschuldige bitte. Ich möchte jetzt einfach wissen, was du dort gesehen hast.“
„Gut. Du kennst doch das Aluminiumwerk in Ranshofen?“
Das kannte ich.
„Im zweiten Weltkrieg wurden dort notwendige Ressourcen für die Wehrmacht hergestellt. Als die Engländer Bomben abwarfen, war das Werk in Gefahr. Und da hat man folgendes gemacht. Im Lachforst, in der Nähe von Neukirchen, hat man große Lichter aufgestellt. In Ranshofen hat man zur Tarnung riesige Planen auf verräterische Stellen gebreitet. Man konnte das Licht nicht ganz abschalten; es waren im Werk mehrere Tausend Menschen beschäftigt. Aber es hat genutzt. Die Engländer haben den Norden von Neukirchen zerbombt. Sie hielten die Lichter für das Werk in Ranshofen. 1945 besetzten die Amis das Werk. Sie haben die ganze Anlage hermetisch abgeriegelt. Man kann in der Braunauer Chronik nachlesen, was damals für ein Aufwand betrieben wurde. Offiziell wurde das Werk dann 1946 an die Republik Österreich, genauer an das Land Oberösterreich zurückgegeben.“
Der Hund fraß gierig.
„Ja, weiter!“, forderte ich ihn auf. Von der Geschichte hatte ich schon einmal gehört, und mutatis mutandis – ich hab das mittlerweile nachgeprüft – stimmt sie sogar. Ich trank einen kräftigen Schluck und zündete mir eine Zigarette an. Stefan beugte sich über den Tisch, so als ob er fürchtete, jemand könnte zuhören.
„Ich weiß wirklich nicht genau, was die Amis im 45er Jahr getrieben haben, aber irgendetwas haben sie getrieben. Ich bin zu dem Leuchten hingestapft. War nicht ganz einfach. Es hat immer noch ein wenig geschneit, so dass ich nicht genau habe erkennen können, was ich das sah. Aber nach ein paar Metern wurde mir klar: Sowas hab ich noch nicht gesehen. Vor mir war eine Fläche, eine runde Fläche, die war völlig frei von Schnee. Es hat geschneit, wie gesagt. Aber dort fiel der Schnee ins Nichts.“
„War jemand dort?“ Der Hund hechelte.
„Nein, niemand. Ich hab mit der Taschenlampe alles abgeleuchtet.“
„Wie groß war die Fläche?“
„Weiß nicht, so zehn Meter Durchmesser? Schätze ich.“
„Und, was war in dem Kreis?“
„Ja, nichts. Nur kein Schnee. Irgend etwas unter der Erde, das Wärme erzeugt oder was.“
„Was hast du getan, Mensch?“ Der Hund wedelte mit dem Schwanz und schüttelte sich, wie Hunde das tun, wenn sie aufgeregt sind.
„Hineingestiegen bin ich nicht. Ich hab das Licht ausgemacht, weil es dort irgendwie eh schon geleuchtet hat.“
Stefan, die Leuchte, hat ein Leuchten gesehen. Wunderbar. Wahrscheinlich hat er ein beheiztes Wasserreservoir gesehen, dachte ich. Eine Pumpstation oder so etwas. Ich teilte ihm den Gedanken mit.
„Ja, das hab ich mir zuerst auch gedacht. Aber das ist es nicht. Es ist etwas anderes.“
„Woher weißt du das?“
„Bitte! Ich bin dort aufgewachsen. Wir haben im Lachforst oft gespielt. Und im Lachforst gibt es genau zwei Pumpstationen und einen Wasserabscheider. Eine Pumpstation ist an der Grenze zu Deutschland, die andere ist in Neukirchen. Und der Wasserabscheider ist auf der anderen Straßenseite. Die Pumpstationen erkennt man gleich. Da steht ein Meßstandzähler oder so was drauf, und daneben geht eine Stiege zum Eingang runter. Beim Wasserabscheider geht auch so eine Treppe runter, daneben steht so eine seltsame Boje. Nein. Das ist etwas anderes.“
Ich erinnerte mich dunkel an die Pumpstationen.
„Und was ist es?“
„Da ist keine Stiege runter. Und wenn kein Schnee liegt, kann man nichts sehen. Es ist einfach eine Stelle im Wald. Eine kleine Lichtung, von Unterholz umgeben, aber man wird nicht aufmerksam darauf, weil der Weg etwa zwanzig Meter unterhalb verläuft. Es sieht bei Tag völlig uninteressant aus.“
„Und das Leuchten?“
Der Hund scharrte jetzt mit den Vorderläufen.
„Weiß ich nicht. An den Rändern. So bläulich. Ich bin dann zum Auto gegangen. Das hab ich an der Hauptstraße stehenlassen, so am Rand, weißt du. Und weißt du was? Man kann das Leuchten von der Straße aus sehen. Und zwar schön deutlich. Ich behaupte: Die Unfälle sind nicht passiert, weil die Leute zu schnell gefahren sind oder so. Sie haben das Licht gesehen und waren einen Moment unkonzentriert. Das reicht bei Neuschnee.“
Ich fühlte mich wie ein Volksschüler, dem die Tante von der Nordsee das Märchen vom Weihnachtsmann erzählt. Ich ging jetzt einfach einmal davon aus, dass er nicht komplett plemplem war oder sonst einen Schuss hatte.
„Klingt unglaublich“, heuchelte ich weiter Aufmerksamkeit. „Jetzt will ich wissen, wie die Geschichte ausgeht; um drei habe ich einen Termin in der Bibliothek, und bei dem Verkehr…“
„Ich habe was gefunden.“
Der Wahnsinn in seinen Augen funkelte wie Katzensilber. Ich gähnte. Das zeigt meist Wirkung. Diesmal nicht. Stefan war zu aufgeregt. Ich hatte schon damals gründlich genug von solchem Zeug, und zwar endgültig. Blau leuchtende Kreise im Lachforst. Ich war dran, viel Geld darauf zu verwetten, dass mir Stefan als nächstes von fliegenden Metallscheiben erzählen würde.
„Ich habe meine Schwester gesehen.“
Plop. Der Hund implodierte. Verschwand. Filmriss.
Ich merkte nicht, dass mir der Mund offenstand. Ich sah nur Stefans Katzensilberaugen und seine vor Aufregung hochgezogenen Augenbrauen. Er nickte wie der Hund auf der Ablage meines Wagens.
Mechanisch wiederholte ich: „Du hast deine Schwester gesehen.“ Er nickte immer noch.
„In München.“
„Hat sie dich auch gesehen?“
„Ja.“
Das Lokal verschwand aus meinem Blickfeld. Das Universum bestand aus Katzensilber und Stefans Kopfnicken, das ich mittlerweile so dämlich fand, dass ich seinen Kopf halten wollte, damit das aufhört.
„Hast du mit ihr geredet?“
„Ja, was glaubst du! Selbstverständlich habe ich das. Es tut mir leid, dass ich alles so erzählen musste, aber du hättest mir sonst nicht geglaubt.“
Ja, da hatte er recht. Und ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich das tat. Da ist man unschuldig auf dem Weg in seine Bibliothek, trifft einen alten Freund, und hört Sachen, die echt, nun, wie soll ich sagen, den Rahmen des Gewöhnlichen sprengen.
„Ja, was ist denn los, verdammt! Spuck’s endlich aus oder ich mach mich aus dem Staub und vergess’ die ganze Geschichte, ich schwör’s!“
„Naja, ich… sie wollte nicht recht mit mir reden. Sie habe nur wenig Zeit, hat sie gesagt. Ich war wie weggetreten, als ich sie gesehen hab. Es geht ihr gut. Aber zu mehr hatte sie nicht Zeit. Sie hat sich entschuldigt und ist runter in die U-Bahn. Seltsames Ding, oder?“
„Und das war's? Du hast mich hier reingezerrt, um mir das zu erzählen?“
Stefan war perplex. Jetzt hatte ich ihm zuviel zugemutet. Er fingerte sich eine Zigarette aus dem zerknäulten Päckchen.
„Was heißt das? Du bist nicht normal, oder? Meine Schwester ist offiziell tot. Begraben, verstehst du? Die können das machen.“
Die Augenbrauen noch immer nach oben gezogen, sog er krebserregend tief an seiner Zigarette. Da waren sie wieder einmal, die „Die“. Ich wüsste wirklich gerne, wer die „Die“ sind.
„Fakt ist aber, dass deine Schwester offenbar nichts von dir wissen wollte, nicht? Warum nicht? Weil sie keine Zeit hatte? Du wirst nicht annehmen, dass ich das glaube.“
„Aber wenn’s so war.“
„Und du hast natürlich keine Adresse, Telefonnummer, email oder sonst was von ihr.“
„Leider nein. Ich kam nicht einmal dazu, das zu fragen. Gut, meine Schwester und ich, wir sind uns nie sehr nahe gestanden. Vielleicht meldet sie sich ja noch bei mir.“
„Wo sie offiziell verschwunden ist. Träum’ weiter. Für mich sieht das nicht so aus, als ob sie, nun, wie soll ich sagen, verschwunden lassen worden ist. Das sieht eher so aus, als ob sie abgehauen ist, nicht wahr?“
„Und die andern? Er zuckte mit der Achsel. „Keine Ahnung. Es stinkt einfach.“
Da wollte ich ihm nicht widersprechen. Das stank wirklich. Die Bedienung hatte zwischenzeitlich gewechselt. Stadt dem arroganten Schnösel wuselte jetzt eine von den hübschen Dingern herum, die man eher auf dem Titelblatt einer Illustrierten erwartet als in einem Café. Ein Hingucker, das kann ich sagen. Ich fürchtete schon, dass ihretwegen meine Aufmerksamkeit Stefan gegenüber nachlassen würde, da kam sie auch schon angerauscht. Ich hatte es nun wirklich schon etwas eilig, dachte mir aber, ein wenig Augenbalsam und eine Tasse Kaffee noch vertragen zu können. Sie war von vorne und von hinten gleichermaßen angenehm anzusehen. Ihr langes, schwarzes, gewelltes Haar hatte sie nach links gescheitelt. Ich glaube, das ist momentan nicht modern. Wahrscheinlich hat es mir deswegen so gut gefallen.
Stefan grinste. Das war mir unverständlich in dieser Situation.
„Die gefällt dir, was? Netter Käfer!“
Er machte mit den Händen eine schaufelnde Bewegung.
„Stopf dir deine Augen in den Kopf zurück, Mann.”
„Natürlich gefällt sie mir.“
„Ich hab dich auf den Arm genommen. Freilich hat sie mir eine Adresse gegeben. email, aber das ist doch schon was, oder? Aber jetzt geht die Story los.“
Ich seufzte, weil ich gehofft hatte, sie wäre nun zu Ende. Aber ich musste das Ende erfahren, ich hatte schon so lange ausgeharrt.
„Stefan, sag mir jetzt die Wahrheit. Ich will es wissen.“
„Ich habe anfangs auch geglaubt, dass die Leute verschwinden lassen. Ich habe ihr sofort eine email geschickt. Sie wird unterwegs gewesen sein oder was; die Antwort hab ich erst ein paar Tage später bekommen. Darin hat sie mir mitgeteilt, dass sie aus freien Stücken abgehauen ist. Meinen Vater kennst du ja. Er hat zu sehr geklammert. Und meine Mutter … naja, du weißt ja. Die hatte noch nie viel zu sagen in unserer Familie.“
„Und? Was ist mit den anderen?“
„Darüber, hat sie mir mitgeteilt, könne sie mir nichts sagen. Aber ich habe selbst was herausgefunden. Hab herumgefragt, weißt du. Drei Wochen lang. Bin überall hingefahren, wo die Leute gewohnt haben. Mann, du weißt gar nicht, wie abweisend die Leute sein können. Aber ich hab’s trotzdem rausgefunden.“
Der Hund war wieder da. Jetzt knurrte er böse.
Ich sah Stefan unverwandt an. Ich merkte, wie alles aus ihm gleich herausplatzen würde und wollte ihn jetzt mit keinem Wort mehr unterbrechen.
„Alle Leute waren im Werk beschäftigt. In Ranshofen, verstehtst du? Meine Schwester war dort von '88 bis '90 Sekretärin in der Forschungsabteilung. Dann gab’s da einen Dr. Faluc. Der Leiter der Forschungsabteilung. Er verschwand 1991. Dann war da noch ein gewisser Anton Bernroitner, ein Techniker. Alle offiziell im Lachforst verunglückt. Irgend etwas müssen die herausgefunden haben. Da bin ich zum alten Förster, zum Schmitzberger. Du erinnerst dich doch noch an ihn?”
Ich erinnerte mich an ihn. Er hatte uns einmal beim Zündeln im Wald erwischt und unsere Eltern verständigt. Mir hat der Arsch noch zwei Wochen danach wehgetan. Schmitzberger hütete den Wald wie ein böser Zauberer. Man musste auf der Hut sein, damit er einen im Wald nicht erwischte. Doch Zauberer hin oder her, wir fanden selbstverständlich einen Weg, wie wir uns a) vor ihm verstecken konnten und b) ihm seinen Verrat heimzahlen konnten. Im Frühjar ’81 haben wir ihm an einem Jägerstand die Leiter angesägt. Das, so beschlossen wir damals, würde ihm eine Lehre sein. Ob sich unsere Spitzbubenlogik ausgezahlt hat, weiß ich heute nicht mehr. Die Leiter war jedenfalls bald darauf repariert worden.
„Der alte Schmitzberger hat mich nicht mehr erkannt. Ich habe einen kleinen Geschenkkorb zusammengestellt, so auf Jägerart mit Wurst vom Wild und einer guten Flasche Sliwowitz, verstehst du, und habe mich als Schriftsteller ausgegeben, der für ein Buch über die ländliche Region recherchiert. Mann, hat es bei dem in der Wohnung gestunken. Alte-Leute-Geruch vermischt mit ungewaschener Kleidung und An- oder Ausgebranntem. Die Oma hat mir einen Kaffee hergestellt. Hatte die Farbe von Babykacke. Als sie rausging, um Kekse oder so zu holen und der Alte ein Buch aus dem Regal holte, hab’ ich ihn schnell in die Abwasch gekippt.”
Er nuckelte hastig an seiner Fanta.
„Die Amis haben nach Kriegsende das Bunkersystem des Zulieferwerks Ranshofen gefunden und stillgelegt. Dabei haben sie entdeckt, dass Hitler in der Gegend offenbar Größeres vorhatte, es aber nicht vollenden konnte. Ein Tunnelsystem zieht sich da angeblich von Braunau bis Burghausen zum Chemiewerk Wacker. Hitler hat ja bekanntlich mit Gaswaffen experimentiert, mit denen er seine Bomber ausrüsten wollte. Na jedenfalls haben die Amis alles dicht gemacht, heißt es. Aber eben erst 1946. Die Scheißer haben da selbst ’rumexperimentiert. Der Alte behauptet, wenn man in die alte Anlage der AMAG käme, könnte man von da aus unterirdisch bis nach Burghausen gelangen. Der Knüller ist aber etwas anderes. Dass die Nazis Bunker- und Tunnelsysteme angelegt haben, weiß heute jeder. Aber nicht, dass sie einen Tunnel angelegt haben zwischen dem Aluminiumwerk Ranshofen und dem Chemiewerk in Burghausen, das zufällig die größte unterirdische Süßwasserquelle Bayerns kreuzt. Komisch, nicht? Na, klingelt was?”
Ich verstand gar nichts mehr. Stefan genoss meine Verwirrung und zündete sich eine weitere Zigarette an. Er blies den Rauch stoßartig durch die Nase, wie ein Drachen, dem das Feuer ausgegangen ist.
„Das Wasser wird in den Norden Deutschlands verkauft. Es wird mit Kohlensäure angereichert, in Flaschen gefüllt und unter dem klingenden und bekannten Namen „(Sorry, das darf ich nicht schreiben)“. Der Laborchemiker war der erste, der ,verstarb’. Angeblich hatte er den unangenehmen Drang, die Wahrheit zu sagen. Schmitzberger meint, er sei zur Presse gegangen; dort habe man ihn aber offenbar nicht ernst genommen. Dafür hat sich jemand aus Linz für seine Geschichte interessiert, und zwar ein bisschen zuviel. Wenige Tage später hat man seinen Wagen im Lachforst gefunden.”
„Und was meinst du, hat es mit dem Wasser auf sich?”
„Ich weiß es noch nicht genau. Aber eines ist sicher: Der Kreis im Lachforst ist nichts anderes als ein Bunker. Er ist beheizt, auch heute noch, das lässt den Schnee schmelzen. Und dort unten geht was vor, das sag ich dir. Ich glaube, man setzt dem Wasser neben der Kohlensäure noch etwas anderes zu. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass die südlichen Länder Deutschlands wesentlich besser bei der Pisa-Studie abgeschnitten haben als der Norden? Das Mineralwasser bekommst du im Norden, im Ruhrgebiet etwa, an jeder Tankstelle und in jedem Supermarkt. Nicht aber in Baden-Württemberg, Bayern oder im Süden der ehemaligen DDR.”
Wenn Stefan noch länger weitergeredet hätte, hätte er mich dazu gezwungen, die Irrenanstalt zu verständigen. Die Amerikaner haben nach Kriegsende in Europa viele Dinge getan, die nicht gerade zum Wohle der Allgemeinheit waren. Aber das war mir wirklich zu bunt. Als ich gerade im Begriff war, den Gedanken an die Bücherei zu vergessen, traten drei Männer an unsern Tisch.
„Guten Tag, die Herren.”
Die Männer waren ganz offensichtlich an uns interessiert. Sie waren in Zivil; der eine von ihnen, ein graubärtiger Mittfünfziger, zeigte uns einen Ausweis. Polizei Lehen. Die zwei anderen stellten sich hinter Stefan. Sie hatten etwas zum Anziehen mit. Eine Jacke mit nur einem Ärmel. Stefan wehrte sich nicht, als sie ihn höchst passend kleideten.
„Sooo, Herr G., jetzt gehen wir nach Hause, gell?”, redete der eine mit der Stimme einer Mutter, die ihr Kind vom Kindergarten abholt.
„Ich hoffe, er hat Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet.”
Ich schüttelte verwirrt und doch sehr verständnisvoll den Kopf.
Als sie gegangen waren, bezahlte ich die Rechnung. Die Lust auf die Bücherei war mir vergangen. Der Hund schlief tief und fest.

 

Ich schüttelte verwirrt und doch sehr verständnisvoll den Kopf.

Paradoxe Formulierung. Der Text springt wahnsinnig viel zwischen unzusammenhänend wirkenden Strängen und Nebenhandlungen. Er ist zudem lang und wenig pointiert aus meiner Sicht. Ich würde aus diesen ganzen Handlungssträngen einen herausgreifen und mich im Text auf den konzentrieren. Du überforderst sonst die Leser- das dürfte auch der Grund sein, warum niemand was dazu sagt.

Die Szene mit dem Psychiater fand ich ganz nett, könnte man 'ne Geschichte draus machen, der etwas paranoide Patient mit all diesen zwanghaften Einfällen, seiner Freud- lektüre und seinen Ängsten, als Therapierter stigmatisiert zu werden.

 

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