- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Der kleine Krieg
Das bäuerliche Grundstück lag friedlich in einer lebensfrohen, satt-grünen Landschaft. Vögel erfüllten die kühle Aprilluft des Jahres 1915 mit lieblichen Beiträgen. Umsäumt von kleinen Waldstücken und auslaufenden, braunen Ackerfeldern, bereit, den Samen aufzunehmen, und grünen, saftigen Auen, strahlte dieses Stück Land eine ungebrochene Idylle aus.
Diese Idylle war nun bereit um in Besitz genommen zu werden; ganz so wie ein verlockend süsser Apfel sich einem lüsternen Gaumen nicht zu entziehen vermag. Starr und ernst blickten die Soldaten geradeaus. Der hochgewachsene Offizier schritt vor ihnen zackig auf und ab, während er die Taktik erläuterte: „Da drüben stecken die Franzmänner. Diese Feiglinge haben sich verschanzt. Jetzt ist es Zeit für den letzten entscheidenden Schlag. Wir werden sie wegfegen!“ Bewundernd blickten die Untergebenen zu ihm auf, begierig, seinem Befehl Folge zu leisten.
Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Mit dem Offizier voraus, der die kaiserliche Flagge in der Hand hielt, marschierten sie in einer lockeren Linie dem vor ihnen liegenden Wäldchen entgegen. Zielstrebig überquerten sie die Wiesen und Ackerfurchen, vorbei an Sträuchern und Obstbäumen. Max hielt sein Gewehr entschlossen an die Schulter gepresst; neben ihm Heinrich, etwas jünger und unerfahrener, doch nicht minder bereit, den Sieg zu erringen. Der Offizier indes trug eine schwarze Jacke, die aus den Schuhen tretenden Strümpfe waren bis zu den Knien hochgezogen.
In dem sonnenbeschienen Wäldchen waren schon aus der Ferne erste Gestalten zu sehen. Max wurde unruhiger. Der Offizier forderte zum Anlegen auf. Erste Schüsse waren zu hören. „Puff! Peng!“ - „Feuer frei!“, erwiderte der Vorgesetzte auf den Beschuss hin. „Peng! Peng! Pew!“ - „Vorrücken“, befahl er nun forsch. Im Laufschritt erreichten sie dann das Wäldchen. Erste Tannzapfen hagelten ihnen entgegen. „Autsch!“, schrie Heinrich entsetzt, von einem Geschoss getroffen. Auch Max war verwundet, doch er schaffte es, einen kleinwüchsigen Franzosen niederzuringen. Die übrigen Gegner hatten sich in der Scheune verschanzt. Weinend lagen die bereits Besiegten am Boden oder machten sich angsterfüllt aus dem Staub. Mit einem Akt letzter Gewalt, gelang es den Deutschen die Scheune zu erobern. Die Kapitulation wurde ausgesprochen, Frankreich gedemütigt. Anlässlich der Siegeszeremonie erhielt Max von dem Offizier einen Orden. Übermütig rief er daraufhin laut aus: „Es lebe Deutschland! Sieg unserem Vaterland!“ Die anderen stimmten sogleich ein.
„Warum müssen wir immer verlieren?!“, empörte sich nun Otto, der Anführer des französischen Verbands. Auch er gehörte zu den Älteren wie der Offizier. Ein grauer Mantel überdeckte seinen massigen Körper.
„Na, weil die Franzosen verloren haben und wieder verlieren werden!“, gab der Offizier des deutschen Zuges zum Besten, immer noch stolz die Entscheidungsschlacht gewonnen zu haben.
„Dann möchte ich auch mal die Deutschen spielen!“, meinte Otto beleidigt.
„Vielleicht, wenn du dich als mutig genug erweist“, sagte der Offizier. „Mein Papa ist an der Westfront in Flandern; und wo ist deiner?“
Otto sah betreten zu Boden.
„Da seht ihr’s, bei den Franzmännern ist der ganz recht!“, meinte der selbsternannte Offizier.
„Wart nur, Wilhelm, dir zeig ich was deutsch heisst!“, rief Otto nun zornig und warf sich auf den Offizier.
Etwas weiter weg aus dem Haus gegenüber dem Waldstück, erklang die Stimme der Mutter: „Kinder, kommt schnell rein, ich muss euch was erzählen!“ Ihre Stimme hatte etwas Wehmütiges. Beim Haus angekommen, teilte die Mutter ansonsten so lebhaft, nun kläglich und beinahe flüsternd, dass Vati wieder nach Hause komme. „Toll! Kommen sie zurück aus Paris?!“, jubelte Max. Heinrich war ebenfalls erfreut. Wilhelm hingegen ahnte das Unheil.