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Der König ist tot. Es lebe der König!

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13.12.2013
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Der König ist tot. Es lebe der König!

König Peter-Paul II. war kinderlos geblieben. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr war er mit der schönen Marianne vermählt, doch die schenkte ihm weder einen Sohn und Thronfolger, noch eine Prinzessin, die zumindest dazu dienen konnte, die Finanzen des maroden Königreiches aufzubessern, indem man sie mit einem Prinzen aus reichen Landen hätte vermählen können. Böse Zungen behaupteten, dass, wäre Marianne weniger eine so liebreizende, sanfte und durchaus anmutige Person gewesen, sondern eher von knabenhafter Gestalt, hätte es an Nachwuchs nicht gemangelt.
Des Nachts lag der König wach, geschüttelt von Hustenkrämpfen. Er wusste, ihm würde nicht mehr all zu viel Zeit vergönnt sein und er machte sich Sorgen, wer sein Nachfolger werden könnte. Einer, der noch lange nach seinem Tod, das Bild des mächtigen, gütigen und geschickt regierenden Herrschers hochhalten würde. Immer sah er nur das eine Gesicht vor sich. Der einzige Getreue, der ihm stets, im Strudel der Hofintrigen, tapfer zur Seite stand, seine Meinungen und Ansichten teilte und ihm zärtlich zugetan war, Rudolf Kouché, sein Minister und engster Vertrauter.
Wäre Marianne kein Weib, wäre sie wohl die Rechte für den Thron. Schließlich war sie es, die den Bürgeraufstand im Keim erstickt hatte. Ihre Idee, vorübergehend die hohen Abgaben zu senken, ehe der Pöbel den Aufstand anzetteln konnte, hatte erstaunlich beschwichtigende Wirkung gezeigt. Aber das alles war nur Eigennutz. Diese Hure! Über all die Jahre machte sie keinen Hehl daraus, ihn bloßzustellen, mit ihren ständig wechselnden Liebhabern. Annähernd der gesamte Hofstaat wusste es, und es schien ihm jedes Mal, als würde ihn der Adel mitleidig belächeln. Nachdem sein Vertrauter Rudolf Kouché sie hatte bespitzeln lassen, trug dieser ihm zu, Marianne hätte mehr als einmal die Dienste der Engelmacherin in Anspruch genommen. Sie hätte also gebären können! Es wären Bastarde gewesen, von den Liebhabern, die er teilweise selbst in den Adelstand erhoben hatte. Welch Schmach er hatte erleiden müssen!
Je länger er darüber nachdachte, desto fester war sein Entschluss, Rudolf wäre der Richtige Thronfolger. Ihm würde die schwere Aufgabe obliegen, die hinterhältigen Fürsten, dessen Lehnsherr er war, zur Raison zu bringen. Er würde sein Werk fortsetzten und sein Königreich von neuem zum Erblühen bringen. Gleich am Morgen würde er ihn mit dieser Angelegenheit betrauen. Ganz sicher würde er sich als würdig erweisen, den Titel des Königs zu tragen.

Rudolf Kouché trat mit gesenktem Haupt an die Bettstatt seines Königs heran. Dieser gab mit einer Geste zur verstehen, er solle sich neben ihn auf die Bettkante setzten und ergriff mit schwacher, zittrigen Hand die seines Vertrauten und führte sie zum Mund, um sie mit feuchten Lippen zu küssen. Rudolf hob den Kopf und sah seinem König direkt in die Augen. Dabei wurde ihm mit einem Schlag bewusst, dass er ihm niemals näher gewesen war, als in diesem Moment. Zwar kannte er jeden Zoll seines Körpers, die Stellen, die zu berühren ihn am meisten erregten und seine ganz speziellen Vorlieben, doch so innige geistige Verbundenheit hatte er noch nie gespürt. Tränen liefen ihm die Wangen hinab, da ihm wieder einmal klar vor Augen geführt wurde, dass die ganze Liebe und Vertrautheit bald ein Ende haben würde. Der König würde abtreten, und das sehr bald.

Rudolf saß auf einem prächtigen Rappen, der nervös tänzelte und seinen Reiter immer wieder aus dem Gleichgewicht brachte. Das riesige Tier rollte mit den Augen und stieg voller Ungeduld und Rudolf hatte alle Mühe, sich auf seinem Rücken zu halten. Dabei ruderte er wild mit seinen Armen in der Luft, damit er nicht abgeworfen wurde.
Er hatte sich eine goldene Rüstung angelegt, die ein wenig zu groß für seinen mageren Körper war und die schützenden Metallteile klirrten und schepperten, als sie gegen das Kettenhemd rieben. Das Haar, das er wie ein Kapuzinermönch trug, nur mit Fehlen der Tonsur, verbarg er unter einem glänzenden Helm mit einer langen Straußenfeder.
Er hob die Hand und los ging es. In einem Satz preschte der Hengst nach vorne. Rudolf wurden die Zügel aus der Hand gerissen, er im Sattel erst nach vorne, dann nach hintern geschleudert. Im letzten Moment klammerte er sich an die lange schwarze Mähne des mächtigen Tieres und verhinderte einen Sturz von dem gewaltigen Rappen. Im gestreckten Galopp ging es über sie Zugbrücke auf das freie Feld hinaus. Die Hufe schienen den Boden nicht mehr zu berühren und der Hengst durch nichts mehr zu halten. Eingehüllt in Staub und aufwirbelnden Erdbrocken konnte man ihn am Horizont nur noch schemenhaft ausmachen.
„Der hat es aber eilig“, lachte einer der Ritter den zwölf anderen zu, die im Burghof Aufstellung genommen hatten und dem durchgehenden Pferd verdutzt hinterher blickten. „Warten wir noch, bis der Gaul zurück kommt, oder sollen wir nachsehen, wo er des Königs Liebsten abgeworfen hat?“ Die Ritter fielen in lautes Gelächter ein, was von der Burgmauer wider schallte. Einer der Ritter bog sich vor Lachen so weit über den Hals seines Rosses, dass er um ein Haar aus dem Sattel gerutscht wäre. Dies zog ein noch viel stürmischeres Gelächter nach sich, wobei auch noch die Mägde, die mit ihren Körben unterwegs zum Markt waren, mit einfielen. Bald war der ganze Burghof angefüllt mit lauten Lachen, Kichern und Gegröle. Tränen liefen über die rotwangigen Gesichter der Ritter und Mägde.
Als die dreizehn Ritter los ritten, konnte man ihr Lachen noch so lange hören, bis der Wald, der an das freie Feld angrenzte, alle Geräusche erstickte.

„Ich weiß genau, dass ihr mich anschwindelt! Ihr betrügt den König!“ schrie Rudolf den Fürsten ins Gesicht und sein Kopf wurde so rot wie eine Tomate aus dem königlichen Garten. „Ihr habt das größte Lehen und wollt mir weismachen, dass das der Ertrag des gesamten Jahres ist?“ Er schlug mit der Rückseite seiner Hand auf das das Papier der Rolle, das an der Seite leichte Risse zeigte.
„Ihr seid ein Betrüger, Fürst Heinrich von Ziernburg! Und ein Dieb.“
„Wir hatten lange Zeit Regen, wie ihr wisst Minister Kouché. Fast die Hälfte der Ernte ist verdorben. Dazu kam der harte Winter. Wenn ihr nur ein wenig mehr Kenntnisse von Ackerbau besitzen würdet, wäre euch das einleuchtend. Und ich kann euch versichern, mein Herr, wir haben den Zehnten an euch gezahlt.“ Heinrich von Ziernburg stemmte beide Hände in die Seite und baute sich vor Rudolf auf, der sofort einen Schritt nach hinten auswich und leicht taumelte, als dieser in ein Erdloch trat. Leises Gekicher war von den Landarbeitern zu hören, die sich hinter dem Fürsten versammelt hatten.
Als sich Rudolf wieder gefangen hatte, hob er die Hand und deutete mit abgekautem Zeigefinger auf den Fürsten: „Mit mir nicht!“, schrie er abermals und seine Stimme überschlug sich. „Los Männer! Durchsucht die Speicher und Scheunen und nehmt alles auf, was sich darin befindet. Jedes Körnchen Weizen, Roggen und Hafer. Jedes Rind, Schwein und Huhn. Alles!“
Heinrich von Ziernburg konnte das Grinsen nicht unterdrücken, als er Rudolf Kouché und seinen Rittern hinterher sah. Kouché saß nicht im Sattel des viel zu großen Pferdes, sondern wurde mehr von einer Seite auf die andere geworfen. Genauso wenig ausbalanciert wie sein Gang war, genauso ritt er. ‘Das muss dem König gefallen’, dachte er und versuchte die Vorstellung zu unterdrücken, wie diese Bewegung beim Akt zweier Liebenden aussehen mochte. An einen seiner Arbeiter wendend ordnete er an: „Schick Gerald los, zum Hofe von Fürst Gregor von Rothe. Er soll ihn vorwarnen, obwohl ich sicher bin, dass er genau wie wir, den größten Teil der Ernte und das Vieh, versteckt hält. Gib ihm trotzdem das schnellste Pferd. Er soll sich beeilen.“

Rudolf Kouché war sprachlos. Immer von neuem stammelte er: „Ja, aber…“, mehr brachte er nicht hervor und schüttelte verwirrt seinen hochroten Kopf. Fürst Gregor von Rothe hatte ihm die Liste seiner Ernteeinnahmen vorgelegt, die er fein säuberlich aufgeführt hatte. Aus seiner Aufstellung, die mit den Aufzeichnungen von Rudolf übereinstimmte war ersichtlich, dass Gregor von Rothe sogar mehr als ein Zehntel seiner Einnahmen an den König bezahlt hatte und bedankte sich bei Rudolf Kouché, dass er allein aus diesem Grunde auf seine Ländereien herauskam, um ihn die zuviel gezahlten Abgaben zurück zu erstatten.
Rudolf kochte vor Wut und stapfte, abwechselnd mit beiden Beinen auf der Stelle auf. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt, sodass die Fingerknochen weiß hervortraten und er stotterte unverständlichen Silben.
„Dann wird es wohl so sein“, sagte er kleinlaut. Seine Stimme war nur ein hohes Fipsen. Er kramte in einer Schatulle herum, die ihm ein Ritter feierlich mit beiden Händen darbot und zählte die Summe ab. Fürst Gregor bedankte sich demütigst und wünschte dem Minister und seinem Gefolge eine gute und angenehme Weiterreise.
Als er mit seinen Landarbeitern wieder alleine war, rief er einen zu sich: „Hol mir ein Fass vom besten Roten und gib es Gerald mit, als Geschenk für Fürst Heinrich von Ziernburg, mit meiner Einladung, zum Erntedankfest. Wir werden ein großes Fest ausrichten, zum symbolischen Dank für König und Vaterland.“

Rudolf Kouché war in seine Gedanken versunken. Wie konnte es sein, dass die Ernteerträge so schlecht waren und ein Fürst auch noch eine Erstattung beanspruchen konnte? Wieder und wieder ließ er sich die Zahlen durch den Kopf gehen, aber er fand keine Erklärung.
„Zumindest habe ich ihnen gezeigt, dass man mit mir nicht umspringen kann wie mit einem kleinen Jungen und dass es mir ernst ist, sagte er laut. „Denen habe ich Respekt eingeflösst! Und wenn ich dann König bin, zollen sie mir alle Demut und in kürzester Zeit werde ich den Ruhm und das Ansehen ernten, das mir zusteht.“

 

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