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Der Hunger hinter dem Schweigen.

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26.10.2001
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Der Hunger hinter dem Schweigen.

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Der Hunger hinter dem Schweigen.

Die große Stadt sog sie alle in ihren Wirbel aus Hoffnung und Enttäuschung hinab. Alle die suchenden, resignierten, die übermütigen und verzagten, die gleichgültigen wie auch die wachen Menschen, sie trieben planlos vor sich her in der Dunkelheit der sternenklaren, kalten Frühlingsnächte, wurden hineingesaugt in das warme, laute Getümmel der Bars und Bistros.
Hier durften sie sein, was immer sie waren oder zu sein vorgaben, denn niemand würde es in diesem Reigen der Unterschiedlichkeiten bemerken, und wenn, dann bliebe immer noch genügend Raum, sich zurückzuziehen, oder zumindest, um sich anderen Dingen hinzugeben ohne dass das als Flucht vor einer Verbindlichkeit ausgelegt werden könnte.
So ging auch er an jenem Abend in die Stadt.
Er hatte sich sorgfältig zurechtgemacht, einen passenden Duft angelegt, die Haare mit Stylingschaum aufgepeppt und ein kleines Lederbändchen mit einem winzigen, silbernen Delfin und einem Haifischzahn um den Hals gelegt.
Alles waren wohldurchdachte Signale an einen noch unbekannten Menschen, dem er heute Nacht zu begegnen hoffte.
Nach dieser anstrengenden Woche gedachte er sich mit einem Abendessen zu belohnen und wählte dafür ein Restaurant, an welchem er immer auf dem Weg zu seiner Stammkneipe vorbeikam, dort aber noch nie gegessen hatte. Das von ihm gewählte Hirschragout schmeckte ausgezeichnet.
Es schmeckte ein bisschen herb, aber doch mit jenem edlen Anklang von Rotwein und einer Spur Wachholder, geschmeidig in den weichen Geschmack von Sahne gebettet.
Ein alter Whiskey aus den Lowlands rundete diesen Genuss ab.
Der erste Teil seines Hungers war gestillt.
Als er wieder durch die klare Kälte jener Märznacht ging, den Mantelkragen hochgeschlagen, beschloss er, auch einmal wieder in all jenen Bars vorbeizuschauen, in die er schon lange nicht mehr gegangen war – einfach nur so, einfach um zu sehen, ob er vielleicht etwas neues, anderes entdecken würde.
Er ging in die Kneipen hinein, schaute sich um, entdeckte aber nichts, was sein Interesse hätte wecken können und verließ die fremden Räume wieder, bevor ihn jemand wirklich wahrnehmen konnte.
Letztenendes landete er doch wieder in einer seiner Stammkneipen, entdeckte einen freien Platz am Tresen, fragte ein dort lesendes Mädchen ob einer der zwei Barhocker neben ihr noch frei sei, setzte sich hin und bestellte ein Bier.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, schaute ihn kurz, wie ihm schien prüfend an, lächelte nochmals, fast so, als würde sie ihn wiedererkennen und wandte sich erneut ihrem Buch zu.
Sie las in einem Buch, welches in einer ihm unbekannten Sprache verfasst und mit Abbildungen griechischer Gottheiten versehen war.
Dann kam ihr Begleiter und setzte sich zwischen sie.
Bald schon entspann sich ein Gespräch über die Gleichgewichte des Lebens, über den Sinn des Bösen in der Welt, über die Gründe, sich weiter zu entwickeln, über die Notwendigkeit der schmerzlichen Erfahrungen.
„Sei mal ehrlich, verändert dich das Glück, oder der Schmerz?“ Wollte er von ihrem Begleiter wissen.
„Welchen Grund gibt es denn, sich im Zustande des Glücklichseins verändern zu wollen? Das ist doch der Zustand, nach dem man schon so lange gesucht hat, also möchte man jene Momente so lange auskosten, wie nur irgend möglich. Wenn du aber nicht glücklich bist, strebst du danach, diesen unglücklichen Zustand in einen Moment des Glücks zu verwandeln. Nur deshalb suchst du weiter und nur deshalb bewegst du dich und lernst.“
Er hatte zwar zu ihrem Begleiter gesprochen, aber sie dabei angeschaut.
Sie nickte eifrig und schaute ihm dabei tief in die Augen.
Ihr inneres Strahlen erfasste ihn mit ungewohnter Intensität.
Es war, als würde ihm ein Schwall kalten Wassers über sein Haupt gegossen - er war hellwach, alle seine Sinne geschärft aber schon hub sein Gegenüber zu einer Erwiderung an und sie zog sich und ihr Strahlen wieder zurück, gleich einer Wolke, welche den Strahlenden Mond verdeckt. Der Begleiter begann in ungewohnter Vehemenz über all das Böse auf der Welt zu sprechen und offenbarte dabei seine Schwächen.
„ Kann es sein, dass dir gerade das Herz brennt?“ fragte er den Begleiter.
Dieser sah in fassungslos an und nickt stumm.
Sie reckte sich zeitgleich in die Höhe und klatschte in die Hände.“ Ja, ja, genau, das ist es!“ rief sie aus und trug mit diesem Ausbruch zur steigenden Verwirrung ihres Begleiters bei.
„Wie meinst du das?“ fragte er schließlich. „Woran siehst du das?“
Die beiden sahen ihn erwartungsvoll an. Bedächtig trank er einen Schluck Bier, leerte das Glas vollständig, drehte sich zum Barkeeper um und bestellte ein frisches Bier.
Die gespannte Neugier wurde fast greifbar, die Geräusche und die Musik schienen sich von ihnen zu entfernen.
Ein eigenes, kleines Dreieruniversum war entstanden.
„Nun“ hub er schließlich zu reden an; „Du möchtest doch so gerne gut sein und die Welt im Sinne des guten verändern, aber in dir brodelt doch so viel Wut und Enttäuschung, dass sie die Tat des guten in dir überdeckt und somit fast unmöglich macht, weil du glaubst, gleichs mit gleichem vergelten zu dürfen.
In deinem festen Willen, ein guter Mensch zu sein, vergisst du, dich auch deiner dunklen, wütenden, zerstörerischen Seite zuzuwenden und deren Kraft durch die Erkenntnis ihres Ursprungs und durch die Anerkenntnis ihrer Wirkungsweisen in eine positive Wirkungsbahn umzulenken. Du bist in dir nicht ganz, denn du kennst und akzeptierst deine dunklen Seiten nicht wirklich. Deshalb bist du nicht glücklich. Du kannst es gar nicht sein, denn du läufst wie eine Bombe durchs Leben die jede Sekunde explodieren kann, die Lunte in dir hat den Sprengstoff deiner negierten Ängste und Negativa fast erreicht. Alles was dich von deinem Ziel scheinbar abhält, wird sofort von dir hinweggesprengt, du hast keine innere Ruhe das Schöne zu erkennen und zu genießen. Du fühlst es, kannst aber nichts daran ändern, das erzeugt neue Angst und neue Wut in dir und deshalb brennt dein Herz.“
Der Begleiter schaute ihn noch irritierter an. Sein Blick wandte sich ihr zu, als sie erneut aufsprang und fast schon jubelnd ausrief“: Ja genau, das habe ich ihm auch schon gesagt!“
„Sag es anders“ bat er und wendete sein Gesicht erneut in seine Richtung.
„ Ich glaube zu verstehen was du mir damit sagen willst, aber ich begreife es noch nicht richtig.“
„Ich wollte dir sagen, dass ich deutlich zu spüren glaube, dass du in dir gespalten bist und deshalb immer wieder explodierst. Damit machst du dir aber das Leben schwer und auch das Leben derer, die dich auf deinem Weg begleiten wollen, denn du verstehst ja oft selber nicht, woher all die Wut in dir kommt, die sich da gewaltsam ihre Bahn bricht, ohne dass du sie kontrollieren könntest. Das macht dir zu schaffen, weil du es nicht verstehst und keinen Ausweg siehst.“
Daraufhin starrte der so Angesprochene blicklos auf einen Imaginären Punkt im Raum.
Mit einem Mal beugte sie sich über den Tresen, streifte sein Gesicht mit ihrer ausgestreckten Hand und sagte:
“ Ich möchte dich küssen.“
Er war erfreut und überrascht zugleich. Verwirrt stellte er fest, dass Ihre Zunge sich einen Weg ins innere seines Mundes suchte.
Ihre Blicke in den seinen verschränkt, löste sie ihren Mund von seinem Gesicht und lehnte sich zurück.
Ihr Begleiter lächelte etwas hilflos. Dann erhob er sein Glas, nur um irgendwas zu tun und prostete ihnen zu.
„Was ist das eigentlich für eine Sprache, in der das Buch geschrieben ist?“ fragte er in den wiederkehrenden Kneipenlärm hinein.
„Litauisch“ antwortete sie, lächelte, und wandte sich, so, als sei das ihr Stichwort gewesen, wieder ihrer Lektüre zu.
Er trank erneut.
Der Begleiter unterbrach seinen starren Blick, mit welchem er in sich versunken eine Stelle der gegenüberliegenden Wand fixiert hatte, um sich ihm erneut zuzuwenden und die Frage: „ Was ist denn verkehrt daran, wenn ich mich über das herrschende Elend und die Ungerechtigkeit empöre?“ zu stellen.
„Vielleicht die Form in welcher du es tust?“ Antwortete er prompt.
„Empörung über einen Missstand ist sicherlich gut und notwendig. Aber die Form der Empörung entscheidet darüber, ob du dich ins Recht, oder ins Unrecht begibst und damit deine Empörung entweder wertvoll und sinnvoll im Sinne einer Tätigen Konsequenz oder zu etwas negativem, deine berechtigte Empörung entwertendem machst.“
„Ich bin aber schon immer sehr aufbrausend gewesen, und ich fand es immer richtig so.“ Entgegnete er fast schon hastig und leerte sein Glas mit einem gewaltigen Schluck. Dann versuchte er, seinem eindringlichen Blick standzuhalten der von der Frage; „ Ist das wirklich so? Ich meine, dass es auch heute noch für dich in Ordnung ist, wenn du dich aufregst und durch deine Aggressivität Türen zuwirfst, die du lieber offen gehalten hättest“ begleitet wurde.
Sie schaute aufmerksam von ihrem Buch auf und betrachtete erst ihren Begleiter mit einem nachdenklichen Blick um ihn anschließend erneut mit unergründlicher Tiefe anzuschauen und wiederum geheimnisvoll zu lächeln.
Dann stand er auf, um in den Keller zur Toilette zu gehen.
Als er wieder herauskam, stand sie vor der Türe auf dem Flur.
Lächelnd.
Begehrenswert.
Mit den Worten“ Ich will dich“ schlang sie ihre Arme um ihn und begann ihn voller Glut zu küssen.
Sie zog sich ein Stück an ihm empor und umklammerte mit ihren Beinen die seinen, brachte ihr Geschlecht vor seins und rieb sich voll Verlangen an ihm.
Er wuchs ihr entgegen.
Menschen gingen an ihnen vorbei.
Nichts war wichtig.
Sie war da, in seinen Armen.
Ein Zittern durchdrang sie beide.
„ Ich will dich, aber es geht nicht“ sagte sie leise und löste sich von ihm.
„ Ich weiß, es ist nicht schlimm“ entgegnete er und strich ihr zärtlich durchs Haar, während er sie bewundernd anschaute.
So schön, so jung, so voller Leben, und dennoch hatte ihr Blick etwas unendlich trauriges an sich.
Er zog sie in Richtung Treppe.
„ Ich will dich wirklich“ flüsterte sie und presste sich erneut an ihn, nahm seine Hand, legte sie auf ihre Brust unterhalb ihres Pullis und erschauerte als er begann mit fiebrigem Verlangen ihre warme, duftende Brust zu küssen.
„ Aber es geht nicht“ sagte er schließlich und befreite sich sanft aus ihren Armen.
„Danke für diesen schönen Augenblick“ sagte er, küsste sie nochmals zärtlich auf die Stirn, nahm sie bei der Hand und wollte die Treppe emporsteigen.
„ Augenblick. Ich muss auch mal“ lachte sie, ging auf die Damentoilette zu, trat ein und schloss die Türe hinter sich.
Wieder an seinem Platz angekommen, nickte er dem Begleiter zu, trank einen großen Schluck Bier und zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an.
Als sie wiederkam griff er in seine Tasche, holte Bleistift und Zeichenblock heraus und begann sie zu zeichnen, während sie sich angeregt mit ihrem Begleiter unterhielt.
Immer wieder sah sie ihm zwischendurch ruhig, mit tiefem Blick in die Augen.
Er beendete die Zeichnung, legte sie ihr zur Begutachtung vor, nahm den Block wieder an sich und schrieb darunter: „ Der vergebliche Versuch, dich einzufangen“, unterschrieb das Bild, riss es vom Block und reichte es ihr wortlos.
Sie betrachtete es lange.
Ihr Begleiter starrte unverwandt auf eine unbestimmte Stelle im Raum.
Dann endlich faltete sie die Zeichnung zusammen und legte sie sorgsam zwischen die Seiten ihres Buches.
Nun ergriff sie den auf dem Tresen liegenden Bleistift und begann etwas auf den Rand einer Zeitung zu schreiben, welche vor ihrem Begleiter auf dem Tresen lag.
Der Begleiter las es, während sie schrieb und nickte dann unmerklich.
Sie schob es, nachdem sie mit Schreiben geendet hatte zu ihm hinüber und er las: „Der Kuss ist vorbei, für immer.“
Er sah auf, direkt in ihre Augen, fand so etwas wie Bedauern in ihrem Blick und nickte langsam.
Dann stand er auf, um zu bezahlen, packte Block und Bleistift ein, zog seinen Mantel an, klopfte dem Begleiter auf die Schulter und gab ihr einen letzten behutsamen, zärtlichen Kuss.
Ihre Hand streifte sein Bein, bevor er ging.
In der Kühle der Nacht fühlte er erneut den Hunger hinter dem Schweigen.

 

Hallo Lord,

als Nachtrag zu der Diskussion in München über deine Geschichte, hier ein Ausschnitt aus einem Gespräch mit Rainer Langhans, dem 68-Revoluzzer und Kommunengründer. Es erschien in der heutigen Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung:

Herr Langhans, Sie reden wie ein Wasserfall. Ist Reden nicht trocken und theoretisch – also das Gegenteil von erotisch?
Für mich ist das sehr erotisch. Auch der männliche Geist ist etwas sehr Erotisches für Frauen. Wenn er dann auch noch ihre Gefühle bis hin zum Bösen erreicht, dann hat das eine unglaubliche Anziehungskraft auf Frauen.
Ich sage dazu nur: der Mann muss es wissen, er lebt seit 30 Jahren mit 5 Frauen zusammen.

Dion

 
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