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Der Herr des Landes

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23.02.2014
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Der Herr des Landes

Kerzenlicht erhellte das Gemach und warf flackernde Schatten auf die kostbare Wandbespannung aus Samtbrokat. Mit andächtiger Mine kniete Jakob von Aicha vor einem Gnadenbild Mariens und lächelte. Doch er war weder in frommer Andacht, noch in nachlässigem Gebet versunken. Vielmehr erfreuten sich seine Gedanken an der Schönheit der Handwerkskunst, die in Figur und Gesicht der Gottesmutter so formvollendet Gestalt angenommen hatte. Ja, das Bildnis war ein Kleinod, wie man es in diesen freudlosen Tälern kein zweites Mal finden würde.
Wie eine Strafe Gottes war es ihm gewesen, als ihn sein Bischof als Inquisitor nach Wulsein im Wald geschickt hatte, von dem es hieß, dass Teufel und Hexen hier ihr schändliches Werk vollbrachten.
Doch was hatte er stattdessen vorgefunden? Ein paar verstreute Waldenser, Verführte höchstens, deren Glaube durch einen Mangel an kirchlicher Zuwendung verkümmert und missgebildet war. Einen Priester, der mehr dem Wein als der Messe zugetan war. Und eine Herde ungebildeter Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer er einen Fuß auf die schlammige Straße der Siedlung setzte. Nein, es gab wenig Anlass zur Freude in diesem Elend aus Schatten und Geistlosigkeit.
Viele Sommer waren vergangen, seit er hierher gekommen war, im Jahre des Herrn 1407, dem siebten Jahr der Herrschaft König Ruprechts III. Doch Ruprecht war lange tot und ein anderer hatte nach der deutschen Krone gegriffen, ein Heißsporn aus dem Hause Luxemburg. Der Blick des Luxemburgers war nach Osten gerichtet, dorthin, wo der Deutsche Orden jüngst von den Barbaren Livlands so schändlich geschlagen wurde. Und auch Jakob drängte es danach, seine Tätigkeit an einen Ort zu verlegen, der mehr am Herzschlag der Geschichte lag.
Schon längst war er der lichtlosen Tälern Tirols überdrüssig geworden, konnte ihn nicht mehr sehen, diesen gebückten und dunklen Menschenschlag, der hier fernab des herzoglichen Innsbrucks ein kärgliches Dasein fristete.
Und so kam es, dass sich Jakob von Aicha, wann immer er nur konnte, in die wohlige Anschauung der Gottesmutter begab. Sie war ihm Trost und Hoffnung zugleich, und zu diesem Zwecke hatte er sie über die Alpen hergeschafft.
Wie ein Entrückter ließ er seinen verklärten Blick über das samtene Gewand Mariens schweifen, betrachtete den zierlichen Fuß, der festen Schrittes eine Schlange zertrat, wanderte hinauf zu dem juwelenbesetzten Kranz aus Sternen, und weiter, bis an dieses herrliche Gesicht aus Lindenholz, das milde und gütig auf ihn zurückschaute. Amen, Amen, welche Schönheit.
Die enorme Summe, die Kauf und Transport der Madonna gekostet hatte, war vergessen. Münzen brauchte man hier am Allerwenigsten. Es brauchte Standhaftigkeit und Glaube. Und mit beidem erfüllte ihn der Anblick der Regina coeli.

Ein jähes Klopfen riss ihn aus der Betrachtung. Mit steifen Gliedern erhob sich Jakob vom Polster der Betbank und strich den Stoff seiner Albe glatt.
"Bitte, tretet ein ...", seufzte er der Tür entgegen. Noch bevor er den Satz beendet hatte, schwang diese auf und Aegidius von Salurn, der jungenhafte Sekretär des Inquisitors, stürzte in das Gemach. Für einen kurzen Moment drohte ein Windstoß die Kerzen zu Füßen der Madonna zu löschen.
"Hochwürden mögen verzeihen, aber ich bringe dringende Kunde aus dem Dorf!", stieß Aegidius mit rasselndem Atem hervor. Selbst im Zwielicht des Zimmers sah Jakob, dass das Gesicht seines Sekretärs so fahl wie Asche war.
"Sprich frei heraus, mein Sohn", bat der Inquisitor und wies dem völlig durchnässten Jüngling einen Platz am Kamin zu. Er selbst setze sich an den Rand des Betts, welches mit seinem gedrechselten Aufbau aus Ebenholz und den darüber gespannten Stoffbahnen den größten Platz im Zimmer beanspruchte.
"Nun, was gibt es so Dringendes? Du keuchst ja, als hätte dich der Teufel gejagt."
"Es ist schauerlich, Herr! Ganz und gar schauerlich!"
"Also?"
Aegidius Stimme bebte vor Erregung. "Ihr kennt wohl Elias, den alten Köhler? Der draußen im Wald seine Hütte hat?"
Jakob nickte und legte die Stirn in Falten. "Elias ist mir bekannt, auch wenn er ein eher scheuer Geselle ist. Ich habe ihn nur zweimal gesehen, unten im Ort, wenn Markttag war."
"Und wisst Ihr auch von seiner Tochter?"
Der Priester schüttelte den Kopf. „Der Köhler hat eine Tochter, sagst du?“
"Sie heißt Anna, Herr", würgte Aegidius heraus, so als ob es ihm widerstrebte, den Namen der Frau auszusprechen. Doch Jakob hatte noch nie von einer Anna gehört. Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand durch den dichten Bart.
"Hör mal, mein Sohn ..." Eine üble Vorahnung ergriff von seinen Gedanken Besitz. "Wenn du beichten möchtest, dann ist dies der falsche Ort. Vielleicht sollten wir ..."
„Ihr versteht mich falsch, Hochwürden!“, unterbrach ihn der Sekretär und eine kräftige Schamesröte vertrieb die Blässe aus seinem Gesicht. „Mein Gewissen ist rein. Bitte, was ich Euch zu sagen versuche! Das Weib ist eine Hexe! Eine ganz abscheuliche Ausgeburt der Hölle!“ Der junge Mann bekreuzigte sich hastig und warf einen Blick über die Schulter, als ob er befürchtete, verfolgt zu werden.
„Das sind schwere Anschuldigungen, die du da vorbringst, Aegidius.“ Ein strenger Ton war jetzt in Jakobs Stimme getreten. „Willst du dich erklären?“
Der Sekretär nickte hastig: „Ja, das will ich, Herr! Auch wenn Ihr mir nicht glauben mögt.“
„In meinem Alter ist man bereit, an vieles zu glauben. Aber jetzt erzähl, was ist dir widerfahren?“
Und Aegidius begann zu erzählen.

„Wie Ihr wisst, war ich an diesem Nachmittag unten im Dorf und verteilte in Eurem Namen Aufträge an die Handwerksleute. Ich kam soeben von Zacharias, dem ich das Flicken des Dachstuhls anvertraut hatte, da waren laute Schreie am Waldrand zu hören. Natürlich lief ich hin, um nachzuschauen, und viel an Dorfvolk und Gesinde tat es mir gleich. Als wir den Ort erreichten, erblickten wir drei Männer, die aus dem Dickicht stürmten und dabei Flüche von sich gaben, wie ich sie noch nie zuvor vernommen hatte. Bei allen Märtyrern, die Kerle sahen schrecklich aus, mit wilden Gesichtern und schwarzen Bärten! Irgendetwas musste sie aufgeschreckt haben, denn sie waren völlig verängstigt, was so gar nicht zu ihrem rauen Äußeren passen mochte.
Einige der Dörfler brachten die Männer in das Gasthaus zum Guten Hirten, wo ich sie in Ruhe befragen konnte. Es waren Zigeuner, wie wir sehr schnell feststellten, fahrendes Volk, das über Ungarn nach Tirol gekommen war. Sofern ich die wenigen Brocken Deutsch verstanden habe, hatten sie im Wald ihr Lager aufgeschlagen und dort den Plan gefasst, das Haus des Köhlers zu überfallen und auszurauben. Als dieser wie jeden Nachmittag an seinem Kohlemeiler war, schlugen sie zu. Ihr Anführer verriet mir mit zitternder Stimme, dass sie unter dem Fußboden einen geheimen Keller entdeckten, den sie nach Lebensmitteln durchsuchen wollten. Aber stattdessen ... stattdessen ...“
Aegidius hielt in seinem Redefluss inne und schlug erneut ein Kreuz. Seine Unterlippe bebte.
„Sprich bitte weiter, mein Sohn! Was war unter den Dielenbrettern? Was haben die Männer gefunden?“
„Wir wollten es zuerst nicht glauben, Herr. Wie kann man auch etwas so Schreckliches glauben, selbst wenn man um all das Teufelswerk weiß, dass den Erdkreis heimsucht? Wie mag man verstehen, dass wir zwar im Angesicht Gottes leben, die Teufel aber direkt unter uns sind?“
Jakob blickte hinüber zu seiner Regina coeli und kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass Schönheit und Verderbnis nah beieinander lagen, oft sogar näher, als ihm lieb war.
„Satan prüft uns Menschen, darob wir den rechten Pfad verlassen. Er verführt uns. Verdreht uns den Kopf, wenn wir es am wenigsten erwarten.“
„Dann war Satan heute leibhaftig zugegen!“, entfuhr es dem jungen Sekretär mit schriller Stimme. „Vier von uns machten sich auf den Weg zu Elias. Die Zigeuner weigerten sich mitzukommen, also sperrten wir sie im Gasthof ein.
Als wir an den beschriebenen Ort gelangten, stand die Tür zur Hütte offen. Der alte Elias war tot, erhängt an einem hohen Baum. Sein Kopf war ganz blau und geschwollen. Nach einigem Suchen fanden wir die Luke im Boden der Hütte, von der die Zigeuner gesprochen hatten. Stufen führten von dort aus in die Tiefe, aus der es feucht und moderig zu uns hinauf wallte. Wir brauchten eine Weile, bis entschieden war, wer voranging.
Schon beim Abstieg konnte man ein seltsames Zischen aus dem Untergrund hören, das anschwoll, je weiter wir nach unten drangen. Es war gespenstisch, doch kein Wort vermag den Schrecken zu beschreiben, dem wir uns gegenübersahen, als wir das Ende der Treppe erreichten. Eine mitgebrachte Fackel spendete nur spärliches Licht, aber es genügte, um mir ein Stoßgebet an alle Heiligen abzuringen.
Vor uns erhob sich inmitten eines lebenden Meeres aus Nattern ein abscheulicher Götze. Das Bildnis war mannshoch und aus massivem Gold gegossen. Der Körper des Idols sah aus wie der eines Menschen, doch wo gemäß göttlicher Schöpfung der Kopf sein sollte, ragte nur das Haupt einer riesigen Schlange in das Zwielicht der Kaverne. Ihr Maul war geöffnet, so dass wir die Fänge sehen konnten, und die Augen des Götzen waren Rubine, die wie Feuer im Licht der Fackel funkelten.
Bei allen Erzengeln, ich bezeuge Euch, dieses Ding ist von einem bösen Geist beseelt, so wie es uns inmitten dieser zischenden Schlangenbrut anstarrte. Und die Gebeine! Herr, ich sagte Euch ja bereits, dass der Boden der Höhle voller Nattern war, aber dazwischen … sie wandten sich um dutzende Schädel und Knochen, die unzweifelhaft menschlicher Natur waren!
Dann erblickten wir das Mädchen. Die Tochter des Köhlers kniete zur Rechten des Götzen, das Gesicht in die Hände gelegt, als wäre sie im allerfrömmsten Gebet vertieft. Sie sah nicht, dass wir kamen, aber sie wehrte sich wie eine Besessene, als wir sie ergriffen und aus der Grotte zerrten. Obwohl wir zu viert waren, hatten wir alle Mühe, das Weib nach oben zu tragen. Hier, seht!“
Er zog den Saum seines Gewands am Arm hinauf und enthüllte einen tiefen Kratzer.
„Anna fluchte und schrie in gotteslästerlicher Art und Weise, und sie hörte nicht auf zu schreien, bis einer der Männer sie mit einem Knüppel bewusstlos schlug.“
„Wo ist sie jetzt?“, unterbrach der Inquisitor die abenteuerliche Erzählung des Sekretärs. Er hatte sich vom Bett erhoben und Pergament und Federkiel aus einem Fassadenschrank geholt.
„Wir haben sie ebenfalls im Hirten eingeschlossen, dann rannte ich zu Euch.“
„Du hättest sofort zu mir kommen sollen. Es war töricht, ohne meine Erlaubnis in den Wald zu gehen. Ohne Zweifel bist du auf den Versammlungsort eines Hexenzirkels gestoßen. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, die ich dem Bischof unverzüglich mitzuteilen habe. Schwörst du auf die blutenden Wunden unseres Herrn Jesus Christus, dass du die Wahrheit sprichst?“
Der junge Sekretär nickte hastig und zeigte erneut auf die Kratzspur an seinem Arm. „Und auf meine eigenen, Hochwürden.“

Nachdem Jakob von Aicha den Brief an seinen Bischof aufgesetzt hatte, begab er sich mit Aegidius hinunter ins Dorf, wo man Anna und die Zigeuner in Gewahrsam hielt. Schwere Wolken kauerten über der Siedlung und vergossen Regenschauer, so dass die einzige Zufahrtsstraße zu einer Schneise aus Morast geworden war, in der die Kutsche des Inquisitors mehrmals liegen blieb.
Wulsein im Wald bestand aus nicht viel mehr als einer trostlosen Ansammlung geduckter Steinhäuser und Hütten, die sich am Fuße der Burg in ein namenloses Tal zwängte. Die Unwetter der letzten Tage hatte einige Dächer zum Einsturz gebracht, und auch der Dachstuhl der kleinen Kirche im Ort – ein schlichter, romanischer Bau ohne jeden Schmuck – wies erhebliche Schäden auf.
Wie ein einsamer, kleiner Stern am Nachthimmel, war der Gasthof zum guten Hirten der einzige Fleck in Wulsein, an dem so etwas wie Geselligkeit und Frohsinn existieren mochte. Frohsinn jener Art wohlgemerkt, der einem Geistlichen wie Jakob von Aicha natürlich verwehrt blieb.
Das Verhör der Zigeuner förderte indessen wenig mehr zu Tage, als Aegidius Bericht bereits zu entnehmen war, und der Inquisitor beschloss in einem Anflug von Überdruss, die Fremden der Gerichtsbarkeit des Dorfbüttels zu übergeben. Sollte dieser doch mit dem gottlosen Geschmeiß fertig werden, das vom Osten her ins Reich strömte.
Da die Tochter des Köhlers bewusstlos blieb, ließ Jakob sie von einigen Dörflern hinauf zur Burg bringen. Dann machte er sich selbst auf den Weg, die geheime Opferstätte in Augenschein zu nehmen. Als er eintraf, fand er alles genauso vor, wie man ihm geschildert hatte. Der Leichnam Elias‘ im Astwerk eines Baums, die Luke im Boden, die Treppe in die Tiefe und der abscheuliche Schlangengötze in einem Meer aus Gewürm.
Befehle wurden erteilt, und Jakob wies Aegidius an, eine detaillierte Zeichnung des Ortes anzufertigen, die ebenfalls an den Hof des Bischofs ging. Die Gebeine wurden sorgsam aus der Grotte geborgen und für den Transport nach Innsbruck vorbereitet, wo eine Kongregation über ihren Wert als Reliquien bestimmen sollte. Dann legte man Feuer in der Kaverne und wartete, bis alles darin vernichtet war.

Nach der Abendvesper in Wulsein kehrte Jakob zurück auf die Festung, um sich dem Verhör von Anna zu widmen.
Als er durch die niedrige Tür in das Verlies trat, funkelte ihn das Mädchen auf der Pritsche mit wilden Augen an. Überhaupt wirkte ihre ganze Erscheinung ungezähmt und unterschied sich deutlich von der gedrungenen Statur der gewöhnlichen Talbewohner.
Ihr Haar war flachsblond und stand in wilden Strähnen vom Kopf ab. Unter dem gelben Schopf blitzten die Augen, blau und eisig wie ein Gletschersee. Ihr Gesicht war auf unnatürliche Weise schön und trug trotzdem Spuren einer animalischen Natur, die Jakob Unwohlsein bereitete. Sie war größer als er selbst und noch dazu ungewöhnlich kräftig für ein Weib dieser Gegend. Der Inquisitor ahnte, dass dies kein gewöhnliches Verhör werden würde. Er schlug ein Kreuz in die Luft und nahm auf einem Schemel Platz. Über der Pritsche kauerte ein Schmerzensmann in einer Mauernische und blickte vorwurfsvoll auf ihn herab.
„Nun Anna. Das ist doch dein Name, oder? Anna die Köhlerstochter?“
Das Mädchen schwieg.
„Ich bin Vater Jakob, entsandt vom Hof des Bischofs, um Wulsein zurück in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche zu führen. Hast du schon von mir gehört?“
Als Antwort erntete Jakob wieder nur Schweigen und seine Worte hallten von den Wänden des Gewölbes wider. Aber das kümmerte ihn nicht. Verhöre dieser Art waren selten einfach und glichen am ehesten der Belagerung einer feindlichen Burg. Der Kunstgriff war es, die Mauern des Widerstands nach und nach abzutragen, Stein für Stein. Um dieses Handwerk auszuführen, hatte die Inquisition im Laufe ihres Bestehens ein breites Arsenal an Techniken und Verhörmethoden entwickelt, jede einzelne davon akribisch im Feld erprobt. Jakob war kein Freund der peinlichen Befragung, doch im äußersten Notfall schreckte auch er von den Vorzügen der Folter nicht zurück. Also ließ er einen Büttel zu sich kommen und zeigte Anna eine kleine Auswahl seines Instrumentariums. Der Anblick von Eisendorn, Zwinge, Messer und Zange schien den Starrsinn des Mädchens etwas aufzuweichen.
„Erzähl mir von der Höhle unter den Dielen eurer Hütte. Welchem Dämon dientest du dort unten?“
Die Stimme von Anna klang heiser, als sie antwortete. „Es gibt keine Dämonen unter meinem Haus, noch gibt es Dämonen, wie Ihr sie zu kennen glaubt. Was Ihr dort gesehen habt, ist der Herr dieses Landes.“
„Der Herr dieses Landes und aller Länder ist Jesus Christus, unser Herr und Gott. Leugnest du Gott und seinen eingeborenen Sohn?“, bohrte der Inquisitor nach, bemüht, seinem Tonfall sowohl Milde als auch väterliche Strenge zu verleihen.
„Ich leugne keinen Gott, aber ich diene allein dem Herrn des Landes.“ Trotz mischte sich in die Stimme des Mädchens.
„Und wer ist dieser Herr?“, wollte Jakob wissen. „Ist es der Schlangengötze aus der Grotte? Wem gehören die Knochen, die wir dort unten fanden?“
„Sie gehören dem Herrn. Alles hier gehört ihm. Er war schon hier, bevor ihr nach Wulsein kamt und meine Vorfahren vertrieben habt.“
Jakob zuckte zusammen. Was warf die Dirne ihm vor?
„Mädchen, ich habe niemanden vertrieben. Meine Aufgabe ist es, dem Treiben des Teufels Einhalt zu gebieten, ganz gleich in welcher Gestalt er in Erscheinung tritt. Die Schlange ist das ureigene Symbol des großen ...“
„Ihr seid ein Narr, Pfaffe“, fiel Anna ihm ins Wort. „Nicht Ihr habt meine Vorfahren vertrieben, sondern die endlose Schar an Männern, die Euch vorausgegangen sind. Völlig gleich, ob sie in Brünne oder Priestergewand daherkamen. Ich mache Euch daraus keinen Vorwurf, das ist der Lauf der Dinge. Lange vor Euch lebten andere Menschen in diesem Tal, herrliche Krieger, und ihr König hieß Alboin. Ihr edles Blut ist dünn geworden in den Strömen der Zeit, aber noch fließt ein Rinnsal durch diese Adern.“ Sie deutet auf sich selbst. „Meine Mutter gab all dies an mich weiter. Ich lernte das Wissen der Alten. Ich bin die letzte in dieser Reihe und bewahre es bis heute.“
„Und dein Vater? War Elias auch ein Hexer?“
„Er hatte nichts damit zu schaffen, obwohl er von allem wusste. Seine Vorfahren kamen aus dem Land der Böhmen hierher. Er beschützte mich und meine Mutter.“
Der wache Blick des Inquisitors verharrte für einen Moment auf dem gemarterten Heiland in der Mauernische. Das Mädchen schien aufrichtig zu sein, dazu mit einem Mal redselig, als habe sie sich mit den Konsequenzen ihres Tuns bereits abgefunden. War dies allein der angedrohten Folter zuzuschreiben?
„Warum hat sich Elias erhängt, wenn er euch doch ein so guter Beschützer sein wollte? Wir fanden seinen Leichnam vor der Hütte, kurz bevor man euch zu Füßen des Götzen ergriff. Willst du mir verraten, was dort passiert ist?“
Doch Anna schüttelte nur den Kopf, und ihre blonde Mähne flog dabei von einer Seite zur anderen. Jakob seufzte.
„Und dieser König Alboin, von dem du erzählt hast. Wer ist das? Ist er der Anführer eures Hexenzirkels?“
Jetzt entfuhr dem Mädchen ein lautes Lachen, so dass die goldene Kette auf ihrem Busen bebte. Es war kein fröhliches Lachen, sondern eines voller Verachtung und Hohn.
„Ihr versteht mich nicht, Jakob von Aicha. Ihr seht nur Hexen und Teufel am Werk, überall wo eure Füße den Staub dieser Erde berühren. Der Herr dieses Landes lacht über Euch und eure Engstirnigkeit. Er verflucht Euch. Die Schlangen der Erde werden sich erheben und Euresgleichen in den Abgrund reißen. Ihr werdet erfahren, was es heißt, die Hölle zu ...“
Der Schlag kam schnell und unerwartet. Jakob starrte auf seine Faust, dann auf den kleinen Blutstropfen, der von Annas aufgeplatzter Lippe perlte. Für einen kurzen Moment fühlte er eine merkwürdige Schuld; dann erlangte er die Fassung zurück.
„Wir werden sehen.“ Er rief den Büttel zu sich, der vor der Zellentür gewartet hatte, und gab ihm Anweisungen, das Foltergerät vorzubereiten. „Vielleicht kann Schmerz deinen Geist reinigen und deine Seele auf das Gericht Gottes vorbereiten. Du wirst für deine Ketzerei sterben. Aber das weißt du schon, nicht wahr?“
Anna spuckte vor ihm aus. „Ich weiß, welches Schicksal Euch bestimmt ist, Pfaffe. Ich habe es gewusst, von dem Moment an, als Ihr in diese Zelle kamt. Ich sah es ganz deutlich vor mir, so wie die Zeichen, die ich im Flug der Vögel oder im Astwerk der Bäume sehe. Seid Ihr mit Eurem Schöpfer im Reinen?“
„Genug jetzt mit dieser Blasphemie!“ Ungeduldig gab er dem Büttel ein Zeichen. „Beginnt mit den Daumenschrauben!“

„Hab Dank Aegidius, du kannst jetzt zu Bett gehen.“ Der Sekretär legte den Stapel Bücher ab, verbeugte sich hastig, und verschwand ohne weitere Fragen aus dem Kabinett seines Herrn. Jakob nahm einen Schluck Wein zu sich und seufzte schwer. Ihm brannten die Augen. Durch das Butzenglas der schmalen Fenster sah er den bleichen Schein des Mondes zwischen den Wolken schimmern.
Schon seit Stunden wälzte er alte Folianten aus der Bibliothek der Burg und seinen eigenen Beständen. Nachdem die Folter bei Anna keinerlei Erfolg gezeigt hatte, war er aufgewühlt und voller Fragen zurück in sein Gemach gekehrt. Einige Minuten verharrte er schweigend vor der herrlichen Silhouette der Regina coeli und dachte nach. Sie waren nicht zimperlich gewesen. Und doch schwieg das Mädchen zu allen Fragen ihrer Peiniger. Nur ein Satz verließ ihre Lippen, immer wieder, ganz gleich, ob sie die Haut ritzten, das Fleisch versengten oder mit eisernen Zangen ihre Fingernägel zogen.
„Er verflucht Euch! Der Herr des Landes verflucht Euch!“
Und nun suchte er nach einer Antwort in den antiken Schriften, die fleißige Mönchshände vor Jahrhunderten für die Nachwelt abgefasst hatten. Gott allein wusste um das Wissen, das so unscheinbar zwischen den wurmstichigen Buchdeckeln verborgen lag. Und bei den himmlischen Heerscharen, es war nicht immer christlich, was seine müden Augen darin lesen mussten.
Langsam brannte das Kaminfeuer herunter, doch nach mühevollem Studium wurde er endlich fündig.
Der besagte Foliant war eng mit karolingischen Minuskeln beschrieben und stellte eine Art Chronik der Besiedlung jener Region dar, zu der auch Wulsein gehörte. Mit zitternden Fingern blätterte Jakob in den Seiten des brüchigen Pergaments, dessen Inhalt aus der Feder eines italischen Mönchs namens Paulus Diaconus stammte. Letter um Letter transkribierte er das altertümliche Latein in eine lesbare Form, bis schließlich seine Augen auf einen vertrauten Namen stießen.
Alboin Rex!“ Jakob hielt inne. Mit einem Mal war sein Geist hellwach und er vergaß die späte Stunde und die Schwere seiner Lider.
Mit neu erwachtem Ehrgeiz übertrug er den Text auf frisches Pergament und sog das überlieferte Wissen des italischen Mönchs in sich auf.
Auch Bruder Paulus behauptete, von einem alten Volk abzustammen, das dereinst aus dem Norden nach Italien kam und dort sesshaft wurde. Es soll ein kriegerisches Volk gewesen sein, heidnische Barbaren, die alte Teufel verehrten und aufgrund ihrer langen Bärte vom christlichen Volk als Langobarden verspottet wurden. Ihr Heerführer hieß Alboin, und er gründete ein mächtiges Reich, das dem alten Rom an Glanz und Herrlichkeit ebenbürtig gewesen sei. Es reichte bis an die Alpen und Padua war seine Hauptstadt. Von hier herrschte Alboin als Halbgott über die unterworfenen Römer. Und obwohl er in Christi Namen getauft war, verfiel er den Irrlehren des Arius und stellte sich alsbald gegen die Eine und Heilige Katholische Kirche.
Oberflächlich und schwach soll Alboins Christentum gewesen sein, durchsetzt mit den abergläubischen Bräuchen und Vorstellungen, die den langen Weg nach Süden überdauert hatten. Die Langobarden mochten der heiligen Messe gelauscht und ihre goldenen Kreuze offen am Gewand getragen haben, aber in ihren Herzen blieben sie die schreckliche Heiden, die sie immer schon gewesen waren.
Auch Alboin opferte im Geheimen seinen Göttern, warf bei Vollmond das Los und wahrsagte aus Innereien und Vogelflug.
Jakob fröstelte, als er von den tiergesichtigen Götzen las, die in den verborgenen Hainen der Langobarden angebetet wurden. Pyramiden aus Schädeln hatte man zu ihren Füßen aufgetürmt und in den dunklen Wäldern, die ihre Kirchen waren, bogen sich die Äste schwer unter der Last der aufgeknüpften Menschenopfer. Durchs ganze Jahr waren heidnische Priester damit beschäftigt, die unheiligen Altäre der Götzen feucht zu halten. Doch die Andeutungen des Paulus Diaconus gingen noch weiter. Fast versagten Jakobs Nerven, als er die Vita des heiligen Bischofs Barbatus von Benevent überflog, aus der der Mönch zitierte.
„Heilige Mutter Gottes, steh mir armen Sünder bei … die Schlange!“ Erneut las er den Absatz, der seine Aufmerksamkeit so schrecklich in den Bann geschlagen hatte. Doch es bestand kein Zweifel. Der Text sprach von einem goldenen Idol, gekrönt mit dem Haupt einer riesigen Schlange. Der Heilige Barbatus kannte die dunklen Geheimnissen seiner Schäfchen und hatte das Idol in einer mondlosen Nacht gestohlen. Um seine dämonische Macht für alle Ewigkeit zu bannen, ließ er es einschmelzen und das gewonnene Gold zu Abendmahlskelchen gießen. Doch er musste geahnt haben, dass es noch viele weitere dieser Kultbilder gab. Zu viele, um sie alle aufzuspüren. Und einige überdauerten den Lauf der Jahrhunderte. Bis heute.
Staub wirbelte auf, als Jakob das Buch voller Schauder zuschlug. Das Mädchen sprach also die Wahrheit. Wie auch sonst konnte die Tochter eines armen Köhlers, die weder des Lesens noch des Schreibens mächtig war, von diesen Dingen wissen? Und das Idol, das er mit eigenen Augen gesehen hatte? War es nicht von gleicher Form, wie jenes, das der Heilige Barbatus aus dem Hain der Langobarden stehlen und einschmelzen ließ? Er musste mehr von Anna in Erfahrung bringen, wollte er die dichten Nebelschleier der Vergangenheit beiseite wischen und ans Licht zerren, was dahinter seit Urgedenken verborgen lag. Der morgige Tag würde die Antwort bringen.

Sphärische Klänge drangen von fern an Jakobs Ohr. Der Inquisitor wusste weder, wie er an diesen Ort gekommen war, noch, wo sich dieser Ort befand. Er stand auf einem kargen Plateau, dessen zerklüftete Flanke zu seinen Füßen steil abfiel. Weit unter ihm floss ein breiter Strom dahin, und sattes Palmgrün säumte die Ufer. Es war ein warmes Land, und obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, spürte Jakob keine Hitze. Fern am Horizont ragten mächtige Bauwerke empor und er entsann sich, deren Formen schon einmal in der Aufzeichnung eines greisen Pilgers gesehen zu haben. Es waren Pyramiden, die uralten Grabmäler ägyptischer Könige.
Dann erspähte er die Quelle der merkwürdigen Klänge. Eine Reihe schmaler Boote trieb den Fluss hinab. Sie alle waren festlich geschmückt und erinnerten an eine prunkvolle Prozession zu Wasser. Auf den Booten drängten sich fremdartige Menschen mit dunkler Haut und noch dunkleren Augen. Sie spielten auf Instrumenten, die Jakob nicht kannte, und tanzten dazu in einem wilden Reigen. Und mehr als das.
Alles an diesem unheiligen Festzug schien auf ein großes Boot inmitten der kleineren Gefährte ausgerichtet zu sein, einer Barke, die an Pracht und Schönheit die anderen noch weit übertrumpfte.
Bug und Heck waren mit zahlreichen farbigen Ornamenten geschmückt und hier und dort glitzerten große Juwelen im Licht der Sonne. An Deck brannten Opferfeuer und ihr Rauch umhüllte die Silhouette einer massiven Figur, die zwischen zahlreichen Gaben aus Gold und Silber thronte. Doch bevor der Qualm sich verflüchtigte und Jakob einen Blick auf das Kultbild werfen konnte, verschwamm die Szene vor seinen Augen und veränderte ihr Aussehen.
Wo eben noch gleißender Sonnenschein aus dem Firmament brannte, funkelte jetzt ein riesiger Vollmond durch eine Reihe antiker Säulen. Über Jakobs Haupt spannte sich die hohe Decke eines Tempels, dessen Überreste er von einer seiner eigenen Reisen nach Rom nur allzu gut kannte. Im Gegensatz zu den Ruinen seinen Erinnerung, war der Tempel nun völlig intakt und erstrahlte wie zu Kaiser Augustus Zeiten in ursprünglicher Pracht. Dabei war es ein unscheinbares Heiligtum, nahezu klein im Vergleich mit den gewaltigen Gotteshäusern von Jupiter und Mars Ultor.
Verwundert wanderte Jakob in der Halle umher und ließ seinen Blick über Fresken und verworrene Muster aus Weinlaub und Mäander schweifen. Irgendwo außerhalb des Tempels plätscherte ein Brunnen verschwiegen in die Dunkelheit.
Der scharfe Duft von Weihrauch, Schweiß und einer weiteren, süßlichen Note, die er nicht zu erkennen vermochte, lockte ihn schließlich eine Treppe hinab, die sich wie aus dem Nichts vor ihm auftat. An ihrem Ende stieß er auf andere Menschen, Frauen wie Männer, die zu Füßen einer Statue auf den Boden knieten und beteten. Sie alle trugen Kleidung, die er am ehesten als Nachtgewand bezeichnet hätte, doch ihre Gesichter lagen hinter hölzernen Tiermasken verborgen. Fackeln an den Wänden spendeten spärliches Licht und ihr Schein ließ den Boden wie vor Nässe glänzen. Instinktiv kniete Jakob nieder. Als seine Hände den Marmor berührten, erkannte er, dass der Eindruck von Nässe mitnichten vom Licht der Fackeln rührte. Der Boden war feucht vor Blut.
Erschrocken hob er den Kopf. Doch noch bevor er seinen Blick auf das Standbild am Ende der Krypta richten konnte, veränderte sich die Szene erneut. Ihm schwindelte, und es war ihm, als flöge er in großer Höhe über eine endlose Abfolge rätselhafter Geschehnisse hinweg, deren wahre Bedeutung er höchstens erahnen, aber nicht begreifen konnte. Phantastische Städte wuchsen vor ihm in den Himmel und verfielen wieder zu Staub. Zwei Heere kleinwüchsiger Tiermenschen lieferten sich eine gewaltige Schlacht. Ein greiser König kniete an einem Meer, dessen blutrote Wellen tosend an das Ufer brandeten. Eine grüne Kugel von enormer Größe trieb durch die Schwärze eines endlosen Raums. Dann spürte Jakob wieder festen Boden unter seinen Füßen.
Noch immer war es tiefe Nacht, doch dieses Mal stand er unter freiem Himmel in einem Wäldchen aus Olivenbäumen. Wieder tauchte der Schein eines prallen Mondes die Landschaft um ihn herum in kaltes Licht. Es roch nach trockenem Holz, warmem Stein … und verwesendem Fleisch.
Irritiert schaute Jakob nach oben und erblickte zu seinem Erschrecken mehrere leblose Körper, die an groben Stricken von den Ästen der Bäume hingen. Im Nachtwind schwangen sie sanft hin und her. Panik erfasste ihn, und so hastete er einen schmalen Pfad entlang, von dem er hoffte, dass er ihn von diesem Ort des Todes fortführen mochte. Doch als das Unterholz plötzlich vor ihm aufbrach, sah er sich einem weitaus groteskeren Unheil gegenüber.
Eine große Gruppe seltsam gewanderter Gestalten stand auf der Lichtung inmitten des Wäldchens und starrte ihn an. Blondes oder rotes Haar fiel in langen Strähnen auf ihre Schultern und ihre Körper waren von bemerkenswerter Größe. Obwohl sie in kostbare Stoffe gehüllt und mit Geschmeide aus Gold behangen waren, konnte der Schmuck nicht über die animalische Wildheit ihrer Gesichter hinwegtäuschen - und Jakob bemerkte, dass er einen schwachen Schatten dieser wilden Züge auch auf dem so sonderbar schönen Antlitz der Köhlertochter gesehen hatte.
Die Menschen, deren nächtliche Zusammenkunft er so stürmisch unterbrochen hatte, standen im Halbkreis um einen Altar, der wenig mit der prächtigen Sakralkunst christlicher Mensen gemein hatte. Es war ein primitiver Steintisch, dessen raue Oberfläche eine beunruhigend dunkle Färbung aufwies. Doch weitaus beunruhigender war das Ding, das sich hinter dem Altar dem Mond entgegen reckte. Es war der goldene Schlangengötze aus der Hütte des Köhlers - das verfluchte Idol, das vier unglückselige Zigeuner durch Zufall unter den Brettern des Hüttenbodens entdeckt hatten. Verstohlen blitzten ihn die rubinroten Augen an und Jakob war es, als ob sie ihm direkt in die Seele starrten. Und plötzlich wusste er, aus welchem Schlund diese Schlange einst gekrochen war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Donnerschlag.
Dieser Götze war älter als die Langobarden, ja sogar älter als das alte Rom und Memphis mit seinen sagenumwobenen Tempeln und Obelisken. Das barbarische Volk aus dem Norden hatte die Standbilder des namenlosen Gottes lediglich aus den Ruinen der römischen Zivilisation geborgen und in ihre eigene, von bösen Geistern und Dämonen beseelte Vorstellungswelt integriert. So, wie viele Jahrhunderte zuvor schon die Römer selbst den Glauben an die Schlange aus Ägypten nach Italien brachten. Es war dieses Bildnis, das er in der fackelbeschienenen Krypta des Tempels gesehen hatte. Genau, wie es die gleiche Schlange war, die inmitten der vorzeitlichen Flussprozession auf ihrer prächtigen Barke thronte. Als wäre sie schon immer da gewesen. Und nur Gott im Himmel mochte wissen, aus welchen vergessenen Abgründen der Geschichte die alten Ägypter diesen Dämon einst gehoben hatten.
Starke Arme griffen nach Jakob und packten ihn. Er schrie laut, als man ihn auf den Altar zerrte und mit groben Stricken band. Doch seine Rufe verhallten ungehört in der Nacht einer vergangen Zeit. Über ihm wölbte sich der Mond gewaltig aus dem nächtlichen Firmament und drohte, das Himmelszelt zu zerreißen. Die murmelnden Stimmen um ihn herum schwollen zu einem rhythmischen Gesang an. Ekstatisches Kreischen mischte sich mit der groteske Melodie und die Schatten wild zuckender Körper fielen auf das Gesicht des Inquisitors. Auf dem Höhepunkt des kakofonischen Reigens bemerkte er eine Bewegung am Rand seines Blickfelds. Er neigte den Kopf so gut es ging zur Seite und riss die Augen auf.
Das letzte, was Jakob von Aicha, demütiger Diener der Einen und Heiligen Katholischen Kirche sah, war der mächtige Kiefer der goldenen Schlange, der sich geifernd um seinen Schädel schloss.

Anna aus Wulsein, Tochter des Köhlers Elias aus Wulsein, starb am 25. Oktober im Jahre des Herrn 1416 in den reinigenden Flammen des Scheiterhaufens. Die Dörfler sagten, dass sie die Qual des Feuertods ohne Regung über sich hatte ergehen lassen. Andere wiederum tuschelten, dass sie von Beginn der Hinrichtung bis zu ihrem Tode geheimnisvoll lächelte. Ihre Asche wurde auf uneingeweihter Erde verstreut und schon bald von Wind und Regen hinfort getragen.
Was den Inquisitor Jakob von Aicha anbelangte, so konnte dieser die Hinrichtung der Hexe nicht mehr mitverfolgen. Er starb in der Nacht nach der Festnahme der Köhlerstochter in seinem Bett. Als Aegidius nach dem Bader schicken ließ, konnte dieser nur noch die Spuren einer unbekannten Vergiftung feststellen. Weder er, noch der junge Sekretär sahen die beiden kleinen Einstiche im Nacken des Verstorbenen, noch entdeckten sie, dass der zierliche Fuß der wunderschönen Regina coeli, die der Priester zu Lebzeiten so sehr verehrt hatte, nicht mehr länger auf dem Leib einer geschnitzten Schlange stand ...

 

Gefällt mir besser als zuvor, auch durch vorsichtige Kürzungen an sich selbstverständlichen Dingen – wie etwa hier

Als wir an beschriebenem Ort ankamen, stand die Tür zur Hütte offen und wir konnten sehen, dass der alte Köhler tot war. Erhängt an einem hohen Baum.
nun aber
Als wir an beschriebenem Ort ankamen, stand die Tür zur Hütte offen. Der alte Elias war tot, erhängt an einem hohen Baum.

Selbst neue Hinzufügungen (wie etwa des „Schmerzensmanns“) führen uns tief ins ausgehende Mittelalter und selbst wir, die wir selbst in Zeiten des Umbruchs leben (wer wollte bezweifeln, dass die Welt sich neu formiert?) mögen oft den Schmerzensmann erfahren, ohne den religiösen Hintergrund zu haben wie die Leute im Übergang zur Neuzeit.

Auch dass Petrus nicht der Wettergott ist
Alt:

Noch immer ließ es Petrus vom Himmel herab regnen, …
erweist sich als wohltuend (erst recht, unter Geistlichen, die ja Aberglaube akzeptierten, um Täuflinge zu gewinnen).
Eine Flüchtigkeit wäre noch abzuändern, wahrscheinlich war nur an den Hof gedacht worden, als der Bischof sich vordrängte in Deinen Gedanken:
Befehle wurden erteilt, und Jakob wies Aegidius an, eine detaillierte Zeichnung des Ortes anzufertigen, die ebenfalls an den Hof de Bischofs ging.
und eine Höflichkeitsform
Er war schon hier, bevor hr nach Wulsein kamt und meine Vorfahren vertrieben habt.“

Hier kommt die Anrede nicht als Höflichkeitsform daher
„Ihr versteht mich nicht, Jakob von Aicha. Ihr seht nur Hexen und Teufel, überall wo eure Füße den Staub dieser Erde berühren. Der Herr dieses Landes lacht über euch und eure Engstirnigkeit. Er verflucht euch. Die Schlangen der Erde werden sich erheben und euresgleichen in den Abgrund reißen. Ihr werdet erfahren, was es heißt, die Hölle zu ...“
Damit wird zugleich der Singular gegen den Inquisitor aufgehoben zum Plural und eine Rede wider alle Inquisitoren, vielleicht sogar gegen die Kirche. Nicht aber gegen das Christentum, schließlich waren die Langobarden Arianer, die eben nur nicht an die Gottgleichheit Jesu glaubten.
Ich deute diese Rede deshalb als Ausdruck der Verachtung des Mädchens an den Inquisitor …* oder? Und Provokation, die einhergeht mit dem Rollenwechsel oder Rollentausch zwischen der Beklagten und dem Inquisitor. Diesem Rollentausch fällt die Höflichkeitsform als erstes zum Opfer.

Gruß und schönen dritten Advent vom

Friedel

Ist ja schräg, gerade merk ich, dass ich Dich gar nicht angesprochen habe,

lieber Exilfranke.

So erfährstu eher zufällig, wie so was wie der Generationenvertrag zustand kommt ...

 
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Lieber Friedel,

hoffentlich zum letzten Mal, ein herzliches Dankeschön, bevor wir diese Geschichte hinter uns lassen und Platz für Neues schaffen.

Zum einen hat es mich sehr gefreut, dass dir auch einige andere Neuerungen/Kürzungen/Erweiterungen aufgefallen sind, obwohl ich sie nicht explizit erwähnt habe. Den gotischen Schmerzensmann habe ich als Kontrast zur Regina Coeli in die Zelle "gepackt", auch, um auf die zweierlei Gestalten katholischer Frömmigkeit hinzuweisen. Dort das Herrliche und Schöne, dass die Himmelskönigin verkörpert, dort der Leidende und Gemarterte, der "vorwurfsvoll" auf den Folterer herabblickt - "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" - und uns an das Böse im Menschen erinnert. Der Gedanke, ob denn die angeklagte Anna, die ja wirklich eine Hexe ist, zu diesen christlichen Brüdern gehört, soll zusätzlich zum Nachdenken anregen. Wer ist hier böse, wer tritt für das Gute ein? Der böse Inquisitor ist ein gern verwendeter Allgemeinplatz, den ich auch ein wenig aufbrechen wollte mit meiner Erzählung.

Gefällt mir besser als zuvor, auch durch vorsichtige Kürzungen an sich selbstverständlichen Dingen – wie etwa hier

bene!

Selbst neue Hinzufügungen (wie etwa des „Schmerzensmanns“) führen uns tief ins ausgehende Mittelalter und selbst wir, die wir selbst in Zeiten des Umbruchs leben (wer wollte bezweifeln, dass die Welt sich neu formiert?) mögen oft den Schmerzensmann erfahren, ohne den religiösen Hintergrund zu haben wie die Leute im Übergang zur Neuzeit.

Ich hatte ein wenig mit mir gehadert, die Figur des Schmerzensmanns zu nehmen, da nicht jeder weiß, was das ist. Sollte ich hier mehr erklären? Unbedarfte Leser mögen vielleicht annehmen, dass da wirklich eine Person in der Nische steht ... und nicht etwa ein Produkt gotischer Frömmigkeit.

Auch dass Petrus nicht der Wettergott ist

Ja, das erschien mir auch ungünstig, das mag der Bauer gedacht haben, aber sicher kein Mann Gottes zur damaligen Zeit ... wenn überhaupt das Attribut Petri als Wettermacher nicht viel jünger ist.

Eine Flüchtigkeit wäre noch abzuändern

Er war schon hier, bevor hr nach Wulsein kamt und meine Vorfahren vertrieben habt.“

Ha, erwischt. Und genau hier wollte ich gucken, ob das funktioniert. Denn an dieser Stelle spricht sie nicht mehr Jakob von Aicha persönlich an, das "ihr" bezieht sich schon auf die namenlosen Männer in Brünne, die ihm vorangegangen sind. Und da wäre es doch gerade dieser subtile Kniff im Schriftbild, der das unterstreicht, dass hier die Anrede wechselt.

Genau wie hier:

„Ihr versteht mich nicht, Jakob von Aicha. Ihr seht nur Hexen und Teufel, überall wo eure Füße den Staub dieser Erde berühren. Der Herr dieses Landes lacht über euch und eure Engstirnigkeit. Er verflucht euch. Die Schlangen der Erde werden sich erheben und euresgleichen in den Abgrund reißen. Ihr werdet erfahren, was es heißt, die Hölle zu ...“

Damit wird zugleich der Singular gegen den Inquisitor aufgehoben zum Plural und eine Rede wider alle Inquisitoren, vielleicht sogar gegen die Kirche. Nicht aber gegen das Christentum, schließlich waren die Langobarden Arianer, die eben nur nicht an die Gottgleichheit Jesu glaubten.

Korrekt erkannt. In diesem Fall ist der Arianismus nur der Deckmantel, unter dem ältere, heidnische Kulte im Verborgenen fortgedauert haben. Darum geht es in der Geschichte. Womit ich den historischen Arianern natürlich keine schlechte Absicht unterstellen möchte.^^

Friedel, ich danke dir fürs erneute Lesen. Textarbeit mit dir ist ein großes Vergnügen, das sich hoffentlich beizeiten wiederholen lässt. Es hat mich enorm weitergebracht.

Herzlichst,

Exilfranke

 

Nix zu danken, hat mir gewiss auch Spaß gemacht - und da bin ich denn nochmals mit Schmerzensmann und - eigentlich an falscher Stelle -der leidigen Priesterin,

lieber Exilfranke,

jetzt aber, um nicht lästig zu werden (wenn ich es nicht schon bin) tatsächlich fürn Herrn des Landes ein letztes Mal wie für unsern eher fantastyschen Helden Logwar.

Den Schmerzensmann würd ich empfehlen, ohne Erläuterung stehen zu lassen. Wer um den nicht weiß, darf sich glücklich oder naiv nennen. Und wer den historischen Hintergrund nicht kennt, wird doch wohl selber nachschlagen können (für mich fängt der Schmerzensmann schon bei der guugelfamilie an und den wiki-gläubigen).

So und jetzt der letzte Anlauf:

In den frühesten Aufzeichnungen der Goten (noch vor der Christianisierung) tauchen neben den mehr oder weniger zu erwartenden Vokabeln wie ansus/ansula (Ase/kleiner Ase) und iowi (Runeninschrift!, da sag ich mal nix, wo die den Begriff aufgegabelt haben können) für Gott die Zeichen „guþ“ auf, wo der eine oder andere noch ein nhd. gut herauslesen kann, was aber der „Angerufene“ bedeutet. Der „Lügengott“ (= Götze) war der „galiugaguþ“, wo die Silbe „liug“ selbst noch für den Unbedarftesten als das sichtbar ist, was es vor nahezu 60 Generationen schon bedeutete (als boshafter Mensch erkenn ich sogar das moderne gaga darin, wenn wir die Lüge wegnehmen).

Der den Gott anrief wurde schlicht und einfach zu einem „gudja“, der künftige Bischof und vormalige Oberpriester wäre, wenn man das halt weiß, auch zu erkennen: „ufargudja“. Dazu muss man nun wissen, dass die Vokabel Gott ursprünglich geschlechtslos war und dieser Gott in vielfältigen Formen (populär: Papageno/Papagena) auftrat.

Was kann also eine Fantasy-Geschichte daran hindern, solche alten Reste an Erinnerung* im Begriff der Priesterin als „gudja“ zu konservieren? Priester haben kein Geschlecht - bis eben Luther auftaucht.

Gruß

Friedel

 

Da hab ich doch vorgestern,

lieber Exilfranke,
das fast schon wichtigste vergessen, dass nun meine Ankündigung des „letzten“ Mal aufgeschoben werden muss, denn in der Vision des Inquisitors, direkt nach dem Vorsatz

… mehr von Anna in Erfahrung bringen …
zu wollen und visionären Episoden mit dem Schlangengötzen (got. etwa waurmsgaliugaguþ, das Puzzle kann man getrost wagen, obwohl die Langobarden ja – wie unsere Vorfahren – westgermanischer Zunge waren, Goten aber – und Burgunden – ostgermanischer. Aber selbst wir Spätgeborenen vermögen in der Vokabel noch die Schlange und den Wurm „waurms“, die Lüge und den Gott zu erkennen. Zudem verstanden sich die Langobarden nach dem Einmarsch in Norditalien als die legitimen Nachfolger der Ostgoten, die nicht einmal eine Generation zuvor der byzantinischen Übermacht erlagen.)

In (afrikanischen) Naturvölkern wird die Schlange als Gottheit verehrt, im frühen China gilt sie als Sinnbild der Erde und der steten Erneuerung, im altägyptischen wie dem altgriechischen Mythos wird sie geheiligt und ist Begleiterin der Gottheit – erst mit dem Monoteismus symbolisiert die Schlange Böses.
Mit den römischen Legionen kommt um die Zeitenwende (Augustus wird im Text genannt) der Mithraskult auch an den Rhein. Symbolisiert Mitra in Indien Recht und Vertrag, so Mithra in den persischen Mysterien eine Erlösergottheit, überwindet Finsternis und später wird er gleichgesetzt mit der Sonne.
Sein Festtag ist der Tag der Wintersonnenwende, der sich nun mit dem ägyptischen Osirismythos verknüpfen lässt - Du ahnst schon, wenn Du's nicht schon weißt, wo es endet.
*
Osiris, Gemahl und Bruder der zauberreichen Isis (Ägyptens Thron) symbolisiert Fruchtbarkeit, und als von seinem Bruder Seth ermordeter Gott steht er für den toten, alten König (der steht nun dem Totenreich vor, auch ohne Arbeitsagentur), dem sein Sohn Horus folgt, der immer junge Himmelsgott, der für die Sonne am Tage steht. Alle drei haben ein Nachleben zunächst in den verbreitetn Mysterien und dann unterm Tannenbaum: Mit dem Horuskind auf dem Arm wird Isis Vorbild christlicher Madonnendarstellungen.
*
So viel oder wenig zur Anpassung des Christentums an vorgefundene ältere Glaubensformen.
*
Fro-o-ohe Weihnacht
*
Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Exilfranke

Ich fasse zusammen: Ein Geistlicher lebt seinen «heiligen» Furor aus, indem er eine Heidin als Hexe bezeichnet. Danach wird sie verbrannt. Zur Strafe für seinen Frevel wird er später von einer Schlange gebissen und getötet, die aus einem Bild heraus zu Leben erwacht.

Sehr mystisch das Ganze. Auf jeden Fall fällt an unserem Paulus von Wulsein bzw. Jakob von Aicha auf, dass er noch die bezeichnende Eigenschaft des Saulus in sich trägt, die Bereitschaft zur Gewalt. Sein Bischof wird gewusst haben, warum er von seinen Männern gerade diesen einen in das Walddorf schickt. Täusche ich mich, wenn ich denke: Besiegelt wird sein Schicksal durch ein Übel, das er in sich selber trägt. Jakob ist stolz. Ihm wohnt ein hochmütiger Zug inne. Aus der Sicht eines Christen hat ihn die Schlange also lange vor seinem letzten Traum gebissen.

Was mir auffällt: Der Erzählstil weicht deutlich ab von dem hier üblichen, schnellen Stil. Er scheint mir nicht auf zwei bis drei Seiten ausgerichtet, sondern auf längere Geschichten. Ich finde das spannend.

Worüber man streiten könnte:

Ein paar verstreute Waldenser, Verführte höchstens, deren Glaube durch einen Mangel an kirchlicher Zuwendung verkümmert und missgebildet war. Einen Priester, der mehr dem Wein als der Predigt zugetan war. Und eine Herde ungebildeter Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer er einen Fuß auf die schlammige Straße der Siedlung setzte.

Das verstehe ich alles als einen einzigen Satz. Es ist eine einzige Aufzählung. Es scheint mir falsch, wenn durch Punkte zerstückelt wird, was dem Sinn nach ein Stück ist.

Es waren Zigeuner, wie wir sehr schnell feststellten, fahrendes Volk, das über Ungarn nach Tirol gekommen war.

Ein Satz wie der oben. Hier aber nur mit Schluss- und ohne «Zwischenpunkt».

Der Blick des Luxemburgers war nach Osten gerichtet, dorthin, wo der Deutsche Orden jüngst von den Barbaren Livlands so schändlich geschlagen wurde. Und auch Jakob drängte es danach, seine Tätigkeit an einen Ort zu verlegen, der mehr am Herzschlag der Geschichte lag.

An dieser Stelle könnte man den Vergleich zischen dem König aus Luxemburg und dem Inquisitor aus Aicha deutlicher machen, indem man statt eines trennenden Punktes ein verbindendes Komma setzt.

Ich sehe gerade, dass ich dieses Land immer falsch nenne. Es heißt Luxem und nicht Luxen(burg).:Pfeif:

Was mir noch auffiel:

Schon längst war er der lichtlosen Täler[ ] Tirols überdrüssig geworden (…)

Oder mit «n»? Ein Indiz, das für das «n» spricht, ist, dass Friedel es nicht beanstandet hat. Ihm entgeht sonst kein Fallfehler?

Sie war ihm Trost und Hoffnung zugleich, und zu diesem Zwecke hatte er sie über die Alpen hergeschafft.

Hm, muss ein Deutscher sein, der das geschrieben hat. Ein Italiener zumindest wäre nie und nimmer auf die Idee gekommen, dass man sich ein schönes Marienbild auf der Nordseite der Alpen beschaffen könnte.

Folgendes ist gut:

(…) Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer er einen Fuß auf die schlammige Straße der Siedlung setzte.

Weniger gut:

Es war ihm ganz gleich gewesen, dass der Kauf und der Transport der Madonna seine Börse beträchtlich geschmälert hatte, denn Mün-zen brauchte man hier am Allerwenigsten.

Den Fuß auf der schlammigen Straße der Siedlung kann ich sehen. Dass Kauf und Transport eine Börse schmälern, ist hingegen eine abstrakte Aussage. Händler und Fuhrmann wären anschaulich, was Kauf und Transport im Abstrakten sind. Beim Satz mit den Dörflern könnte man umgekehrt schreiben: «Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer eine Besorgung in der Siedlung zu erledigen war.» Aber wieso sollte man? Der konkrete Gegenstand ist auch als Sinnbild noch anschaulicher als wie der von ihm abgezogene, abstrakte Gedanke.

Nochmal dasselbe:

Es war an der Zeit, weiteren Belanglosigkeiten mit heiligem Ernst entgegenzusehen.

Zu etwas anderem:

Eine mitgebrachte Fackel spendete nur spärliches Licht, aber es genügte, um mir ein Stoßgebet an alle Heiligen abzuringen.

Licht spenden, Schatten spenden, Kühle spenden … Was man nicht alles spenden kann! Spenden ist ein Allzweckverbe. Beachtung spenden, Liebe spenden, Zeit spenden …

Zur selben Klasse gehört meiner Ansicht nach auch:

Dann gab man die Kaverne samt dem goldenen Idol den Flammen preis.

Man zündet das Geschmeiß nicht an, sondern gibt es den Flammen preis. Das wirkt geziert, ist nicht die Sprache des Mittelalters oder die des Tirols. Es ist auch nicht die Sprache von Leuten, die zugepackt haben, die sich die Hände schmutzig gemacht haben, sondern die Sprache von Leuten, die lieber nichts anfassen wollen, das schmutzig sein könnte, die darum nichts mit der Hand, sondern alles nur mit den Spitzen von zwei Fingern anfassen. Ich meine aber nicht: «Dieser Stil ist einfach Scheiße.» Zu deinem Helden könnte er passen. Beim Erzähler wünschte ich mir aber einen geläuterten, einen freieren Ausdruck.

Sicher könnte man noch mehr zu deiner Geschichte sagen. Vielleicht treffe ich auch nicht überall ins Schwarze. Aber jetzt geht erst einmal nichts mehr. Muss meinen Kopf lüften.

Habe deine Geschichte gern gelesen.
Gruß teoma

 
Zuletzt bearbeitet:

Oder mit «n»? Ein Indiz, das für das «n» spricht, ist, dass Friedel es nicht beanstandet hat. Ihm entgeht sonst kein Fallfehler?

Hallo teoma,

Friedel ist kein Vorgänger oder Nachkomme des modernen Franziskus und selbst der beste Staubsauger lässt die eine oder andere Fluse zurück ...

Gruß, schönes Wochenende und ein gutes neues, bevor's wieder rum ist, vom sich geschmeichelt (?) fühlenden

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe teoma,

bitte entschuldige, dein Feedback hier ist völlig an mir vorbeigegangen. Ich habe gerade erst wieder reingeguckt, weil ich mir die Geschichte erneut zur Brust nehmen wollte. Das letzte Posting war von Friedel. Dazwischen muss dein Posting irgendwie verschütt gegangen sein. Sei es wie es ist, du sollst natürlich eine Antwort von mir bekommen - besser spät als nie! :)

Ich fasse zusammen: Ein Geistlicher lebt seinen «heiligen» Furor aus, indem er eine Heidin als Hexe bezeichnet. Danach wird sie verbrannt. Zur Strafe für seinen Frevel wird er später von einer Schlange gebissen und getötet, die aus einem Bild heraus zu Leben erwacht.

Sehr mystisch das Ganze. Auf jeden Fall fällt an unserem Paulus von Wulsein bzw. Jakob von Aicha auf, dass er noch die bezeichnende Eigenschaft des Saulus in sich trägt, die Bereitschaft zur Gewalt. Sein Bischof wird gewusst haben, warum er von seinen Männern gerade diesen einen in das Walddorf schickt. Täusche ich mich, wenn ich denke: Besiegelt wird sein Schicksal durch ein Übel, das er in sich selber trägt. Jakob ist stolz. Ihm wohnt ein hochmütiger Zug inne. Aus der Sicht eines Christen hat ihn die Schlange also lange vor seinem letzten Traum gebissen.


Eine spannende Interpretation, wie ich finde. Darf ich fragen, wie du darauf kommst? Eine Grundidee der Geschichte war, das Klischee des "bösartigen" Inquisitors etwas aufzubrechen, in dem ich ihm eine echte Hexe samt Götze und Menschenopfer gegenüberstelle. Die spannende Frage ist jetzt, wenn das alles so stimmt: Ist Jakob von Aicha dann nicht im Recht? Handelt er nicht im Sinne seines Gottes, wenn er die vorchristlichen Götzen stürzen möchte? Oder ist am Ende alles nur Fantasie, der Tagraum eines gelangweilten Kirchenmanns, der vor seiner Gottesmutter eingenickt ist? Am Ende ist er jedenfalls tot. Und die Köhlerstochter auch.

Was mir auffällt: Der Erzählstil weicht deutlich ab von dem hier üblichen, schnellen Stil. Er scheint mir nicht auf zwei bis drei Seiten ausgerichtet, sondern auf längere Geschichten. Ich finde das spannend.

Wie lustig, ich habe mich gefragt, ob das nochmal angesprochen wird. Ich habe natürlich mitbekommen, dass man hier bei wortkrieger.de einen reduzierten und geraden Stil schätzt, einiges davon habe ich mir sogar schon abgeguckt. Ich beziehe einen Großteil meiner Inspiration aus Büchern, die vor 1950 geschrieben wurden, aktuelle Literatur lese ich so gut wie gar nicht, bzw. erst seit kurzem. Von daher neige ich dazu, hin und wieder etwas zu elaboriert, gestelzt, altmodisch oder blumig zu schreiben. Dafür muss ich noch eine Antenne entwickeln. Bezogen auf diese spätmittelalterliche Szenerie fällt es aber Gott sei Dank nicht so ins Gewicht.

Das verstehe ich alles als einen einzigen Satz. Es ist eine einzige Aufzählung. Es scheint mir falsch, wenn durch Punkte zerstückelt wird, was dem Sinn nach ein Stück ist.

Jetzt bin ich verwirrt. Wenn ich eines auf dieser Seite gelernt habe, dann doch, dass man Bandwurmsätze vermeiden soll.

Ein Satz wie der oben. Hier aber nur mit Schluss- und ohne «Zwischenpunkt».

Jetzt verstehe ich, was du meinst. Da geht bei mir viel über Sprachmelodie, also wie sich etwas liest, wenn man es laut spricht. Und ob ich nun ein Komma verwende oder einen neuen Satz beginne, wirkt sich unweigerlich auf das Tempo und die Strukturierung des Absatzes aus. Ich entscheide dann danach, was für mich besser klingt und sich flüssiger wegliest. Jedenfalls ist das so ein Ding von mir, auf das ich Wert lege. Kann etwas total subjektives sein.

Oder mit «n»? Ein Indiz, das für das «n» spricht, ist, dass Friedel es nicht beanstandet hat. Ihm entgeht sonst kein Fallfehler?

Haha, ich sehe, hier gibt es widersprüchliche Meinungen. Der Duden legt nahe: Der Täler überdrüssig sein. Aber ich bin wahrlich kein Grammatik-Crack.

Hm, muss ein Deutscher sein, der das geschrieben hat. Ein Italiener zumindest wäre nie und nimmer auf die Idee gekommen, dass man sich ein schönes Marienbild auf der Nordseite der Alpen beschaffen könnte.

Gutes Auge, teoma. Das ist natürlich Blödsinn. Vielleicht tiefer stapeln: Er ließ sich die Madonna ins Tal bringen, und nicht gleich über die Alpen. Als ob Italien nicht reich an schönen Madonnen wäre ...

Deine sprachlichen Anmerkungen habe ich mit eingearbeitet, gerade was deine Ausführung hierzu betrifft.

Es war ihm ganz gleich gewesen, dass der Kauf und der Transport der Madonna seine Börse beträchtlich geschmälert hatte, denn Münzen brauchte man hier am Allerwenigsten. Es brauchte Standhaftigkeit und Glaube, und mit beidem erfüllte ihn der Anblick der Regina coeli.

Habe ich verschlankt:

Die enorme Summe, die der Kauf der Madonna gekostet hatte, war vergessen. Münzen brauchte man hier am Allerwenigsten. Es brauchte Standhaftigkeit und Glaube, und mit beidem erfüllte ihn der Anblick der Regina coeli.

Es war an der Zeit, weiteren Belanglosigkeiten mit heiligem Ernst entgegenzusehen

Eigentlich ein doofer Satz, der unfreiwillig komisch wirkt. Ich habe ihn rausgenommen, der Inhalt leidet nicht.

Man zündet das Geschmeiß nicht an, sondern gibt es den Flammen preis. Das wirkt geziert, ist nicht die Sprache des Mittelalters oder die des Tirols. Es ist auch nicht die Sprache von Leuten, die zugepackt haben, die sich die Hände schmutzig gemacht haben, sondern die Sprache von Leuten, die lieber nichts anfassen wollen, das schmutzig sein könnte, die darum nichts mit der Hand, sondern alles nur mit den Spitzen von zwei Fingern anfassen. Ich meine aber nicht: «Dieser Stil ist einfach Scheiße.» Zu deinem Helden könnte er passen. Beim Erzähler wünschte ich mir aber einen geläuterten, einen freieren Ausdruck.

Wie wäre es mit:

Dann legte man Feuer in der Kaverne und wartete, bis alles darin vernichtet war.

statt

Dann gab man die Kaverne samt dem goldenen Idol den Flammen preis.

Habe deine Geschichte gern gelesen.
Gruß teoma

Dass du die Geschichte gern gelesen hast, stimmt mich positiv. Ich habe dein Feedback als sehr hilfreich empfunden. Ich hoffe, du nimmst mir meine späte Antwort nicht übel.

Vielen Dank!

Exilfranke

 

Hallo Exilfranke

(…) dein Feedback hier ist völlig an mir vorbeigegangen.

Tja, kann halt so passieren. Einerlei, eine späte Antwort ist auch eine Antwort.

Eine spannende Interpretation, wie ich finde. Darf ich fragen, wie du darauf kommst?

Ganz einfach, indem ich übers Ziel hinausschoss, als ich einen Ablauf erklären wollte, den ich nicht ganz kapiert hatte.

Ich dachte eben, dass die Tochter des Köhlers eigentlich eine Heidin ist, ein Kind des mangelhaften, seelsorgerischen Beistandes, für den sich der Vorgänger des Jakob von Aicha am jüngsten Tag wird verantworten müssen. Ich dachte, dass sie demnach bekehrt und für das Himmelreich gerettet hätte werden können. Als eine Hexe sah ich sie indessen nicht, da mir eine solche von einem anderen Schlag zu sein scheint. Eine Hexe handelt von sich aus böse. Sie übt Schadenszauber aus; so zum Beispiel, wenn sie Vieh vergiftet, Lawinen oder Hagel niedergehen lässt. Aber was ist dagegen eine Heidin? Hat sie wider ihren Glauben gehandelt und ist sie zu bestrafen für das Versäumnis der Kirche? Dass rund um das Götzenbild die Knochen von geopferten Menschen lagen, habe ich hingegen nicht erfasst. Ich dachte, dass das wahrscheinlich die Knochen von ehemaligen Priestern des Götzenkultes sind, die man selbstverständlich nicht auf den Gottesacker gebracht hatte. Ich dachte darum eben, dass der geistliche Hirte von Wulsein seinen Herrn um eine Seele betrügt, wenn er aus hochmütigem Ehrgeiz eine Heidin als Hexe bezeichnet, damit er vor den Augen seiner Zeitgenossen nicht wie ein Nutzloser durch die Welt geht. Bestärkt hat mich in dieser Ansicht der Umstand, dass er erstens die angebliche Hexe schnell den Folterknechten übergibt, als wäre sie für ihn ein heißes Eisen, und zweitens dass er zuletzt getötet oder bestraft wird – zufällig kann das ja nicht sein in einer Welt, in der es einen allmächtigen und gerechten Gott gibt.

Ende der Interpretation​

Wie wäre es mit:

Dann legte man Feuer in der Kaverne und wartete, bis alles darin vernichtet war.

statt

Dann gab man die Kaverne samt dem goldenen Idol den Flammen preis.


:thumbsup: Um Klassen besser wäre es damit.

Gruß teoma

 

Schon wieder muss ich das Gelöbnis des letzten Beitrages zu dem Landesherrn brechen,

Ihr Lieben,

denn das ist ja wirklich eine interessante Diskussion, die ihr da führt,

teoma und Exilfranke,

denn*

Eine Hexe handelt von sich aus böse. ...
mag fürAbergläubige und Fantasy-Xperten gelten und – selbstverständlich – real am Blocksberg (wobei ich nur die alte Baubo nennen könnte aus der ganzen dortigen Hexenküche und -zunft, ansonsten ist Thale und das Gebiet der Bode Romantik und Abenteuer pur).

Der Volksglaube versteht darunter noch heute eine weibliche, meist ungewöhnlich hässliche, selten aber auch verführerisch schöne, mit dem Teufel im Bund stehende Gestalt mit dämonischen Kräften.

Hexen reiten auf Besen u. a. durch die Luft und versammeln sich auf abseits gelegenen Plätzen zum Hexensabbat (erkennt man eine Spur Antijudäismus?). Der Veröffentlichung des Hexenhammers (15. Jahrhundert) folgten jahrhundertelang Hexenprozesse ; den Hexenverfolgungen fielen zahllose als Hexen verdächtigte Frauen zum Opfer. Etwas Ähnliches erleben wir heute in Teilen des Cyber-Mobbing. Die Hexenküche ist der Gerüchteküche sehr nahe.

Aber was bedeutet das Wort “Hexe”?

Im mhd. gab es zur “hecse” die Variante “hesse”, wobei nicht unterstellt werden darf, dass “Hessen” damit gemeint wären. Es ist eben, was heute fortwährend mit andern Wörtern geschieht, sie werden abgeschliffen, sind einfacher auszusprechen als hier die [’hɛkzə]. Aber in der hecse steckt schon ein Wortbestandteil, der im ahd. geradezu das Wort beherrschte: „hagzissa“ bzw. „hag[a]zus[sa]“: Hag/Hagen, „hag“ der Zaun, die Hecke, hagen das eingefriedete Gelände – man beachte noch die Rolle des ersten Kanzlers auf teutschem Gebiet, wobei man gar nicht mal so genau weiß, ob Hagen Name oder Titel ist. Auf jeden Fall spricht Hagen für Schutz und Schirm.

Um den zwoten Teil „…zissa/…zus/sa“ streitet man sich. Der Duden (Bd. 7, 4. Aufl., S 337)vermutet einen Zusammenhang zum mundartlich alten norwegischen „tsja“ = Elfe, aber auch verkrüppelte oder zerzauste Frau und findet im altisländische tunrida auch die Lösung des ahd.: tun = Zaun, rida = Reiter (der Besen ist da nicht mehr weit).

Gotisch – immerhin die ältesten schriftlichen Belege germanistischer Zunge) haljoruna, worin immerhin die Rune als „Raunen, Beraten, Geheimnis“ drinsteckt (als erster Bestandteil halja aber auch, was wir heute als Hölle bezeichnen, da aber noch Hel meint). Waren es vordem also schriftkundige, vielleicht gar die weisen Frauen, die mehr wussten und klüger waren als die Herde Kerle um sie herum?

Ich selbst neig dazu …zissa/…zus/sa als weibliche Form zu Ziu (südl.) oder Tyr (nördl.), den Kriegsgott und ursprünglichen Götterchef zu sehen (erinnert sei an die Vorsilbe “dio/s“ in romanischen Sprachen) – und es ist bekannt, dass Frauen mit in die Schlacht zogen, wie zum Beispiel im Gründungsmythos der Langobarden aber auch im Zusammentreffen von Römern und Cimbern und Teutonen (und später immer wieder). Das hieße, wenn die Deutung einigermaßen trifft, dass hagzissen und hagazussan Frauen sind, die weniger den Besen im eingehegten Heim in die Hand nehmen, als den ihnen zugewiesenen Ort mit Kirche, Küche, Kinder überschritten … Wahrscheinlich auf Besen, weniger auf Zäunen reitend … (der Besen ist da beweglicher).

Übrigens, wen’s interessiert: Freud hat sich mit dem Thema auch befasst. Da muss man nun nicht seine sozialpsychologischen Werke sich antun, sondern vielleicht nur zwo Aufsätze: 1919 „Das Unheimliche“ und vier Jahre später „Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert“ und aus Gottfried Kellers Seldwyla-Novellen Spiegel, das Kätzchen.

Um auch darauf zurückzukommen: Die Langobarden wie zuvor die Ostorogothi waren keine Heiden, sondern getauft. Gleichwohl galten sie Katholiken als Andersgläubige (wie später die Waldenser, dann die Hussiten und schließlich …), weil sie sich im Gegensatz etwa zu den Franken nicht für römische Dogmen begeistern konnten, sondern sich für den Presbyter Arius entschieden hatten. Kurz: Ihnen galt Christus nicht als wesensgleich mit dem Vater, sondern als Geschöpf des Vaters. Im Konzil zu Nicäa wurde das katholizistische Urteil über die Arianer gesprochen.

Gruß

Friedel

 

Ei, Friedel, hast du dein Wort gebrochen!

Aber was bedeutet […] “Hexe”?

Eine Hexe ist eine Frau, von der man dem Pfarrer nichts sagen sollte. Ist schon lange her, dass ich als Handbube bei Bauern gearbeitet habe, unter anderem einige Sommer lang im oberen Toggenburg. Anfangs Juni ging’s jeweils auf eine Alp. Eine paar Tage zuvor begannen die Schulferien und ich wurde zu dem Bauern geschickt, um zu arbeiten. Tolle Ferien waren das! Die ersten paar Tage musste das Vieh für den Aufzug von verschiedenen Höfen und Maiensäßen geholt werden, bevor es dann am zweiten oder dritten Tag beim ersten Tageslicht auf die Alp getrieben wurde. Ich ging jeweils zur Hand, wann immer eine einfache Arbeit zu erledigen war. Einmal war ein Kalb krank. Als es abends dunkel wurde, half ich mit, es in einen Viehwagen zu treiben und dort festzubinden. Danach wurde es auf einen entfernten Hof im Tal gefahren. Dort angekommen schärfte mir der Bauer ein: «Du darfst niemandem sagen, was wir hier machen. Der Viehdoktor kann dem Kalb nicht mehr helfen und darum bringen wir es jetzt zu einer alten Frau, die vielleicht noch helfen kann. Aber du darfst niemandem davon erzählen, weil: Der Pfarrer hört das nicht gerne.»

Jawohl, das Wort Hexe kann vieles bedeuten, lieber Friedel. Für mich bedeutet «Hexe» zum Beispiel Erinnerungen an meine Kindheit.

Gruß teoma

 

Hallo Exilfranke,
Wieder ein sauberes Stück arbeit abgeliefert, dass in sich jetzt rund und gut dasteht. Gerade sprachlich vermagst du zu glänzen und so wird das Mittelalter erlebbar und du streust auch immer wieder kleine Details ein, welche die Geschichte lebendig machen.
Trotzdem fehlt mir etwas an deiner Geschichte: Der Konflikt ist zu schwach:
Es ist ja so, dass die Hexe leicht zu fangen war, gefoltert wurde und dann dem Feuer preis gegeben. Zwar gab es ein kurzes mündliches Duell, Anna droht, Jakob schlägt zu. Dann erfährt, er dass einiges was sie gesagt hat, wahr ist und erfährt im Schlafe mehr von der Schlangengottheit, die ihn am Ende beißt und tötet.
Da geht für beide Seiten alles zu glatt. Kein Zweifel, kein Kampf.

Starke Arme griffen nach Jakob und packten ihn. Er schrie laut, als man ihn auf den Altar zerrte und mit groben Stricken band. Doch seine Rufe verhallten ungehört in der Nacht einer vergangen Zeit.
Da könnte man einiges mehr herausholen und nicht nur bei dieser Szene.
Du wirst für deine Ketzerei sterben. Aber das weißt du schon, nicht wahr?“
Den letzen Satz würde ich streichen. Für mich klingt er als direkte Rede nicht glaubwürdig.
Er musste mehr von Anna in Erfahrung bringen, wollte er die dichten Nebelschleier der Vergangenheit beiseite wischen und erspähen, was dahinter lag.
hier könnte man auf so etwas wie den finalen Kampf zusteuern. Er könnte hier versuchen, seinem Schicksal zu entkommen ...

lg
Bernhard

 

Moin Bernhard,

das ja nett, dass du den Herrn des Landes nochmal ausgegraben hast.

Wieder ein sauberes Stück arbeit abgeliefert, dass in sich jetzt rund und gut dasteht. Gerade sprachlich vermagst du zu glänzen und so wird das Mittelalter erlebbar und du streust auch immer wieder kleine Details ein, welche die Geschichte lebendig machen.

Danke dir. Beim heutigen Lesedurchgang fand ich die Geschichte etwas überladen, aber man steht ja seinem eigenen Geschreibe immer besonders kritisch gegenüber.

Trotzdem fehlt mir etwas an deiner Geschichte: Der Konflikt ist zu schwach:
Es ist ja so, dass die Hexe leicht zu fangen war, gefoltert wurde und dann dem Feuer preis gegeben. Zwar gab es ein kurzes mündliches Duell, Anna droht, Jakob schlägt zu. Dann erfährt, er dass einiges was sie gesagt hat, wahr ist und erfährt im Schlafe mehr von der Schlangengottheit, die ihn am Ende beißt und tötet.
Da geht für beide Seiten alles zu glatt. Kein Zweifel, kein Kampf.

Hmmm ja, das kann ich nachvollziehen. Der Inquisitor wird da ziemlich passiv reingeworfen, ohne viel Handlungsspielraum. Möglicherweise werde ich mit etwas Abstand da nochmal drübergehen und einige Elemente hinzufügen.

hier könnte man auf so etwas wie den finalen Kampf zusteuern. Er könnte hier versuchen, seinem Schicksal zu entkommen ...

Das wäre beispielsweise ein guter Ansatz, um den Spannungsbogen am Ende nochmal anzukurbeln.

Ich wünsche ein schönes Wochenende und danke für das Feedback!

Der Exilfranke :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Exilfranke,

Vielleicht staunst Du, dass ich die Geschichte gelesen habe. Horror-Geschichten sind sonst nicht mein Ding. Was mir an Deiner Geschichte gefällt, ist die Sprache. Ich lese gerne Geschichten und Bücher mit einer etwas altertümlichen Sprache.

Der Inhalt ist für mich eher bedrückend. Ich weiss, bei Deiner Geschichte handelt es sich um eine Sage. Manches entspricht nicht der Realität. Und doch erinnert sie mich an Verbrechen, welche die Kirche in der Vergangenheit verübt hat.

Die Geschichte ist sehr gut geschrieben. Ich staune, wie Du schreiben kannst. Aber sie lässt mich etwas zwiespältig zurück.

Ein gutes Wochenende wünscht Dir
Marai

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Marai,

dir erstmal ebenfalls ein schönes Wochenende. Danke für dein Feedback. Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen, und ihr Inhalt dich bewegt hat.

Natürlich spreche ich hier einen thematischen Dauerbrenner an: Was wäre unsere Vorstellung vom Mittelalter ohne den brennenden Scheiterhaufen? Dabei war die Hochzeit der Hexenverbrennung die Neuzeit (an deren Schwelle auch meine Geschichte spielt), und die Hochburgen meist protestantisch - im krassen Gegensatz zum überlieferten Klischee. Das Mittelalter selbst war nämlich gar nicht so dunkel, wie heute noch gern in Schulbüchern behauptet wird, sondern eine Zeit voller Innovationen und kleiner Renaissancen.
Die Überstrapazierung des Topos vom "Massenmord an Hexen durch die Kirche", haben wir vor allem völkischen Kreisen, und später den Nazis zu verdanken.

Denen galt es nämlich nicht nur, die Kirchen in Verruf und Misskredit zu bringen, sondern auch die unschuldig verbrannten Hexen zum "Kräuterweibchen" zu stilisieren, die "geheimes Germanenwissen hütete", was die "artfremde, judäo-christliche Kirche" natürlich nicht gerne sah. Da wurden dann von Himmler und Co. die ermordeten Hexen hochgerechnet, das ging in die Millionen. Besonders pervers, wenn man bedenkt ... aber ich schweife ab. Allerdings halten sich diese Schauermärchen bis heute hartnäckig im kollektiven Gedächtnis. Womit ich natürlich nicht in Abrede stellen möchte, dass es auch in der Kirchenhierarchie zahlreiche Verfechter der Hexenverfolgung gab. Ebenso wie auch die größte Kritik daran aus der Kirche kam. Es sind eben immer zwei Seiten einer Medaille, um mal einen ausgelutschten Spruch zu bemühen. Das ganze ergibt ein explosives und spannendes Gebräu aus Fakten und Fiktion, welches mich zu dieser Geschichte inspiriert hat.

Der X-Franke :)

 

Auch ich habe mir diese Geschichte nun durchgelesen und ich schiebe sie gerne wieder hoch. Meinen Einstand hier habe ich ja mit einer ähnlichen Thematik gegeben. Daher spricht mich das alles an. Grammatikalische Kommentare usw. spare ich mir, da sind andere besser als ich.

Insgesamt gefällt mir das Werk. Es hat genau das Unheimliche wie es für die Welt sein muss. Kein Konflikt, kein Zweifel - richtig, aber auf der anderen Seite zeigt genau dies die "Starre" der Weltanschauungen der Figuren. Weil sich eben niemand bewegt, wird der Schrecken gar nicht gesehen, der dort möglich sein könnte. Dadurch kann erst dieser dritte Teil überhaupt so effektiv sein. Diesen halte ich für sehr gelungen!

Grundsätzlich gefällt mir der Einstieg, der uns die Hauptfigur vorstellt. Sie könnte aber vielleicht hier und da etwas eleganter formuliert sein. Man erfährt gut über den Inquisitor, aber vielleicht gäbe es eine Möglichkeit hier anders einzuflechten? Vielleicht mit einem Panorama über den Tätigkeitsbereich der Figur des Inquisitors? Hat er womöglich mit anderen Fällen dieser Art zu tun gehabt? Haben Gerüchte solcher Art die Runde gemacht?

Überladungen sehe ich nirgendwo so richtig bis auf vielleicht in der Erzählung vor der Durchsuchung des Köhler-Hauses. Das vielleicht etwas kürzen.

 

Lieber Dohlenmann,

vielen Dank fürs Vorbeigucken und Kommentieren. Ich freue mich, dass dir die Geschichte zugesagt hat.

Vielleicht mit einem Panorama über den Tätigkeitsbereich der Figur des Inquisitors? Hat er womöglich mit anderen Fällen dieser Art zu tun gehabt? Haben Gerüchte solcher Art die Runde gemacht?

Du hast natürlich Recht, wenn du andeutest, dass ich dem Leser den "Inquisitor" einfach so vorsetze, ohne große Erklärung, was seine Aufgaben sind und wo er im Gefüge seiner Zeit steht. Da habe ich ein wenig geschichtliches Vorwissen vorausgesetzt. Die Erzählung zielte ja auch darauf, das Klischee des Inquisitors als Antagonisten ein wenig zu dekonstruieren, indem ich Jakob von Aicha nicht als blinden Fanatiker, sondern als Gottesmann in einer Konfrontation mit einer ganz realen "dämonischen" Bedrohung zeige. Er ist also ein wenig mein Anti-Bernard Gui, wobei ich nicht ausschließen möchte, hier und da des Effekts wegen in die Klischeekiste gegriffen zu haben.

Dei Frage steht natürlich im Raum, inwiefern ein solches Panorama für den Leser interessant wäre, also noch ausufernder, als es der Einstieg der Erzählung eh schon ist. Im Grunde ist die Geschichte ja in 3 Akte gegliedert – Einstieg, Nachforschung, Konfrontation –, da könnte so ein Schwenk ein bisschen den Fokus verzerren.

Überladungen sehe ich nirgendwo so richtig bis auf vielleicht in der Erzählung vor der Durchsuchung des Köhler-Hauses. Das vielleicht etwas kürzen.

Ja, im Monolog von Aegidius habe ich ein wenig zu sehr mit meiner eigenen Erzählstimme geschrieben und deswegen ist es sehr lang geworden. Ich werde eine Kürzung in Erwägung ziehen.

Vielen Dank für dein Feedback, ich habe die Geschichte darauf nochmals an verschiedenen Stellen überarbeitet, alleine dafür hat es sich gelohnt.

Schönes WE!

Der Exilfranke :)

 

Hy Exilfranke,

als Mittelalter und Horrorfan hat mir deine Geschichte natürlich gut gefallen. Du erzeugst eine düstere Stimmung und achtest auch auf Authentizität.:thumbsup: Einzig die Traumsequenzen haben mich nicht so überzeugt, da du meiner Meinung nach zu oft wechselst. Die Traumsequenzen verlieren so ein wenig an Reiz. Ansonsten finde ich die Geschichte sehr gut gelungen.

Gruß, Ian

 

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