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Der Handel
In der sengenden Mittagshitze ging ein Reisender entlang einer Landstraße. Wiesen und vereinzelte Bäume säumten seinen Weg.In der Ferne, wo die Luft flimmerte, erkannte er einen Stein, neben dem eine Person stand. Je mehr er sich dem Ganzen näherte, desto deutlicher wurde das Bild. Er erkannte einen verschwitzen, dreckigen Arbeiter mit Sonnenhut, der sein Arbeitsgerät an den Felsbrocken gelehnt hatte.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, sprach der Arbeiter den vor ihm stehengebliebenen Reisenden an.
„Ich wüsste gern, was es mit dem Stein auf sich hat, denn ich sehe hier weit und breit keine Transportmöglichkeit.“
DIe Stimme des Arbeiters wurde gleich geschäftlich: “Das ist richtig. Ich habe auch nicht vor, mich um seinen Transport zu kümmern, ich will ihn schließlich verkaufen. Haben Sie Interesse?“
Was soll ich denn mit einem dermaßen großen Stein? Ich müsste Ihn ja ununterbrochen unter größtem Aufwand vor mir her rollen!, dachte der Reisende.
Stattdessen antwortete er: „Was ist denn das Besondere an diesem Stein?“
„Es gibt nichts Besonderes an ihm, außer seiner Größe. Auch stammt er nicht etwa aus einer Mine, sodass mit Erz in seinem Inneren zu rechnen wäre, sondern aus dem Feld dort. Vier Stunden habe ich mich in dieser Hitze damit abgeplagt.“
Dem Reisenden taten sich immer mehr Fragen auf. „Hat denn der Besitzer des Feldes Sie nicht schon für die Entfernung des Steins aus seinem Ackerland entlohnt?“
„In der Tat nicht, aber er wusste ohnehin nichts davon. Wollen Sie den Stein nun kaufen oder nicht?“
Der Reisende dachte kurz nach, fand aber keinen persönlichen Nutzen für einen Felsbrocken. „Ich denke nicht, entschuldigen Sie.“ Traurig schaute der Arbeiter vom Reisenden zum Stein und wieder zurück.
„Nun gut, wenn Sie sich das wirklich ausreichend überlegt haben, kann ich wohl daran nichts ändern. Trotzdem denke ich, dass meine Arbeit belohnt werden muss. Der Meinung waren Sie schließlich auch! Ich will mal nicht so sein und berechne Ihnen allein die Arbeitszeit, ohne den Wert des Steins, den ich dann selbstverständlich behalte, hinzuzuziehen.“
„Wieso soll denn ausgerechnet ich für Ihre Arbeit bezahlen? Gab ich Ihnen denn den Auftrag, ihn für mich aus dem Feld zu holen? Überhaupt kann es sich ja nur um einen zufälligen Fund handeln, so einen Stein erahnt man ja nicht beim ersten Spatenstich!“
Verwirrt schaute der Reisende dem Arbeiter in die Augen, die lediglich eine Mischung aus Ärger und Traurigkeit widerspiegelten. „Ich dachte, Sie würden dieses durchaus nicht unvorteilhafte Angebot allein aus Verstandesgründen annehmen. Auch wenn es ein Zufallsfund gewesen sein mag, bedenken Sie doch, wie unwahrscheinlich er ist! Einen derartig großen Stein gibt es in keinem Geschäft zu kaufen!“
Nun überlegte der Reisende ernsthaft einige Sekunden, ob er sich nicht wirklich ein Geschäft entgehen ließ. Sollte er den Stein wirklich erwerben, wollte er dies zu einem möglichst niedrigen Preis tun. Um seine Gedanken geheim zu halten antwortete er: „Tatsächlich, auch mir fällt kein einziges Geschäft ein. Wie viel soll er denn kosten?“, fragte er dann betont beiläufig.
„Der Preis des Steines stellt in der Tat ein Problem dar. Sehen Sie, würde es sich um einen gewöhnlich großen Stein handeln, der auch sonst wo zu erwerben wäre, könnten wir vergleichende Preise hinzuziehen. Dann wäre aber auch sicherlich kein Grund dazu, Interesse an einem Kauf hier an dieser Landstraße zu haben. Man kann auch nicht einfach den Stein durch entsprechend viele kleiner Steine aufwiegen, denn, obwohl kleine Steine mehr Lauferei sind, so ist doch eine viel geringere Kraft nötig, um sie fortzubringen.
Deshalb mache ich Ihnen ein Angebot; das Doppelte vom Preis, den dieselbe Menge Kies hätte, soll es sein, denn bedenken Sie nur, dass Sie sich mit dem Kauf dieses großen Steines immer noch die Möglichkeit offenhalten, ihn zu Kies zu verarbeiten – umgekehrt geht dies selbstverständlich nicht!“
Die Begeisterung des Arbeiters für diesen Stein schien dem Reisenden zwar nicht vollständig erklärbar, allerdings beständig nachvollziehbarer.
„Das Doppelte halte ich aber dann doch für zu viel. Verarbeite ich den Stein zu Kies, ist der Felsbrocken als solcher schließlich nicht mehr vorhanden. Das offenhalten der Möglichkeiten ist mir dann allerdings doch das Anderthalbfache wert.
Ich meine natürlich, nur, wenn ich ihn überhaupt kaufen wollte.“ Er darf nicht wissen, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, den Stein zu kaufen. Man kann ja schließlich auch darauf sitzen, dachte er, und glaubte den Arbeiter, indem er einen weiteren Nutzen entdeckt hatte, überlistet zu haben.
„Also gut, dann eben so. Für den Wert von vier Arbeitsstunden und der anderthalbfachen Menge an Kies, zu der dieser Stein verarbeitet werden könnte, soll er Ihnen gehören.“
Freundschaftlich streckte der Arbeiter dem Reisenden die Hand entgegen, in die dieser ohne weiteres Zögern einschlug und ihm anschließend das Geld überreichte.
„Dann kann ich ja nun endlich nach Hause gehen. Auf Wiedersehen!“
Damit verabschiedete sich der Arbeiter, packte sein Werkzeug und ging in die Richtung, aus der der Reisende gekommen war die Landstraße entlang.
Als er nur noch zu erahnen war, setzte sich der Reisende oben auf den Stein, und triumphierte innerlich so sehr, dass er sich ein Lächeln auf seinem Gesicht nicht verkneifen konnte.