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Der Dialog
DER DIALOG
Da war es wieder. Dieses aufdringliche Geräusch, das ihn schon seit langer Zeit immer wieder aufsuchte. Sogar in den Träumen hatte er es schon vernommen. Manchmal ging es fast soweit, dass er in den ersten Sekunden des Zuhörens nicht mehr recht wusste, ob das nun wieder ein Traum war. Aber es war keiner. Es war dieser beschissene Apparat. Er hatte ihn schon seit Beginn seiner Karriere. Keiner konnte ihm etwas vormachen. Das Gerät war nicht kaputt! Es schien absolut keine vernünftige Erklärung für dieses Hämmern zu geben. Er wusste das besser als jeder dieser selbsternannten Tontechniker, Elektriker und wie sie sich sonst noch zu nennen wagten. Kein einziger dieser Pfuscher, die immer mehr über immer weniger wussten dank ihrer „Fachausbildung“, hatte Recht, als er den Transistor als zu alt bezeichnete. Wie konnte man sich überhaupt erlauben seine Kenntnis anzuzweifeln? Aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, an das Surren, Piepsen und Gurren, das in höchst unregelmässigen Abständen kam. Er schaffte es sogar, es zu ignorieren und hörte besser denn je. Nicht einmal auf der Schwelle zwischen Wachsein und Traum hörte er es noch. Und das war gut so. Es schien schon eine Ausnahme zu sein, dass er es jetzt bemerkt hatte. Aber wahrscheinlich langweilte ihn das Gespräch über die neusten Pradaschuhe, die jetzt überall die Füsse der modebewussten Dämchen zieren durften, zu sehr. Aber auch das wohl langweiligste Gespräch der Welt konnte ihn nicht an seiner Tätigkeit hindern...
„Was meinst du? Ob ich sie wohl doch in hellgrün hätte nehmen sollen?“, plauderte eine Stimme in seinen immensen Kopfhörern.
„Aber nicht doch! Sie stehen dir wunderbar! Viel besser als mir!“, schwatzte eine weitere Stimme mit.
„Ach was sagst du denn? Deine Schuhe stehen dir nur schon dank deiner Handtasche besser als mir.“
„Dafür hast du die bessere Frisur und von deinem Kleidergeschmack wollen wir schon gar nicht sprechen.“
Jetzt musste er doch noch mal hinschauen. Bei so einem Gespräch musste man fast interessiert sein. Denn er fragte sich wie lange es wohl noch gehen würde, bis die wahren Meinungen, samt dem obligaten Augenauskratzen mit wohl manikürten Fingern, ausgetauscht werden würden. Wenn er Glück hatte, erlebte er das auch noch hier... Er hob den Kopf mit aller Kraft. Viel zu lange war er schon so dagesessen. Es knackte leise in seinem Nacken und er versuchte sich irgendwie selbst zu massieren. Mit der anderen Hand griff er zu dem bereit gelegten Fernglas und schaute hindurch. „Verdammte Wackelei!“ fluchte er vor sich hin, nahm die Hand vom Nacken und griff unter seine Pultplatte nach dem Tischstativ für das Fernglas. Sein Gesicht verzog sich mehr als absonderlich, als er dann auch noch den Arm an der Wagenwand anschlug. Es war sowieso alles viel zu klein hier drin. Aber einen Grösseren konnte er sich momentan noch nicht zumuten. Er hatte sich ja eben pensionieren lassen. Früher, da war alles luxuriös in seinen grossen Wagen. Damals arbeitete er noch für eine namhafte Geheimorganisation.
Als Überwachungsspezialist war er viel gefragt, obwohl er auch im direkten Einsatz ausgebildet worden war. Aber es war ihm so lieber gewesen. Er wurde dann zusammen mit Bava in einen neutralen Transporter – vorzugsweise Blumen-, Post- oder sonstige Lieferwagen - gestopft und durfte dann einen Kaffee trinken, vielleicht auch zwei, vielleicht auch drei. Er hatte sogar bei einem der grossen Mafioso mitgeholfen. Bei der Verhaftung versteht sich.
Und jetzt, jetzt war alles anders. Aber nicht wirklich schlechter. Tag für Tag sass er in einem „Dosey’s Frischgebäck“ –Fahrzeug und belauschte heimlich die Leute auf dem Markusplatz. Nachdem er sich ein nettes Café ausgesucht hatte, liebte er es, die verschiedenen Menschengruppen zuerst „ohne Ton“ anzusehen. Wenn er ein Pärchen entdeckt hatte, das ihm irgendwie zusagte, so hörte er eine Weile zu und blieb auf ihm, oder wechselte zu einem anderen. Er wusste selbst nicht mehr, wieso er das tat. War es einfach nur die Lust am heimlichen Beobachten? Oder die Gewohnheit? Es war ihm auch egal. Er hatte niemanden, der ihn daran hinderte ausser zwischendurch sein Gewissen, aber das lernte er mit der Zeit mit gezielten Attacken Schachmatt zu setzen...
Aber heute war es mühsam. Es gab keine Menschenseele, ausser den beiden Püppchen da, die dumm genug war sich den aufkommenden Regenwolken auszusetzen. Doch diese beiden hier schienen es förmlich zu geniessen ihre langen Beine übereinander zu schlagen, sich den vorbeiziehenden Männern auszustellen und mit dem einen oder anderen losen Blick zu ihnen aufzusehen, während sie mit ihren Strohhalmen in den Gläsern rumstocherten. Und nicht zu vergessen, die höchst belanglosen Gespräche. Vor 20 Minuten waren es noch die Männer, zwei formbewusste Mineralwasser später bereits die Schuhe, die ihn zu dem Blick durchs Fernglas bewogen hatten. Warum eigentlich? Er schien schon recht armselig zu sein, wenn er dies als seine Hauptbeschäftigung anzusehen hatte. Aber solch ein Gedanke überlebte in seinem Kopf keinen Moment länger als wenn man morgens ans Zähne putzen denkt. Die Eine der Beiden, die schwarzhaarige zur Rechten strich sich gerade über den Knöchel und liebkoste das Riemchen ihrer High Heels, die genauso schwarz waren wie ihr Kleid, die Haare und der Ascottartige Hut. Die andere rutschte in ihrem riesig gelb-grün gefleckten Sechzigerjahrekleid irgendwie nervös auf dem beigen Plastikstuhl hin und her. Nun, so interessant war’s doch nicht. Er wollte gerade enttäuscht vom heutigen Morgen den Motor anlaufen lassen und abfahren. Da kamen Frau und Mann über den Platz geholpert. Und versuchten sich unter der Store des Restaurants vor den ersten Regentropfen zu verstecken. Sie blieb gleich rechts hinter den Ladies stehen und bedeutete ihrem Begleiter freundlich:
„Möchten wir uns hier hin setzen? Wissen Sie, ich mag die Regenluft sehr“
„Wie Sie wollen, kalt ist’s ja nicht.“
Doch nicht Frau und Mann, dachte er. Nachdem sie in das Innere irgendwas von zwei Kaffees geschrieen hatte, setzen die Zwei sich zwei Tische weiter hinten und einen Tisch weiter rechts von den anderen beiden hin. Das war gut genug, um den Empfang etwas zu differenzieren.
„Dieses Wetter ist ja unerträglich“, stellte er fest, um etwas gesagt zu haben.
„Nein, wie gesagt, mir gefällt’s. Aber eigentlich bin ich nicht hier, um mit ihnen über das Wetter zu philosophieren, oder etwa schon?“
„Nein.“, gab er etwas eingeschüchtert zu.
„Also, wieso geben Sie sie nicht endlich her?“, wollte die Dame in Schwarz wissen, während sie mit den Kopf und gesenktem Blick auf den Arztkoffer deute, der von dem Herrn ängstlich umklammert wurde.
„Ich will sie zuerst sehen.“, antwortete er wiederwillig.
In aller Seelenruhe nahm die Blasierte ein schickes Telefon aus ihrer schicken Tasche und wählte mit passend schickem, dunkelrotem Nagellack in ebenfalls passender Manier irgendeine Nummer.
„Ja, Hallo? Zeig sie doch mal, okay? Ja, jetzt! Herrgott! Wann denn sonst?... Ciao!“
Der Mann neben ihr hob die Augenbrauen und sah sie mit einer Was-ist-denn-das-für-Eine-Miene an. Drinnen im Wagen hätte man ein Schmunzeln sehen können.
„Sie kommt gleich.“
„Okay“, erwiderte er verunsichert.
Und da war sie auch schon. Eine junge Frau, etwa Mitte Zwanzig, lief mit einem weissen, nachthemdartigen Kleid über den Platz, gefolgt von einem Mann, der sie am Arm packte und ihr irgendwas gegen den Rücken zu drücken schien. Die beiden liefen so quer über den Platz, von den Blicken der beiden am Tisch verfolgt.
„Lasst sie gehen“, meinte der Verunsicherte.
Der Kellner kam und brachte die beiden Kaffees. Verwirrt blickte er sie an. Nuschelte ein „Danke“ in seinen nichtvorhandenen Bart und liess sie dabei nicht aus den Augen. Sie nahm einen Schluck. Setzte die Tasse nieder.
„Erst wenn ich die Tasche habe.“
Er nahm nun auch einen Schluck, setzte die Tasse behutsam auf den Unterteller zurück und löste die Tasche aus seiner Umarmung, reichte sie ihr hin. Während sie versuchte, den armen Kerl in ihren schönen Augen zu ertränken, stellte sie die Tasche neben sich zu Boden. Genüsslich wandte sie sich wieder dem Kaffee zu. Einige Schlücke später stand sie auf und nahm noch einen letzten. Sie beobachtete den Mann zu ihrer Linken. Er schien zu leiden. Sein Gesicht war kreidebleich. Irgendwie gemein und spöttisch lächelte sie ihn an und bückte sich nach der Tasche. Wieder in aufrechter Position kam reichlich verspätet etwas aus ihrem Mund.
„Danke“, in dem wohl feinfühligsten und sarkastischen Ton, der je über eines Menschen Lippen kam.
Einen Bogen um seinen Stuhl machend klopfte sie auf seine Schulter. Der Leidende versuchte irgendeinen Laut zu formen, aber nichts als giftgelber Schaum war das Resultat. Sein Kopf sank langsam leblos auf die Tischplatte. Das Gift im Kaffee scheint gewirkt zu haben. Die Dame in Schwarz schlug die Hand ein wenig fester um den knarrenden Ledergriff der Tasche und schritt gleichgültig aber mit sanftem Lächeln und höchst erotischem Hüfthinundherwanken davon.
Er stellte den Ton wegen des Kreischens der Mädchen ab und dachte bei sich, als er davonfuhr, dass Regentage doch überraschend ereignisvoll sein konnten.
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