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Der Bär

Monster-WG
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18.06.2015
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Der Bär

Ich erinnere mich, wie mein Vater eines Abends betrunken nach Hause kam, duschte und sich auf das Sofa fläzte. Er hatte den Bademantel mit den gelben Säumen übergeworfen, der Gürtel lag lose auf seinen Hüften. Da saß er mit einem Glas Cognac in der Hand und schaute fern. Der Mann mit den kräftigen Armen und den dunklen Augen. Er roch nach Kölnisch Wasser. Und unterhalb seines Bauches, im Gewirr von Haar, Mantel und Haut, erspähte ich sein riesiges Glied.

Vater arbeitete als Grundbuchbereinigungsbeamter und ich musste sieben oder acht Jahre alt werden, um seinen Beruf überhaupt aussprechen zu können. Später erklärte er mir, die Besitzverhältnisse von Grundstücken müssten neu geregelt werden. Da gebe es Gülten und Schuldbriefe, das sei so kompliziert, dass letztlich er entscheide, welche dieser Urkunden rechtskräftig seien und welche nicht. Man könne kaum glauben, wie viel Schnaps er von den Bauern geschenkt bekomme. Alle hätten Angst, sie müssten Ackerland an den Nachbarn abtreten, weil ein dreihundert Jahre altes Schriftstück und Benno Fischer das so wollten.

Er war der Star am Buochser Theater. Meistens gab er einen Gauner, was meine Mutter zur Bemerkung veranlasste, Vaters Aufgabe sei kinderleicht, er müsse gar nicht spielen. Einmal im Jahr, an der Älperchilbi, stand er auf einem mit Tannenzweigen geschmückten Schilter und trug Knittelverse zum Dorfgeschehen vor. Der grüne Reissack der Nidwaldner Tracht lag vor seinen Füssen. Das ganze Dorf jauchzte. Und es stimmte, was er zu mir gesagt hatte: Bei seinen Sprüchen lachten sie am lautesten. Am Ende durfte ich zu ihm auf den Wagen steigen, er winkte in die Menge und ich, mich fest an seine Hand klammernd, winkte ebenfalls.

Seine wahre Leidenschaft aber war die Jagd. Bei uns daheim hingen Schädel an den Wänden. Gämsen, Rehe, ein Steinbock. Auf der Kommode im Flur blickten sich ein Eichelhäher und ein Hermelin in die Augen.
„Was ist dein Lieblingstier?“, fragte mein Vater.
„Der Tiger.“
„Sehr gut.“
„Aber noch besser wäre ein Tiger mit Hörnern und Flügeln. Der wäre noch stärker.“ Vater lachte. Es sei wichtig, stark zu sein, sagte er. Wer die guten Rollen am Theater kriege und wer als Statist auf der Bühne stehe. Wer sein Land vergrößern könne und wer es dem Nachbarn abtreten müsse. Alles werde im Kampf entschieden. Bei der Jagd zeige sich das am deutlichsten. Er habe den Ferlacher Drilling und das Reh müsse schauen, dass es in Deckung bleibe. So einfach sei das. Ich nickte, aber ich war besorgt. Stark zu sein war nicht einfach, wenn man klein war und keine Muskeln hatte. Gab es eine Rauferei auf dem Pausenhof, sah ich immer nur zu.
Einige Zeit später brachte Vater einen Wolpertinger nach Hause. Ein Präparator hatte Hörner auf den Kopf eines jungen Fuchs geklebt und die Pfoten durch Vogelklauen ersetzt. An den Flanken die schwarzen Flügel eines Raben. Man konnte die Nähte sehen, das eine Horn stand schief und drohte vom Kopf zu fallen. Ich war begeistert und Vater nannte mich von da an „Wolpertinger“. Ich hatte schon immer „Bär“ zu ihm gesagt.

Auch die ersten Frauen, die ich sah, gehörten meinem Vater. Er kaufte sich Magazine. Schlüsselloch. Praline. Gelegentlich ein Playboy. Eigentlich sei ihm der zu sehr Hochglanz, sagte er zu meiner Mutter. Die Hefte ließ er auf dem Stubentisch liegen. War ich alleine, merkte ich mir die besten Seiten. Alle paar Monate schnürte Mutter die Hefte zusammen und brachte sie in den Keller, wo sie bis zur nächsten Altpapierabfuhr liegen blieben. Bevor es so weit war, rüstete ich mich mit Teppichmesser und Paketschnur aus und machte mich daran, die Bündel auszuschlachten. Ich schnitt die Frauen aus den Heften und bündelte diese wieder, so dass von außen nichts zu sehen war.
Ich hatte mir ein Fotoalbum gekauft, das ich zwischen den großformatigen Tierbüchern versteckte, die sich unter meinem Bett stapelten. Ich ging systematisch vor, schnitt die Bilder zurecht und testete mögliche Kombinationen. Auf den Seiten des Albums sollten keine Stellen frei bleiben, andererseits durfte nichts Wesentliches weggeschnitten werden. War ich mir bei einer Seite sicher, versah ich die Rückseite der Bilder mit vier Fotoecken und klebte sie so sorgfältig auf, wie mir das im Rahmen meiner Erregung möglich war. Nie gestaltete ich mehr als eine Doppelseite pro Tag, die Zeit bis zum nächsten Gang in den Keller sollte ausgefüllt bleiben. Am Ende hatte ich drei Alben, zwei rote und ein blaues. Jede Nacht sah ich mir die Bilder an.

***​

Es war im späten September, kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag. Vater kochte Köpfe. Er häutete und entfleischte sie, ließ sie im Seifenwasser sieden, und bleichte sie danach mit Wasserstoffperoxid. Wir standen auf dem Balkon, auf dem Tisch lag der Schädel eines Rehs. Vater summte leise. Er hebelte die Augen des Tieres aus den Höhlen und durchtrennte die Sehnerven. Um ein Haupt zu schälen, sagte er, brauche man bloß ein sehr scharfes Messer anzusetzen und geschmeidig der Kontur des Knochens zu folgen. Wenn man ruhig atme und dabei nicht allzu viel nachdenke, dann gleite die Klinge gleichsam durch das Fleisch und werde niemals stumpf. Doch ich sah, dass er das Metall gegen den Knochen drückte, es schabte und rieb und knirschte. Vater schwitzte.
„Wo ist Mutter?“, fragte ich.
„Im Krankenhaus.“
„Schon wieder?“
„Musste sie heute Morgen nach Stans fahren. Sagt, sie kriege keine Luft. Oder das Herz. Wüsste sie, dass es eine Milz gibt, würde die ihr auch wehtun.“
Ich lachte, drehte mich zum Geländer und blickte nach oben. Es hatte zu regnen begonnen.
„Wir essen bei den Großeltern“, sagte Vater.

Mutter fühlte sich fast immer krank. Zwei Schubladen des Küchenschranks waren für ihre Medikamente bestimmt. Manchmal stand sie auf einmal in meinem Zimmer und sagte, sie könne nicht atmen. Sie griff sich an den Hals und schien in Panik zu sein. Dann legte sie sich auf den Boden und bevor ich etwas tun konnte, war der Spuk vorbei. Sie atmete tief ein und sagte, es sei alles in Ordnung und ich solle mir keine Sorgen machen. Aber das tat ich sowieso nicht. Vater hatte mir gesagt, das sei psychisch, sie wolle bloß Aufmerksamkeit.
Natürlich wusste ich, dass sie es nicht einfach hatte mit ihm. Einmal beobachtete ich heimlich, wie mein Vater ihr Haushaltsgeld gab. Mutter kniete auf dem Küchenboden, die Hände auf dem Rücken.
„Zählen“, sagte mein Vater.
„Dreihundert.“ Mutter hustete und Vater warf einen Hunderter unter den Küchentisch. Mutter robbte hin, drehte ihren Kopf und presste die Wange auf das Papier, so dass sie mit der Zunge die eine Ecke in ihren Mund schieben konnte. Dann biss sie zu und kroch mit der Beute unter dem Tisch hervor.
„Achthundert Franken. Jeden Monat. Und du schaffst es nicht, anständiges Essen aufzutischen“, sagte mein Vater. Den nächsten Schein warf er in die Spüle und ich ging leise zurück in mein Zimmer.

Wir standen also auf dem Balkon und Vater sagte, ich solle meine Hausaufgaben erledigen und übrigens könne es sein, dass wir nun öfter bei meinen Großeltern essen würden.
„Warum?“, fragte ich.
„Weil deine Mutter nicht mehr zurück nach Hause will.“ Ich sah ihn fragend an und er erklärte mir, meine Mutter könne es nicht ertragen, dass für uns Männer eine Frau nicht reiche. Ob ich verstehen könne, dass einem Bären ein Fisch am Tag nicht genüge?
„Ja“, sagte ich.
„Siehst du, deine Mutter kann es nicht verstehen und deshalb will sie nichts mehr mit uns zu tun haben.“
Danach ging Vater in die Küche, um Wasser für den Schädel aufzusetzen.

Das war der Tag, an dem meine Mutter uns verließ, und ich sah sie danach nur noch selten. Es war von Anfang an klar, dass ich bei meinem Vater wohnen blieb. Sie habe ein Myom im Bauch gehabt, so groß wie ein Salatkopf, sagte mir Mutter später, aber ich wusste nicht, ob das stimmte. Sie sagte auch, sie hätte sterben müssen, wenn sie bei meinem Vater geblieben wäre.
„Bei uns“, sagte ich. Aber das tat ich bloß, um sie zu ärgern, denn ich vermisste sie nicht.

***​

Andere Frauen kamen und blieben höchstens eine Nacht. Ich verbrachte viel Zeit bei meinen Großeltern. Zwei Jahre vergingen. Dann erwachte ich.
Es war Frühling und ich besuchte die Premiere des Buochser Theaters. Vater spielte die Hauptrolle. An die Handlung kann ich mich nicht mehr erinnern, aber schon früh wurde von einem Mädchen gesprochen, das todgeweiht sei. Und auf einmal lag sie da, vorne auf der Bühne. Ihre Lippen waren schmal und blass, ihre Augen getaucht in Schmerz. Ich wollte aufspringen und rufen, man müsse dem Mädchen helfen. Ich war auf der Stelle in sie verliebt. Noch war mir nicht bewusst, wie sehr es mich erwischt hatte. Erst in der Nacht, als ich in meinem Bett lag, mir ihr Gesicht vorzustellen versuchte und mir einen runterholen wollte, merkte ich, dass da mehr war. Mein Ding blieb schlaff, ein Zeichen des Respekts und ein untrügliches Symptom aufrichtiger Liebe. Ich ging in die nächste Vorstellung, um Vera noch einmal spielen zu sehen. Mir war, als würde der Vorhang zu Beginn des zweiten Akts nur meinetwegen geöffnet, der schwere Samt gab den Blick frei und sie lag genauso da, wie ich es mir erhofft hatte. Doch dann geschah etwas, was mir bei der ersten Aufführung nicht aufgefallen war. Mein Vater beugte sich über sie und fasste sie an, legte seine Hand auf ihre Brust. Ich zuckte zusammen. Nach einer Weile beruhigte ich mich wieder und es gelang mir, mich ganz in ihren Anblick zu versenken.
Später feierte die Truppe in der Krone. Vater hielt eine seiner Reden über Schauspielkunst, während Vera auf einem Stuhl im hinteren Teil des Saals saß. Zweimal drehte sie ihren Kopf und lächelte mir zu. Hätte ich damals gewusst, dass sie fast zwei Jahre älter war als ich, mein Mut hätte mich verlassen. Auch so zögerte ich lange. Doch dann griff ich mit einem gut durchdachten Kompliment an.

Den Sommer über trafen wir uns fast jeden Tag. Wir lagen auf der Wiese, neben der die Engelberger-Aa in den Vierwaldstättersee mündet, träufelten uns Sonnenöl mit Kokosduft auf die Haut und hörten Musik, einander nahe und verbunden durch das kurze Kopfhörerkabel ihres Discmans. Danach gingen wir schwimmen, warfen uns fröstelnd die Badetücher über die Schultern und bedauerten den Untergang der Sonne. Ich sagte Vera, dass ich sie liebe. Sie lächelte und fragte, ob ich sicher sei.
An einem dieser Tage saßen wir auf der Quaimauer, schauten den Booten zu, die mit schlaffen Segeln und surrenden Motoren den Hafen ansteuerten, und Vera sagte, sie wolle Schauspielerin werden.
„Ah ja?“, fragte ich.
„Dein Vater meint, ich hätte Talent.“
„Wann hat er das gesagt?“
„Damals, während der Proben.“
Wir tranken Bier und küssten uns. Auf einmal griff sie zwischen meine Beine. Aber da waren noch andere Leute. Ich drehte mein Becken weg und sie sagte, das sei schade und sie habe sich wohl zu viel davon versprochen, mit einem Sechzehnjährigen abzuhängen.

Das nächste Mal, als ich sie sah, blickte ich auf ihren nackten Hintern. Als sie mich bemerkte, drehte sie ihren Oberkörper und lächelte mich an. Mein Vater hob sie an, zog seinen Schwanz aus ihr und schwieg. Es war vereinbart, dass ich bei meinen Großeltern übernachten sollte, aber ich hatte mich umentschieden. Vielleicht hatte ich auch etwas geahnt, ich kann es nicht mehr sagen, ich erinnere mich nur noch an wenige Dinge. Rote Flecken auf Veras Gesicht, Schweißperlen auf ihrer Stirn. Wie mein Vater nach seinem Bademantel greift.
Natürlich dachte ich an das Jagdgewehr. Es stand im Schrank, gleich im Wohnzimmer. Und später griff ich in meinem Geist immer wieder danach. Schob die Schrotpatrone in den Drilling. Schoss ihm zwischen die Augen. Aber an diesem Abend stand ich bloß da, sagte nichts und tat nichts. Schließlich drehte ich mich um und ging zu meinen Großeltern.

***​

Dort, wo ich jetzt bin, spricht man viel darüber, wer man ist und woher man kommt. Psychogelaber, würde Vater sagen. Man stellt mir Fragen, die ich nicht beantworten kann. Weshalb ich bei meinem Vater geblieben sei, obwohl ich wusste, wie er meine Mutter behandelte? Was ich empfinde, wenn ich an meine Mutter denke? Was, wenn ich mir Vera vorstelle? Der Mensch sei ein Mysterium, sage ich dann, und ich mir selbst das größte. Neulich sollten wir das Tier zeichnen, das uns am meisten entspricht. Ich malte den Wolpertinger. Unbeholfen zusammengekleistert aus Teilen, die in keiner Beziehung zueinander stehen. Ein Monstrum. Als Rumpf zeichnete ich den kräftigen Leib eines Bären.

 
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Liebe Isegrims

Was mir trotz den Ich-Perspektive auffällt, ist, wie weit du von deinem Protagonisten entfernt bist, ich dringe nicht richtig vor zu ihm, zu seiner Verwirrung und besonders am Ende nicht zu seiner Wut...

Ja, kann ich gut verstehen. Das war auch nicht meine Absicht. Ich bin froh, wenn man sich dem Erzähler emotional nicht nahe fühlt.
Die Frage ist, ob die Möglichkeit, emotionale Nähe zum Erzähler aufzubauen, eine notwendige Bedingung für eine gute Geschichte ist. Ich glaube, viele sehen das so und dann fehlt etwas, wenn man, wie du schreibst «nicht wütend oder betroffen» werden kann. Ach, du weisst, dass ich mit dieser Sache hadere.
Ich wollte einfach keine – ich sag’s mal provokativ – Nullachtfünfzehn-da-der-Täter-hier-das-Opfer-habt-Mitleid-Geschichte schreiben.

du startest gleich mit einem sinnlich erfahrbaren Ekelbild. Nur: Glied gefällt mir nicht als Wort, ich würde da Ding oder Schwanz nehmen...

Das hat mich stutzig gemacht. Ich starte überhaupt nicht mit einem Ekelbild. Es geht hier um Bewunderung und daher ist «Glied», denke ich, auch der richtige Ausdruck. Ich habe mich gefragt, ob deine Lesart mit gewissen Erwartungen zu tun hat – dass der Erzähler als Opfer sein Leiden schildert und daher als erstes ein Ekelbild formuliert.

warum gibst du dafür Zahlen an? ist nutzlos oder?

Stimmt, habe ich gestrichen.

warum am Schluss indirekte Rede?

Dadurch erhält die Aussage, in meiner Empfindung, etwas allgemeineren Charakter. Es ist möglich, dass der Vater das mehrfach gesagt hat. Wenn ich das in der direkten Rede lasse, dann wird es zeitlich auf dieses eine Mal fixiert. Ich denke zudem, dass indirekte Rede schon auch ihren Reiz hat.

Was? Schweizer soll mal einer verstehen

Dabei kommen die aus Kärnten, diese Jagdgewehre. :)

warum nimmst du hier Plusquamperfekt? du könntest auch schreiben: Ich nannte ihn Bär, seit ich denken kann.

Durch das PQP werden die beiden «Taufakte» stärker aufeinander bezogen, wie ich finde.

kann der nicht online einen Porno schauen: ziemlich oldschool: 70er Jahre

90er reicht durchaus. Gefällt mir nicht, diese implizite These, Geschichten müssten in der Gegenwart spielen.

wenn du das schon so genau beschreibst, fehlt trotz show dont tell, mindestens die Andeutung, was er dabei macht, klingt sehr prüde...

Ne, ich glaube, das braucht es echt nicht. Du zeigst ja mit deinem Kommentar, dass du verstanden hast.

mm, das klingt merkwürdig, mir wird aus dem bisherigen Verlauf nicht klar, warum er lacht, wenn die Mutter ins Krankenhaus kommt...

Er lacht über den Witz mit der Milz.

weiß nicht, was ich davon halten soll, effekthascherisch?

Wenn ich das unter jede krasse Szene schreiben würde, die ich hier so lese … Aber gut, ich habe das Hochzeitskleid gestrichen, das braucht es wirklich nicht.

auch hier, das ist sehr aus der Ferne erzählt, das spüre ich nicht richtig, da wäre es womöglich besser, du machtest eine Szene, wie er mit seiner Mutter umgeht...

Das wäre Autor, nicht Erzähler. Wie ich in meiner Antwort auf Mix ausgeführt habe, denke ich, dass es konsequent ist, wenn dieser Erzähler nichts von seiner Mutter berichtet. Dass das unbefriedigend sein kann, verstehe ich gut.

das ist echt zu redundant, warum sagst du nicht, welches Kompliment das war...

Ich bin einfach zu unbeholfen im Formulieren von Komplimenten, vor allem im Kontext einer Anmache. Das wollte ich nicht offenlegen. :)

angemessen klingt mir zu erwachsen...

Stimmt, habe ich geändert.

Hab vielen Dank, liebe Isegrims, für deine Anmerkungen.


Hey Kanji

Ach, und ich war ergriffen, als ich deine Zeilen gelesen habe. Wir sehen vieles, denke ich, sehr ähnlich. Danke dir fürs erneute Reinschauen!

Liebe Novak

Das Problem, das du glaube ich mit dieser Geschichte hast, das kenne ich nur allzugut. Und das ist gar kein Problem der Geschichte oder ihrer Konstruktion, sondern das Problem geht man ein, wenn man einen unsympathischen, unangenehmen Erzähler erfindet, den die Leser nicht mögen, weil man sich nicht mit ihm identifizieren kann.

Ja, ich war da drauf vorbereitet – im Unterschied zu früheren Situationen – und empfinde es gar nicht so sehr als Problem. Ich merke auch, dass ich forumstechnisch etwas gelassener werde. :)

Ja, das Ganze kriegt dadurch obwohl es auf den ersten Blick recht normal wirkt, etwas Heimliches, Verschwiegenes, das in sich abgeschlossen ist. Auch wie er das riesige Glied des Vaters erspäht. Also nee, das hat alles was sehr Hintertriebenes, Beobachtendes. Aber wie gesagt, das erschließt sich eigentlich nicht gleich beim ersten Lesen, sondern eher später. //
Egal wo man ihn findet. Dass er den Vater im Theater sieht, die erste Liebe im Theater sieht, den Schluss der Liebe beobachtet er wieder als Zuschauer, als gepeinigter Voyeur.

Die ganze Sache basiert ja auf einem viel längeren Text. Dort habe ich dem Erzähler das Visuelle zugeordnet und den Vater vor allem schmecken und riechen lassen – was hier jetzt weggefallen ist. Auch hat der Vater auf Tiervergleiche zurückgegriffen und der Sohn (und die Mutter) auf Pflanzenvergleiche (Kokosnuss, Salatkopf). Da ist noch was davon drin, im Text.
Den Sohn als Beobachter habe ich dort herzuleiten versucht, da gibt es einige Szenen, die zeigen, dass er physisch schwach ist, jähzornig und von Mädchen gemieden wird. Das habe ich hier alles nicht drin …

Nee, ich rede von einer Brechung vorher, irgendetwas, was spürbar macht, warum er sich zu diesem heimlich beobachtenden Liebhaber der Stärke entwickelt hat. Es geht mir also weniger um Sympathie, sondern um Glaubwürdigkeit dieses Charakters. Da fehlt mir gar nicht viel, nur warum gibt ihm dieses System von Stärke so viel, was gefällt ihm daran, was mag er daran, so heimlich zu sein und so mitleidlos.

… und das fehlt dir jetzt. Ich möchte den Text kurz halten, habe aber dennoch reagiert, denn du hast recht mit deinem Anliegen.

Er habe den Ferlacher Drilling und das Reh müsse schauen, dass es in Deckung bleibe. So einfach sei das. Ich nickte, aber ich war besorgt. Stark zu sein war nicht einfach, wenn man klein war und keine Muskeln hatte. Gab es eine Rauferei auf dem Pausenhof, sah ich immer nur zu.
Einige Zeit später brachte Vater einen Wolpertinger nach Hause.

Ob das jetzt reicht, ist eine andere Frage, aber es ist da zumindest was angedeutet.

Ich finde die Geschichte übrigens toll, falls du das noch nicht gemerkt hast, einen sehr nachdenklich machend.

Ich hab’s mir erhofft, aber schon gut, dass du es noch hingeschrieben hast. :)

Und vielleicht kannst du ja was mit meinen Anmerkungen anfangen.

Ja, sehr. Meine Antwort wiederum wird dem Umfang deines Kommentars gar nicht wirklich gerecht, aber mir ging’s da ähnlich wie bei Mix, ich hab’ gelesen und gedacht: «Ja, das ist meine Geschichte.»

Vielen, vielen Dank für diese Anmerkungen, liebe Novak.

Liebe Grüsse an euch alle
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn,

mehrfach hast du betont, dass du diese Geschichte auch unter dem Aspekt gepostet hast, um herauszufinden, wieviel duhier in einem Jahr gelernt hast. Da habe ich mal recherchiert. Tatsächlich, es war am 14. Juni 2015. Also herzlichen Glückwunsch zu Einjährigen. Dabei kommst du mir schon vor wie eine Institution, auf jeden Fall eine Bereicherung für alle.
Das muss doch mal gesagt werden;)

Herzlichst wieselmaus

 

Hallo Peeperkorn,

mich hat deine Geschichte nachdrücklich beeindruckt. Merke, wie sie immer wieder in mein Bewusstsein schwappt.
Wurde schon viel Schlaues zu deinem Text gesagt, (bin die Kommentare nur überflogen) wahrscheinlich kann ich da wenig Neues zu beisteuern. Ich finde ihn grandios. Ich kauf das alles so, wie es da steht. Finde es psychologisch stimmig und mit genau der richtigen Distanz geschrieben. Die Szenen, die du rausgepickt hast, um das Leben des Jungen zu beleuchten, sind weise gewählt. Ich glaube, das beeindruckt den Schreiber in mir am meisten. Wie sicher du die Knochen platzierst. Und in welchem Setting. Allein die Auswahl des unaussprechlichen Vater-Berufes, das Schädelkochen, den Wolpertinger ... Das und Kleinigkeiten mehr sind so abgedrehte Dinge, die einem Terry-Gilliam-Film würdig sind. Aber dabei verlierst du nicht die Bodenhaftung. Es ist glaubhaft und tut weh.
"Glaubst du denn, dass dem Bär ein Fisch reicht ... " Was für eine Erklärung, was für ein Bild. Es zeigt wunderbar, wie der Sohn den Vater wahrnimmt und wie der Vater sich selbst sieht. Die Gier nach Macht und Ansehen auf allen Ebenen. Das Unterwerfen der Mutter, der aufblickende Sohn, das jubelnde Publikum, die Entscheidung über Grundbesitz, Alkohol und Sex. Bären sind Einzelgänger und beanspruchen ein großes Jagdgebiet für sich allein. Was sich nicht fütterst gefressen (Freundin des Sohnes) oder verjagt (Mutter). Tja und der Sohn, er wäre gern der Jäger, der den Vater abknallt. Über Vaters Jagd-Trophäen den Kopf des Bären hängen, dem größten aller Raubtiere.
Die Geschichte endet für mich an der richtigen Stelle. Dennoch würde ich die Fortsetzung gerne lesen. Auch der stärkste Bär wird irgendwann grau und seine Kräfte schwinden. Vielleicht wird er ein Pflegefall? Vielleicht rächen sich alle von ihm Betrogenen an den nun Wehrlosen? Wird der Wolpertinger ihm beistehen?
Sehr sehr gerne gelesen.

Grüßlichst
Weltenläufer

 
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Lieber Peeperkorn,

ich geh' erst mal den Text durch. Ich habe die anderen Kommentare (bewusst) nicht gelesen, und hoffe, mich nicht zu wiederholen.

Ich erinnere mich, wie mein Vater eines Abends betrunken nach Hause kam, duschte und sich auf das Sofa fläzte. Er hatte den Bademantel mit den gelben Säumen übergeworfen, der Gürtel lag lose auf seinen Hüften. Da saß er mit einem Glas Cognac in der Hand und schaute fern.
Fläzen ist für mich nicht sitzen, so hatte ich erst ein Bild, dass er wirklich mehr liegt als sitzt. So war ich etwas irritiert und konnte mich gedanklich nicht wirklich festlegen, wie ich ihn mir vorzustellen habe.

Und unterhalb seines Bauches, im Gewirr von Haar, Mantel und Haut, erspähte ich sein riesiges Glied.
Für mich passt dieses Bild nicht. Wenn doch das Glied so riesig ist, wird es doch nicht im Gewirr von Schamhaaren und Mantel versteckt sein, so dass er es quasi erst darin suchen muss - denn das verstehe ich unter erspähen :confused:
Man könne kaum glauben, wie viel Schnaps er von den Bauern geschenkt bekomme.
Das bekommt der Junge doch mit, wenn der Vater mit den Flaschen heimkommt. Da fände ich besser, wenn es in der Art formuliert wird: Man glaube ihm kaum, wie viel ...
Dann beziegt es sich nicht auf den Jungen, sondern auf andere, die das erzählt bekommen.
Hellblaues Hirtenhemd mit aufgestickten Blumen.
Dieser Satz ist so isoliert, weil du ansonsten schon komplette Sätze machst.
Und es stimmte, was er zu mir gesagt hatte; bei seinen Sprüchen lachten sie am lautesten.
Wie wäre es mit einem Doppelpunkt statt Semikolon?
Er habe den Ferlacher Drilling und das Reh müsse schauen, dass es in Deckung bleibe.
Verstehe ich nicht. (Später im Text wird das klar mit dem Ferlacher, aber nicht zu dem Zeitpunkt)
Die Hefte ließ er auf dem Stubentisch liegen. Für mich waren sie tabu, doch alle paar Monate schnürte Mutter die Hefte zusammen und brachte sie in den Keller, wo sie bis zur nächsten Altpapierabfuhr liegen blieben.
Also jetzt mal ganz ehrlich: Da liegen Hefte mit nackigen Frauen auf dem Stubentisch rum (kam nie Besuch?) und das Kind soll nicht reinsehen dürfen, und noch besser: Macht das nicht? Nicht mal heimlich? Nein, das glaube ich nicht :D

Es war im späten September, kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag. Vater kochte Köpfe.
Vater kochte Köpfe aus.
Knochen kocht man aus. Ansonsten würde er das Fleisch kochen.
Besser wäre noch Tierschädel.


„Wo ist Mutter?“, fragte ich.
„Im Krankenhaus.“
„Schon wieder?“
„Musste sie heute Morgen nach Stans fahren. Sagt, sie kriege keine Luft. Oder das Herz. Wüsste sie, dass es eine Milz gibt, würde die ihr auch wehtun.“

Da erzählt der Vater dem Sohn nicht einmal, dass die Mutter im KH ist. Er muss das erfragen. Boah, das sagt ja schon alles.

Sie atmete tief ein und sagte, es sei alles in Ordnung und ich solle mir keine Sorgen machen. Aber das tat ich sowieso nicht. Vater hatte mir gesagt, das sei psychisch, sie wolle bloß Aufmerksamkeit.
Eine Mutter ist eine Mutter ist eine Mutter. Ich nehme das dem Erzähler nicht ab. Vielleicht bin ich aber auch in einer zu heilen Welt aufgewachsen und weiß nicht, was für emotionale Purzelbäume auch Kinder mit der Mutterliebe machen?
Sie trug ein Brautkleid, es war grau.
Ein Brautkleid. Ihr Brautkleid? Ich finde das einen Ticken zuviel bei der Szene. Ich meine, da kommt dann der Vater heim und sagt: Es ist Zahltag, zieh dein Brautkleid an! Oder wie soll ich mir das vorstellen? Dann rennt die Mutter los, kleidet sich an und geht wieder demütig in die Küche, wo sie das Haushaltsgeld irgendwie erbetteln muss? Hmmm.
„Bei uns“, sagte ich. Aber das tat ich bloß, um sie zu ärgern, denn ich vermisste sie nicht. Sie hatte mich gefüttert und aufgezogen, aber meine Mutter hatte sich mir nicht eingeschrieben, sie war nur seine Frau gewesen.
Das ist mir zu gestelzt, wie auch das mit dem Nicht-Sorgenmachen.
Neulich sollten wir das Tier zeichnen, das uns am meistens entspricht. Ich malte den Wolpertinger. Unbeholfen zusammengekleistert aus Teilen, die in keiner Beziehung zueinander stehen. Ein Monstrum. Als Rumpf zeichnete ich den kräftigen Leib eines Bären.
Gutes Ende.

Ein starke Geschichte, Peeperkorn. Sehr subtil und doch knallhart.

Ich habe ein paar Details hinterfragt, die mir, hauptsächlich in Bezug auf die Mutterliebe, nicht nachvollziehbar vorkommen. Kinder lieben erst einmal ihre Eltern immer. Egal, was die mit ihnen machen. Wenn dann die Mutter im Grunde nichts Schlechtes anstellt und nur aufgrund der Vorbildfunktion des Vaters vom Jungen nicht geliebt wird, kann ich das schlicht nicht glauben.

Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie der Junge sagen kann:
Sie hatte mich gefüttert und aufgezogen, aber meine Mutter hatte sich mir nicht eingeschrieben, sie war nur seine Frau gewesen.

dafür ist mir die Bindung, die Hörigkeit des Vaters zum Sohn zu wenig klar geworden, oder besser gesagt: Mir wurde nicht gezeigt, inwieweit sich die Mutter eben nicht um ihn gekümmert hat, so dass er begründet so eine schlechte Meinung von ihr hat.

Was mir auch - am Rande - fehlt ist jeglicher Kontakt zu Gleichaltrigen (von Vera abgesehen, aber das hat ja eine andere Funktion). Also kein Kumpel, kein Freund. Er scheint ja fast in einem eigenen Universum zu leben.

Trotz meiner Fragen, die vielleicht auch auf meiner subjektiven Erfahrung als Mutter basieren, finde ich den Text so stark, dass ich ihn empfehlen werde (falls es nicht schon jemand getan hat).

Liebe Grüße
bernadette

 

Ronniefragt

Warum hast du das dann eingangs erwähnt?
und ich erinner mal an Symbole der Macht wie's Szepter, Phallussymbol und Zeichen höchster Macht für den Meister Petz und König der Wälder auf seinem Thrönchen ...

Friedel

 

Hey Ronnie

Aber ist es nicht so wie bei einem Gewehr, das an der Wand hängt (in einer Geschichte)?
Der Leser erwartet (nach Stephen King), dass es irgendwann da runter geholt, geladen und dass damit geschossen wird.

Ersetze das Fettmarkierte durch: "Schwanz", "raus" und "gevögelt" und du hast die Szene kurz vor Schluss. Nur dass der Schwanz zu Beginn nicht an der Wand hängt und auch nicht geladen werden muss.

Lieber Gruss
Peeperkorn

weltenläufer bernadette: Sorry, dass ich eure Kommentare übersprungen habe, aber die Antworten darauf brauchen natürlich Zeit. Schon mal ganz herzlichen Dank für eure Anmerkungen!

 

Ronnie

Ronnie schrieb:
Aber ist es nicht so wie bei einem Gewehr, das an der Wand hängt (in einer Geschichte)?
Der Leser erwartet (nach Stephen King), dass es irgendwann da runter geholt, geladen und dass damit geschossen wird.
Ersetze das Fettmarkierte durch "Anton Tschechow", und du hast den wahren Urheber dieses literaturtheoretischen bzw. schreibtechnischen Aperçus.

:Pfeif:

 

Ja Friedel - schön und gut.
Aber ist es nicht so wie bei einem Gewehr, das an der Wand hängt (in einer Geschichte)?
Der Leser erwartet (nach Stephen King), dass es irgendwann da runter geholt, geladen und dass damit geschossen wird.

Who's the Depp,

my dear Ronnie

means Stefan König¿


Have a nice weekend

Freatle

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe wieselmaus

Danke dir! Ich glaube zwar, du hast dich vertan und ich feiere erst heute mein Einjähriges. :bier: Aber ich habe mich sehr über deine Worte gefreut. Ich kann nur immer wieder betonen, wie sehr mich die WK voranbringen (zumindest denke ich das) und wie gut aufgehoben ich mich im Forum fühle – auch wegen dir.

Hallo weltenläufer

Wow, finde ich super, dass der Text bei dir so gut angekommen ist.

Die Szenen, die du rausgepickt hast, um das Leben des Jungen zu beleuchten, sind weise gewählt. Ich glaube, das beeindruckt den Schreiber in mir am meisten. Wie sicher du die Knochen platzierst.

Freut mich riesig. Vielleicht ist das ein Beispiel dafür, wie es helfen kann, einen Text lange (in diesem Fall: mehr als ein Jahr) ruhen zu lassen. Wie erwähnt habe ich das Material für diese Geschichte aus einem Fundus von rund 120 Seiten, meinem Erstling gewissermassen. Ich konnte also auswählen und neu arrangieren, hatte, glaube ich, einen besseren Blick fürs Wesentliche, dafür, was es braucht, damit die Geschichte stimmig wird.

Allein die Auswahl des unaussprechlichen Vater-Berufes, das Schädelkochen, den Wolpertinger ... Das und Kleinigkeiten mehr sind so abgedrehte Dinge, die einem Terry-Gilliam-Film würdig sind. Aber dabei verlierst du nicht die Bodenhaftung.

Ich liebe „Brazil“ und fühle mich geehrt. Aber manchmal ist die Realität selbst so, als stamme sie aus einem Terry-Gilliam-Film. Der Beruf des Vaters, die Schädel an den Wänden, das Auskochen auf dem Balkon, das Entfernen der Rehaugen, die Playboy-Hefte auf dem Stubentisch: Alles Kindheitserinnerungen. Nur einen Wolpertinger hatten wir nicht. :)

Die Geschichte endet für mich an der richtigen Stelle. Dennoch würde ich die Fortsetzung gerne lesen. Auch der stärkste Bär wird irgendwann grau und seine Kräfte schwinden. Vielleicht wird er ein Pflegefall? Vielleicht rächen sich alle von ihm Betrogenen an den nun Wehrlosen? Wird der Wolpertinger ihm beistehen?

Da hätte ich schon Ideen, bzw. ein paar Seiten Text. In der Erzählung hatte ich den Bären schon zu Beginn als angeschlagen dargestellt (im Rahmen eines zweiten Erzählstrangs). Mit ständigen Kopfschmerzen, überreizt usw. Doch am Ende fängt er sich, wird glücklich mit seiner Geliebten, steigt auf den Berg und ruft: „Ich bin, der ich bin.“ Der Sohn hingegen glaubt, sich von seinem Vater emanzipiert zu haben, es wird dann aber deutlich, dass er im Versuch, eine eigene Identität zu finden, gescheitert ist. Kein fröhlicher Text.

Danke für diesen Kommentar, lieber weltenläufer. Hat gut getan.


Liebe bernadette

Dein Kommentar hat so einen Twist drin, wie bei einer guten Geschichte. Als ich endlich zur Stelle mit „starker Text“ kam, hatte ich schon ziemlich viel Schweiss auf der Stirn. :)

Ich wollte einen radikalen Erzähler haben, ein Monstrum. Ich glaube, dass ich mit dem Text zwei Konventionen verletze. Die eine ist, dass das Opfer ein Sympathieträger sein sollte, so dass man mit ihm fühlen kann. Die andere hat Novak angesprochen: Menschen werden zu dem gemacht, was sie sind, sie kommen nicht so zur Welt. Dieser zweite Verstoss hat dich nicht überzeugt. Man erfährt nicht, wie genau der Erzähler (im Verhältnis zu seiner Mutter) so kalt geworden ist. Und überhaupt erscheint seine Haltung, sein Verhalten gegenüber der Mutter unplausibel.

Ich will nicht dagegen argumentieren, denn mir ist klar, dass ich mich auf schmalem Grat bewege - zwischen „unglaublich“ und „unglaubwürdig“. Wenn man es schaffen würde, Unglaubliches zu erzählen, Geschichten, die zum Nachdenken anregen. Geschichten, die zeigen, wie gross das Spektrum des Menschseins ist, das wäre es. Da ist die Versuchung gegeben, hart an die Grenze zu gehen und man muss damit rechnen, diese zu überschreiten. Was erzählt werde, gehöre eben nicht ins Spektrum des Menschseins, das sei schlicht unglaubwürdig, lautet dann das Urteil der Leser. In diesem Fall – ich als Autor, du als Leserin – muss ich das akzeptieren.

Dass du die Geschichte dennoch empfohlen hast, empfinde ich als riesige Anerkennung. Danke dir dafür!

Fläzen ist für mich nicht sitzen, so hatte ich erst ein Bild, dass er wirklich mehr liegt als sitzt. So war ich etwas irritiert und konnte mich gedanklich nicht wirklich festlegen, wie ich ihn mir vorzustellen habe.

Ich sehe den Punkt. In meiner Lesart giesst er sich dazwischen noch das Glas Cognac ein und setzt sich dabei richtig hin.

Wenn doch das Glied so riesig ist, wird es doch nicht im Gewirr von Schamhaaren und Mantel versteckt sein, so dass er es quasi erst darin suchen muss - denn das verstehe ich unter erspähen

Guter Punkt: ich habe „erspähte“ durch „erblickte“ ersetzt.

Das bekommt der Junge doch mit, wenn der Vater mit den Flaschen heimkommt. Da fände ich besser, wenn es in der Art formuliert wird: Man glaube ihm kaum, wie viel ...

Das ist mir zu wörtlich gelesen. Gemeint ist doch einfach: „Unglaublich, dass x der Fall ist.“ (Auch wenn alle wissen, dass x tatsächlich der Fall ist, lässt sich das gut sagen)

Dieser Satz ist so isoliert, weil du ansonsten schon komplette Sätze machst.

Habe ich gestrichen.

Wie wäre es mit einem Doppelpunkt statt Semikolon?

Yep!

Verstehe ich nicht. (Später im Text wird das klar mit dem Ferlacher, aber nicht zu dem Zeitpunkt)

Das ist immer so eine Krux. Ich glaube, konkrete Details, Namen, Orte sind wichtig für eine gute Geschichte. Da nimmt man in Kauf, dass nicht alles (sofort) klar wird. Ich dachte, „Drilling“ sei ein allgemein bekannter Ausdruck – aber ich bin halt der Sohn eines Jägers.

Also jetzt mal ganz ehrlich: Da liegen Hefte mit nackigen Frauen auf dem Stubentisch rum (kam nie Besuch?) und das Kind soll nicht reinsehen dürfen, und noch besser: Macht das nicht? Nicht mal heimlich? Nein, das glaube ich nicht :D

Da habe zu viel weggekürzt, in der ersten Version hatte ich das noch drin, das heimlich nachschauen. Ich hab’s wieder geändert, denn du hast recht.

Vater kochte Köpfe aus.
Knochen kocht man aus. Ansonsten würde er das Fleisch kochen. Besser wäre noch Tierschädel.

Habe ich mir als saloppe Formulierung gedacht, in dem Sinne, das Vater und Sohn das so nennen, obwohl sie (und der Autor) wissen, dass es nicht präzise ist.

Ein Brautkleid. Ihr Brautkleid? Ich finde das einen Ticken zuviel bei der Szene.

Ach, verdammt. Ich dachte, ich hätte das Brautkleid längst gestrichen. Ich arbeite mit zwei Versionen gleichzeitig - diese plus eine Kurzversion mit weniger als 10000 Zeichen, was bei vielen Wettbewerben Obergrenze ist – und habe da ein Durcheinander veranstaltet.

Das ist mir zu gestelzt, wie auch das mit dem Nicht-Sorgenmachen.

„Sie hat sich mir nicht eingeschrieben“ ist ein Riesendarling. Ich habe nachgedacht und, verflucht, du hast recht. Hab’s gestrichen.

Vielen Dank für diese Anmerkungen, ich zucke jeweils zusammen, wenn ich sehe, dass du kommentiert hast :) Aber am Ende bin ich immer sehr sehr froh.

Lieber Gruss euch allen
Peeperkorn

 

Schade, dass du "erspähte" durch "erblickte" ersetzt hast. Erblickte finde ich viel zu normal und zu neutral. Erspähte hingegen charakterisiert den Protagonisten. Und wenns Abend ist, dann ists auch dunkel ist, jedenfalls in dem Haus, in dem ich mir die beiden vorstelle.

 

Okay, liebe Novak, jetzt habe ich zwei gute Argumente (von bernadette und dir) und lasse mir das in aller Ruhe noch mal durch den Kopf gehen.

Gute Gelegenheit, btw., um mich noch für die Namenswahl zu entschuldigen. ;)

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Gute Gelegenheit, btw., um mich noch für die Namenswahl zu entschuldigen.
Na das wurde aber auch Zeit. :naughty: da brauchts schon zwei Schokoladentorten, um das wieder gut zu machen.

Herzlichen Glückwunsch für die Empfehlung. Das muss ja auch mal gesagt werden, ich Benimmpinsel.

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke!

Na das wurde aber auch Zeit. :naughty: da brauchts schon zwei Schokoladentorten, um das wieder gut zu machen.

Geschickt platziert, so kurz vor Wien. :D

So, jetzt aber fertig OT

Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Peeperkorn,

die Empfehlung hast du dir redlich verdient, denn die Geschichte ist sprachlich in ihrer Wirkung mächtig, liest sich gut weg und kommt mit kräftigen Szenen daher, die das Bild einer patriarchalischen Männlichkeit gelungener zeichnen, als es das Gros dieser Art von Geschichten meist tut. Schock oder Ekel empfinde ich allerdings keinen mehr, dafür ist dieses Sujet in den letzten Jahrzehnten einfach zu oft beackert und in den unterschiedlichsten Härtegraden interpretiert worden. Man sieht es hier im Forum, man sieht es auch im TV, der prügelnde Ekel-Mann hat in zahlreichen Variationen immer Konjunktur, so sehr, dass er hier und da zum effekthascherischen Klischee verkommt. Du hast die meisten dieser Klippen elegant umschifft, lediglich der Aspekt Jagd und das Gerede von "Du musst stark sein" waren etwas sehr lehrbuchmäßig für die Darstellung maskuliner Gewaltaffinität.

Besten Gruß!

Exilfranke

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe maria

Es ist eine schöne Geschichte, keine Ecken und Kanten, liest sich problemlos runter.

Das hatte ich anders beabsichtigt, ich dachte, die Erzählstimme fühle sich schon etwas kantig an. Aber ich nehm's einfach als Kompliment. :)

Irgendwie ist mir das doch zu dünn gewesen,

Ich habe mir überlegt, worauf sich das "das" bezieht und denke, du meinst wohl den Plot der Geschichte. Der ist tatsächlich nicht gerade wahnsinnig konfliktreich und spannungsgeladen, das kann ich nicht bestreiten, habe da einfach einen anderen Fokus gewählt, ...

Okay, so richtig kann ich die Geschichte nicht kritisieren und schon gar nicht kaputt machen, wie ich es gerne tun würde. Ich hatte meinen Spaß, ich finde die Geschichte gut und sie wird der Empfehlung gerecht.

... mit gar nicht so schlechtem Ergebnis. :)

Vielen Dank für deine Zeilen, deinen erfrischenden Blick auf meine Geschichte.

Lieber Exilfranke

Schock oder Ekel empfinde ich allerdings keinen mehr, dafür ist dieses Sujet in den letzten Jahrzehnten einfach zu oft beackert und in den unterschiedlichsten Härtegraden interpretiert worden. Man sieht es hier im Forum, man sieht es auch im TV, der prügelnde Ekel-Mann hat in zahlreichen Variationen immer Konjunktur

Ja, der drängt sich halt in den Vordergrund - obwohl er nicht prügelt, ich wollte vor allem psychische Grausamkeit thematisieren. Und ich wollte thematisieren, was das mit dem Erzähler macht, seine gescheiterte Identitätsfindung. Aber ich kann nicht bestreiten, dass ich dieses nicht gerade neue "Schock-Thema" dazu verwende, benutze, um dieses Ziel zu erreichen.

Dein Kommentar macht noch mal virulent, worüber ich mir in letzter Zeit eh den Kopf zerbreche: Wie lässt sich ein Text verfassen, der sprachlich "in der Wirkung mächtig" ist, aber nicht auf einen Gegenstand, einen Plot angewiesen ist, der an sich schon Aufmerksamkeit erregt, Wirkung entfaltet? Ich denke, ich sollte da den Mut haben, mich an leisere Themen zu wagen. Und ein paar gute Ideen für nicht-abgenutzte Motive. :)

Du hast die meisten dieser Klippen elegant umschifft, lediglich der Aspekt Jagd und das Gerede von "Du musst stark sein" waren etwas sehr lehrbuchmäßig für die Darstellung maskuliner Gewaltaffinität.

Geht - auf der Ebene des Details - in eine ähnliche Richtung. Danke für den Hinweis. Wenn man auf die Realität zurückgreift, in den Erinnerungen kramt, geht manchmal der Blick fürs Klischee verloren. Hab' ich hier früh gelernt , dass "Aber es ist wahr!" keine gute Verteidigung gegen den Klischeevorwurf darstellt.

Vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut!

Lieber Gruss euch beiden
Peeperkorn

 

Peeperkorn,

Geht - auf der Ebene des Details - in eine ähnliche Richtung. Danke für den Hinweis. Wenn man auf die Realität zurückgreift, in den Erinnerungen kramt, geht manchmal der Blick fürs Klischee verloren. Hab' ich hier früh gelernt , dass "Aber es ist wahr!" keine gute Verteidigung gegen den Klischeevorwurf darstellt.

Also, ich fand es jetzt auch nicht schlimm oder störend, das Schädel kochen z.B. war als Bild sehr effektiv und im Kontext der Tiernamen und den animalischen Konnotationen hat es gut funktioniert. Aber bei dem Niveau, auf dem du hier so schreibst, dachte ich, könnte so Abklopfen auf Stereotype nicht schaden. Ich bin ja nicht per se gegen Klischees, als Stilmittel können sie sehr effektiv sein.

Besten Gruß

Exilfranke :)

 

Hey Exilfranke

Danke für die hilfreiche Klärung. Ja, so einen Abklopfhammer nehme ich in meinen Instrumentenkoffer auf - gleichzeitig baue ich natürlich weiterhin auf kritische Wortkrieger. Merci!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Oh Mann, Peeperkorn

Ein schmerzhaft tiefgründiges Sozialdrama, dass du mir hier vorsetzt. Der Sohn, ohne Bindung zur Mutter, eifert dem Vater nach, bis dieser ihn masslos entäuscht und sein bisheriges Weltbild auf den Kopf stellt.
Nimmt man Freud als Basis für eine Analyse, so hat der Erzähler bereits von Klein auf den Ödipuskomplex überwunden und sieht im Vater das grosse Vorbild. So will er einmal sein, gross und stark wie dieser Bär mit dem grossen Schwanz. Aber eben eigenständig, deshalb auch der Tiger. Am besten mit Flügeln und Hörnern, um schnell an jedem Platz der Welt seine Stärke beweisen zu können.

Zwei Jahre vergingen. Dann erwachte ich.
Ein Schlüsselsatz, dem ich gleich zwei Aussagen entnehme. Das Erwachen in sexueller Hinsicht, und als zweites, das Erwachen aus dem Trugschluss, der Vater stehe ihm immer als Vorbild zur Seite.

Natürlich dachte ich an das Jagdgewehr. Es stand im Schrank, gleich im Wohnzimmer. Und später griff ich in meinem Geist immer wieder danach. Schob die Schrotpatrone in den Drilling. Schoss ihm zwischen die Augen. Aber an diesem Abend stand ich bloß da und dachte darüber nach, was in dieser Situation zu tun sei. Schließlich drehte ich mich um und ging zu meinen Großeltern.
Braucht es das schwarze? Irgendwie verliert damit die Szene diesen Überraschungsmoment. Nur so ein Gedanke.

Der Mensch sei ein Mysterium, sage ich dann, und ich mir selbst das größte.
Kraftvoller Satz, sehr schön.
Zeigt, wie schlau - trotz mangelnder, ja gestörter Sozialisation - der Erzähler doch ist.

Starker Tobak, gut gemacht.
Mit Interesse gelesen, denn 'gerne' wäre das falsche Wort.

Liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber dot

Ein Schlüsselsatz, dem ich gleich zwei Aussagen entnehme. Das Erwachen in sexueller Hinsicht, und als zweites, das Erwachen aus dem Trugschluss, der Vater stehe ihm immer als Vorbild zur Seite.

Und gleichzeitig aber auch ein Nicht-Erwachen, wenn es darum geht, die "Werte", die ihm sein Vater vermittelt hat, zu hinterfragen, das ganze Machtdenken hinter sich zu lassen. Er wird von seinem Vater gedemütigt, der aber weiterhin sein Vorbild bleibt.

Braucht es das schwarze? Irgendwie verliert damit die Szene diesen Überraschungsmoment. Nur so ein Gedanke.

Danke für den Hinweis, dadurch habe ich zudem bemerkt, dass sich das "dachte" in diesem Abschnitt doppelt. Habe die Stelle geändert.

Mit Interesse gelesen, denn 'gerne' wäre das falsche Wort.

Mein Text ist ja mehr als harmlos im Vergleich, aber ich kann mich gut daran erinnern, wie ich das erste Mal Marquis de Sade gelesen, und in einer Art Schockzustand einen Freund angerufen habe, von dem ich wusste, dass er die Schriften de Sades kennt. Das Erste, was er gesagt hat, war: "Es ist nur ein Text." Trivial, aber es hat geholfen.

Starker Tobak, gut gemacht.

Vielen Dank, lieber dot, für dieses Fazit und dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, dich mit dem Text auseinanderzusetzen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey Peeperkorn,

ich widme deiner Geschichte meinen ersten Beitrag in diesem Forum. Die Story ist mit einiger Melancholie geschrieben. Ich glaube da haben wir eine gewisse schreiberische Verwandtschaft, aber dass kannst du ja dann selbst beurteilen, wenn du magst.

Wie auch immer; zu sagen, dass mir deine bisweilen harten Bilder gefallen wäre nicht richtig. Sie brechen etwas in mir auf. Sie helfen mir, das alltägliche Grauen zuzulassen und nicht wegzuschauen; der Preis ist ein wenig Bitterkeit, den ich gerne bezahle.

Das du ein Grenzgänger bist, zeigst du mir in deinem pornographischen Part und auch am Schädelschälen. Du machst den Balanceakt, meiner Meinung nach. Es ist schwer, aber es ist erträglich.

Was die Rahmung angeht, ich überlege, ob ich auf sie hätte verzichten wollen; also auf den Teil mit der Psychatrie und auf die Andeutungen auf eine spätere Begegnung mit der Mutter. Die Frage, die ich mir stelle ist, wie die Geschichte ohne dies hätte ausgekommen können, wie man sie ohnedies rund bekommen hätte. Aber es ist wahrscheinlich über diese Frage hinaus auch eine Geschmackssache und eine Sache des Autors und seiner Absicht.

Lieber Peeperkorn (hast du einen Vornamen?), du hast mit Feingefühl und guter Recherche eine Story geschrieben, die mir sehr gefällt. Vielleicht lese ich sie morgen nochmal.

Liebe Grüße
Carlo

 

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