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Der Autotomiac
»Der Autotomiac rollte sich ein und stützte sich mit dem weichen Stirnpolster auf dem nassen Schieferboden ab. Blitzartig ließ er sich von seinem fleischigen Schwanz in die Luft schnellen und schwang beide Läufe nach vorne. Zwanzig Meter weiter landete er mit einem knirschenden Schlittern der Krallen und schob den Waldboden vor sich auf. Er drehte sich um, bedachte mich mit einem kalten Blick aus lidlosen Augen, dann verschwand er im Unterholz. Ungläubig starrte ich auf das flatternde Ding in meiner Hand und zischelte dem Flüchtenden ein wütendes 'Verdammter Bastard!' hinterher.
Beinahe hätte ich ihn gehabt, mit einem festen Griff in den Fellkamm auf seinem Rücken. Den hielt ich immer noch fest und daran hing ein Großteil der Haut. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Das Springschwanzwesen hatte seine Haut abgeworfen! Noch während ich mir das Teil an die Nase hielt, um Witterung aufzunehmen, wurde es spröde wie Pergament und zerbröselte mir zwischen den Fingern. Ich schloss die Augen und lernte den Geruch. Ich würde ihn nicht mehr verlieren. Langsam nahm ich die Verfolgung auf. Ich hatte alle Zeit der Welt und ...«
Und ..., was denn …? Verdammt nein, ich habe nicht alle Zeit der Welt! Diese blöde, verkackte Sommerhitze. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Sie werden in meinen Gehirnwindungen eingeschmolzen und rinnen mir aus den Ohren wie Wasser nach dem Schwimmen. Dabei ist heute Nacht Deadline. 'Eingänge per email bis Mitternacht werden berücksichtigt'.
Holy fucking shit! Wie soll das gehen? Warum kann es nicht regnen? Regen ist Nährlösung für meine aufkeimenden Gedanken. In seiner Abwesenheit herrscht Dürre im Schädel.
Zur Ablenkung trete ich gegen den Ventilator unterm Schreibtisch. Der Kopf kippt leicht ab und gebiert ein neues Rattern. Ich halte die Füße davor, verschaffe mir Linderung für den Gang durch die Wüste.
In meiner Brusttasche knistert der ausgedörrte Rest des Tabakvorrats. Bevor er sich in der Hitze selbst entzündet, tausche ich den zerkauten Bleistift gegen eine bröselige Selbstgedrehte. Nach einem Zug ist sie heiß geraucht.
Lynn kommt aus der Küche, in der Hand ein Schälchen mit sattroten Erdbeeren. In den hellen Stirnlocken steckt noch die Sonnenbrille vom Einkauf. Wortlos tadelt sie die Kippe zwischen meinen Lippen. Teilt den Rauch mit wedelnden Fingern.
Dann stolziert sie mit wehendem Kleid zum Fenster, reißt es auf, lässt noch mehr von der Teufelsglut hinein. Ihr folgt der Duft von Fahrradfahren, eine Melange aus Sonnenmilch, Anstrengung und Wind.
Sie gibt dem Glasascher einen kalkulierten Schubs, der ihn zu meinem Handrücken schickt, wo er kurz ins Kreiseln gerät, bis er sich klappernd beruhigt.
»He, geht´s noch?« sage ich nicht zu laut, denn ich weiß, wohin es führen kann.
Lynn beobachtet mich. Ein grüner Kryptonit-Strahl wandert aus ihren Augen in meine.
»Anscheinend ja nicht …, selbst schuld, hättest ja früher anfangen können!«
»Ja, danke, du … Mama.« Als wenn ich das nicht selbst wüsste!
»Meine ja nur …« Ihre Art, süffisant die Finger in offene Wunden zu legen, macht mich wahnsinnig.
Sie dreht ab und nimmt die Erdbeeren mit, zutscht sie einzeln durch ihre Kirschlippen. Ich schaue ihr hinterher, sie spürt es. Zusammen mit den schmatzenden Leder-Sandalen und dem Ventilatorknattern ergibt sich eine merkwürdige Sommer-Kakophonie. Vielleicht sollte ich darüber schreiben? Nein, dann hat sie, was sie will. Zurück zum Text! Wo war ich? Der Autotomiac …
Lynn steckt nochmal die Nase durch die Tür:
»Hab da so'ne Doku gesehen über so'n Tiefseefisch. Riemenfisch, glaub ich, hieß der. Da ging's auch um Autodingenskirchen. Wenn der Hunger schiebt, kann der Teile von seinem Schwanz abwerfen und selber auffressen …«
Danke für die Info, fügt sich nahtlos in meinen Text!
»Wäre vielleicht 'ne Idee«, sage ich lahm und ahne, noch bevor ich fertig bin, das aufkommende Unheil. Nicht doch! Lynn gluckst, dann lacht sie bellend auf. Ich spüre die Hitze in meinen Wangen. Zwillings-Sonnenuntergang. Sie hat Oberwasser.
»Möcht' ich sehen …«, kontert sie, spielt mit einer Erdbeere zwischen ihren Lippen. Die rosa Zungenspitze mischt mit. Eisköniginnen-Augen. Kribbeln unter der Tischplatte. Flirrende Hitze überall. Verdammt, wieder hat sie mich. Keine Zeit. Deadline. Mitternacht. Fuck. Fuck. Fuck.
Langsam steigt sie aus den Sandalen, streift die Träger über die Schultern, lässt das Kleid aus gewebtem Elfenbein herabrauschen. Langsam. Mit Genuss. Nach einem Klips gesellen sich ihre Spitzenkörbchen dazu. Sie dreht meinen Stuhl, streicht mit einem Fuß seitlich an meiner Wade vorbei. Ihre rosigen Nippel sind direkt vor mir, ziehen mich vom Stuhl wie die kreiselnden Augen von Kaa. Sie muss nicht singen, damit ich ihr folge.
»Der Autotomiac rollte sich ein und stützte sich mit dem weichen Stirnpolster auf dem porzellanharten Boden ab. Blitzartig ließ er sich von seinem fleischigen Schwanz in die Luft schnellen und schwang beide Läufe nach vorne. Zwanzig Meter weiter landete er mit einem knirschenden Schlittern der Krallen und schob dabei den Tang und die roten Algen vor sich her.
Ich hörte das Summen des Aufladevorgangs neben mir. Dann das kurze, harte Knacken. Der grüne Energiestoß zischte knapp über das Schuppenwesen hinweg. Blitzschnell warf es den Schwanz ab, schlug einen seitlichen Haken und hastete auf den Krallen weiter.
»Unwahrscheinlich, ihn jetzt noch zu erwischen«, rief Lemon neben mir. Durch das Helmmikro klang ihre Stimme hohl, wie aus dem Off. Die tropfende Gischt an ihrem Visier verhinderte den Blick in ihre Augen. Nur der kirschrote Mund schimmerte durch den Wasserfilm. Sie ließ den NanoBooster sinken, das Summen erstarb.
Die Entfernung war nicht das Problem. Doch die NB waren aufgrund der Bewegungsmuster terrestrischer Tiere konzipiert und somit für dieses chaotisch hüpfende Knäuel aus Zähnen, Schuppen und Klauen ungeeignet.
Ich riskierte einen Blick auf die Stelle, wo er versucht hatte, in die 'Pentacross' einzudringen. Wenigstens zwei Platten der Außenhülle waren leicht angehoben. Die Keramik-Legierung war zerkratzt, wenn auch nur oberflächlich.
Ich hielt mein Visier ruhig für die Nahaufnahme, kniff beide Augen zusammen, wartete auf den Bestätigungsklick.
Ohne Spritzer tauchte der Autotomiac am hinteren Ausleger der 'Pentacross' in das dunkle Wasser ein und verschwand in den Fluten. Durch das Stampfen des Raumschiffs in der Dünung rollte weiter vorne sein abgetrennter Schwanz über das Deck und fiel von Bord. Der Fleck aus blauem Blutplasma war deutlich sichtbar.
Lemon warf zwei Mikrobot-Drohnen in die Luft und scannte mit ihrer Hilfe die restlichen vier Ausleger des Schiffs. Ohne Befund. Erleichtert reckte sie das Magnet-Armband in die Höhe, ließ die Drohnen wieder landen …«
Sci-Fi funktioniert besser. Noch drei Stunden. Langsam kühlt der Ofen aus. Restwärme hoch, gepaart mit drückender Schwüle. Für abends sind Hitze-Gewitter vorhergesagt. Erste Wolken tanzen auf den Dächern.
Lynn hat nach dem Duschen ihr Kleid wieder angezogen, schleicht sich hinter mir vorbei und legt sich mit einem Schmöker aufs Sofa. Als sie an mir vorbei ist, folgt ihr Duft, rasiert alle Gedanken auf drei Millimeter und nimmt meinen Atem mit.
Ich starre auf den Bildschirm. Meine rechte Hand hält den Bleistift, malt weiter den Autotomiac. Ich muss ihn vor mir sehen, sonst kann ich ihn nicht beschreiben. Aus dem Augenwinkel sehe ich, sie hat die schlanken Fesseln gekreuzt. Ihr linker Fuß, der oben liegt, beginnt leicht zu wippen. Es ist mir nicht möglich, wegzuschauen.
„He, glotz mich nicht so an.“ Sie klappt das Buch zusammen, ohne Finger dazwischen, und tut beleidigt: „Nicht zu fassen.“ Geziertes Kopfschütteln, ihr Handtuch-Turban wackelt mit.
„Ich glotze nicht, ich denke nach. Dabei ist mein Blick zufällig zu dir gewandert.“ Ich schließe die Augen, kann die ersten Tropfen auf dem nassen Asphalt schon riechen. Cool bleiben. Es gibt noch Resthoffnung für den Autotomiac - wenn auch geringe. Der Bleistift knackt in meiner Hand.
„Na klar, rein zufällig … erzähl das deiner Oma, die ist vielleicht blöd genug, das zu glauben!“ Lynn lacht spitz, hört nicht auf, mit dem Fuß zu wippen. Ab und zu lässt sie mich ihre knallroten Zehennägel sehen.
Ich versuche, ein letztes Mal zu Entkommen:
„Ich habe noch drei Stunden, diese Story fertigzuschreiben und abzuschicken, und das würde ich verdammt gerne tun. Du weißt, was davon abhängt.“
Lynn ignoriert völlig, was ich sage. Es ist ihr egal. Wieder schickt sie mir diesen Eisköniginnen-Blick. Gefrorenes Kryptonit. Dann schüttelt sie geziert den Kopf. Schmales Lächeln.
„Hätte ich vorher gewusst, dass du so einer bist …“ Sie zieht die Füße an, gibt unter dem Saum des Kleides einen winzigen Ausblick auf ihren Slip frei. Zwischen ihren Knien hindurch hält mich ihr abschätzender Blick gefangen. „So ein mieser kleiner Spanner …“ Sie kann jetzt alles sagen und sie weiß es.
Manchmal wünsche ich, ich könnte mein infiziertes Herz abwerfen, wie die japanische Schnecke nach dem Biss einer Giftschlange ihren Fuß. Es würde mit der Zeit nachwachsen. Kleiner und blasser zwar, dafür gesund und befreit.
Das hält genau so lange, bis sie mir das nächste Mal in die Augen schaut. Mit diesem grünen Blick zwischen Himmel und Hölle, der keine Freiheit duldet.
Der Autotomiac heult gurgelnd unter Wasser auf und sinkt starr zum Meeresgrund. Ich klatsche auf die Matte. Ich weiß, wir beide haben längst verloren. Lynn ist das Lindenblatt zwischen meinen Schulterblättern und sie wird es bleiben.