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Der Atlantik ist so weit weg
... wir schreiben das Jahr 1978
„Kommst du noch mal kurz vorbei – meine Eltern wollen wenigstens mal gesehen haben, mit wem ich in Urlaub fahre“, sagte sie und als ich in der Dämmerung meinen in Hammerschlag grau gerollten VW-Bus vor dem Einfamilienhaus parkte, stand sie bereits in der Tür und wartete.
Im Flur war es dunkel und sie fasste mich unter den Arm, führte mich über die Teppiche ins Wohnzimmer.
„Meine Eltern sitzen hinten im Garten.“
Große Glastüren standen offen und auf der Terrasse sah ich eine Frau mit hochgesteckten Haaren an einem Tisch sitzen. Ein Bein hatte sie gegen ihre Brust gezogen und ihr Fuß ruhte auf dem Stuhl, auf dem sie saß. Vor ihr lag eine Landkarte ausgebreitet. Am gegenüberliegenden Ende des Gartens stand ein Mann in kurzen Hosen und weißen Handschuhen zwischen Sträuchern, an denen gelbe Blumen wuchsen.
„Mutsch, das ist Moritz, mit dem ich morgen fahre“, dabei zeigte eine Hand auf mich und die andere auf ihre Mutter.
„Und Moritz, das ist meine Mutter.“
Sie blieb sitzen und nickte freundlich. „Setz dich“, sagte sie. „Ich darf doch du sagen, ja?“
„Ja! Natürlich“, antwortete ich und sie bat ihre Tochter, doch etwas von dem Johannisbeersaft zu bringen, ich sei bestimmt durstig.
„Wie lange werdet ihr denn unterwegs sein? Der Atlantik ist so weit weg und Carmen hat erzählt, dass du einen alten Paketwagen von der Post fährst.“
Wird das jetzt ein Verhör, dachte ich und blieb erst einmal still sitzen, lächelte und wusste nicht, wie ich ihre Fragen einzuschätzen hatte. Unterdessen kam Herr Calotti über den Rasen geschlendert, bückte sich hin und wieder, hob etwas auf und schob es nach kurzer Begutachtung in seine Hosentasche.
„Calotti“, dröhnte sein Bass über die ausgestreckte Hand.
„Moritz“, erwiderte ich und fügte auf sein fast gebelltes: „Wie?“ ein lauteres „Moritz Seibold“ hinzu.
„Vater, bitte nicht diesen Kasernenhofton – du weißt, dass den hier keiner leiden kann.“ Carmen schob ihn etwas beiseite und verteilte vier Gläser auf dem Tisch.
„Willst du auch Jo-Saft?“ Aus der gebückten Haltung sah sie ihren Vater fragend an, wobei mein Blick sich in ihrem Ausschnitt verlor. Draußen auf dem Rasen zog eine Amsel einen Wurm aus der Erde, schlenkerte ihn heftig, zeterte aufgeregt.
„Jo-Saft! Was ist das denn!“ Empört suchte er meinen Blickkontakt, zwinkerte. „Wir Männer trinken jetzt lieber ein Feierabendbier!“
„Nein, danke, ich nicht – ich muss nachher noch fahren.“ Ich hob abwehrend meine Hand.
Vater Calotti sah sich verdutzt um. Links, rechts. Wandte sich seiner Frau zu, die ihn gelangweilt beobachtete.
„Röschen, siehst du hier noch einen Mann außer mir?“ Seine Mundwinkel zuckten, als wolle er gleich los prusten über so viel Geistesblitz.
„Ohhh, Vater, du nervst! Geh dir dein Bier holen und lass uns in Ruhe!“ Carmen schenkte in drei Gläser ein, hielt mir dann eines hin. Wir sahen ihrem Vater nach.
An der Glastür drehte sich Herr Calotti um, sagte ohne Lächeln: „Finde ich gut! Keinen Alkohol am Steuer. Test bestanden – wünsche euch schönen Urlaub. Bringen sie mir meine Tochter heil wieder, ja?“ Dabei führte er die Hand zur Stirn, grüßte militärisch mit salopper Note.
Ihrer Mutter musste ich später noch die selbst gebaute Koje im Wagen zeigen, die kleine Kochnische am Fußende. Ich war bereits eingestiegen und hatte das Fenster herunter gekurbelt, als sie mich bat, ihrer Tochter ein bisschen das Leben zu zeigen und in ihren Augen lag eine Sehnsucht, als wäre sie gerne anstelle ihre Tochter und freue sich, mit mir morgen an den Atlantik zu fahren.
Wir hatten verabredet, dass ich Carmen um sechs Uhr abhole. Als wir gegen elf endlich die letzten Häuser im Rückspiegel sahen, lag bereits ein Flimmern über dem heißen Asphalt. Es war viel los auf der Straße und ich dachte an Regina, die jetzt bestimmt zu Hause saß oder noch mit ihrem Vater unterwegs war, der sie oft mit seinem kleinen Flugzeug in die Großstädte flog. Meiner Frage, ob sie mit mir zur Dune de Pilat fahren wolle, wich sie immer wieder aus.
Manchmal erzählte sie von einer Prüfung in Freiburg, dann wieder von Hamburg oder Heidelberg. Sie müsse noch zu ihrer Schwester und überhaupt verbrachte sie viel Zeit an den Unis. Bis ich genug hatte von der Ich-weiß-nicht-Masche und kurzerhand Carmen fragte, ob sie mit mir an den Atlantik komme.
Carmen fuhr nach der französischen Grenze auf einen Parkplatz. In der einzigen Mülltonne steckte ein Fernsehgerät, hinter den trockenen Büschen lag Unrat und auf der Kühlerhaube tummelten sich grüne Fliegen.
„Immer, wenn ich über eine Grenze fahre, denke ich, dass ich endlich im Ausland bin und schon ein ganzes Stück weg von zu Hause“, sagte Carmen und blies den Rauch durch die Nase. Da ich nur mit den Schultern zuckte, ging sie um den Wagen herum und setzte sich in seinem Schatten auf den Randstein. Kleine gelbe Ameisen stöberten im trockenen Gras nach Essbarem, und Carmen hielt die Glut ihrer Zigarette über ein Tier. Angewidert verzog sie die Mundwinkel.
Ich legte mir ein Handtuch über die Lehne des Sitzes und zog mein T-Shirt aus, korrigierte den Rückspiegel.
„Können wir weiter?“, rief ich aus dem geöffneten Beifahrerfenster.
„Was hast du´s denn so eilig? Heute schaffen wir es eh nicht mehr bis hin!“ Sie flegelte sich auf den Sitz, legte ihre Füße auf das Armaturenbrett. Trotz offener Fenster roch es nach kalter Asche.
Draußen brannte die Sonne. Mit Weizen bestellte Felder wollten geerntet werden. Weidevieh suchte nach Schatten und Wasser. Kein Mensch war zu sehen. Verschlossene Jalousien sperrten uns und die Hitze des Tages aus.
Manchmal passierten wir lichten Wald. Die Luft, die dann zum Fenster herein wehte, war erfrischend und angenehm. Vereinzelt hatten sich heruntergekommene Gehöfte in den Kurven kleiner Flussläufe angesammelt. Traktoren ohne Räder lagen achtlos in den gelben Wiesen und die Mauersegler kurvten schreiend um die kurzen Kirchtürme. An den Straßenrändern wirbelten wir trockenes Papier auf und es roch nach heißem Asphalt und Benzin.
In einem kleinen Dorfladen kauften wir Wasser und fettige Hörnchen mit einem Streifen Schokolade in der Mitte. Carmen konnte sich gut verständigen, musste aber immer lachen, wenn die etwas schwerfällige Dame hinter der Ladentheke antwortete. Ihr linkes Auge blickte uns immerzu an, während das rechte jeder Bewegung folgte. Draußen zirpten die Grillen und in der Abendsonne tanzte der Staub. Ich war müde, hungrig und verschwitzt.
Ob es hier in der Nähe ein Hotel gäbe, wollte Carmen wissen, worauf die Dame wie ein Wasserfall antwortete und mit den Händen ihr dauerndes à gauche untermalte.
„Wieso hast du nach einem Hotel gefragt?“, wollte ich wissen, als wir in einen Feldweg einbogen, um hier die Nacht zu verbringen. Carmen stieg aus, streckte die Arme weit aus und rief: „Ganz einfach! Weil ich Lust dazu hatte.“ Nach dem Essen krochen wir in den Wagen und liebten uns bei offener Tür. In der Ferne bellte ein Hund.
Wir lagen lange wach. Die Blätter der Pappeln zitterten im Mondlicht, und ganz in der Nähe musste ein Weiher sein, von dem ab und zu Geräusche bis zu uns drangen.
Ich dachte an Regina und dass es bestimmt nicht richtig sei, jetzt hier neben Carmen zu liegen, ihren Geschmack im Mund und trotzdem tat es mir nicht Leid. Carmen machte keinen Staatsakt aus einem bisschen Sex und wir versicherten uns ja auch immer wieder, dass es eher wie Essen und Trinken war. Manchmal wurde aus ein bisschen ganz schön viel und wir sahen uns dann zu, wie wir es uns selbst machten. Mit solchen Perversionen konnte ich Regina nicht kommen. Ja, sie hätte sicher wieder nervös eine Haarsträhne in Augenschein genommen und die Spitzen abgebissen, die gespalten waren. Und dass es pervers sei, an sich rumzuspielen. Sie hatte das nie so geäußert, aber was war das immer für ein Zinnober, bis ich sie mal soweit hatte, dass ich meine Hände unter ihr Shirt schieben durfte. Stundenlanges Knutschen vorneweg und möglichst halbdunkel, ein Kerzenlicht war auch nie verkehrt und dann war Cat Stevens abgelaufen und sie musste unbedingt die Platte umdrehen.
„Denkst du an Regina?“
„Ja, ein bisschen. Mehr so im Vergleich, obwohl ich euch jetzt nicht so vergleichen kann – ihr seid nur so vollkommen verschieden.“
Carmen richtete sich auf, steckte sich eine Zigarette an. Im kurzen Aufflammen des Feuerzeugs sah ich unter ihrem Arm hindurch ihren Busen. Er war klein, spitz und von erregenden Schönheit.
„Ich meine, du bist so, wie du bist. Bei Regina weiß ich oft nie, in welchen Winkelzügen ich denken muss. Um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, die mich interessiert, muss ich eine ganz andere Frage stellen.“
„Versteh ich nicht.“ Sie zog heftig, die Glut beleuchtete kurz ihr glänzendes Gesicht.
Mit dem Ausatmen kicherte sie verstohlen.
„Was ist daran so lustig?“
„Du meinst, wenn du mit ihr ficken willst, musst du sie fragen, ob sie mit dir morgen ins Freibad geht?“ Carmen wandte mir ihr Gesicht zu, ihre Augen lagen im Dunkel und ich erinnerte mich an ihren Vater.
„Nein, ganz so schlimm ist es nicht.“
Sie drückte die Zigarette auf der Sohle ihres Holzlatschen aus. Dabei bröselte etwas Glut in das dürre Gras. "Scheiße!", fluchte sie leise, wand sich vollends aus dem Schlafsack, krabbelte aus dem Wagen und schlug mit dem Schuh auf den Boden.
Ihre Nacktheit schimmerte wie eine Statue vor der Tür, als sie sich erhoben hatte. Aus Bronze gegossen und poliert. Pobacken, zwei Hände voll und Locken wie ein Sturmwind. Ich schlug die Decke beiseite, um ihr meine Freude über ihren Anblick zu zeigen. Übermütig küsste sie meine Beine, wanderte schmatzend an mir empor, kletterte wie eine Spinne über mich und nuschelte leise:
„Gehen wir morgen ins Freibad?“
Wir liebten uns noch einmal, immer lachend, wenn sich unsere Augen begegneten.
Ich erwachte, als die Farben noch nicht in die Welt geflossen waren. Die Gegenstände zeigten schon Konturen und die Vögel bemühten sich um Lautstärke. Carmen lag bäuchlings in eine Ecke zurückgezogen, die Arme um ein Kissen geschlungen.
Später gingen wir getrennt unserer Toilette nach, jeder hing im Dickicht seiner Gedanken. Wir waren beide noch nie am Atlantik gewesen und der war noch so weit weg.
Wieder der fliegende Wechsel. Höfe, kleine Siedlungen mit Hunden auf der Straße und Schwalben auf den Stromleitungen. Unter den Kastanien eines Straßencafés bliesen wir in große Schalen, die wir in beiden Händen hielten. Der Café au lait schmeckte leicht nach Vanille.
Am Bahnhof einer kleinen Stadt kauften wir Jetons und säuberten uns in einer öffentlichen Dusche, gingen mit nassen Haaren durch die Arkaden, folgten den Gerüchen und erstanden Käse, frisches Brot und reife Pfirsiche. Als wir an einer Telefonzelle vorbeikamen, fiel mir Regina ein und ich unterdrückte den Impuls, sie jetzt anzurufen. Ich ließ Carmens Hand los, blieb Interesse heuchelnd vor einer Kirche mit kurzem Turm stehen. Die Uhrzeiger hingen beide auf sechs und zeigten keine Anstalten, jemals wieder einen Kreis zu schlagen. Zwischen den Zahlen der Zwölf hatte sich ein Sperling sein Nest gebaut.
Ob ich jetzt im Angesicht Gottes mein unsittliches Verhalten bereue und lieber wieder heim wolle, um auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Carmen griff in die Tasche, wischte sich den Pfirsich an ihren Shorts ab und biss hinein. Saft rann in ihre Hand, ihren Ellenbogen hinab und hinterließ dunkle Flecken im Sand.
Missmutig drehte ich mich um, beschleunigte meine Schritte. Ich wollte endlich den Atlantik sehen, bevor mich die Reue zu unüberlegten Handlungen anstiftete.
Carmen hatte sich die Haare hoch gesteckt, auf ihrer Oberlippe standen kleine Schweißperlen. Am Horizont entlud sich eine dunkle Wolke, die fast den Boden berührte. Wie ein an den Enden ausgefranstes Tuch schwebte sie über dem Auf und Ab weitläufiger Bodenwellen, manchmal von innen durch ein kurzes Flackern beleuchtet. Regen fiel nur wenig.
Und dann sahen wir die ersten Sandflächen, auf denen nur noch spärlich das Gras wuchs, die sich abwechselten mit ausgedehnten Kieferwäldern. Die Bäume standen dicht und ihre Kronen schienen mit einander verwachsen zu sein. Im Schatten um die Stämme lagen die kleinen Zapfen so zahlreich, dass ich überlegte, was man mit ihnen alles anstellen könnte, würde man sie einsammeln, aber mir fiel nichts ein.
Nach einer langen Kurve steuerte Carmen den Wagen an den Rand der Straße, stieg aus und trat ein paar Schritte ins Feld. Ich drehte das Fenster hinab.
„Was ist, warum hältst du?“ rief ich hinter ihr her.
Sie drehte sich um. „Riechst du das nicht?“ Der Wind wehte ihr die Haare ins Gesicht und mit ihren nackten Armen ruderte sie, also wolle sie fliegen lernen.
„Es riecht nach Salz“, schrie sie. Und noch einmal, ob ich es nicht rieche.
Ich sog tief die Luft ein, als ich neben ihr stand. Sie hatte Recht. Wir waren beide noch nie am Atlantik gewesen, aber dieser Geruch war so intensiv, als spreche er eine uralte, immer noch vorhandene Erinnerung in uns an.
Carmen strahlte, fasste mich am Arm. Wie sehr sie sich darauf gefreut habe. Und endlich mal Ferien ohne ihre Eltern.
Ein schwarzer Kombi hielt an. Der Motor stotterte und die Kotflügel waren verbeult, die hintere Tür fehlte ganz.
Bonsoir, ob wir eine Panne hätten, ob er helfen könne.
Nein, erwiderte Carmen, aber ob er uns sagen könne, wie weit es noch bis zum Atlantik sei. Er lachte, Ce n'est pas demain la veille – c'est loin d'ici – das dauere noch, es sei noch weit bis zum Atlantik. Er winkte, gab Gas und ließ uns ernüchtert stehen.
„Komm, lass uns fahren.“ Ich schlenderte zurück zum Wagen und klemmte mich hinter das Lenkrad. Als ich nach ihr sah, hatte sie sich eine Zigarette angesteckt, stand mit überkreuzten Beinen gegen den Wind.
„Kommst du?“, schrie ich durch das offene Beifahrerfenster. Sie hielt nur die Zigarette nach oben.
„Außerdem besteht hier sicherlich Brandgefahr“, schob ich nach, worauf sie heftig die Zigarette zu Boden warf und mit dem Fuß losen Sand darüber schob.
Kurze Zeit später wies ich mit dem Finger auf ein großes Schild am Straßenrand. Défenser de fumer! Aber Carmen rümpfte nur die Nase, eine Geste, die mich verunsicherte. Ich wollte nicht den Zeigefinger erhoben haben, aber trotzdem kam ich mir jetzt vor wie ein rechthaberischer Lehrer.
Regina wäre bestimmt einsichtiger gewesen, dachte ich und am Horizont eilten kleine Wolkenbällchen über den Himmel. Dort musste das Meer sein und wie gerne hätte ich es Regina gezeigt. Jetzt war es zu spät, aber für was? Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn jetzt Regina neben mir säße. Ich sah kurz auf den Nebensitz. Carmen lag weit in den Sitz gesunken, einen Fuß hatte sie auf die Armlehne der Tür abgestützt, das andere Bein lag ausgestreckt auf dem Armaturenbrett. Ein Wildfang, der draußen die auftauchenden Schilder laut vorlas. Französisch geschrieben, deutsch ausgesprochen: Mai-son d'ameu-blement. Am Ende des Tages erreichten wir La Rochelle.
Wir hatten Glück und fanden einen Parkplatz in der Innenstadt, ganz in der Nähe des Hafens. Die Sonne versank im Wasser zwischen den beiden alten Türmen. In einem Straßenrestaurant bestellten wir eine Platte mit den Früchten des Meeres, dazu eine Karaffe dunklen Landweins. Am Nebentisch lästerte ein Deutscher über die Autofahrer, die hier in zweiter Reihe bei laufendem Motor ihre Fahrzeuge verließen, um Brot zu kaufen, ein Schwätzchen zu halten oder eine Kiste mit Fischen ins Restaurant zu tragen. Seine Frau nickte ergeben, starrte aber unverhohlen auf unseren Tisch. Der Kellner zwinkerte, als er die Speisen vor unseren Augen arrangierte. Carmen unterhielt sich mit mir auf Französisch, ich sprach mit ihr englisch. Wir wollten nicht, dass andere uns für Deutsche hielten.
„Die Franzosen fressen auch alles“, sagte sie zu ihm am Nebentisch.
„Quatsch, das sind Amerikaner“, verbesserte er sie, doch sie zuckte nur mit den Schultern.
„Wo warst du so lange?“ Carmen spielte mit dem leeren Glas, in dem sich das gelbe Licht der Laternen spiegelte. Kleine Käfer und Mücken surrten um die zusammengeklappten Sonnenschirme.
„Auf der Toilette und ich hab auch gleich gezahlt“, antwortete ich. Dass ich Regina angerufen hatte, verschwieg ich.
„Guten Abend Frau Jetczmanek, ist Regina zu Hause?“ Am anderen Ende der Leitung war ein Flüstern zu hören.
„Hallo Moritz“, klang es freundlich. „Ja, schon – aber Regina sagt, sie will nicht ans Telefon.“ Im Hintergrund hörte ich, wie Frau Jetczmanek ihre Tochter aufforderte, doch nicht so störrisch zu sein. Ich warf weitere drei Ein-Franc-Münzen in den Schlitz des schwarzen Apparats, der im Flur zu den Toiletten hing. Die Ziffern unter der Wählscheibe waren unleserlich, ein glänzender Kreis zog sich durch alle Zahlen.
„Ja? Warum rufst du an?“ Regina. Ihre Stimme klang ohne Gefühl, ich sah sie vor dem Spiegel neben der Anrichte stehen, ein Knie auf dem dreibeinigen Hocker abgestützt.
„Ja, ich bin La Rochelle“, antwortete ich begeistert, freute mich, dass ich es geschafft hatte.
„Allein? Moritz – du doch nicht“, drang ihre Stimme durch das Rauschen. Ich warf noch einmal Münzen nach.
„Wieso allein – wie meinst du das?“
„Du bist nicht in La Rochelle – du nicht! Das traue ich dir nicht zu.“ Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass Carmen dabei war, dass ich es ja gar nicht allein versucht hatte. Dass ich ja eigentlich mit ihr fahren wollte, sie aber meinen Fragen immer ausgewichen war und ich mich dann entschieden hatte, mit Carmen zu fahren.
„Der Atlantik ist so weit weg“, sagte sie. „Das hast du nie und nimmer allein gewagt.“
„Doch“, sagte ich. „Und so weit ist es gar nicht.“
Die Geldstücke waren durchgefallen, ein Tuten ertönte.
Carmen erhob sich und wir spazierten nochmals hinaus zum Tour de Lanterne, zur Wehrmauer und leise schlug das Wasser unter uns gegen die Steine. Vorsichtig legte ich einen Arm um ihre Hüfte.