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Deal
Lea hörte den Wagen. Sie stand auf, ging in die Küche, spülte das Glas, aus dem sie getrunken hatte. Dann löschte sie das Licht und wartete im Flur.
„Hey!“, sagte sie, als Alex hereinkam. Sie küssten sich. „Alles klar?“
„Sicher.“ Alex zog die Jacke aus. „Kochen wir? Oder rüber ins Capri?“
„Wie du möchtest“, sagte Lea.
„Stimmt was nicht?“
Sie bekamen einen Tisch am Fenster. Sie setzten sich, Lea strich die Serviette glatt und sah nach draußen. Neonlicht. Zwei Männer überquerten die Straße. Gegenüber zog jemand die Vorhänge zu.
„Ich muss dir was sagen.“
„Okay?“
„Ich hab' echt aufgepasst.“
„Ja?“
„Ich hab' mir was geholt.“
Alex sah sie lange an. „Was?“
„Nichts Schlimmes. Antibiotika und gut ist. Du solltest dich untersuchen lassen.“
„So eine Scheiße!“
Lea schlief schlecht. Als sie erwachte, waren die Lider verklebt. Sie streckte die Hand aus, aber da war bloß eine zurückgeschlagene Decke. Sie hörte Geräusche, die sie nicht einordnen konnte, streifte sich ein T-Shirt über und ging ins Wohnzimmer. Alex stand auf einem Stuhl und hängte die New Yorker Skyline von der Wand.
„Was machst du?“
Alex rollte das Poster ein und fixierte es mit einem Gummiband. Er ließ das Band gegen das Papier schnippen. „Sind nützlich, die Dinger“, sagte er.
„Und jetzt?“
„Das Poster gehört mir.“
„Willst du ausziehen?“
Alex stieg vom Stuhl und legte das Poster auf den Couchtisch. „Von wem hast du es?“, fragte er.
„Ist das wichtig?“
„Dann könnt' ich mich bedanken.“
„Darum geht’s doch nicht. Gut möglich, dass ich dich gar nicht ...“
„Gibt man's nur weiter, wenn man lustvoll vögelt?“
Lea setzte Kaffee auf, sie frühstückten schweigend. Alex kratzte sich am Oberschenkel, griff unter seine Shorts.
„Juckreiz zählt nicht zu den Symptomen“, sagte Lea.
„Mach' keine medizinische Sache daraus.“
„Und du kein Drama.“ Sie stand auf. „Ich muss los.“ Sie küsste ihn auf die Stirn.
Alex blieb am Küchentisch sitzen und steckte sich eine Zigarette an. Dann ging er durch die Wohnung und hängte alles ab. Die Meerbilder im Schlafzimmer. Das Betreten-verboten-Schild, das sie von einer Baustelle geklaut hatten. Die Fotos von Athen, die an die Kühlschranktür gepinnt waren. Danach duschte er und zog sich an.
Den Sommer zuvor hatten sie auf der Akropolis gestanden. Gleißendes Licht. In der Ferne das Meer. Baukräne mitten im Parthenon, doppelt so hoch wie die antiken Säulen. Alex hielt Lea umklammert.
„Beeindruckt?“, fragte er.
„Es geht.“ Lea wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Sieht alles ziemlich kaputt aus.“
Alex lachte. „Unten am Hang ist das Dionysos-Heiligtum“, sagte er.
„Gab's da Orgien und so?“
„Fünf Tage am Stück.“
Sie blieben, bis das Gelände geschlossen wurde, nahmen den Weg in die Plaka, wo sie sich zwei T-Shirts mit aufgedrucktem Spartanerhelm kauften, das Nachtessen ausließen und so viel tranken, dass sie ihr Hotel fast nicht mehr gefunden hätten. Alex stieß die Glastür auf, hob Lea hoch und trug sie ins Foyer.
„Lass mich runter!“ Sie lachte.
Der Mann an der Rezeption nickte ihnen zu, spitzte die Lippen, hielt den Zeigefinger vor den Mund. Er sah jung aus, keine zwanzig, und hatte weiche Wangen. Lea ging zu ihm hin, stützte sich mit den Ellenbogen auf der Theke ab und blinzelte.
„I’m sorry. But he is crazy.“ Sie drehte den Kopf in Richtung Alex, der sich am Getränkeautomaten zu schaffen machte.
„No problem“, sagte der Mann. Er lächelte.
Sie roch sein Aftershave und schloss die Augen. „We are both crazy. Really crazy“, sagte sie.
Lea zog ihr Kleid aus und setzte sich aufs Bett.
„Komm her“, sagte sie, legte die Hände auf Alex' Hintern, presste den Mund auf seinen Bauchnabel. Sie öffnete ihre Haare. „Lass uns den Typen an der Rezeption anrufen.“
„Warum?“
„Dem ist bestimmt langweilig.“ Sie griff nach dem Hörer.
„Nicht“, sagte Alex.
„Gefällt er dir nicht? Holy shit, hast du seine Lippen gesehen?“
Alex griff nach Leas Handgelenken, löste ihre Umarmung, ging zum Waschbecken. „Ich hab' zu viel getrunken. Ich bin echt müde.“
„Du wirst noch zum Spießer!“ Lea warf das Kopfkissen nach Alex, verfehlte ihn jedoch um einen halben Meter. Sie legten sich ins Bett, löschten das Licht, hörten die Klimaanlage surren, hörten, wie der andere atmete. Schließlich schliefen sie ein, enttäuscht und erschöpft von den Gedanken, die sie sich machten.
Es war spät, als Lea nach Hause kam. Schneeflocken schmolzen auf ihrem Kopf. Sie holte ein Frotteetuch aus dem Badezimmer, rieb sich die Haare trocken, während sie im Flur auf und ab ging.
„Würdest du vielleicht mal Stellung beziehen?“, fragte Alex. Er saß im Wohnzimmer, war im Dunkeln nicht zu erkennen gewesen.
„Verflucht, hast du mich erschreckt!“
„Und?“
„Stellung beziehen?“
„Ja.“
„Du meinst Rechenschaft ablegen?“ Lea setzte sich aufs Sofa, knipste die Lampe an.
„Wenn du so willst.“
„Das werde ich nicht.“
„Aha.“
„Wir wissen beide, dass so was passieren kann.“ Lea stand auf und goss sich einen Ouzo ein. „Haben wir Eis?“
„Weiß ich doch nicht.“
„Es tut mir leid, Alex. Wirklich.“
„Gib mir auch einen.“
Sie tranken die ganze Flasche. Dann schlug Lea vor, zum Fluss zu gehen. Sie zogen Jacken und Stiefel an, machten sich auf den Weg, schwankten die steile Straße hinunter, die man zu salzen vergessen hatte, hielten sich aneinander fest, um nicht auszurutschen.
Sie standen am Ufer, die Hände in den Jackentaschen. Das Wasser war schwarz.
„Hast du einen Termin vereinbart?“, fragte Lea.
„Nein.“
„Der Scheiß kann echt heimtückisch sein, das weißt du? Kriegst nichts mit und in ein paar Jahren wird deine Birne weich.“
„Na und? Dann lass' ich mich von dir pflegen.“
„Verstehe“, sagte Lea.
„Was verstehst du?“
„Schon okay.“ Sie gingen den Fluss entlang, Kies knirschte unter ihren Füssen, die Luft roch nach Schnee. „Das sieht nicht schön aus, die kahlen Wände.“
„Ich weiß“, sagte Alex. „Du fandst es spießig.“
„Was?“
„Das New-York-Poster. Damals, als ich es aufgehängt habe.“
„Ach ja?“
Der Weg führte über eine Brücke und sie blieben stehen, starrten auf den Fluss, bekamen das Gefühl, das Wasser bleibe an Ort und Stelle, während sie sich bewegten. Auf einer Sandbank, ganz in der Nähe, konnte man ein demoliertes Fahrrad liegen sehen, freigelegt wie ein archäologisches Fundstück. Ein Jogger näherte sich, stieß weiße Wölkchen aus, keuchte, zupfte sich das Stirnband zurecht, rannte über die Brücke, die zu vibrieren begann. Dann war es wieder still.
„Lass uns nach Hause gehen“, sagte Lea.
Als sie sich kennenlernten, stand die Sonne im Zenit. Sie saßen in einem Boot, gemeinsam mit Freunden trieben sie den Fluss hinunter, trugen Strohhüte und schwarze Sonnenbrillen, fischten in der Kühlbox nach Bierbüchsen, ließen die Arme schlaff ins Wasser hängen.
„Du bist Daniels Freundin?“, fragte Alex.
„Hm.“
„Warum bist du nicht zu ihm ins Boot gestiegen?“
„Weil ich tue, wozu ich Lust habe.“ Lea lächelte. „Noch ein Bier?“
Und als sie am nächsten Morgen aufwachten, das einfallende Licht ihre Körper kitzelte und Lea ihren Arm auf Alex‘ Brust legte, als ihnen wieder einfiel, wie der andere gerochen hatte, in der Nacht zuvor, erschien ihnen alles, was geschehen war, und alles, was geschehen sollte, richtig und zwingend.
Sie hinterließen zwei Scherbenhaufen. Noch Monate später, da waren sie bereits zusammengezogen, klingelte das Telefon mitten in der Nacht. Daniel, der in den Hörer schrie, Lea werde es bereuen. Alex' Ex, die das Gleiche sagte, nur leiser. Während Alex nicht müde wurde, alle Schuld auf sich zu nehmen und mit einem geflüsterten Alles wird gut aufzulegen, knallte Lea den Hörer meist nach kurzer Zeit hin.
„Versprich mir, dass du nie so wirst“, sagte sie zu Alex.
In ihrem ersten Jahr als Paar, an einem milden Frühlingstag saß Alex auf einer Parkbank und sah zu, wie Lea auf eine Schaukel sprang, wie sie sich von einem Mann, der zufällig in der Nähe stand, anstoßen ließ, wie sie ihm, Alex, zuwinkte, die Hände des Mannes sich auf ihre Schultern legten, um noch mehr Schwung zu geben, Lea vor Vergnügen kreischte, der Kerl grinste.
„Das war schön“, rief sie, als sie zu ihm zurückgerannt kam und dann kauften sie sich ein Eis und aßen es gemeinsam, sodass sich ihre Zungenspitzen berührten, und alles war in Ordnung.
„Wenn man mich einengt, hau' ich ab“, sagte sie einmal.
„Scheiß Besitzdenken“, sagte Lea.
„Darum geht's nicht.“
„Doch. Und dir hätte dasselbe geschehen können.“
„Hätte es nicht. Nicht mehr.“
„Das ist deine Sache. Das geht mich nichts an. Das ist nicht unser Deal.“ Lea verschränkte die Arme. „Werd' erwachsen, meine Güte!“
„Vielleicht sollten wir beide erwachsen werden, Lea. Schon mal darüber nachgedacht?“
Alex drückte die angerauchte Zigarette aus und verließ die Wohnung.
Kalter Dezemberregen. Menschen, die unter schmalen Vordächern Schutz suchten. Grüne Kreuze, die über Apotheken blinkten. Eine Frau mit Einkaufstaschen in den Händen rempelte Alex an, er ging weiter, mit halb geschlossenen Augen, Bilder des Sommers im Kopf. Wie sich Lea ins Wasser gleiten ließ, untertauchte, wiederauftauchte, wie die Tropfen auf ihrem Haar glitzerten und Lea ihm zuwinkte und rief, er solle reinkommen. Wie sie wieder abtauchte.
„Nicht“, murmelte er.
Als Lea nach Hause kam, bemerkte sie, dass im Wohnzimmer Licht brannte, warf einen Blick hinein, sah eine Schachtel Antibiotika auf dem Couchtisch liegen und Alex auf dem Stuhl stehen. Er hatte das New-York-Poster in der Hand, die eine Ecke an die Wand gepinnt, den Rest hielt er unbeholfen fest. Das Papier wellte sich, drohte zu reißen. Lea hielt die Hand vor den Mund.
„Warte. Ich helf' dir“, sagte sie.