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Davor
Ich liege seit Stunden am Strand zwischen angeschwemmten Ästen, vertrockneten Quallen und Plastikmüll. Die Sonne steht hoch und versengt meine aufgeweichte Haut.
Wie lange werde ich hier liegen, bis mich jemand findet? Und wer wird es sein? Ein Fischer? Vielleicht ein Pärchen, das am Strand entlang wandert, Hand in Hand, die Füße in der Gischt, die Augen am Horizont?
Was ist das, das große Ding dort in dem angespülten Haufen? Wird es hysterisches Gekreische geben, wenn sie bemerken, dass ich kein Sack bin?
Davor
Ich habe erfahren, wie es sich anfühlt, das Meer zu atmen. Ich habe die Luft angehalten bis mir die Lunge zerplatzen wollte. Überall war Wasser. Um mich, in mir. Kalt. Meine Arme steif und kraftlos. Sie ruderten nicht mehr. Meine Beine leblos, der Kopf so bleiern, dass der Nacken ihn nicht mehr oben hielt. Ich musste die Luft entweichen lassen, schnappte nach neuer, aber da war keine. Husten, Würgen, Schaum aus verbrauchter Luft und Wasser. Dann das Schütteln, mein ganzer Körper, die Krämpfe, irgendwann dunkel.
Davor
Ich schwamm um das Boot, rief nach ihr. Der Schiffsrumpf. Hart, glatt. Bräuchte einen neuen Anstrich. Bescheuerter Gedanke, der mir da in die Angst kroch!
Ihr Gesicht kam nicht mehr. Wozu auch? Wozu sollte sie mich betrachten wollen? Sie wusste, wo ich war und wie ich enden würde.
Kein Griff, nicht mal eine Delle. Kein Halt für meine Fingerkuppen. Meine dummen Beine stießen sich im Wasser ab. Ich ertastete eine winzige Kerbe. Die Härte meines Nagels gegen mein Gewicht. Er brach.
Im Westen begann die Sonne zu versinken. Im Westen war Land. Eine Hügelkette, milchig grau, jetzt mit Abendrot. Einen ganzen Tag mit geblähten Segeln entfernt.
Zu weit.
Davor
nackt auf dem Deck. Sie lächelte viel. Wir hatten gut gegessen. Kleines aber Feines vom Türken an der Ecke, das sie für uns eingepackt hatte. Dazu Fladenbrot und einen Chablis. Über die Nacht sprachen wir nicht. Sie trug ein kleines Pflaster über dem rechten Auge.
Danach im Liegestuhl. Ihre Blutergüsse am Hals, am Körper. Zeugen eines Alptraums, eines Irrtums, der schon Vergangenheit war. Wir gingen bereits in eine neue Zeit. Ich hatte den Anker geworfen. Weitab jeder Schiffsroute. Es war heiß.
Wir hatten uns eingecremt. Sie mich und ich sie. Auch beim Berühren der Stellen, die sie schmerzen mussten, lächelte sie. Sie war so stark. Wollte es mir leicht machen. Die Zukunft nicht auf meinem schlechten Gewissen aufbauen.
Wir schwitzten. Sie wollte schwimmen gehen. Ich freute mich auf ihren Körper nach der Erfrischung. Sie lächelte so versprechend, dass ich hoffte. Ich hatte nichts verstanden.
Unsere Zehen krallten sich um den Rand der Reling. Ich hob die Arme für den Kopfsprung. Sie auch.
Ich sprang.
Als ich wieder auftauchte und mich umblickte, sah ich, dass sie nicht gesprungen war.
Sie blickte kurz herab zu mir, entriegelte die Leiter und zog sie an Bord.
Ich verstand.
Davor
„Du hast einen anderen?“, frage ich. „Und willst mich entsorgen?“
„Bemüh dich nicht!“, sagt sie. „Das ist die falsche Frage. Das alte Schattenboxen. Hab ich keinen Bock drauf. Außerdem geht es dich nichts mehr an.“
Schattenboxen. Sie hat Recht. Seit Jahren werfen wir uns auf die langen dunklen Monster, die das Licht auf den Boden malt. Aber es sind nur die Schatten unserer Ungeheuer. Wir treffen uns nicht mal mehr, wenn wir uns verwunden wollen, so fremd sind wir uns geworden.
„Ich lasse nicht zu, dass du gehst. Nicht so!“
Ich will mich wehren gegen ihre herablassende Lässigkeit, ihre Verachtung. Dagegen, dass alles schon beschlossen ist, dass sie mich nicht mehr braucht. Und gegen die Wut, die mich jetzt übermannt.
So einfach will sie es. Und sie will es jetzt. Alles in diesen Moment packen und dann hinter sich haben.
„Du glaubst, so geht das?“, schreie ich. „Einen kurzen schnellen Schmerz, und das war’s dann?“
„Schmerz?“, fragt sie. „Ich fühle keinen.“
Und in diesem Augenblick werde ich einverstanden und lasse all das herein, das in mich schießen will. Ich möchte noch einmal wissen, wie sie schmeckt. Will ihre Säfte. Egal welche! Süß oder bitter! Ganz egal!
Ich schlage zu. Treffe, was ich treffe. Arme, Bauch, Brüste, Gesicht.
Es rinnt von der Braue, die sich geöffnet hat. Ich packe sie, lecke es von ihrer Wange. Süß.
Sie scheint die Wunde nicht einmal zu spüren, bis sie ihre Finger ins Gesicht führt und die Nässe fühlt, ihre blutverschmierte Hand betrachtet. Aber jetzt sehe ich noch eine andere Regung. Angst! Jetzt spürt sie mich endlich.
Sie dreht sich um. Sucht nach Zuflucht. Einen Ort, an dem ich sie nicht erreichen kann. Aber den gibt es nicht.
„Wo willst du hin?“
Sie weiß, dass es kein Versteck vor mir gibt. Ihr Blick, wenn sie mich ansieht. Kälte, Hass, Abscheu. Und Angst.
Meine Hand ergreift, hält fest, schlägt.
Sie wehrt sich nicht. Nicht mehr.
So still ist sie jetzt. Ganz klein. Ganz schwach. Oder ist sie gleichgültig?
Ich schlage zu und sehe, dass ihre Augen groß und weit sind. Und dass sie blutet.
Dann ist da ein Loch in der Zeit. Ich weiß nicht, wie groß.
Irgendwann viel später sitzen wir auf zwei Stühlen nebeneinander auf dem Balkon und blicken in die Nacht. Sie war lang und sie hat mir vergeben. In der gleichen Nacht noch, unter dem gleichen Mond hat sie mir bei einer Zigarette auf dem Balkon verziehen.
Dass alle Wut nur meine Ohnmacht war, erkläre ich ihr. Und dass ich sie liebe, dass so etwas nie mehr geschehen wird, wenn sie bei mir bleibt.
Ich weiß, woran sie denkt während sie schweigt und ich rede.
Dass sie mich schon einmal verlassen wollte. An den Sturz von der Treppe mit dem Kind in ihrem Bauch.
"Wir können wieder eins haben", sage ich. „Wir gehören zusammen.“
„Fahren wir morgen mit dem Boot raus.“, schlägt sie vor. „Nur wir zwei.“
„Eine wunderbare Idee! Es tut mir so leid. Ich mache es wieder gut.“
„Morgen ist Vollmond. Lass uns auf dem Schiff übernachten!“, sagt sie.
„Oh Ja. Wir nehmen Essen mit. Es wird schön. Den ganzen Tag nur wir. Wind und Sonne spüren. Schwimmen. Ein neuer Anfang.“
Ich bin so dankbar, dass sie mir verziehen hat.