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Davids kosmogonische Räume

Beitritt
18.12.2001
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Davids kosmogonische Räume

Hermann und David waren beinahe gleichaltrige Brüder. Während Hermann ein recht ansehnlicher, junger Mann in seinen besten Jahren war, mit athletischer Figur und ausgestattet mit einem kaum zu übertreffenden Charme, konnte man David dagegen kaum solche attraktiven Eigenschaften zugestehen. Ja, im Grunde genommen, und wir wollen ja ehrlich sein, hatte er sie nämlich ganz und gar nicht. David, mit seinem schlaksigen Körper und der bebrillten Nase auf seinem zu allem Übel auch noch viel zu blassem Gesicht, hinterließ bei jedem, dem er begegnete, einen recht schüchternen, in sich gekehrten, jedoch keineswegs unangenehmen Eindruck. Er war ein Mauerblümchen. Er fiel nirgendwo auf. Man bemerkte kaum seine Anwesenheit. Dafür schätzten allerdings viele seine redliche Aufmerksamkeit anderen gegenüber sowie seine überaus wachen Augen bei jeder Art von Konversation. Wenn er nicht gerade nach etwas gefragt wurde, konnte man allerdings so gut wie nie eine Äußerung von ihm erwarten. Er glaubte unentwegt, nichts Wesentliches zum Gespräch beitragen zu können. Und das, obwohl ihm ein jeder, der ihn ein wenig näher kannte, gerade angesichts seines noch jungen Alters ohne Weiteres einen nicht eben geringen Bildungsgrad aus Bereichen wie der Geschichte, der Politik oder auch der Philosophie bescheinigen konnte. Auch hatte man häufig den Eindruck, dass er, etwa während des gemeinsamen Abendessens in der Familie, jedes Wort, das am Tisch aus dem Munde der anderen kam, konzentriert mitverfolgte.

Hermann und David konnten sich gegenseitig nur leidig ertragen. Das lag wohl nicht nur an ihren völlig unterschiedlichen Interessen: Während Hermann, wie nicht selten, abends häufig gemeinsam mit Freunden und Bekannten ausging um sich einen vergnüglichen Abend zu machen, blieb David meist allein zu Hause. Er, und das versicherte er den anderen immer wieder, mache sich nun einmal nichts aus derlei Vergnügungen und beschäftige sich doch lieber mit sich selbst. Die Eltern wie auch Hermann wussten nicht so genau, was er währenddessen so trieb. Er redete eben nicht allzu viel. Sie dachten, er lese nun mal sehr viel. Manchmal las er bestimmte Bücher gleich mehrmals. Weil sie ihm so gefielen. Er schien sehr genügsam.

Aber es war nicht nur das. In David brodelte auch ein gewisser Neid seinem Bruder gegenüber, den er allerdings niemals offen zeigte. Während Hermann mit seiner - zumindest äußeren - Attraktivität und seinem Sex-Appeal regelmäßig in Diskotheken oder Bars hausieren ging - und dabei nicht wenig Erfolg hatte - konnte sich David derlei Aktivitäten höchstens in einem Traum oder während eines halluzinogenen Trips vorstellen. In seinem realen Leben schien dafür kein Platz zu sein.

Hermann schien mit seinem Bruder nicht gerade Mitleid oder Verständnis zu haben. Wenn David Glück hatte, war ihm sein Schicksal noch egal. Wenn er dagegen Pech hatte machte sich Hermann mehr oder weniger verhalten über Davids Schattendasein als "Kröte" oder "hässliche Ente" lustig. Manchmal selbst dann, wenn er dabei eine entsprechende Rüge der gemeinsamen Eltern zu erwarten hatte.

Eines Nachts jedoch, Hermann war noch ausgegangen, widerfuhr David nun ein höchst merkwürdiger Traum. So merkwürdig gar, dass er ihn am nächsten Tag sogleich aufschrieb:


Ein Traum

Ich rannte ziellos umher in einer Kleinstadt, nicht gehetzt oder gedrängt, verfolgt oder dergleichen. Ich fühlte mich angenehm. Ich lief und ich habe es positiv in Erinnerung. Ich lief schneller als ein Jogger, aber ohne Anstrengung. Ich hätte eigentlich noch länger so weiter rennen können, aber ich wollte doch irgendwie über kurz oder lang an ein Ziel ankommen.

Schließlich erblickte ich an einer Straßenecke eine schön anzusehende Apotheke, mit einer vielleicht fünf- oder sechsstufigen Treppe davor, dessen Stufen aus Stein sich um das Hauseck schmiegten. Ich kannte diese Apotheke bereits. Sie machte schon von außen einen, sagen wir einmal rustikalen, fast schon nostalgischen Eindruck, mit ihren aus dunkelbraunen, fein gehobelten Holzleisten ausgerahmten Schaufenstern (welche ich allerdings nur unwesentlich wahrnahm) und vor allem ihrer hölzernen, nach oben hin rund gezimmerten Eingangstüre, in deren oberer Hälfte ein Fenster eingepasst war, auf welchem zwei sehr dünne Holzleisten über Kreuz lagen.

Ohne Zögern lief ich mit gleichbleibendem Tempo sofort die Stufen herauf, denn die Apotheke strahlte schon von außen eine angenehme Vertrautheit und Wärme auf mich aus und ich hatte keinen Grund stattdessen woanders hin zu laufen. Die Treppe erschien mir ungewöhnlich hoch. Sie hatte kein Geländer, an dem man sich hätte fest halten können (das fiel mir allerdings erst später auf). Die Apotheke befand sich sozusagen in einer Art Hochparterre. Ich öffnete die Türe und trat ein. Es war niemand da. Somit hatte ich etwas Zeit, mich vom Laufen zu erholen und mich dabei auch ein wenig umzusehen. Auf sonderbare Weise erschien es mir dabei so, erst vor kurzem hier gewesen zu sein. Das Innere der Apotheke offenbarte sich mir ausnahmslos aus dunklem, edlem Holz gezimmert. Aufmerksam betrachtete ich ihre langgestreckte Theke genauso wie ihre hohen Wandregale, mit ihren zahllosen großen und kleinen etikettierten Apothekenfläschchen darin, sorgfältig jedes für sich beschriftet und eingeordnet. Die Theke befand sich zu meiner Linken, von rechts und von hinten kam strahlendes Tageslicht in den Raum. Schräg nach rechts hinter mir lag nun die bereits wieder geschlossene Eingangstür. Während ich mich so umsah und mich eigentlich recht wohl fühlte fiel mir auf, dass ich, wenn die Apothekerin kommen würde, gar nicht so recht wüsste, was ich zu ihr sagen sollte. Denn ich hatte gar nicht vor, irgendetwas aus der Apotheke zu erwerben. Ich war einfach nur hier, weil ich mich hier wohl fühlte, vielleicht auch geborgen. Gleichzeitig war mir etwas unangenehm zumute, da ich doch hier eigentlich gar nichts verloren hatte, ohne die Absicht irgendetwas zu erwerben, und sei es auch nur eine Kleinigkeit.

Wie ich mich in Gedanken noch diesen Abwägungen hingab, kam plötzlich aus der linken hinteren Ecke des Raumes hinter der Theke eine junge Frau hervor, sah mich sofort (vermutlich hatte sie mich schon vorher gehört) und lächelte mich freundlich an. Sie war mir vertraut, aber dennoch unbekannt. Sie hatte schulterlange, hellbraune, glatte Haare. Ihre Augen waren verhältnismäßig groß, aber nicht so groß, als dass man sie etwa als Froschaugen bezeichnen könnte. Nein, sie kamen mir einfach nur wie die eines Kindes vor. Dann fiel mir noch auf, dass sie am Hals, an der linken Seite, eine sehr kleine, schwarze Tätowierung trug. Sie war eigentlich kaum zu sehen. Dennoch fiel sie mir auf. Sie bestand aus dem Symbol für das Tierkreiszeichen Krebs. Ich wusste, dass ich keine Angst vor ihr zu haben brauchte. Sie fragte mich, was ich denn bräuchte. Aber sie sah es mir wohl bereits an den Augen an, dass ich nicht gekommen bin um etwas zu kaufen. Ihr Gesicht änderte sich schnell von dem eines fragenden Menschen in den eines wohl wissenden Menschen. Ihre gerade noch hochgezogenen Augenbrauen und die weiter geöffneten Augen gingen in einen beruhigten Gesichtsausdruck über. Die gerade noch gestellte Frage wurde nun überflüssig. (An dieser Stelle befindet sich möglicherweise ein kleiner Riss in meiner Erinnerung, welcher allerdings nicht allzu groß sein kann). Mit einem heiterem Lächeln zeigte sie mir mit einer Handbewegung den Zugang zu einer hölzernen Wendeltreppe am Ende des Raumes, der nach unten führte. Während sie oben blieb, sah ich an der Wand, an der die Treppe unmittelbar entlangführte, im Abstand von vielleicht eineinhalb Metern, recht große Poster, auf denen auf völlig schwarzem Hintergrund jeweils ein großes, wunderschön anzusehendes Gesicht einer Frau zu sehen war. (Es war jedoch nicht dasjenige der jungen Frau am Eingang) Es zwinkerte einem jeden, der hier hinunter ging, zu. Das Auffälligste an den professionell gemachten, schwarz-weiß gehaltenen Fotos waren die freundlichen Augen. Auf manchen der Poster hielt sich die abgebildete Frau als Variante zu den anderen Bildern den Zeigefinger einer Hand vor ihren wohl geformten Lippen. Man konnte sich der Aufforderung still und leise zu sein kaum widersetzen.

Unten angekommen sah ich, dass sich dieses Untergeschoss in drei oder vier Räume aufteilte. Als ich mich der Reihe nach in den sehr hellen, fast weißen Räumen umsah, wurde mir gewahr, dass alle Räume mit Ausnahme von jeweils ein oder zwei bananenförmigen Rattanbetten, auf welche jeweils sehr bunte Bettwäsche aufgelegt war, komplett leer waren. (Möglicherweise gab es aber noch kleine, runde, schwarze Beistelltische neben den Betten.) In jedem Raum fand ich jeweils aufklappbare, große, schwarze Karten vor, die man sich wohl nehmen und ansehen sollte. Sie sahen aus wie Speisekarten. Die Motive für das Deckblatt waren genau dieselben wie auf den Postern an der Treppe. Ich setzte mich auf eines der weichen Betten und sah mir eine der Karten an, allerdings eher beiläufig, schnell schweiften meine Augen wieder in diesem Raum umher, in dem ich mich gerade befand. Ich wartete eine Weile.

Als mir das Warten zu lang wurde ging ich wieder zur Treppe. Schon beim Kommen sah ich, dass diese auch noch weiter nach unten führt, wollte mir aber vorher noch das gerade eben besuchte Stockwerk ansehen. Erst jetzt entschloss ich mich also, weiter nach unten zu steigen. Die Poster waren nun nicht mehr an der Wand befestigt. Und es wurde dunkler. Nach einer vollständigen Drehung der Wendeltreppe kam ich in ein von blauem Neonlicht schwach erleuchtetes und verlassenes Stockwerk. Es strahlte Kälte aus. Ich sah eine riesige Küche; sehr sauber und anscheinend schon länger nicht mehr benutzt. Sie schien wie für den Zweck eines Restaurants oder ähnliches eingerichtet. Waschbecken, Gasherde und Küchenschränke gleich im Dutzend standen an den Wänden in diesem großen Teil eines riesigen Raumes. Es war völlig still. Ich sah mich etwas um, doch nichts Überraschendes bekam ich nach dem ersten Blick noch zu sehen.

Doch dann schien sich plötzlich zu meiner Linken in einiger Entfernung inmitten der Dunkelheit etwas zu bewegen. Etwas Pulsierendes, wie es schien.

Von Neugier getrieben begab ich mich daraufhin, trotz des in dieser Richtung fehlenden Lichtes, auf den Weg zu diesem fernen Punkt, irgendwo in diesem weiten Raum, dessen Ausmaße ich nicht kannte. Ich hatte Angst, zu stolpern, deshalb ging ich langsam und vorsichtig, kontrollierte dabei auch die Festigkeit des Bodens unter mir _ ich befürchtete, dass dieser weich werden könnte. Eigenartigerweise, das fiel mir später auf, hatte ich keinerlei Angst an irgendeine Begrenzung dieses Raumes zu stoßen. Es schien mir wie selbstverständlich, dass dieser Raum wohl unendlich sein müsste. Ich befürchtete lediglich, dass der Boden unter mir vielleicht uneben werden könnte, je weiter ich ging. Weiter nichts.

Und tatsächlich gab der Boden unter mir dann langsam nach, je weiter ich fort schritt. Aber es war nicht so, dass ich in ihn versinken würde. Nein, es war mehr eine Art Federn, ein gleichmäßig dynamischer Impuls für jedes Auftreten meiner Füße auf diesem Grund, dessen Zusammensetzung ich wegen der völligen Dunkelheit höchstens erahnen konnte.

Ich kam nun meinem Ziel, dem pulsierenden Punkt in der Ferne, immer näher. Nein, es war kein Punkt. Es bildete eine längliche, in ihrer Mitte nach oben wie unten gleichmäßig getrennte, an ihren Enden jeweils verjüngende Form. Ich konnte es jetzt deutlich sehen. Es strahlte von innen heraus Licht nach außen. Es war sehr groß. Es überragte mich selbst bei weitem. Es hatte eine fleischige Oberfläche. Und es leuchtete dabei glühend rot.

Fast hatte ich den Eindruck, einer Art organischem "Raumschiff" zu begegnen. Ich konnte nicht begreifen, was hier vor sich ging. Dann tauchte mit einem Male, wie aus dem Nichts, zu meiner Rechten mein Bruder auf. Zu meiner Überraschung war er völlig nackt. Ich fuhr herum, um in sein Gesicht sehen zu können. Auch hier und jetzt in dieser grotesken Situation war mir seine Gegenwart sehr unangenehm. Ich litt schon immer darunter, in seinem Schatten zu stehen. Er war mir in allen Dingen stets voraus. Immer erntete er von allen mehr Anerkennung als ich, immer wusste er alles besser als ich, immer war er derjenige, der die meisten Freunde hatte. Und immer war er derjenige, der mit den Mädchen ins Bett gehen konnte während ich nie eine Chance bekam.

Er sprach zu mir mit donnernder Stimme: "Was suchst du hier? Geh wieder heim!"

Ich wusste nicht recht wie mir geschah. Ich war wie gelähmt. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich wusste gar nicht mehr genau, woher ich kam, in welcher Richtung diese große, schwach beleuchtete Großküche lag, an der sich auch der Ausgang befand. Ich hatte die Orientierung verloren.

Er drängte mich weiter, seine Stimme wurde unruhiger: "Scher' dich sofort weg von hier! Los!"

Ich hatte schon Angst, er würde handgreiflich werden, als mir auffiel, dass sich der Puls dieses hochaufgestellten "Raumschiffes" aus Fleisch, nun zu meiner Linken, zunehmend beschleunigte. Es blähte sich in regelmäßigen Intervallen weit auf um anschließend bis zu seinem minimalen Volumen wieder in sich zusammenzufallen. Erst jetzt fielen mir beim Anblick dieser pulsierenden Bewegung die zahlreichen Falten und Taschen innerhalb und außerhalb der zwei gleichförmigen, rötlich leuchtenden Lippen auf, welche sich während ihres Aufblähens an diese anschmiegten und während ihres schnellen Zusammenfalls dagegen von diesen wiederum wie weggeweht schienen.

Mit einem Male verspürte ich den unwiderstehlichen Drang, diesem großen, mächtigen, organischen "Raumschiff" entgegenzurennen und in dieses einzutauchen. Ich wollte, dass es mich aufnimmt und beschützt. Es kam mir jetzt so vor, als wenn dieses doch vielleicht gerade wegen mir hier in dieser unendlichen Weite gelandet wäre um mich aufzunehmen. Vielleicht war das ja Teil eines Planes?

Aber ehe ich richtig zum Lauf ansetzen konnte, packte mich mein Bruder auch schon an meinem rechten Arm. So fest, dass ich beinahe gefallen wäre, in meinem Übermut.

"Lass mich los!", schrie ich plötzlich wie wild.

Seine Antwort presste sich wie der kraftvolle Lärm einer laufenden Bohrmaschine in mein Ohr: "Nein, du bleibst hier!" schallte es aus ihm zurück.

"Du sollst mich los lassen, sag ich!", quietschte ich schon beinahe verzweifelt. Ich wusste, dass ich ihm unterlegen bin.

Ich stemmte mich mit voller Kraft seinem Zug entgegen. Meine Beine drangen immer weiter in den weichen Untergrund ein. Ich gab nicht auf.

Dann geschah etwas Seltsames. Unser gemeinsamer Untergrund tat sich plötzlich auf, bildete unregelmäßige Falten, welche sich immer weiter in die Länge zogen. Man musste aufpassen, wohin man trat. Wir waren plötzlich beide ganz abgelenkt von unserem Gezerre, um nur ja nicht in eine der Falten zu treten. Man wusste nie, wo sich gerade eine neue bilden würde.

Ich konzentrierte mich gerade noch auf meine nähere Umgebung, wich der einen oder anderen Falte geschickt aus, als Hermann jäh aufschrie und mir mit seinen Armen wild in der Luft entgegen winkte. Sein linkes Bein verfing sich in einer der Falten und er konnte es anscheinend nicht von selbst befreien. Während sein anderes Bein bereits auf dem Untergrund kniete, wechselte seine Tätigkeit abwechselnd mal zu vergeblichen Befreiungsversuchen, mal zu unbeholfenen Winken in meine Richtung.

Ich genoss kurz meinen Triumph, indem ich ihm eine Weile zusah. Dann verschwand er einfach. Und das überraschte mich noch nicht einmal.

Jetzt lag meinem ersehnten Ziel nichts mehr im Wege. Ich wendete mich sofort wieder um und lief mit großen Schritten meinem "Raumschiff" entgegen. Die Falten im Boden waren nun wieder verschwunden und ich konnte mich wieder sicher auf diesem Grund bewegen.

Während ich meinem "Raumschiff" nun immer näher kam, und dieses mir dabei immer herrlicher und prächtiger erschien, drangen aber auch immer stärker unerwartete Gedanken in meinen Kopf. Mir kam, je weiter ich lief, immer mehr zu Bewusstsein, wo ich mich nun wahrhaftig befand. Ich weiß nicht wie es kam, aber ich hatte plötzlich keinerlei Zweifel mehr. Denn ich wusste es nun einfach: Ich befand mich im Inneren eines Mutterleibes! Und ich lief geradewegs auf den Ausgang zu. Das "Raumschiff", mein Mutterschiff, entließ mich. Mein Bruder musste - vorerst noch? - zurückbleiben.

Das pulsierende, niemals blendende Licht wurde nun immer strahlender und majestätischer. Und als es mir schien, von diesem Licht völlig überflutet zu sein, glitt ich sanft aus diesem Traum wieder zurück in meine Realität.


David wachte mit einem überwältigenden Orgasmus auf.

Am nächsten Morgen, es war ein Werktag, trafen sich David und Hermann kurz zum Frühstück, bevor jeder für sich seinen täglichen Geschäften nachging. Sowohl David als - bemerkenswerterweise - auch Hermann schienen heute wie verwandelt zu sein. Während David ungewohnt aufrecht und zügig durch die Räume ging und auf dem Küchentisch seine gewohnten Frühstücksbeigaben und -utensilien ausbreitete, kam Hermann erst etwas später, konnte sich nur schleppend fortbewegen und legte seine Stirn besorgt in Falten.

"n' Morgen! Was'n mit dir los?", fragte ihn David.

Er brummte nur vor sich hin. Murmelte soetwas wie: "Weiß nich'."

David freute sich über sein eigenes Wohlergehen genauso wie über die miese Laune seines Bruders.

"Schlecht geträumt?", höhnte David, nicht ohne freilich an seinen eigenen Traum zu denken.

Hermann setzte sich nun etwas unbeholfen. Er schien völlig übermüdet.

"Ich hab' gestern nur etwas ziemlich Seltsames erlebt", kam es jetzt aus ihm. "Ich kann mir das gar nicht erklären".

David wurde nun sichtlich hellhörig. Er hatte gerade einen herzhaften Bissen aus seiner frisch gestrichenen Marmeladensemmel im Mund, doch jetzt hörte er plötzlich zu kauen auf.

Hermann war es gewohnt, von seinen nächtlichen Abenteuern zu erzählen. Besonders David gegenüber - um ihn zu ärgern. Diesmal aber hörte es sich ganz anders an als sonst.

"Ein Mädchen gestern. In einer Discothek. Ich lernte sie in einer ruhigeren Ecke dort kennen. Sie war allein. Und... sie... schien schwanger zu sein." Er brach kurz ab. "Aber das merkte ich erst später. Als ich schon im Bett mit ihr war. In ihrem Bett, bei ihr zu Hause." Er lächelte jetzt. "Es war ganz einfach. Ich musste gar nichts tun. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorging, aber sie schleppte mich einfach ab, gestern. Einfach so."

David bekam seinen Bissen kaum noch runter. Nach einer Weile fragte er dann leise: "Was war dann?"

Hermann schien sich etwas zu wundern. Normalerweise fragte David nie danach, wie es ihm so bei seinen Frauengeschichten erging.

"Naja, das ganze lief einfach nur auf Sex hinaus. Das war für uns beide völlig klar. Das komische diesmal war nur, dass..." Er suchte sichtlich nach Worten, musste aber gleichzeitig unbeholfen lachen. "Also, gerade dann, als es soweit war, dass wir uns beide komplett ausgezogen hatten, im Bett lagen und ich schon in sie eindringen wollte - also, ich war wirklich gut drauf, sag' ich dir! Ich hatte zwar schon n'bisschen was getrunken, aber ich war wirklich gut drauf! - also, gerade eben, als es soweit war, da bewegte sich plötzlich etwas in ihrem Bauch!"

Hermann wurde jetzt lauter und blickte dabei David mit großen Augen an, welcher seinerseits nicht weniger erstaunt war.

"Mein Gott, du kannst dir kaum vorstellen, wie ich erschrocken bin! Da wollt' ich g'rade ans Eingemachte geh'n und dann so was! Ich weiß nich', wie benebelt ich gewesen sein muss, um nicht schon vorher zu seh'n, dass da was faul ist. So was ist mir noch nie passiert! Noch nie!"

David rührte sich nicht vom Fleck. "Und dann?"

"Und dann! Und dann!", entgegnete Hermann genervt. "Na, dann war an Sex natürlich nicht mehr zu denken! Ich hätte ja das Gefühl gehabt, ein kleines Kind zu vögeln! Einen Fötus! Stell' dir das mal vor! Is' ja pervers, sowas!", schrie er jetzt.

Sie schwiegen beide für vielleicht eine Minute während sie zugleich ins Leere starrten.

Dann fragte David noch: "Wie sah das Mädchen denn aus?"

Hermann, noch immer in gebückter Haltung am Tisch sitzend, blickte jetzt zu ihm rüber. "Weshalb fragst du? Das interessiert dich doch sonst nie!"

"Sag's mir doch! Komm' schon!", entgegnete David mit fester Stimme.

"Naja." Hermann überlegte und blickte dabei ein wenig nach oben. "Ihre Haare waren braun. Hellbraun glaube ich. Mmh. Dann fielen mir noch ihre Augen auf. Also, die vergisst man so schnell nicht. Sie war'n recht groß. Aber nicht so groß wie Glubschaugen oder so. Nein, nein. Einfach nur große, herzliche Augen." Er überlegte noch etwas. "Ach ja, natürlich! Obwohl ich so dicht war, an eines kann ich mich auch noch erinnern: Da war so 'ne Tätowierung an ihrem Hals, an der rechten Seite. Ich glaube, ich kann sie noch aufzeichnen." Hermann holte schnell einen Notizzettel und einen Stift. "Es sah etwa so aus!" Er zeichnete ein paar Striche auf das Papier und schob es zu David hinüber.

David kannte diese Symbolik. Es war das Tierkreiszeichen des Skorpions.

 
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Hallo Ratte!

Was soll ich nach Lakitas ausführlichen Worten noch sagen? Ich sehe eigentlich nichts anders als sie...

Nur die Beschreibung der Apotheke hätte ich etwas vereinfacht, ich mußte mich schon ziemlich drüberwinden, vor lauter hinten und links und schräg und drumherum...

Aber abgesehen davon war sie äußerst angenehm und interessant zu lesen.
Auch mir hat die Vorstellung der Protagonisten sehr zugesagt, sie ist kurz und prägnant - man kennt die beiden Brüder innerhalb weniger Zeilen.
Besonders gefallen hat mir auch der Vergleich des Wunsches nach Geborgenheit mit dem Bauch - zuvor kommt aber schon der Wunsch des Beschützwerdens in Deiner Geschichte vor.
Allerdings ist mir nicht ganz klar, was Gasherde und Küchenschränke im Dutzend hier machen?

Zum bereits diskutierten Satz

Obwohl ihm das durchaus keiner zutraute
muß ich sagen, daß ich ihn auch etwas seltsam finde... Wenn man jemandem etwas zutraut, hat das doch damit zu tun, daß man meint, er könne es schaffen, bewerkstelligen. Aber daß jemand etwas nicht tut, muß man ihm nicht zutrauen bzw. nicht nicht zutrauen.
Vielleicht ein Satz in der Richtung, daß alle wußten, daß er soundso gebildet war und es ihm deshalb zugetraut hätten...?

Auch zum "war noch ausgehn" geb ich meinen Senf: Ich bin zwar mit den Zeiten selbst nicht so gut, aber wenn Du es in der meiner Meinung nach richtigen Zeit schreibst, klingt es doch ganz anders, oder?
Eines Nachts jedoch, Hermann war noch ausgegangen, widerfuhr...

Aber jetzt von vorne:

"Wenn er nicht gerade nach etwas gefragt wurde konnte man..." - wurde, konnte man...

"bei seinem trotz seines jungen Alters nicht gerade geringen Wissenschatzes..." - seinem, trotz seines jungen Alters, nicht gerade geringen Wissenschatz... (ohne ..es)

"Davids Traum" - Ich denke, wenn er selbst seinen Traum aufschreibt, schreibt er "Mein Traum"...

"dessen Stufen aus Stein sich um das Hauseck anschmiegten." - klingt in meinen Ohren seltsam, müßte, denke ich, entweder "sich an das Hauseck anschmiegten" oder "sich um das Hauseck schmiegten" heißen.

"stattdessen woandershin weiter zu laufen." - würde das "weiter" weglassen

"Sie hatte keine Geländer, an denen man sich hätte fest halten können" - kein Geländer, an dem man...

"Ich hatte somit etwas Zeit mich vom Laufen zu erholen..." - Zeit, mich - Das "Ich" am Satzbeginn hört sich nicht so gut an, weil der vorletzte Satz davor ebenfalls mit Ich beginnt. Wie wärs mit "Somit hatte ich..."?

"Ich betrachtete eine lange Theke genauso wie die hohen Wandregale mit ihren..." - Was darf ich mir darunter vorstellen? Klingt, finde ich, sehr eigenartig. Wäre noch eine Beifügung, wie denn das Betrachten war, genauso aufmerksam, genauso flüchtig?

"Die Theke befand sich zu meiner linken..." - Linken

"Wie ich mich in Gedanken noch so diesen Abwägungen hingab kam plötzlich..." - das "so" würde ich weglassen, Beistrich nach "hingab".

"Während sie oben blieb sah ich an der Wand..." - blieb, sah ich

"im Abstand von vielleicht eineinhalb Metern voneinander recht große Poster,..." - wenn schon, dann "zueinander" - aber besser wäre, das "voneinander" ganz wegzulassen, das ist ohnehin klar. An dessen Stelle gehört dann ein Beistrich.

"Es zwinkerte einem jeden, der hier hinunter ging, zu." - wäre es nicht ihne "einem" schöner? Also "Es zwinkerte jedem, der ..., zu."

"fast weißen Räumen umsah wurde mir gewahr,.." - umsah, wurde

"(...Beistelltische neben den Betten) - Punkt nach "Betten", würde auch die Klammer weglassen.

"Irgendwo jeweils in diesen Räumen lagen..." - Also der Satz klingt auch sehr seltsam. Auch wenn das die Rubrik trifft, würde ich es ungefähr so schreiben:
"In jedem Raum lagen irgendwo..."

"..., schnell schweiften meine Augen wieder in die unmittelbare Umgebung." - ebenso seltsam... ;) wie wärs mit "im Raum umher."?

Auch beim Satz "Ich sah schon vorher, dass diese auch noch weiter nach unten führt, wollte mir aber vorher noch dieses Stockwerk ansehen. Ich ging nach unten." blieb ich hängen. Wäre vielleicht verständlicher, was Du meinst, wenn Du zum Beispiel schreibst: "Schon beim Kommen sah ich, ... Jetzt aber entschloss ich mich doch, nach unten zu gehen."

"Ich sah eine riesige Küche; ... Es schien wie für den Zweck eines Restaurants oder ähnliches eingerichtet." - Wenn sich das "Es", wie es scheint, auf die Küche beziehen soll, ist das "Es" ein "Sie".

"Eigenartigerweise (das fiel mir erst später auf) hatte ich..." - statt der Klammer täten Beistriche Deiner Geschichte gut. Klammern in Geschichten sind nicht das Gelbe vom Ei...

"Ich befürchtete lediglich, dass der Boden unter mir vielleicht uneben werden könnte, je weiter ich ging. ...

Nun, wie ich es bereits ahnte, gab der Boden unter mir langsam nach,..."
- Die beiden Sätze hintereinander klingen schon, als wolltest Du absichtlich was zum Rausklauben einbauen... ;) Wie wärs als zweiten der beiden Sätze mit "Je weiter ich fort schritt, begann der Boden aber doch immer mehr nachzugeben."

"in ihrer Mitte nach oben wie nach unten gleichmäßig getrennte" - Ich würde das zweite "nach" weglassen.

"Fast hatte ich den Eindruck einer Art..." - Eindruck, einer...

"Aber ehe ich richtig zum Lauf ansetzen konnte packte mich mein Bruder..." - konnte, packte

""Lass mich los!" schrie ich plötzlich wie wild." - los!", schrie ich - danach kommen noch zwei direkte Reden nach dem Muster.

"...quietschte es schon beinahe verzweifelt aus mir heraus." - Was quietscht denn da? Oder sollte es heißen "quietschte ich schon beinahe verzweifelt heraus."?

"Man musste aufpassen, wohin man tritt." - trat

"anstatt aufrecht zu stehen," - bitte wegstreichen, wir wissen alle, daß Menschen normalerweise aufrecht stehen. ;)

"...mein Mutterschiff, entlies mich." - entließ

""n' Morgen! Was denn mit dir los?"" - sagt er nicht eher "Was´n mit dir los?"? So, wie es da steht, klingt es komisch...

Ach ja: Die Punkte, die Du gemacht hast, weil früher nur eine Leerzeile möglich war, kannst Du wieder entfernen. Jetzt geht das ohne. :)

"Hermann war es gewohnt von seinen..." - gewohnt, von

"Hermann schien sich etwas zu wundern. Normalerweise fragte David nie danach, wie es Hermann so bei seinen Frauengeschichten erging." - wie es ihm so bei... Es ist klar, daß sich das auf Hermann bezieht, also brauchst Du den Namen nicht wiederholen.

Und der letzte: ""Weshalb frägst du?..."" - So redet niemand... "Weshalb fragst du?..."

So, ich hoffe, ich hab Dich jetzt nicht erschlagen, aber das liegt an der Länge der Geschichte... ;)

Alles liebe
Susi

PS.: Ich glaube, es hieße richtig: "kosmogene" :)

 

Häferl, ich engagiere dich zu meiner offiziellen Lektorin! :shy: ;)

Mannomann, da steht mir ja noch ebenso viel Arbeit wie dir bevor, beim Korrigieren. Mach ich noch, nur nicht jetzt gleich.

Allerdings ist mir nicht ganz klar, was Gasherde und Küchenschränke im Dutzend hier machen?
Gute Frage! Nächste Frage! :D

Meine Intention: David begibt sich in seinem Traum auf eine Reise. Diese Reise findet offenbar auf fremden Terretorium statt (Die Apotheke sowie deren Geschosse). Er begiebt sich in diese hinein, durchwandert sie und bereichert diese dabei möglicherweise mit persönlichen Bildern (das ist aber letztendlich offen). Dass er dort nicht nur angenehmen Dingen begegnen wird (und ich interpretiere meine Beschreibungen an dieser Stelle des Traumes als unangenehm) halte ich für plausibel. Welche Assoziationen ich wecken wollte: Angst, Kälte (das blaue Licht), Verlorenheit (weitläufige Räume). Möglicherweise hat David Angst vor der Kälte anderer Menschen. Oder aber, umgekehrt, diese Kälte entspringt seinem eigenen Wesen. Seine Reaktion darauf ist die Verlorenheit. Und seine Sehnsucht, die aus diesem Gefühl geboren wird, ist die Sehnsucht nach Geborgenheit.

vielleicht wirkt es deplatziert. Vielleicht macht es die Geschichte aber auch, auf einer tieferen Ebene, noch etwas schlüssiger. Allerdings frag ich mich jetzt schon selbst, ob ich nicht wieder zu viel in einen einzigen Text hineingepackt habe. :(

 

Liebe Susi,

jetzt hab ich mir endlich die Zeit genommen, Deine zahlreichen Korrekturen bzw. Verbesserungsvorschläge wahrzunehmen. Damit ist die Geschichte auf alle Fälle noch ein wenig perfekter geworden als zuvor!

Den Satzteil

Obwohl ihm das durchaus keiner zutraute,
hab ich in
Und das, obwohl ihm jeder, der ihn ein wenig näher kannte, gerade angesichts seines noch jungen Alters ohne Weiteres einen nicht eben geringen Bildungsgrad aus Bereichen wie der Geschichte, [...] bescheinigen konnte.
umgeschrieben.

Deine übrigen Vorschläge hab ich mehr oder weniger genauso umgesetzt, wie von Dir formuliert. Vielen Dank nochmals für Deine Mühe! :)

lieben Gruß
Philo-Ratte


ach ja: das Adjektiv "kosmogen" gibt's laut meinem Fremdwörter-Duden nicht! Muss wohl doch "kosmogonisch" heißen. ;)

 

Liebe Ratte!

Freut mich, daß meine Vorschläge auf fruchtbaren Boden gestoßen sind! :)

Bin schon gespannt auf Deine nächste Geschichte!

Alles liebe,
Susi

 

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