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Davids kosmogonische Räume

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18.12.2001
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Davids kosmogonische Räume

Hermann und David waren beinahe gleichaltrige Brüder. Während Hermann ein recht ansehnlicher, junger Mann in seinen besten Jahren war, mit athletischer Figur und ausgestattet mit einem kaum zu übertreffenden Charme, konnte man David dagegen kaum solche attraktiven Eigenschaften zugestehen. Ja, im Grunde genommen, und wir wollen ja ehrlich sein, hatte er sie nämlich ganz und gar nicht. David, mit seinem schlaksigen Körper und der bebrillten Nase auf seinem zu allem Übel auch noch viel zu blassem Gesicht, hinterließ bei jedem, dem er begegnete, einen recht schüchternen, in sich gekehrten, jedoch keineswegs unangenehmen Eindruck. Er war ein Mauerblümchen. Er fiel nirgendwo auf. Man bemerkte kaum seine Anwesenheit. Dafür schätzten allerdings viele seine redliche Aufmerksamkeit anderen gegenüber sowie seine überaus wachen Augen bei jeder Art von Konversation. Wenn er nicht gerade nach etwas gefragt wurde, konnte man allerdings so gut wie nie eine Äußerung von ihm erwarten. Er glaubte unentwegt, nichts Wesentliches zum Gespräch beitragen zu können. Und das, obwohl ihm ein jeder, der ihn ein wenig näher kannte, gerade angesichts seines noch jungen Alters ohne Weiteres einen nicht eben geringen Bildungsgrad aus Bereichen wie der Geschichte, der Politik oder auch der Philosophie bescheinigen konnte. Auch hatte man häufig den Eindruck, dass er, etwa während des gemeinsamen Abendessens in der Familie, jedes Wort, das am Tisch aus dem Munde der anderen kam, konzentriert mitverfolgte.

Hermann und David konnten sich gegenseitig nur leidig ertragen. Das lag wohl nicht nur an ihren völlig unterschiedlichen Interessen: Während Hermann, wie nicht selten, abends häufig gemeinsam mit Freunden und Bekannten ausging um sich einen vergnüglichen Abend zu machen, blieb David meist allein zu Hause. Er, und das versicherte er den anderen immer wieder, mache sich nun einmal nichts aus derlei Vergnügungen und beschäftige sich doch lieber mit sich selbst. Die Eltern wie auch Hermann wussten nicht so genau, was er währenddessen so trieb. Er redete eben nicht allzu viel. Sie dachten, er lese nun mal sehr viel. Manchmal las er bestimmte Bücher gleich mehrmals. Weil sie ihm so gefielen. Er schien sehr genügsam.

Aber es war nicht nur das. In David brodelte auch ein gewisser Neid seinem Bruder gegenüber, den er allerdings niemals offen zeigte. Während Hermann mit seiner - zumindest äußeren - Attraktivität und seinem Sex-Appeal regelmäßig in Diskotheken oder Bars hausieren ging - und dabei nicht wenig Erfolg hatte - konnte sich David derlei Aktivitäten höchstens in einem Traum oder während eines halluzinogenen Trips vorstellen. In seinem realen Leben schien dafür kein Platz zu sein.

Hermann schien mit seinem Bruder nicht gerade Mitleid oder Verständnis zu haben. Wenn David Glück hatte, war ihm sein Schicksal noch egal. Wenn er dagegen Pech hatte machte sich Hermann mehr oder weniger verhalten über Davids Schattendasein als "Kröte" oder "hässliche Ente" lustig. Manchmal selbst dann, wenn er dabei eine entsprechende Rüge der gemeinsamen Eltern zu erwarten hatte.

Eines Nachts jedoch, Hermann war noch ausgegangen, widerfuhr David nun ein höchst merkwürdiger Traum. So merkwürdig gar, dass er ihn am nächsten Tag sogleich aufschrieb:


Ein Traum

Ich rannte ziellos umher in einer Kleinstadt, nicht gehetzt oder gedrängt, verfolgt oder dergleichen. Ich fühlte mich angenehm. Ich lief und ich habe es positiv in Erinnerung. Ich lief schneller als ein Jogger, aber ohne Anstrengung. Ich hätte eigentlich noch länger so weiter rennen können, aber ich wollte doch irgendwie über kurz oder lang an ein Ziel ankommen.

Schließlich erblickte ich an einer Straßenecke eine schön anzusehende Apotheke, mit einer vielleicht fünf- oder sechsstufigen Treppe davor, dessen Stufen aus Stein sich um das Hauseck schmiegten. Ich kannte diese Apotheke bereits. Sie machte schon von außen einen, sagen wir einmal rustikalen, fast schon nostalgischen Eindruck, mit ihren aus dunkelbraunen, fein gehobelten Holzleisten ausgerahmten Schaufenstern (welche ich allerdings nur unwesentlich wahrnahm) und vor allem ihrer hölzernen, nach oben hin rund gezimmerten Eingangstüre, in deren oberer Hälfte ein Fenster eingepasst war, auf welchem zwei sehr dünne Holzleisten über Kreuz lagen.

Ohne Zögern lief ich mit gleichbleibendem Tempo sofort die Stufen herauf, denn die Apotheke strahlte schon von außen eine angenehme Vertrautheit und Wärme auf mich aus und ich hatte keinen Grund stattdessen woanders hin zu laufen. Die Treppe erschien mir ungewöhnlich hoch. Sie hatte kein Geländer, an dem man sich hätte fest halten können (das fiel mir allerdings erst später auf). Die Apotheke befand sich sozusagen in einer Art Hochparterre. Ich öffnete die Türe und trat ein. Es war niemand da. Somit hatte ich etwas Zeit, mich vom Laufen zu erholen und mich dabei auch ein wenig umzusehen. Auf sonderbare Weise erschien es mir dabei so, erst vor kurzem hier gewesen zu sein. Das Innere der Apotheke offenbarte sich mir ausnahmslos aus dunklem, edlem Holz gezimmert. Aufmerksam betrachtete ich ihre langgestreckte Theke genauso wie ihre hohen Wandregale, mit ihren zahllosen großen und kleinen etikettierten Apothekenfläschchen darin, sorgfältig jedes für sich beschriftet und eingeordnet. Die Theke befand sich zu meiner Linken, von rechts und von hinten kam strahlendes Tageslicht in den Raum. Schräg nach rechts hinter mir lag nun die bereits wieder geschlossene Eingangstür. Während ich mich so umsah und mich eigentlich recht wohl fühlte fiel mir auf, dass ich, wenn die Apothekerin kommen würde, gar nicht so recht wüsste, was ich zu ihr sagen sollte. Denn ich hatte gar nicht vor, irgendetwas aus der Apotheke zu erwerben. Ich war einfach nur hier, weil ich mich hier wohl fühlte, vielleicht auch geborgen. Gleichzeitig war mir etwas unangenehm zumute, da ich doch hier eigentlich gar nichts verloren hatte, ohne die Absicht irgendetwas zu erwerben, und sei es auch nur eine Kleinigkeit.

Wie ich mich in Gedanken noch diesen Abwägungen hingab, kam plötzlich aus der linken hinteren Ecke des Raumes hinter der Theke eine junge Frau hervor, sah mich sofort (vermutlich hatte sie mich schon vorher gehört) und lächelte mich freundlich an. Sie war mir vertraut, aber dennoch unbekannt. Sie hatte schulterlange, hellbraune, glatte Haare. Ihre Augen waren verhältnismäßig groß, aber nicht so groß, als dass man sie etwa als Froschaugen bezeichnen könnte. Nein, sie kamen mir einfach nur wie die eines Kindes vor. Dann fiel mir noch auf, dass sie am Hals, an der linken Seite, eine sehr kleine, schwarze Tätowierung trug. Sie war eigentlich kaum zu sehen. Dennoch fiel sie mir auf. Sie bestand aus dem Symbol für das Tierkreiszeichen Krebs. Ich wusste, dass ich keine Angst vor ihr zu haben brauchte. Sie fragte mich, was ich denn bräuchte. Aber sie sah es mir wohl bereits an den Augen an, dass ich nicht gekommen bin um etwas zu kaufen. Ihr Gesicht änderte sich schnell von dem eines fragenden Menschen in den eines wohl wissenden Menschen. Ihre gerade noch hochgezogenen Augenbrauen und die weiter geöffneten Augen gingen in einen beruhigten Gesichtsausdruck über. Die gerade noch gestellte Frage wurde nun überflüssig. (An dieser Stelle befindet sich möglicherweise ein kleiner Riss in meiner Erinnerung, welcher allerdings nicht allzu groß sein kann). Mit einem heiterem Lächeln zeigte sie mir mit einer Handbewegung den Zugang zu einer hölzernen Wendeltreppe am Ende des Raumes, der nach unten führte. Während sie oben blieb, sah ich an der Wand, an der die Treppe unmittelbar entlangführte, im Abstand von vielleicht eineinhalb Metern, recht große Poster, auf denen auf völlig schwarzem Hintergrund jeweils ein großes, wunderschön anzusehendes Gesicht einer Frau zu sehen war. (Es war jedoch nicht dasjenige der jungen Frau am Eingang) Es zwinkerte einem jeden, der hier hinunter ging, zu. Das Auffälligste an den professionell gemachten, schwarz-weiß gehaltenen Fotos waren die freundlichen Augen. Auf manchen der Poster hielt sich die abgebildete Frau als Variante zu den anderen Bildern den Zeigefinger einer Hand vor ihren wohl geformten Lippen. Man konnte sich der Aufforderung still und leise zu sein kaum widersetzen.

Unten angekommen sah ich, dass sich dieses Untergeschoss in drei oder vier Räume aufteilte. Als ich mich der Reihe nach in den sehr hellen, fast weißen Räumen umsah, wurde mir gewahr, dass alle Räume mit Ausnahme von jeweils ein oder zwei bananenförmigen Rattanbetten, auf welche jeweils sehr bunte Bettwäsche aufgelegt war, komplett leer waren. (Möglicherweise gab es aber noch kleine, runde, schwarze Beistelltische neben den Betten.) In jedem Raum fand ich jeweils aufklappbare, große, schwarze Karten vor, die man sich wohl nehmen und ansehen sollte. Sie sahen aus wie Speisekarten. Die Motive für das Deckblatt waren genau dieselben wie auf den Postern an der Treppe. Ich setzte mich auf eines der weichen Betten und sah mir eine der Karten an, allerdings eher beiläufig, schnell schweiften meine Augen wieder in diesem Raum umher, in dem ich mich gerade befand. Ich wartete eine Weile.

Als mir das Warten zu lang wurde ging ich wieder zur Treppe. Schon beim Kommen sah ich, dass diese auch noch weiter nach unten führt, wollte mir aber vorher noch das gerade eben besuchte Stockwerk ansehen. Erst jetzt entschloss ich mich also, weiter nach unten zu steigen. Die Poster waren nun nicht mehr an der Wand befestigt. Und es wurde dunkler. Nach einer vollständigen Drehung der Wendeltreppe kam ich in ein von blauem Neonlicht schwach erleuchtetes und verlassenes Stockwerk. Es strahlte Kälte aus. Ich sah eine riesige Küche; sehr sauber und anscheinend schon länger nicht mehr benutzt. Sie schien wie für den Zweck eines Restaurants oder ähnliches eingerichtet. Waschbecken, Gasherde und Küchenschränke gleich im Dutzend standen an den Wänden in diesem großen Teil eines riesigen Raumes. Es war völlig still. Ich sah mich etwas um, doch nichts Überraschendes bekam ich nach dem ersten Blick noch zu sehen.

Doch dann schien sich plötzlich zu meiner Linken in einiger Entfernung inmitten der Dunkelheit etwas zu bewegen. Etwas Pulsierendes, wie es schien.

Von Neugier getrieben begab ich mich daraufhin, trotz des in dieser Richtung fehlenden Lichtes, auf den Weg zu diesem fernen Punkt, irgendwo in diesem weiten Raum, dessen Ausmaße ich nicht kannte. Ich hatte Angst, zu stolpern, deshalb ging ich langsam und vorsichtig, kontrollierte dabei auch die Festigkeit des Bodens unter mir _ ich befürchtete, dass dieser weich werden könnte. Eigenartigerweise, das fiel mir später auf, hatte ich keinerlei Angst an irgendeine Begrenzung dieses Raumes zu stoßen. Es schien mir wie selbstverständlich, dass dieser Raum wohl unendlich sein müsste. Ich befürchtete lediglich, dass der Boden unter mir vielleicht uneben werden könnte, je weiter ich ging. Weiter nichts.

Und tatsächlich gab der Boden unter mir dann langsam nach, je weiter ich fort schritt. Aber es war nicht so, dass ich in ihn versinken würde. Nein, es war mehr eine Art Federn, ein gleichmäßig dynamischer Impuls für jedes Auftreten meiner Füße auf diesem Grund, dessen Zusammensetzung ich wegen der völligen Dunkelheit höchstens erahnen konnte.

Ich kam nun meinem Ziel, dem pulsierenden Punkt in der Ferne, immer näher. Nein, es war kein Punkt. Es bildete eine längliche, in ihrer Mitte nach oben wie unten gleichmäßig getrennte, an ihren Enden jeweils verjüngende Form. Ich konnte es jetzt deutlich sehen. Es strahlte von innen heraus Licht nach außen. Es war sehr groß. Es überragte mich selbst bei weitem. Es hatte eine fleischige Oberfläche. Und es leuchtete dabei glühend rot.

Fast hatte ich den Eindruck, einer Art organischem "Raumschiff" zu begegnen. Ich konnte nicht begreifen, was hier vor sich ging. Dann tauchte mit einem Male, wie aus dem Nichts, zu meiner Rechten mein Bruder auf. Zu meiner Überraschung war er völlig nackt. Ich fuhr herum, um in sein Gesicht sehen zu können. Auch hier und jetzt in dieser grotesken Situation war mir seine Gegenwart sehr unangenehm. Ich litt schon immer darunter, in seinem Schatten zu stehen. Er war mir in allen Dingen stets voraus. Immer erntete er von allen mehr Anerkennung als ich, immer wusste er alles besser als ich, immer war er derjenige, der die meisten Freunde hatte. Und immer war er derjenige, der mit den Mädchen ins Bett gehen konnte während ich nie eine Chance bekam.

Er sprach zu mir mit donnernder Stimme: "Was suchst du hier? Geh wieder heim!"

Ich wusste nicht recht wie mir geschah. Ich war wie gelähmt. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich wusste gar nicht mehr genau, woher ich kam, in welcher Richtung diese große, schwach beleuchtete Großküche lag, an der sich auch der Ausgang befand. Ich hatte die Orientierung verloren.

Er drängte mich weiter, seine Stimme wurde unruhiger: "Scher' dich sofort weg von hier! Los!"

Ich hatte schon Angst, er würde handgreiflich werden, als mir auffiel, dass sich der Puls dieses hochaufgestellten "Raumschiffes" aus Fleisch, nun zu meiner Linken, zunehmend beschleunigte. Es blähte sich in regelmäßigen Intervallen weit auf um anschließend bis zu seinem minimalen Volumen wieder in sich zusammenzufallen. Erst jetzt fielen mir beim Anblick dieser pulsierenden Bewegung die zahlreichen Falten und Taschen innerhalb und außerhalb der zwei gleichförmigen, rötlich leuchtenden Lippen auf, welche sich während ihres Aufblähens an diese anschmiegten und während ihres schnellen Zusammenfalls dagegen von diesen wiederum wie weggeweht schienen.

Mit einem Male verspürte ich den unwiderstehlichen Drang, diesem großen, mächtigen, organischen "Raumschiff" entgegenzurennen und in dieses einzutauchen. Ich wollte, dass es mich aufnimmt und beschützt. Es kam mir jetzt so vor, als wenn dieses doch vielleicht gerade wegen mir hier in dieser unendlichen Weite gelandet wäre um mich aufzunehmen. Vielleicht war das ja Teil eines Planes?

Aber ehe ich richtig zum Lauf ansetzen konnte, packte mich mein Bruder auch schon an meinem rechten Arm. So fest, dass ich beinahe gefallen wäre, in meinem Übermut.

"Lass mich los!", schrie ich plötzlich wie wild.

Seine Antwort presste sich wie der kraftvolle Lärm einer laufenden Bohrmaschine in mein Ohr: "Nein, du bleibst hier!" schallte es aus ihm zurück.

"Du sollst mich los lassen, sag ich!", quietschte ich schon beinahe verzweifelt. Ich wusste, dass ich ihm unterlegen bin.

Ich stemmte mich mit voller Kraft seinem Zug entgegen. Meine Beine drangen immer weiter in den weichen Untergrund ein. Ich gab nicht auf.

Dann geschah etwas Seltsames. Unser gemeinsamer Untergrund tat sich plötzlich auf, bildete unregelmäßige Falten, welche sich immer weiter in die Länge zogen. Man musste aufpassen, wohin man trat. Wir waren plötzlich beide ganz abgelenkt von unserem Gezerre, um nur ja nicht in eine der Falten zu treten. Man wusste nie, wo sich gerade eine neue bilden würde.

Ich konzentrierte mich gerade noch auf meine nähere Umgebung, wich der einen oder anderen Falte geschickt aus, als Hermann jäh aufschrie und mir mit seinen Armen wild in der Luft entgegen winkte. Sein linkes Bein verfing sich in einer der Falten und er konnte es anscheinend nicht von selbst befreien. Während sein anderes Bein bereits auf dem Untergrund kniete, wechselte seine Tätigkeit abwechselnd mal zu vergeblichen Befreiungsversuchen, mal zu unbeholfenen Winken in meine Richtung.

Ich genoss kurz meinen Triumph, indem ich ihm eine Weile zusah. Dann verschwand er einfach. Und das überraschte mich noch nicht einmal.

Jetzt lag meinem ersehnten Ziel nichts mehr im Wege. Ich wendete mich sofort wieder um und lief mit großen Schritten meinem "Raumschiff" entgegen. Die Falten im Boden waren nun wieder verschwunden und ich konnte mich wieder sicher auf diesem Grund bewegen.

Während ich meinem "Raumschiff" nun immer näher kam, und dieses mir dabei immer herrlicher und prächtiger erschien, drangen aber auch immer stärker unerwartete Gedanken in meinen Kopf. Mir kam, je weiter ich lief, immer mehr zu Bewusstsein, wo ich mich nun wahrhaftig befand. Ich weiß nicht wie es kam, aber ich hatte plötzlich keinerlei Zweifel mehr. Denn ich wusste es nun einfach: Ich befand mich im Inneren eines Mutterleibes! Und ich lief geradewegs auf den Ausgang zu. Das "Raumschiff", mein Mutterschiff, entließ mich. Mein Bruder musste - vorerst noch? - zurückbleiben.

Das pulsierende, niemals blendende Licht wurde nun immer strahlender und majestätischer. Und als es mir schien, von diesem Licht völlig überflutet zu sein, glitt ich sanft aus diesem Traum wieder zurück in meine Realität.


David wachte mit einem überwältigenden Orgasmus auf.

Am nächsten Morgen, es war ein Werktag, trafen sich David und Hermann kurz zum Frühstück, bevor jeder für sich seinen täglichen Geschäften nachging. Sowohl David als - bemerkenswerterweise - auch Hermann schienen heute wie verwandelt zu sein. Während David ungewohnt aufrecht und zügig durch die Räume ging und auf dem Küchentisch seine gewohnten Frühstücksbeigaben und -utensilien ausbreitete, kam Hermann erst etwas später, konnte sich nur schleppend fortbewegen und legte seine Stirn besorgt in Falten.

"n' Morgen! Was'n mit dir los?", fragte ihn David.

Er brummte nur vor sich hin. Murmelte soetwas wie: "Weiß nich'."

David freute sich über sein eigenes Wohlergehen genauso wie über die miese Laune seines Bruders.

"Schlecht geträumt?", höhnte David, nicht ohne freilich an seinen eigenen Traum zu denken.

Hermann setzte sich nun etwas unbeholfen. Er schien völlig übermüdet.

"Ich hab' gestern nur etwas ziemlich Seltsames erlebt", kam es jetzt aus ihm. "Ich kann mir das gar nicht erklären".

David wurde nun sichtlich hellhörig. Er hatte gerade einen herzhaften Bissen aus seiner frisch gestrichenen Marmeladensemmel im Mund, doch jetzt hörte er plötzlich zu kauen auf.

Hermann war es gewohnt, von seinen nächtlichen Abenteuern zu erzählen. Besonders David gegenüber - um ihn zu ärgern. Diesmal aber hörte es sich ganz anders an als sonst.

"Ein Mädchen gestern. In einer Discothek. Ich lernte sie in einer ruhigeren Ecke dort kennen. Sie war allein. Und... sie... schien schwanger zu sein." Er brach kurz ab. "Aber das merkte ich erst später. Als ich schon im Bett mit ihr war. In ihrem Bett, bei ihr zu Hause." Er lächelte jetzt. "Es war ganz einfach. Ich musste gar nichts tun. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorging, aber sie schleppte mich einfach ab, gestern. Einfach so."

David bekam seinen Bissen kaum noch runter. Nach einer Weile fragte er dann leise: "Was war dann?"

Hermann schien sich etwas zu wundern. Normalerweise fragte David nie danach, wie es ihm so bei seinen Frauengeschichten erging.

"Naja, das ganze lief einfach nur auf Sex hinaus. Das war für uns beide völlig klar. Das komische diesmal war nur, dass..." Er suchte sichtlich nach Worten, musste aber gleichzeitig unbeholfen lachen. "Also, gerade dann, als es soweit war, dass wir uns beide komplett ausgezogen hatten, im Bett lagen und ich schon in sie eindringen wollte - also, ich war wirklich gut drauf, sag' ich dir! Ich hatte zwar schon n'bisschen was getrunken, aber ich war wirklich gut drauf! - also, gerade eben, als es soweit war, da bewegte sich plötzlich etwas in ihrem Bauch!"

Hermann wurde jetzt lauter und blickte dabei David mit großen Augen an, welcher seinerseits nicht weniger erstaunt war.

"Mein Gott, du kannst dir kaum vorstellen, wie ich erschrocken bin! Da wollt' ich g'rade ans Eingemachte geh'n und dann so was! Ich weiß nich', wie benebelt ich gewesen sein muss, um nicht schon vorher zu seh'n, dass da was faul ist. So was ist mir noch nie passiert! Noch nie!"

David rührte sich nicht vom Fleck. "Und dann?"

"Und dann! Und dann!", entgegnete Hermann genervt. "Na, dann war an Sex natürlich nicht mehr zu denken! Ich hätte ja das Gefühl gehabt, ein kleines Kind zu vögeln! Einen Fötus! Stell' dir das mal vor! Is' ja pervers, sowas!", schrie er jetzt.

Sie schwiegen beide für vielleicht eine Minute während sie zugleich ins Leere starrten.

Dann fragte David noch: "Wie sah das Mädchen denn aus?"

Hermann, noch immer in gebückter Haltung am Tisch sitzend, blickte jetzt zu ihm rüber. "Weshalb fragst du? Das interessiert dich doch sonst nie!"

"Sag's mir doch! Komm' schon!", entgegnete David mit fester Stimme.

"Naja." Hermann überlegte und blickte dabei ein wenig nach oben. "Ihre Haare waren braun. Hellbraun glaube ich. Mmh. Dann fielen mir noch ihre Augen auf. Also, die vergisst man so schnell nicht. Sie war'n recht groß. Aber nicht so groß wie Glubschaugen oder so. Nein, nein. Einfach nur große, herzliche Augen." Er überlegte noch etwas. "Ach ja, natürlich! Obwohl ich so dicht war, an eines kann ich mich auch noch erinnern: Da war so 'ne Tätowierung an ihrem Hals, an der rechten Seite. Ich glaube, ich kann sie noch aufzeichnen." Hermann holte schnell einen Notizzettel und einen Stift. "Es sah etwa so aus!" Er zeichnete ein paar Striche auf das Papier und schob es zu David hinüber.

David kannte diese Symbolik. Es war das Tierkreiszeichen des Skorpions.

 

Hi!
Die Geschichte hat mir gut gefallen. Tolle Atmosphäre, die Du aufgebaut hast. Die Charaktereinführung war ebenfalls klasse. Beides waren lebende Menschen, die realistisch rüberkamen. Gute Namenswahl: David (gegn Goliath) und Hermann, der germanische Heerführer - das sind jedenfalls meine Assoziationen dabei.
Desweiteren gefällt mir die Idee der Geschichte; seltsam und irgendwie befriedigt sie unser Gerechtigkeitsgefühl. Zuerst dachte ich, es wird noch krasser, Hermann stirbt, dachte, David geht auf sein Herz zu und killt es, aber die plötzliche Wendung, mit der man nicht rechnen konnte, schlug ein. Das das durch Heinrichs letzte Nacht alles einen Zusammenhang hat, kommt erst zum Schluss raus und lässt sich nicht vorher erahnen. Gute "storyführung" oder wie man das nennen will.

Jetzt gehe ich noch mal eben durhc den Text:

Er glaubte unentwegt, nichts wesentliches zum Gespräch beitragen zu können. Obwohl ihm das durchaus keiner zutraute - bei seinem trotz...
Wenn Du meinst, das die Leute ihm das ob seines Wissens zutrauen, dann ist das 'keiner' falsch. Es macht so keinen Sinn. 'viele' wäre wohl besser. 'Wesentliches' groß.

...Hermann war noch ausgeh'n...
'ausgeh'n'? Klingt in meinen Ohren komisch. Ich würde '...war noch unterwegs....' oder so schreiben.

..., dass ich, wenn die Apothekerin kommt, gar nicht so recht weiß, was ich zu ihr sagen sollte...
"wenn jemand käme...so recht wissen würde...."
Präsens passt hier nicht. Das er gleich von einer Apothekerin ausgeht, halte ich für eher ungewöhnlich, da es wirklich eine ist. Meistens sind das noch männliche Vertreter.
Ich sah schon vorher, dass diese auch noch weiter nach unten führt, wollte mir aber vorher noch dieses Stockwerk ansehen. Ich ging nach unten.
Er sieht, dass es weiter nach unten geht, will sich aber noch dieses Stockwerk ansehen. Im nächsten Satz geht er nach unten? Er will sich doch noch das Stockwerk ansehen.
Etwas pulsierendes
'Pulsierend' groß.
Von Neugier getrieben begab ich mich daraufhin trotz
heißt esnicht eher: "...begab ich mich darauf zu.."? Bin mir nicht sicher. Ebenso glaube ich, dass vor 'begab' ein Komma gehört. Ebenfallsnicht sicher. Vor 'trotz' gehört aber eins.

dynamische Rückkopplung
Rückkopplung verbinde ich eher mit anderen Sachen (Gitarre), nicht mit federnden Böden.

...und als ich von diesem Licht völlig überflutet schien gleitete ich sanft...
vor gleitete ein Komma.

David wachte mit einem überwältigenden Orgasmus auf.
Perfekter Break!!!! :D
ziemlich seltsames erlebt
'Seltsames' groß.

Insgesamt, finde ich, hast Du eine wirklich spannende Geschichte geschrieben, mit der Auflösung richtig gewartet und Charakteren und Atmosphäre Leben eingehaucht. Das macht sie echt gut.
Ach ja, was mir sehr gut gefiel, war die Beschreibung der Apotheke von aussen und innen.


Gruß, baddax

Nachtrag: Erklärst Du mir noch mal, was kosmogonisch bedeutet?

[Beitrag editiert von: baddax am 09.04.2002 um 14:30]

 

Hallo Sebastian!

Vielen Dank für deine sehr ausführliche und konstruktive Kritik! Hab mich sehr gefreut! :)

Puhh! Ich dachte ja schon, das meine Geschichte zumindest in der ersten Hälfte vielleicht zu langatmig ist und sie deshalb keiner liest. Dass man im weiteren Verlauf des Lesens dann doch noch für die Geduld belohnt wird, weiß man ja vorher nicht. Auch die etwas längere Beschreibung der Apotheke ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Stattdessen schreibst du mir was von guter "Charakter-" bzw. "Storyführung". Damit hab wenigstens von dir schon mal eine sehr positive Resonanz!

Jetzt zu deinen Einzelheiten:

Hermann, der germanische Heerführer
Das ist interessant. Diese Assoziation hatte ich bei der Namensfindung gar nicht. Unbewusst habe ich aber anscheinend doch einen sehr passenden mythologischen Kontrast zu David gefunden (dessen Bibelstelle ich aber dafür natürlich wiederum umso besser kenne).
Zuerst dachte ich, es wird noch krasser, Hermann stirbt, dachte, David geht auf sein Herz zu und killt es
Eben gerade das wäre zu gewöhnlich gewesen! Schön (für mich), dass du etwas anderes erwartet hattest, als was dann eintraf! :)
Wenn du meinst, das die Leute ihm das ob seines Wissens zutrauen, dann ist das "keiner" falsch. Es macht so keinen Sinn.
Also, den Satz musste ich auch noch drei mal durchlesen. Aber ich glaube, du irrst dich: Keiner traut ihm seine Unfähigkeit zu, etwas zu Gesprächen beitragen zu können. Also eine doppelte Verneinung. Und damit eine Bejahung. Das Gegenstück wäre dann: Man traute ihm zu, an Gesprächen teilzuhaben.
'ausgeh'n'? Klingt in meinen Ohren komisch. Ich würde '...war noch unterwegs...' oder so schreiben.
Mhh. Kompliziert. Der Leser soll ja nicht meinen, dass Hermann gerade einkaufen ist, oder beim Zahnarzt. Aber zugegeben: Etwas eigenartig hört es sich schon an. Überleg' ich mir noch...
Das er gleich von einer Apothekerin ausgeht, halte ich für eher ungewöhnlich, da es wirklich eine ist. Meistens sind das noch männliche Vertreter.
Noch? :confused:
Jaaa, das ist jetzt so eine Sache... Und zwar folgende: Beim Schreiben ging ich grundsätzlich davon aus, dass David sich seinen Traum selbst erschafft. Infolgedessen "wusste" er bereits intuitiv von vornherein, dass ihm in dieser Apotheke (welche natürlich auch wiederum Bestandteil seiner individuellen Traumwelt ist) eine Frau begegnen wird, und nichts anderes! Da ihm diese Begegnung vor Betreten der Apotheke allerdings nicht bewusst ist (wenn man während eines Traumes überhaupt von einem Bewusstsein sprechen kann. Aber wohl doch: auf einer anderen Ebene) weiß er dennoch nichts über den weiteren Verlauf des Traumes (ahnt allerdings bereits die Gegenwart der Frau. Aber niemand ist da, der ihn auf diesen merkwürdigen Umstand der Ahnung aufmerksam machen könnte. Und ihm selbst fällt diese Ahnung eben nicht auf). Auch bei der Begegnung mit der Frau ist sie ihm zwar unbekannt, aber dennoch vertraut. Das ist kein Widerspruch! Eher eine Art innere Logik der Träume.
Ein anderes Beispiel fällt mir noch ein: Würde der Zusammenhang der Symbole bzw. Metaphern "Hund" und "Apotheke" für ihn einen Sinn ergeben, würde er bei Betreten der Apotheke eben einen Hund erwarten. Und sei es hinter der Theke als Verkäufer! Und er würde sich womöglich kein bisschen darüber wundern!
Er sieht, dass es weiter nach unten geht, will sich aber noch dieses Stockwerk ansehen. Im nächsten Satz geht er nach unten?
Ja, ist wohl etwas verwirrend. "Dieses Stockwerk" bezieht sich auf die Beschreibungen des vorhergehenden Absatzes. Muss ich vielleicht etwas umformulieren.
Rückopplung verbinde ich eher mit anderen Sachen (Gitarre), nicht aber mit federnden Böden.
Stimmt schon. Zu technisch, der Ausdruck. Muss überlegen...
Perfekter Break!!!! :D
Genau: Statt dem üblichen Mord und Totschlag gibt's jetzt zur Abwechslung mal ordentliche Orgasmen! :D :cool:
Nachtrag: Erklärst Du mir nochmal, was kosmogonisch bedeutet?
Nochmal?? Leide ich schon unter Amnesie? ;)
Kosmogonie: lateinisch [Kosmos: die oder eine Welt; genere: erschaffen (generieren)], mythische Lehre von der Entstehung der Welt bzw. Theorienbildung über die Entstehung des Weltalls. (aus dem Duden)
Was ich mir dabei gedacht habe: David erschafft sich durch seine Träume transzendente "Räume" (im abstrakten Sinne), welche Ausgeburten seiner individuellen Psyche und Bestandteile seines individuellen Kosmos (also seiner inneren Welt) sind. Meine Gedanke war weiterhin, dass David durch diese inneren "Räume" seines letztlich selbsterschaffenen Traumes unbewusst ein Thema seiner bewussten (also wachen), realen Umwelt beeinflusst (seinen Bruder). Die "inneren Räume" Davids erschaffen also "Räume" im Äußeren. Deshalb: kosmogonisch.

Aber psst! Nicht weitererzählen! Da soll mal jeder selber draufkommen! :p

 

Hi!
Doppelte Verneinung stimmt, habe ich übersehen; aber vielleicht ist eine einfache Bejahung irgendwie besser ??? Weiß ich auch nicht genau...aber der Sinn stimmt, da hast Du recht.

Wow, das mit der Apothekerin stimmt so ebenfalls, da es ja tatsächlich sein Traum ist. Gebe ich Dir voll und ganz recht.

Jetzt, da ich den Titel verstehe, merke ich, er passt richtig gut.

Ich entdecke jedenfalls keine Langatmigkeit - alles im Rahmen, wie es ein muss. Mal schauen, was andere sagen.

Gruß, baddax

 

Hm, gute Geschichte, gefällt mir, sehr verworren, fantasievoll und auch mysteriös.

Irgendwie ein wenig krank oder? Find ich gut!!!

Ich find sie sehr gu tdurchdacht, man merkt, dass sich ein Autor ein paar Gedanken gemacht hat, deine Einfälle bezüglich transzendenter Räume, die scheinbar sehr sorgfältige Auswahl der Namen, und, vor allem, eine sehr stimmungsvolle Story, die ich im übrigen, um baddax zuzustimmen, an keiner Stelle langatmig fand.

Sehr originell finde ich die Idee, Hermanns scheinbar nicht sehr hohe Intelligenz durch eine Art "Slang" in seiner Ausdrucksweise darzustellen. Sehr humorvoll!

Tolle Story, mehr davon! So long...
Bassi

 

@baddax

Wow, das mit der Apothekerin stimmt so ebenfalls, da es ja tatsächlich sein Traum ist. Gebe ich Dir voll und ganz recht.
Danke, danke! Solche Kritiker sind mir immer die liebsten! :smokin:


@Basstardo84

Danke für dein Lob!

Sehr originell finde ich die Idee, Hermanns scheinbar nicht sehr hohe Intelligenz durch eine Art "Slang" in seiner Ausdrucksweise darzustellen. Sehr humorvoll!
Wobei ich mich noch zurückgehalten habe... Aber ich wollte die Charaktere auch nicht überzeichnen, da sie sonst an Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten.

 

Hallo Philosophische Ratte,

ich bin etwas gespalten, was deine Geschichte anbelangt und zwar deshalb, weil ich sie eigentlich für zu lang ausgeführt halte.
Auf der anderen Seite würde durch erhebliches Zusammenkürzen dieser Geschichte wohl ein wesentlicher Teil der Atmosphäre verloren gehen.
Also, da weiß ich im Moment auch keinen Rat.

Du hast in deiner Geschichte sehr gelungen die verschiedenen Bewußtseinsebenen des David dargestellt. Seinen alltäglichen immer wieder genährten Groll gegen seinen vorgeblich ja so besser ausgestatteten ,mit mehr Sonne beschienenen Bruder und seine eigentliche innere Festigkeit, sein Wissen darum, keineswegs der Unterlegene zu sein und dann die Nachaussenkehrung dieser Erfahrung, also die Bewußtwerdung.
Das hast du sehr eindringlich beschrieben und hier ist es wohl auch eher angebracht, sich dabei Zeit zu lassen und ausführlicher zu beschreiben.

Mir hat gut gefallen, dass du fast sachlich diese beiden Brüder vorstellst, der Leser wird, insoweit recht zügig, mit zwei kompletten Charakteren, soweit es für die Geschichte erforderlich ist, ausgestattet.
Aber noch mehr hat mir gefallen, dass du nicht versucht hast,Davids Traum zu manipulieren. Es wirkt so, als habest du nichts an diesem Traum ausgelassen, und gerade auch die unlogischen Momente, jedenfalls das, was wir bei einem Traum nicht verstehen, extra geschildert.

Der Traum wirkt wie fast jeder Traum an manchnen Stellen skurril und unlogisch und hat nicht zuletzt ja bei einem Kritiker zu der Frage geführt, ob da nicht sogar eine Erkrankung dahinter stehen könnte.
Das ist aber gerade das Wesen der Träume! Im Traum tobt sich das Unterbewußtsein aus, tanzt auf dem Vulkan, lacht, stirbt, narrt die Logik und dramatisiert Gefühle, spielt Komodie, um so ganz nebenbei ein Stück Leben zu verarbeiten, reales Leben. Die Erinnerung an Träume ist daher immer eine Mischung aus diffusen Gedankenfetzten, die unsere Logik meint, ablehnen oder passend machen zu müssen.
Aber gerade dann beginnt man an der falschen Seite der Traumdeutung. Ein Traum ist unlogisch logisch.
Genau das ist in deiner Geschichte mitzuerleben.
Es bieten sich sehr sehr viele Aspekte in diesem Traum an, die einen kleinen Ausschnitt von Davids Charakter geben.
Ganz gewiß ist aber in dem Traum eines der Hauptthemen, seine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit, die im Traume zum Teil in die mütterliche, ganz grundsätzlich die durch die Weiblichkeit ausstrahlende Geborgenheit dargestellt wird.
Der Konkurrenzkampf der beiden Brüder um diese Geborgenheit, so als gäbe es nur einen einzigen Platz an dem man diese Geborgenheit findet, dieses entweder David oder Hermann.
Natürlich und das zeichnet gerade diese Traumschilderung auch aus, sind darin noch viele weitere Aspekte enthalten.
Ich habe jetzt nicht die Zeit, dies hier auszuführen.
Zum Schluß gibst du dem vordergründig interessiertem Leser noch eine kleine Lösung mit auf den Weg, in dieser Frühstücksszene. Auch das finde ich gut, weil man auf diese Weise erst mal einen Abschluß findet und die Geschichte quasi eine Art freundliches HappyEnd erhält.
Im Nachgeschmack nimmt man aber noch eine Menge eingepflanzter weiterer Gedanken mit, die weiter bedacht und durchdacht sein wollen.

Insoweit, aber von dir hab ich auch gar nichts anderes erwartet, eine Geschichte mit Tiefgang.
Gut gemacht!

elvira

 

Liebe Elvira,
ich danke Dir für deine ausführlichen Gedanken. Nach deinen Vorrednern hast du meine Geschichte von einer etwas anderen Warte aus bewertet. Deshalb war es besonders interessant für mich.
Besonders bemerkenswert fand ich jetzt gerade durch dein Posting, wie wenig (eigentlich gar nicht) baddax und Basti auf die Metaphern des Traumes eingingen - oder diese auch nur bemerkenswert fanden. Dabei stellen sie eigentlich schon fast eine Geschichte für sich dar. Das zeigt mir jetzt vor allem, wie grundlegend unterschiedlich Geschichten doch gelesen werden können! Worauf die einen gar nicht achten (oder aus Unkenntnis nicht können), fällt anderen (wie etwa dir) um so mehr auf und verändert damit vieles am Erscheinungsbild einer Erzählung. Märchen etwa sind sicher ein Paradebeispiel für diese bereits im Vorfeld unterschiedliche Einstellung der Leser.
Ja, die Geschichte ist sicher recht lang. Das liegt wohl unter anderem daran, dass sie sich eigentlich aus drei fast selbstständigen Teilen zusammensetzt, welche erst ganz zum Schluss miteinander verbunden werden und dort ihren Sinn finden. Zudem habe ich den Traum bereits vor vielleicht einem halben oder dreiviertel Jahr geschrieben (in verkürzter Form), den Rest dagegen erst vor wenigen Wochen. Der Traum allein erschien mir nicht ausreichend um bereits für sich selbst stehen zu können. Ich wollte noch etwas größeres daraus machen, indem ich Traum und Realität irgendwie miteinander verknüpfte. Erst dann bin ich, nach mehreren verworfenen Anläufen, auf die Idee mit den synchronen "Räumen" gekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Traum bei mir in der Schublade.
Objektivität gegenüber der Darstellung aller Vorgänge in meinen Geschichten ist mir sehr wichtig, da jeder Mensch anders beurteilt (und auch beurteilen soll).
Träume sind für mich eine Art Kommunikation mit dem Unbewussten. Man spricht in diesem Zusammenhang viel von "verschlüsselten Botschaften" und es gibt unzählige Rezeptbücher auf dem Markt, welche Vorschläge für Dekodierungen unterschiedlichster Couleur machen. Dabei wird aber häufig vergessen, wie grundlegend individuell Träume mitunter sind. Und ihre Sprache verstehen wir nur deshalb nicht, weil wir diese im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende verlernt haben. Es wird eben heutzutage, neben so vielen Dingen, nicht als allzu sinnvoll betrachtet, in einer bewussteren Koexistenz mit seinem Unterbewusstsein zu leben. Zumindestens nicht, solange wir nicht psychisch erkranken. Und selbst dann wird meist erstmal auf diverse Psychopharmaka zurückgegriffen. Gerade so, als wenn sich die Seele in einen Käfig einsperren liese.
Besonders interessant fand ich auch noch deine Darstellungen vom Wesen der Träume. Besonders dein "Träume sind unlogisch logisch"! :) Naja, was denn nun? ;)
Ich glaube eher, der Begriff "Logik" greift bei Träumen einfach nicht und sollte dort nicht angewendet werden. Sie sind mehr etwas Instinktives. Sie sind so, wie der Rat eines weisen alten Mannes (respektive einer Frau). Er/Sie denkt bei seiner Ratgebung nicht und braucht auch kein Verständnis von Logik (also dem Denken über das Denken). Er weiß seinen Rat einfach! Erst wir bürden den Bildern unsere Logik auf. So, wie aber auch die Kunst nicht auf logisch behauenem und ausgrenzendem Grund baut, so sind eben auch die Träume nur intuitiv erfassbar.
Dafür hast du aber die tiefe Sehnsucht und Suche nach Geborgenheit der beiden Protagonisten souverän und überzeugend erkannt! *Lob* :)
Gruß
thomas

 

Ist der Titel eigentlich ein Fehler? Müsste es nicht "Davids kosmogonische Räume" heißen (was auch immer kosmogonische Räume sind)?

 

Ja, Ben. Das hab ich mich selbst auch schon gefragt. Aber ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Wenn ich eine hier anwendbare grammatikalische Regel wüsste, könnte ich wenigstens nachschlagen.
Weiß vielleicht jemand was hierzu?

 

Liebe Traumratte,

bitte verzeih mir, aber du hast mit deinem leichten Tadel meines Satzes von den unlogisch logischen Träumen meinen Wunsch aktiviert, dir widersprechen zu müssen.
Bitte versuche, meine Aussage nicht im Einzelnen, sondern im Kontext des Vorhergesagten zu sehen, ich erlaube mir daher, es nochmals zu zitieren:

Im Traum tobt sich das Unterbewußtsein aus, tanzt auf dem Vulkan, lacht, stirbt, narrt die Logik und dramatisiert Gefühle, spielt Komodie, um so ganz nebenbei ein Stück Leben zu verarbeiten, reales Leben. Die Erinnerung an Träume ist daher immer eine Mischung aus diffusen Gedankenfetzten, die unsere Logik meint, ablehnen oder passend machen zu müssen.
Aber gerade dann beginnt man an der falschen Seite der Traumdeutung. Ein Traum ist unlogisch logisch.
Alles, was ich jetzt dazu noch weiter sagen könnte, wäre eine Wiederholung des Sinns meiner vorherigen Worte.
Ich warte jetzt einfach mal auf deine Antwort. ;)

Grüße elvira

 

@lakita

Liebe Traumratte,
:lol: Ich frage mich, was einschlägige Zoologen wohl von mir halten würden ? Die würd' ich sicher komplett verwirren! :D
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Apropos Traum: Da bringst du mich gerade spontan auf die Idee, ob ich vielleicht bei Gelegenheit nicht mal eine Neuauflage von Hesses "Steppenwolf" schreiben sollte. Mit dem unschlagbaren Titel: "Die Steppenratte - Ein Traktat nur für Verträumte". :shy:
Wird sicher ein Kassenschlager! Und Dich erwähn' ich dann in der Widmung! Na? :)
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Ach ja, Deine unlogische Logik... Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Dich jetzt vielleicht verstanden habe(?): Du meinst, dass Träume einerseits das Gegenteil von "logisch" sind (weil sie uns zu narren scheinen), räumst ihnen aber dennoch einen gewissen Sinngehalt ein (weswegen sie andererseits eben doch wieder "logisch", bezogen auf unser Leben, sind). Hab' ich Dich jetzt richtig verstanden?
Allerdings kann ich Deine "diffusen Gedankenfetzen" noch nicht nachvollziehen. Du meinst vielleicht eher "Erinnerungsfetzen", oder?
Aber nein, halt, vielleicht meinst Du ja, dass man nach dem Aufwachen versucht, die Bilder entsprechend ihrem vermeintlichen Sinngehalt gedanklich zurechtzulegen, dabei aber nicht zu Rande kommt, weil sich die, sagen wir mal normale Logik hier nicht anwenden lässt.
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@Ben
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Hast recht. Hab' den Titel jetzt ausgebessert. Es verwirrt mich allerdings, dass man hier: "Seine roten Autos", das "n" wieder anfügen müsste. Mysteriös, mysteriös... :)

 

Lieber Traum von einer philosophischen Ratte oder sollte ich lieber sagen:
Lieber philosophischer Rattentraum?

du hast richtig erfaßt, wie ich es gemeint habe.
Die Träume haben die Aufgabe unser Tagesgeschehen in gewissen Ausschnitten nochmals zu bearbeiten.

Müll auszusortieren, Daten, die wichtig sind, zu speichern, zu verfestigen, zu vernetzen und unverarbeitete Erlebnisse vielleicht nochmals zu erfassen und zu bearbeiten. Das ist die sog. logische Seite der Träume. Sie haben also eine für Menschen irgendwie lebenserhaltende Aufgabe.

Die unlogische Seite ist darin zu sehen, dass unsere Träume keinen Gesetzen folgen bei ihrer Bearbeitung des Erlebten. Alles ist erlaubt. Das Chaos lebt. Es gibt nichts, was in unseren Träumen nicht möglich wäre.
Es ergibt häufig alles keinen Sinn, was wir von unseren Träumen noch erinnern. Aber nur deswegen, weil wir versuchen, unsere Träume in ein logisches Muster einzupassen. Das führt dazu, dass wir häufig keinen Zugang zur Bedeutung unserer Träume finden, wobei ich mit Traumdeutung prinzipiell diese Deutungen ablehne, die bestimmten Gegenständen und Zuständen eine bestimmte Deutung zusprechen. Solcherart Traumdeutung kann nur versagen, weil es eben keine Logik gibt in den Träumen.

Gruß elvira

 

Zu Inhalt, Symbolik und Atmosphäre ist fast alles gesagt, schließe mich da an. Sehr gut rübergebracht. Auch würde ich an der Länge nichts ändern, es sei denn, Du schreibst nur fürs Netz, wo alles über 2 Seiten die Augen schmerzt.

Viele kleine Fehler, Interpunktion und vor allem´substantivierte Verben und Adjektive (immer groß!). Sache wie "gleitete" sind Dir z.T. auch entglitten. Am schlimmsten aber sind Deine Relativsätze. Fast jeder mit "welche" eingeleitet. Das ist sowieso schon ein Unwort, man kann es ab und zu mal benutzen (ich nehm das nur um Sätze wie "Die, die die Dinge dachten" o.ä. zu verhindern), aber du hast 3 Dutzend davon auf der Pfanne.

Geh noch mal drüber! Ansonsten klasse Geschichte.

Ach ja, ist das ein Logikfehler oder warum wird aus dem Krebs ein Skorpion? Auch dass Hermann den aufzeichnet, halte ich für unrealistisch. Wenn ich Dir sage, jemand hat ein Tattoo von einem Krebs oder Skorpion, muss ich Dir das doch nicht aufmalen...
:confused:
Umgekehrt macht das schon eher Sinn, d.h. David zeichnet das Tattoo: "Sah es etwa so aus?" Kommt m.E. viel besser.

 

Vielen Dank, Alpha, für deine Kritik! Werde den Text nochmal durchgehen.
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Die Sache mit den grammatikalischen Unzulänglichkeiten: Den Verdacht, dass da manche Sachen im Satzgefüge nicht ganz in Ordnung sind habe ich auch schon beim Schreiben des öfteren. Auffällig, dass mich aber so gut wie nie jemand darauf hinweist, auch bei meinen anderen Geschichten nicht. So wird mir natürlich noch nicht einmal bewusst, dass ich überhaupt etwas fehlerhaft schreibe. Man muss ja deshalb im Folgenden nicht gleich auf jede einzelne Kleinigkeit eingehen. Bereits der Hinweis darauf ist mir eine Hilfe. Deshalb schätze ich deine Kritik.
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Das mit dem "welche" ist eine Angewohnheit von mir. Vielleicht sollte ich mir das mal abgewöhnen. Warum ist es aber ein "Unwort" für dich?
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Krebs und Skorpion haben verschiedenene Symbolinhalte. Während der Krebs für das Bewahrende, Mütterliche steht, bedeutet der Skorpion Tod und Methamorphose. In Davids Traum trägt seine "Traumfrau" den Krebs auf der Haut, da er sich auf eine Reise in ihren Mutterleib begibt. Bei Hermann dagegen verhält es sich anders. Für ihn ist seine Frau (mit der er aber einen nur ebenso kurzen Kontakt hat wie David mit seiner Frau) ein Objekt der Begierde. Das Ziel der beiden ist das selbe. Die jeweiligen Ausgangspunkte jedoch sind zueinander entgegengesetzt. Hermann tritt von Außen nach Innen (David von Innen nach Außen). Wenigstens in der europäischen Astrologie wird der Skorpion eng mit der Sexualität verknüpft (unter anderem: Stachel und Schwanz als Phallussymbole).
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Also, diese Verbindung hab ich erst als allerletztes eingebaut. Ich wollte der Geschichte damit noch einen (passend zur Metaphorik des Traumes) übergeordneten "Realitätssinn" geben.
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Zur Sache mit dem Aufzeichnen: Hermann zeichnet David nicht das Bild eines Skorpions, sondern ein Symbol des Skorpions. Hermann kennt im Gegensatz zum belesenen David dieses Symbol nicht. Er hätte ihm also infolgedessen auch gar nicht sagen können, dass die Frau einen Skorpion eintätowiert hat. Deshalb schrieb ich ja auch immer: "Symbol" und "Tierkreiszeichen". Auch mit dem Hinweis am Schluss: "Er zeichnete ein paar Striche auf das Papier..." wollte ich andeuten, dass es sich hierbei lediglich um ein abstraktes Symbol handelt, welches sich so schnell wie ein paar Buchstaben schreiben lässt.
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Mag sein, dass ich hier Missverständnisse provoziere. Aber dass David ein Symbol aufzeichnet und dabei gleich richtig liegt... nee, das ist mir zu unglaubwürdig.
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"welcher" ist für mich (in der Prosa) ein Unwort wie "selbiger" oder so. Sagt mein Sprachgefühl (und mein Lektor auch, hehehe).
Naja, ich war mir nicht sicher, ob das Absicht war mit Krebs und Skorpion, denke mal, das geht an vielen Lesern vorbei (d.h. es fällt denen nicht auf, dass es kein Krebs mehr ist, sind ja etwa 3 Seiten dazwischen). Die Symbolik ist anspruchsvoll aber durchaus nachvollziehbar. Du solltest aber zum Schluss noch einmal erwähnen, dass er ein Symbol malt, denn fast jeder Leser denkt, er zeichnet einen Skorpion und und fragt sich, warum.

 

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