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Das zweite Synapsengeklapper auf der Metaebene

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29.03.2013
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Das zweite Synapsengeklapper auf der Metaebene

Auf der Metaebene herrschte Langeweile. Mal wieder.
Die Philosophen bohrten in ihren Nasen, Soziologen beschrifteten Unmengen von Papier mit unsichtbarer Tinte, die Hermeneutiker erbrachen Reflexionen, Theseus zählte Planken – kurz gesagt: Monotonie war eingekehrt. Irgendwo in der Ferne erklang das gleichmäßige Kreischen einer Kreissäge.
„Draußen ist Samstag“, sagte einer der Philosophen und versuchte vergeblich, ein winziges Rotzklümpchen wegzuschnipsen.
„Und?“ ,fragte jemand.
„Da hat Ruhe zu herrschen.“
„Aha.“

Die Stunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Spiegel beschlugen und klärten sich wieder. Man reckte sich, dass die Gelenke knackten, um gleich darauf erneut zusammenzusinken, als gäb‘s ein Morgen. Vom Kinn des Ältesten tropfte schwarzer Rasierschaum. Er betrachtete den Rasierpinsel in seiner Hand, als habe er eine Entdeckung gemacht, die ihn gleichwohl mit einer ans Übernatürliche grenzenden Gleichgültigkeit erfüllte.
„Scheiße!“, brüllte ein Soziologe, „so geht’s nicht weiter. Will jemand einen Kaffee?“
„Ich nicht“, flüsterte der Redenschreiber des Ältesten.
„Was flüsterst du denn, du Arsch?“ Zwischen den Brauen des Soziologen erschienen steile Falten. „Ich glaube, du willst was auf die Glocke?“
„Nein, nein – aber der Alte ist gerade eingeschlafen. Mitten in der Rasur. Ich mach mir eben Sorgen.“
„Und darum willst du keinen Kaffee. Weil du dir Sorgen machst. Ich glaube, ihr seid alle nicht mehr klar im Kopf vor lauter Langeweile!“ Seine Stimme überschlug sich. Er machte ein paar obszöne Handbewegungen und fiel in Ohnmacht.
Der Redenschreiber atmete auf. „Heiliger Magritte – was für ein Idiot.“

Die Abende auf der Metaebene 18a begannen für gewöhnlich mit einem Hochklappen der Denkstrukturen und dem Zuklappen der Meat-Books, wie die organischen Laptops von einigen Spaßvögeln genannt wurden. Das konnte schon an ganz gewöhnlichen Tagen mehrere Stunden dauern, doch heute schien es, als habe niemand so recht Lust, damit anzufangen – als dämmerte ihnen allen, dass ihr Daseinszweck von einer mysteriösen Macht demnächst in Frage gestellt werden würde.
Ihre Gedanken verwirrten und verknoteten sich, Theorien wölbten sich wie Ballons aus quellendem Furnierholz. Die Konfusion wurde noch gesteigert durch das plötzliche Erscheinen einiger aus der Zeit gefallenen Suffragetten, die merkwürdigerweise weiß gekleidet waren und sich nach wenigen Minuten in violettem Rauch auflösten.
Für einen Moment wurden an den papierdünnen Wänden des Saals kaum zu entziffernde Graffitis sichtbar. ‚Der Wunsch zu glauben, wurzelt immer in Angst. Angst ist ein schlechter Ratgeber‘ stand da. Und: ‚Da draußen ist was! Ich glaube, es hat Bob!‘ Kaum war das Gekritzel verschwunden, begannen die Geräusche. Wind, Regen, Spiegeleier, Rülpser, Fürze, knarrende Dielen, umgeblätterte Seiten und platzende Illusionen bildeten eine grauenhafte Kakophonie.
Zähne und Synapsen der Metaphoriker klapperten um die Wette. Dann brach der Lärm unvermittelt ab.
„Wer zur Hölle ist Bob?“, fragte der Älteste in die Stille hinein.

 
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Hallo harrytherobot,


es wäre ja schlimm, wenn man sich in der Kunst selber einschränken und in Formen pressen lassen würde, daher ist mein Vorschlag sicher auch eher weniger relevant. Es ist halt mein Senf auf die Schnelle.

Textsorte ist einfach ein allgemein anerkannter Fachbegriff in der Literaturwissenschaft für verschiedene, ja, halt Textsorten und eben nicht großartig dehnbar. Eine Glosse ist eine Glosse (mit allen stilistischen und formalen Aspekten), ein Roman ein Roman, ein Gedicht ein Gedicht usw. Da gibt es nicht viel Spielraum, auch wenn Mischformen denkbar sind, aber eher selten und in der Regel auch verwirrend.

Dein Text "funktioniert" für mich halt nicht so recht als Kurzgeschichte, da man hier bestimmte Erwartungen an die formale Ausgestaltung hat, das ist eigentlich mein Punkt. Deshalb ist er nicht schlecht, aber die "Verpackung" ist aus meiner Sicht nicht die richtige.

Sonnige Grüße!

T.

 

Hallo @Achillus,

...schön geschrieben geht immer gut runter! Deine Analyse trifft's auf den Punkt.

...hat es eine Geschichte schwer, die keine Bezugsfiguren bietet. Wenn Du Dich im Forum umschaust, wirst Du sehen, wie selten solche Texte sind. Noch seltener werden sie gemocht.
Ob dieser Text gemocht werden würde, war für mich eher nachrangig. Ich hab ihn für mich geschrieben. Ziemlich egoistisch, ich weiß. Hat mir aber einfach Spaß gemacht.
Aber wie viele Leute werden sich für die Satire auf den Begriff der Metaebene begeistern?
Natürlich wenige. Aber ein paar waren's doch...
Zumindest regt es zum Nachdenken an: Soll hier bezweifelt werden, dass es so etwas wie eine Metaebene überhaupt gibt oder gilt die Kritik den Leuten, die meinen, eine übergeordnete Sichtweise gefunden zu haben?
Letzteres. Ich hab's oben schon mal irgendwo erwähnt. Beim Hören einer Literatursendung am Radio sind mir ein paar Kritiker übel aufgestossen, die ganz besoffen von sich und ihrem Verständnis der Metaebene waren.
Es ist ja immer ein Ratschlag für Schreibende im Konkreten zu bleiben und anschaulich zu formulieren. Die Wahl Deines Themas zwingt Dich, gegen diese Empfehlungen zu handeln. Das macht es sehr schwer, beim Leser zu landen.
Ich hatte es mir fast gedacht. War ja auch einer der ganz wenigen Ausflüge ins 'Unkonkrete'.
Die Sprache hat mir gut gefallen. Ich finde den Text sehr schön geschrieben.
Das hat mich wirklich gefreut, Achillus. Wunderbar. Das Beste zum Schluss.
Vielen Dank fürs Lesen und deine Zeit.

Herzliche Grüße und ein schattiges Eckchen wünscht
Harry


Hallo @Torqueflite,

Du hast natürlich recht, aber der Ausdruck 'Sorte' ließ mich, keine Ahnung warum an Obstsorten, Äpfel, Birnen, Pflaumen etc, denken. Ich schieb's mal auf die Hitze...
Dank dir für die Klärung und

Schöne Grüße
Harry

 

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