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Das zweite Synapsengeklapper auf der Metaebene
Auf der Metaebene herrschte Langeweile. Mal wieder.
Die Philosophen bohrten in ihren Nasen, Soziologen beschrifteten Unmengen von Papier mit unsichtbarer Tinte, die Hermeneutiker erbrachen Reflexionen, Theseus zählte Planken – kurz gesagt: Monotonie war eingekehrt. Irgendwo in der Ferne erklang das gleichmäßige Kreischen einer Kreissäge.
„Draußen ist Samstag“, sagte einer der Philosophen und versuchte vergeblich, ein winziges Rotzklümpchen wegzuschnipsen.
„Und?“ ,fragte jemand.
„Da hat Ruhe zu herrschen.“
„Aha.“
Die Stunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Spiegel beschlugen und klärten sich wieder. Man reckte sich, dass die Gelenke knackten, um gleich darauf erneut zusammenzusinken, als gäb‘s ein Morgen. Vom Kinn des Ältesten tropfte schwarzer Rasierschaum. Er betrachtete den Rasierpinsel in seiner Hand, als habe er eine Entdeckung gemacht, die ihn gleichwohl mit einer ans Übernatürliche grenzenden Gleichgültigkeit erfüllte.
„Scheiße!“, brüllte ein Soziologe, „so geht’s nicht weiter. Will jemand einen Kaffee?“
„Ich nicht“, flüsterte der Redenschreiber des Ältesten.
„Was flüsterst du denn, du Arsch?“ Zwischen den Brauen des Soziologen erschienen steile Falten. „Ich glaube, du willst was auf die Glocke?“
„Nein, nein – aber der Alte ist gerade eingeschlafen. Mitten in der Rasur. Ich mach mir eben Sorgen.“
„Und darum willst du keinen Kaffee. Weil du dir Sorgen machst. Ich glaube, ihr seid alle nicht mehr klar im Kopf vor lauter Langeweile!“ Seine Stimme überschlug sich. Er machte ein paar obszöne Handbewegungen und fiel in Ohnmacht.
Der Redenschreiber atmete auf. „Heiliger Magritte – was für ein Idiot.“
Die Abende auf der Metaebene 18a begannen für gewöhnlich mit einem Hochklappen der Denkstrukturen und dem Zuklappen der Meat-Books, wie die organischen Laptops von einigen Spaßvögeln genannt wurden. Das konnte schon an ganz gewöhnlichen Tagen mehrere Stunden dauern, doch heute schien es, als habe niemand so recht Lust, damit anzufangen – als dämmerte ihnen allen, dass ihr Daseinszweck von einer mysteriösen Macht demnächst in Frage gestellt werden würde.
Ihre Gedanken verwirrten und verknoteten sich, Theorien wölbten sich wie Ballons aus quellendem Furnierholz. Die Konfusion wurde noch gesteigert durch das plötzliche Erscheinen einiger aus der Zeit gefallenen Suffragetten, die merkwürdigerweise weiß gekleidet waren und sich nach wenigen Minuten in violettem Rauch auflösten.
Für einen Moment wurden an den papierdünnen Wänden des Saals kaum zu entziffernde Graffitis sichtbar. ‚Der Wunsch zu glauben, wurzelt immer in Angst. Angst ist ein schlechter Ratgeber‘ stand da. Und: ‚Da draußen ist was! Ich glaube, es hat Bob!‘ Kaum war das Gekritzel verschwunden, begannen die Geräusche. Wind, Regen, Spiegeleier, Rülpser, Fürze, knarrende Dielen, umgeblätterte Seiten und platzende Illusionen bildeten eine grauenhafte Kakophonie.
Zähne und Synapsen der Metaphoriker klapperten um die Wette. Dann brach der Lärm unvermittelt ab.
„Wer zur Hölle ist Bob?“, fragte der Älteste in die Stille hinein.