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Das Orakel
Auf einem hohen Berg hauste einst ein Orakel. Hell erleuchtete es den Berg mit seiner Reinheit und seinem Wissen, so dass es schien, als ob aus seinem Inneren ein helles Leuchten dringen würde, wenn die Sonne auf ihn schien. Nichteinmal die Höhle, in der man das Orakel antraf, war von Dunkelheit erfüllt. Viele Jahre lang suchten viele Menschen mit vielen verschiedenen Anliegen immer wieder das Orakel auf.
Keine Frage war ohne Antwort, kein Rätsel ohne Lösung und kein Problem unheilbar...
An einem sonnigen Tag, an dem die Vögel zwitscherten, die Bäche rauschten und die Bienen summten, ging ich zum Berg des Orakels. Meine Stimmung war der der Natur entgegengesetzt. Alles um mich herum blühte, war glücklich, lebte. Nun, alles was ich meiner Umgebung gleich tat war ein Aspekt: Ich lebte. Doch alles andere unterschied mich von meiner Umgebung wie die Nacht vom Tage, das Böse vom Guten und das Sterben von der Geburt.
Alles störte mich an diesem warmen sonnigen Tag vor diesem leuchtenden Berg. Die Sonne brannte auf meinem Rücken, das Zwitschern der Vögel schallte in meinen Ohren, das Rauschen der Bäche war so monoton, dass ich es schon lange kaum noch aushielt und die Bienen waren mir lästig, wenn ich sie ständig wegschlagen musste.
Selbst der Aufstieg bis zur Höhle war mir äußerst unangenehm. Doch ich begann ihn, vom Licht der Sonne geblendet. Der Weg war schmal und steinig, was ihn für mich ebenso unerträglich machte, wie das noch immer anhaltende Gezwitscher der Vögel.
Wie um alles in der Welt war ich nur auf die Idee gekommen, dieses Orakel aufzusuchen? Ich wusste es nicht.
Irgendwo hoch oben sollte vom sogenannten „Wanderweg“ ein kleiner Trampelpfad abzweigen, der zur Höhle des Weisen führen sollte. Ich sah ihn nicht und ich vermutete mich bereits sehr weit oben. Nach unten zu sehen verbot mir meine lästige Höhenangst, nach oben, so glaubte ich, hatte es keinen Sinn. Entweder würde mich die Sonne so blenden, dass ich nichts erkennen könnte, oder aber der Gipfel würde mir noch so entfernt erscheinen, dass ich umkehren würde.
So lief ich weiter, während der Weg immer schmaler und steiniger wurde, den Blick fest auf den Boden vor meinen Füßen gerichtet.
Irgendwann sah ich zwischen zwei Steinen einen winzigen Trampelpfad, doch ich war mir nicht sicher, ob ich ihm folgen sollte. Immerhin hatte mir nur eine Bekannte von diesem Pfad erzählt, die noch nie sonderlich verlässlich gewesen war. Auch das war etwas, was mich außerordentlich störte. Aber nun ja, ich war hier oben und der Trampelpfad würde wohl genauso schrecklich zu laufen sein, wie der Weg, den ich bis jetzt genommen hatte. Es würde also keinen großen Unterschied machen, wenn ich nun abbiegen würde.
Ich bog ab. Wie erwartet war der Weg schauderhaft. Noch immer brannte die Sonne und mit jedem Meter, den ich höher stieg, drangen ihre Strahlen schneller und intensiver zu mir herunter. Wenigstens die Laute der Vögel waren ein wenig leiser geworden, denn in diesen Höhen waren die Vogelarten des am Fuße des Berges liegenden Waldes kaum noch anzutreffen. Ich spürte, dass ich dem Weisen näher kam. Seine Energie drang an mich heran und ich wusste, dass ich nicht mehr weit zu gehen hatte.
Und plötzlich stand ich vor einem Höhleneingang, aus dem ein helles Leuchten und eine ungeheuer warme Energie drang. Doch selbst das war mir lästig. Das Licht blendete meine Augen und die Wärme der Energie gesellte sich zu den Strahlen der Sonne und ließen mich das Gefühl erleben, zu verglühen.
Langsam trat ich näher, um schließlich in die Höhle hineinzugehen. Mit einem schlechten Gefühl, denn wer wusste schon, was mich erwarten würde?
Ich fand das Orakel auf einer großen Steinplatte sitzend und mit einem ungestörten Lächeln auf den Lippen, welches mich schon nach wenigen Sekunden innerlich aufregte. Wie nur konnte man in solchen Zeiten ununterbrochen lächeln?
Genau vor ihm blieb ich stehen, so dass er seinen Blick auf mich richtete und mich einige Minuten nur mit diesem unerträglichen Lächeln ansah. Ich wollte ihm sagen, dass ich keine Ewigkeit Zeit hätte und er nun endlich reden sollte, doch ich schwieg aus Respekt vor dem, der auf jede Frage eine Antwort kannte.
Und so sprach er nach Minuten, die mir wie Stunden erschienen: „Was führt dich hier her?“
Endlich also konnte ich ihm meine Probleme mitteilen, für die sich niemand anderes interessierte und die Fragen stellen, auf die mir noch niemand eine Antwort hatte geben können.
Ich begann also: „Im Prinzip interessieren mich nur Antworten auf die Fragen, die mir noch kein Mensch beantworten konnte. Von dir heißt es, du wüsstest Antwort auf alles. Nun sage mir, was habe ich als einfacher Mensch in meinem Leben falsch gemacht, dass es mir alles so trist und ohne Sinn erscheint? Und warum muss alles, was mir lieb ist, gehen? Warum bleibt mir nichts?“
Etwas irritiert durch so viele Fragen in einem Atemzug, blickte er mich wieder einfach nur an. Dann, langsam, begann er seine Rede: „Nun, du solltest wissen, dass nichts auf dieser Welt für immer bleiben kann. Kein Mensch kann ewiges Leben besitzen, keine Pflanze kann ewig blühen, keine Sache ewig bleiben. Auch keine Freundschaft und keine Beziehung zwischen Menschen ist für die Ewigkeit. Es ist ein Gesetz der Natur, dass alles was auf dieser Welt entsteht, auch wieder vergehen muss.“
Er hatte Recht und doch stellte mich seine Antwort keinesfalls zufrieden: „Doch wenn es bestimmt ist, dass ich alles was mir lieb ist, wieder verlieren muss, warum also sollte ich dann noch etwas lieb gewinnen?“
„Weil der Mensch an sich das Gefühl braucht, jemanden oder etwas gern zu haben und ebenso von dieser Person gemocht zu werden.“
„Das, liebes Orakel, reicht mir nicht. Ich lebe seit Jahren ohne dieses Gefühl und es hat sich nichts geändert. Das Leben war nicht besser, als dieses Gefühl noch da war. Warum also soll ich Dinge und Personen mögen, soll ich Freundschaften schließen und Beziehungen führen, wenn ich das alles doch wieder verlieren muss?“
Da sah er mich an und sein Lächeln verschwand. Seine Stirn runzelte sich zu vielen kleinen Fältchen zusammen und in seinen Augen konnte ich die Sorge erkennen. Ich erschrak. Denn ich wusste, was dies zu bedeuten hatte...
Auf einem hohen Berg hauste einst ein Orakel. Hell erleuchtete es den Berg mit seiner Reinheit und seinem Wissen, so dass es schien, als ob aus seinem Inneren ein helles Leuchten dringen würde, wenn die Sonne auf ihn schien. Nichteinmal die Höhle, in der man das Orakel antraf, war von Dunkelheit erfüllt. Viele Jahre lang suchten viele Menschen mit vielen verschiedenen Anliegen immer wieder das Orakel auf.
Meine Frage war ohne Antwort, mein Rätsel ohne Lösung und mein Problem unheilbar...