Lieber FLoH!
So, jetzt muß ich Dir da doch einmal ausführlich antworten.
einen weiteren Aspekt des negativen Trampolins, in dem es dem positiven ähnelt. Auf einem positiven Trampolin muss man sich auch erstmal hoch arbeiten. Der erste Sprung ist noch gar nicht so hoch, aber man kann seine Fallkraft in einen Schwung für einen höheren nächsten Sprung übersetzen.
Gerade in dem Punkt sind die beiden Trampoline völlig unterschiedlich. Nur beim positiven muß man selbst etwas tun (aktiv) – tut man nichts, kann man sich ebensogut darauf ausruhen, nur leicht schaukeln etc., man bleibt trotzdem im positiven Bereich.
Das negative Trampolin nennt sich Depression, es kommt und stößt einen in den negativen Bereich, unter Null – es heißt nicht umsonst »abwärts gehts von selbst«.
Ich glaube, bei mir ist das jedenfalls so: Am Anfang gibt es nur einen kleinen Trip "nach unten". Dein Verstand zieht dich dann wieder auf den Boden der Tatsachen zurück bzw. empor ("So schlimm ist das doch eigentlich gar nicht"), aber du wirst gleich wieder von der Spanndecke des negativen Trampolins umsotiefer nach unten geschleudert, und so geht es immer weiter, bis du in eben diesem Loch landest ("Hat doch eh alles keinen Sinn"), wie du in deiner Geschichte schreibst, und dann hat dein Verstand, gleichwohl eine Nussschale auf dem Ozean der Seele, nichts mehr zu melden.
In der Depression hilft Dir der Verstand nicht mehr – der kann nur mehr zuschauen. Was Du meinst, ist glaub ich eher das normale Auf und Ab, wie es auch im Bio-Rhythmus dargestellt ist. Nimm (geistig) eine Bio-Rhythmus-Kurve und lege sie so auf die Nulllinie, daß der unterste Bereich der Kurve an die Nulllinie stößt, aber sie nicht unterschreitet. Die Bio-Rhythmus-Kurve ist die eines »normalen«, nicht-depressiven Menschen, die Kurve eines Depressiven geht unter die Nulllinie (die also die Grenze zwischen positivem und negativem Trampolin ist), und sie kann auch nach oben höher ausschlagen – höheres Springen am positiven Trampolin. (Die Abstände von Depressionen sind natürlich nicht so regelmäßig wie die Kurve eines Biorhythmus.)
Solange Dich also der Verstand, wie Du schreibst, noch auf den Boden der Tatsachen zurückzieht, würde ich nur vom unteren Bereich des Positiven sprechen. Wenn der Verstand nichts mehr zu melden hat, hängt er an einem Haken auf der Nulllinie und kann nur zuschauen, was Du da unten treibst. Das Gefühl kennt nur mehr die Schmerzen und die Kränkung, die es zu jenem Zeitpunkt erfahren hat, als es sich nicht dagegen wehren konnte – dieses Gefühl wird durch ähnliche –
triggernde – Situationen hervorgeholt und führt zur Depression.
In der Geschichte ist es die Fröhlichkeit, die Ausgelassenheit, die triggert. Eine Parallele zur Anna Irene: Frau K. vermiest Anna Irene jedes schöne Erlebnis, indem sie es von vornherein zu verhindern weiß, oder es ihr hinterher mindestens schuldeinflößend vorhält, oder Anna Irene bezahlt überhaupt mit körperlichen Schmerzen dafür. Irgendwann kann man dann nichts Schönes mehr genießen, weil man ja die Folgen kennt. Was man dann später, als Erwachsener, spürt, sind aber nicht die realen Ängste von früher, sondern es ist nur das Gefühl der Angst (oder auch Kränkung etc.) da. Das, was manche dann als Schwärze bezeichnen, weil sie es noch nicht zu deuten gelernt haben. Weil das Unterbewußtsein gelernt hat, sobald etwas, wie im Zirkuszelt, nur mehr schön ist, man fröhlich ist, dann ist das mit Angst zu verknüpfen, und die schickt es dann auch in ausreichendem Maß – das Streichholz, das alles anzündet. Man kann es nicht mehr genießen und gehört somit nicht mehr dazu – findet sich vor dem Zelt wieder, wo das negative Trampolin kommt und einen in die Depression stößt. Dann leidet man auch die Angst, die man als Kind verdrängen mußte, weil sie einem damals zuviel gewesen wäre. Die Umwelt bekommt davon aber meistens gar nichts mit, und deshalb gehen die Menschen in der Geschichte auch vorbei bzw. hören den Hilfeschrei nicht. Sie sehen ja nicht, welche Ängste (oder sonstiges) einen gerade getroffen haben.
Da liegt auch das »Geheimnis« der Aufarbeitung in Kindheitsgeschichten: Man lernt dabei, die Ängste richtig zuzuordnen.
Back to the roots. Je öfter man sich das bewußt macht, desto weiter kann man den Zeitpunkt des Erkennens, daß es sich um eine falsche Verknüpfung handelt, nach vorne verlegen – das Ziel ist erreicht, wenn man die Erkenntnis vor Erreichen des Nullpunktes hat und somit noch aktiv, also mit dem Verstand, etwas dagegen tun kann. Man befindet sich dann also noch am positiven Trampolin und kann, auch wenn man kurz zum Stillstand gekommen ist, wieder Schwung holen.
Soweit zum Unterschied zwischen dem positiven und dem negativen Trampolin.
Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, wann die Konstellation deiner Hormone (und Depression ist aus biologischer Sicht wirklich nur eine Sache des krankenden Hormonhaushalts, dessen Ursache widerum nicht-organisch sein kann) auf wundersame Weise wieder nach oben ausschlägt. Mit etwas Glück geht es dann wieder bergauf, das positive Trampolin kommt ins Spiel.
Es gibt auch hormonbedingte Depressionen, das ist dann sozusagen der Umkehrfall eines Extremsportlers – bei dem ist nämlich jenes Hormon (den Namen müßte ich erst suchen) zuviel, das bei dem Depressiven zu wenig ist. Aber dieser Fall hat mit den traumabedingten Depressionen nichts zu tun.
Es ist auch nicht so, daß man nur »mit etwas Glück« wieder nach oben kommt, sondern daß man sich einfach wieder fängt, man will ja eigentlich leben. Und irgendwann fängt man wieder an, nach oben zu klettern, dafür hängt das positive Trampolin an der Stelle dann kurz ein bisserl durch, kommt einem sozusagen entgegen – man sagt »naja, es geht schon wieder« und überquert damit die Nulllinie.
Habe ich aber wiederum eine glückliche Phase, sehe ich plötzlich, dass viele Menschen von Herzen glücklich sind und es nicht nur vortäuschen. Der Depressive verschließt vor dieser Möglichkeit genauso die Augen, wie die Glücklichen oft davor, dass Depressive nicht nur aus Spaß todtraurig sind oder doch nur Mitleid heischen wollen, sondern weil dahinter oftmals eine Ursache steckt, die sie - aus Scheu, Feigheit? - nicht sehen wollen.
Einerseits: die sie nicht sehen können. Andererseits: sie könnten sie sehen, wenn sie wollen (sich nicht scheuen) und mutig genug sind. Ist das Fehlen von Mut schon Feigheit?
Es ist doch ein Unfug zu denken, in der Depression kannst du mit deinen Sorgen besser umgehen als im Fröhlichsein. Fröhlich magst du dich vor deinen Sorgen verstecken, ja, aber in der Depression wirfst du dich ihnen geradezu zum Fraß vor - was ist nun besser?
Es ist keine Frage von besser oder schlechter, da man es sich ja nicht aussuchen kann, ob man depressiv ist. Ich habe aber auch nicht gesagt, daß man in der Depression besser mit Sorgen umgehen könnte. Höchstens würde ich sagen, daß die Depression ein guter Moment ist, um an ebenjenen Gefühlen zu arbeiten, indem man sich bewußt macht, woher sie kommen. Aber da man ohnehin keinen Einfluß darauf hat, wann einen eine Depression trifft, ist es eigentlich keine Frage, was besser oder schlechter ist, man kann ja nicht wählen.
Der oder die Depressive, und ich spreche aus eigener Erfahrung (vielleicht bin ich da der einzige, meine ich), sieht nicht: Sorgen = ungelöste Probleme! Durch die Lösung von Problemen gehen auch die Sorgen,
Die Sorgen sind nicht der Grund für die Depression – sie erscheinen in der Depression nur größer, weil man ja die Kraft nicht hat, sie zu lösen, etwas zu erledigen usw.
aber dazu braucht man Motivation und Zuversicht, und dafür wiederum einen - wenn auch nur zeitweise: - intakten Hormonhaushalt. Einige Menschen wissen das eben, und weil sie ihre Probleme lösen im Fröhlichsein, nicht verdrängen und sich daher nicht in Depressionen mit ihnen herumschlagen müssen(!!!), können sie langfristig resistent glücklich sein. Und trotzdem werden sie von den Depressiven verkannt und gleichgesetzt mit den Heuchlern, der durch Fröhlichsein verdrängenden, Mehrheit.
Wie gesagt, haben hormonell bedingte Depressionen nicht viel mit traumabedingten zu tun. Obwohl es natürlich stimmt, daß man mit entsprechender Chemie Körper und Geist betrügen kann. Langfristig gesehen bewirkt dies allerdings bestenfalls Sucht, da ja die Ursachen nie beseitigt werden und man immer wieder die Chemie braucht.
Und es sind nicht Menschen deshalb nicht depressiv, weil sie irgendetwas wissen – wissen hat mit fühlen nichts zu tun –, sondern weil sie keinen Grund für Depressionen haben. Selbst noch so große seelische Verletzungen in der Kindheit müssen nicht unbedingt in die Depression führen. Wenn ein verletztes Kind bei irgendjemandem Verständnis und Trost findet und wenn möglich sogar verteidigt wird, kann ein Trauma, und somit die spätere Depression, vermieden werden.
Ich will auch nicht bestätigen, daß Depressive fröhliche Menschen automatisch mit Heuchlern gleichsetzen. Daß es in der Geschichte der Zirkus ist, liegt nur daran, daß es eben eine auf die Erzählerin zurechtgeschnittene Situation ist – jeder hat andere Erlebnisse, jeden führen andere Situationen in die Depression. Für jemand anderen ist es vielleicht eine Prüfungssituation oder ein Familienessen. Aber von Heuchlern hab ich eigentlich auch gar nichts geschrieben. »Manche malen sich noch ein Lachen auf – zur Sicherheit? Wer weiß …« – das sollte mehr nur ein Gedanke sein, ob nicht vielleicht manche auch Traurigkeit überspielen; daß das nicht als heuchlerisch gemeint ist, sollte eigentlich (wenn es das nicht von vornherein ist) spätestens im nächsten Satz klar werden, da ein Gefängnis immer etwas mit Unfreiwilligkeit, also Zwang, zu tun hat (und sei es der innere).
Soweit meine Gedanken
zu deiner Geschichte,
Dankeschön.
Ein bisschen überarbeitet hab ich die Geschichte auch.
Alles Liebe,
Susi