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Das Leuchten im Dunkel

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13.04.2011
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Das Leuchten im Dunkel

Eva, wer hätte gedacht, dass du so herrlich brennen würdest? Um ehrlich zu sein, war mir beim Austüfteln meines Planes ein wenig bang geworden, weil ich irgendwie damit rechnete, dass dein kaltes Herz gar nicht brennen könnte. Und jetzt hängst du dort oben an dem Holzpfahl, dein schmerzverzerrtes Gesicht windet sich von Seite zu Seite, während das züngelnde Feuer deine Haut röstet. Ich stimme in den Chor ein: „Lasst die Hexe brennen! Lasst die Hexe brennen!“ Doch so ganz kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Du brennst wirklich gut.

Ich erinnere mich genau. Es war der 13. April, als ich früh vom Setzen der Kartoffeln nach Hause ging. Es war sehr kühl an diesem Tag, deswegen musste ich meinen löchrigen Überzug enger umschnallen. Ich führte die Kuh, welche den Pflug den Tag über gezogen hatte, in ihren Stall und freute mich, etwas Warmes zu essen. Nachdem ich die Haustür geöffnet hatte und sah, wie Eva es Peter, dem schmächtigen Maler von nebenan, vor unserem Kamin so richtig besorgte, hätte ich erbrechen können. Als ich die Wohnung betrat und mich die beiden bemerkten, wurde es schnell mucksmäuschenstill. Elendig lange Sekunden verstrichen, in denen nur das Knistern des Feuers zu hören war. Ich muss zugeben, dass ich von dieser Situation etwas überfordert war – und mich konnte sonst eigentlich nichts in die Knie zwingen. Erst wenige Tage zuvor hatte Bertha gekalbt und dort hatte ich mit Bravour unterstrichen, dass ich ein fähiger Bauer war! Jawohl, das muss mir erst mal einer nachmachen, wie ich das junge Kalb aus dem Muttermund gelöst hatte, als dieses bei der schwierigen Geburt zu ersticken drohte. Aber das hier haute mich doch für wenige Augenblicke um.

Peter reagierte als Erster. Er stammelte etwas davon, dass es ihm Leid tun würde und so. Mich interessierte sein Gerede in dem Moment nicht im Geringsten, ich glaube, dass er ziemlich schnell das Haus verließ. Meine Augen verharrten einzig und alleine auf den im offenen Kamin lodernden Flammen. Dieses Knistern, dieses Prasseln …

Aber Eva war schon immer ein widerspenstiges Weib gewesen. Vor Jahren hatten wir mal einen Ausflug gemacht. Eva und ich fuhren mit unserer Kutsche in den Wald, sie wollte, dass wir einen schönen Tag im Grünen verbringen, die Seele baumeln lassen, die erblühende Natur beobachten und so was. Ich verbrachte die Tage lieber in der Kneipe, aber das schien sie nicht zu interessieren. Gegen Abend zog ein Unwetter auf und wir suchten in einer verlassenen Hütte Unterschlupf. Sie war sehr entzückt von der Lage. Die ganze Zeit sprach sie davon, wie wunderbar das Grün der Bäume im fahl einfallenden Licht des Mondes glänzen würde, wie schützend die Äste über dem kleinen Häuschen hängen würden, wie zauberhaft sich dieses Kleinod verhalten würde. Eva sagte, dass sie jede Sekunde erwarte, dass kleine Feen und Kobolde aus dem Dickicht springen würden, um mit uns einen herrlichen Tanz bei Nacht zu vollführen. Ihrer Schwärmerei konnte ich nichts abgewinnen. Ich sah bloß eine alte, brüchige Laube vor mir stehen, die uns diese Nacht als Schlafplatz dienen könnte. Nachdem wir die Hütte betreten hatten, ging das Ganze von vorne los. An der Wand hing ein recht komisch aussehendes Bild, welches irgendwelche Fabelgestalten zeigte. Während ich ein Feuer in dem Kamin entzündete, betrachtete Eva unaufhörlich dieses Gemälde. Sie erwähnte, dass sie das Bild unglaublich romantisch fände. Dabei stellte es doch lediglich ein paar merkwürdig aussehende Kreaturen dar, welche es in echt gar nicht geben konnte. Aber bei dem Wort romantisch macht es Klick bei mir. Es hat vermutlich nicht den Anschein, als wäre ich ein überaus romantischer Typ, aber nachts vor einem knisternden und prasselnden Feuer regen sich auch bei mir gewisse Gefühle. Ich versuchte sie also zärtlich dazu zu bewegen, ihrer Pflicht als Ehefrau nachzukommen, aber sie wollte nicht! Das muss sich mal einer vorstellen, sie zickte richtig rum und als ich sie dann etwas drängender zu ihrem Glück zwingen wollte, kratzte und biss sie mich sogar! Naja, ihr Verhalten trieb mich dann noch mehr an und letztendlich hatte ich sie dann so weit, dass wir uns vor dem lodernden Kaminfeuer liebten. Eine wirklich schöne Nacht, richtig romantisch. Ich wollte jedenfalls nichts überstürzen und nachdem Eva sich angezogen hatte, kochte sie mir dann endlich was zu essen. Es gab Kartoffeln mit gedörrtem Fleisch, nichts Spektakuläres, aber zumindest stillte es meinen Hunger. Danach ging ich Schlafen.

Am nächsten Morgen wusste ich, was zu tun war. Der Gedanke kam mir – wie man so schön sagt – im Schlafe. Nach einem kurzen Frühstück ging ich zu Peter. Ich klopfte ohne zu zögern an die hölzerne Eingangstür. Sie wurde nach einigen Augenblicken geöffnet und Peters hagere Gestalt stand mir gegenüber. Was hatte sie bloß dazu getrieben, es mit ihm zu treiben? Er war bei Leibe nicht das, was man attraktiv nennen konnte. Bleich und verlebt sah er aus, zudem ließ sein schlecht rasierter Bart in seinem eingefallenen Gesichte auf eine dürftige Körperpflege schließen. Das schummerige Dunkel, welches seine Wohnung im Hintergrund ausfüllte, unterstrich den Eindruck, dass man es hier mit einem Menschen zu tun hatte, der sich gänzlich den gesellschaftlichen Normen entzogen hatte und auch keinen Wert darauf legte, in dieser Bruchbude andere Lebewesen zu empfangen. Es wunderte mich nicht, dass in seinen weit aufgerissenen Augen offen Angst und Überraschung zum Tragen kamen. So, wie ich ihn einschätzte, hatte er tatsächlich nicht damit gerechnet, dass ich ihn besuchen würde. Völlig der Welt und dem normalen Denken entfremdet. Leise flehend wisperte er: „Ich sagte doch gestern schon, dass es mir Leid tut. Bitte, versteh doch …“ Ich fasste ihn am Kragen und stieß ihn in seine Wohnung. Er stolperte und krachte rücklings gegen ein mit allerlei Malerutensilien gefülltes Regal. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, setze ich mich auf einen verkommenen ledernen Stuhl, welcher in der Mitte des Raumes vor einer aus dunklem Holz gefertigten Staffelei stand. Auf dieser befand sich ein etwa ein Meter großes und zwei Meter breites, noch unfertiges Bild. Ich betrachtete es. An den Rändern war das Gemälde sehr dunkel, die Schwärze vermengte sich mit der düsteren Umgebung der Wohnung zu einer Einheit. Ich verfolgte die zur Bildmitte heller werdenden Farben. Vorher nicht gekannte Empfindungen übermannten mich. Während mein Blick von dem Farbverlauf geführt wurde, begann mein Herz schneller zu schlagen, Panik beherrschte mich. Ich wollte weg von diesem Schwarz, weg von dem Rand des Bildes, weg von der Düsterkeit. Da! Ein leuchtend heller Schein blitzte auf. Mit größter Vorsicht versuchte ich die Stelle zu fixieren, um mehr von diesem kostbaren Licht zu erheischen, doch es verschwand sofort wieder. Mir wurde übel, ich taumelte mehrere Schritte zurück, um das ganze Bild überblicken zu können. Hastig fuhren meine Augen über die Fläche, doch sie war schwarz. Sie war einfach nur schwarz. Schwarz, schwarz, schwarz! Ich sprang direkt an das Bild und fuhr mit meinen Fingern die dunkle Farbe nach. Es war da, ich konnte doch sehen, dass es mit jeder Fingerspitze gen Mitte heller wurde. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn.

„Du kannst es nicht sehen! DU KANNST ES NICHT SEHEN!“, kreischte Peter, er stand nun genau hinter mir. Ich fuhr herum und erschrak! Sein Gesicht verzerrte sich zu einer scheußlichen Grimasse. Die Augen funkelten in einem grellen Gelb, sie pulsierten in ihren Höhlen. Die Pupillen hatten sich zu Schlitzen verformt. Ich japste nach Luft, doch ich inhalierte nur seinen verdorbenen Atem. „Sieh mir in die Augen! In die Augen sieh mir!“, er rückte näher an mein Gesicht, „Was du in der Welt nicht siehst, das sieh in mir.“ Peter wirbelte herum, tanzte gackernd an mir vorbei, riss seinen Kopf nach oben und fing schallend an zu lachen. Dieses Wesen hatte nichts mehr mit Peter zu tun. „Und nun betrachte dich!“, er riss die Vorhänge von den Fenstern herunter, Licht durchflutete den Raum. Mein Atem stand still. Ich traute meinen Augen nicht. Es war kein Bild! Es war ein Spiegel! Eine hörnerne Fratze, mit tiefen Furchen entstellt, starrte mich an. Die Augäpfel waren in tiefes Rot gefärbt. Ich konnte den Anblick nicht ertragen. „Wer bist Du?“, fragte ich. Stille. Stille. Die grässliche Kreatur im Spiegel wurde allmählich wieder von der vorherigen Schwärze überdeckt. Peter sank zu Boden, er war wieder der Alte. Das Grauen, welches meine Seele in Gefangenschaft gehalten hatte, entfernte sich. Ich räusperte und kam wieder zu mir. Der Schrecken saß zwar noch tief in meinen Knochen und ich konnte mir nicht erklären, was gerade passiert war, aber ich wurde mir meines eigentlichen Vorhabens wieder bewusst. Ich holte tief Luft und ging zu Peter. Er lag nur da, bewusstlos. Ungläubig fuhr ich mit meinen Fingern die Züge in seinem Gesicht nach. Tatsächlich, er hatte nichts Scheußliches mehr an sich, es waren die bekannten, verfallenen, verlebten, menschlichen Züge, die ich kannte. Ich seufzte, erachtete es als einen nötigen Moment der Pietät, kurz innezuhalten, wuchtete dann den neben mir stehenden Rahmen hoch und stürzte ihn auf Peters Kopf. Ich meinte, ein lautes Klirren gehört zu haben. Es zersprang in tausende Einzelteile. Um mir des Todes meines Nachbarn sicher zu sein, nahm ich ein herausgebrochenes Stück in die Hand und schnitt ihm die Kehle durch. Das dunkle Blut verteilte sich geschwind über seiner Kleidung, ein letztes Röcheln begleitete den Akt des Ablebens. Peter war tot.

Ich ging in den Schuppen, welcher hinter meinem Haus stand und krallte mir einen Spaten. Außerhalb des Dorfes gab es eine kleine Anhöhe, den Hexberg. Die Hysterie um die Hexen hatte auch vor unserer beschaulichen Ortschaft keinen Halt gemacht und viele Anwohner bekundeten, dass sie nachts bei Vollmond Hexen aus benachbarten Dörfern in Richtung Hexberg fliegen sahen. Dort würden diese dann um den Teufel buhlen und mit ihm einen Pakt eingehen, um selbst stärker und mächtiger zu werden. Sobald es in der Umgebung zu einer längeren Dürreperiode oder so kam, schob man es diesen Hexen in die Schuhe und es folgte eine größere Hexenverfolgung, bis die Krise überstanden und man der Meinung war, dass genügend Hexen verbrannt waren. Ich glaubte an Gott und – zugegeben – seit kurzem auch an die Existenz des Teufels, aber diese Praxis fand ich lächerlich. Jedoch heißt das ja nicht, dass ich an diesem Spiel nicht teilhaben konnte! Ich hob auf dem Hexberg ein ausreichend großes Loch aus...

Nach einiger Zeit kam ich zu Hause an. Dort erwartete mich Eva. Sie sah mitgenommen aus. Ihr langes, blondes Haar lag zerzaust, vorher nie bemerkte Falten ließen ihr Gesicht älter wirken. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass diese Frau mich tags zuvor betrogen hatte, hätte ich Mitleid mit ihr empfinden können. So wurde ich einzig und alleine von Hass und Unverständnis regiert. Wie verdorben muss eine verheiratete Frau sein, um ihren Ehemann, dem sie zu dienen verpflichtet ist, zu hintergehen? Wie eiskalt muss ihr Herz daliegen, um zu solch einer Freveltat fähig zu sein? Ich hatte anscheinend jahrelang eine Person in Eva gesehen, die nicht existierte. Eine treue, mir hörige Ehefrau – so wie es sich gehörte! Diese Illusion war nun geplatzt. Ich betrachtete sie mit anderen Augen. Mir schien, als würde ich nun zum ersten Mal Eva sehen. Ein sündiges Weib.

Sie sagte: „Du wirst es nicht hören wollen, aber ich möchte Dir erklären, wie es passierte. Es ist nicht meine Schuld. Ich begegnete eines Tages Peter. Sonst sah man ihn nur höchst selten und wenn, dann murmelte er nur ein kurzes Hallo und war sofort wieder weg. An diesem Tage war es anders. Er begrüßte mich mit herzlicher Lebhaftigkeit und lud mich in sein Haus ein. Ich wusste nicht, wie mir geschieht. Er führte mich in sein Atelier und forderte mich auf, ihm meinen wunderbarsten Moment im Leben zu schildern. Es wirkte alles etwas unheimlich auf mich, er war wie verwandelt. Jahre zuvor hatte ich immer nur den gebrechlichen, einsamen, erfolglosen Maler von nebenan in ihm gesehen, doch während dieser sonderbaren Begegnung ergriff er Besitz von mir. Sein überschwängliches Interesse für meine Person verzauberte mich und ich gebe zu, dass ich es auskostete. Ich erzählte ihm von der fantastischen Waldhütte, die wir damals besuchten. Kein Detail blieb unberührt, jede Empfindung, jeder Eindruck, den die Natur auf meiner Seele hinterließ, sprudelte aus mir heraus. Ich kam nicht umhin, ihm auch von Dir zu berichten. Alles, was Du mir damals angetan hattest, ergoss sich vor ihm und er musste nur aus dem Erzählfluss schöpfen. Während ich sprach, malte er gleichzeitig das von mir Gehörte auf eine riesige Fläche. Er wirbelte mit seinem Pinsel, ein Strich jagte den nächsten, ihm entging kein Laut von mir. Nachdem ich geendet hatte – das Zeitgefühl hatte mich völlig verlassen – stieß Peter einen lauten Seufzer aus, sein Kopf fiel in den Nacken. Es machte auf mich den Eindruck, als hätte dieser Mann bloß für diesen einen Moment gelebt, als hätte er all seine Kraft, all seine Inspiration nur für dieses eine Abbild aufbewahrt. Ich trat hinter ihn und betrachtete sein Werk. Es erstaunte mich, was ich sah: Eine dunkle Fläche, welche in der Mitte von dem kräftig leuchtenden Mond erhellt wurde. Es erfüllte mich mit tiefer Zufriedenheit. Das Bild hatte geschafft, was ich mein Leben lang gesucht hatte. Ich war glücklich.“ Hatte Eva vorher noch betreten zu Boden geschaut, blickte sie mir jetzt direkt in die Augen: „Diesen Mann konnte ich nur lieben.“ War sie jetzt wahnsinnig geworden? Ein Bild hatte ihr also alles Glück der Welt gebracht. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, dass Peter lediglich Leiden schaffen konnte. Wer diesen Mann liebte, musste selbst ein zutiefst böser Mensch sein. Ich lachte Eva aus: „Du hast ja gar keine Ahnung…“ und verließ das Haus. In der Kneipe würde man mich schon verstehen.

Nach dem Eintreten musste ich mich erst an das diffuse Licht der Spelunke gewöhnen. Zu meiner Linken ging eine Treppe hoch zum ersten Stock, in welchem die Zimmer zum Übernachten lagen. Die Kneipe war im Grunde ziemlich klein, genau vor mir lag die etwa fünf Meter lange Theke, hinter welcher Josef, der Gastwirt, einen kleinen Pokal mit Wein füllte. Auch wenn nur ein dutzend Menschen anwesend waren, war es laut, da die kleine Räumlichkeit den Lärm überaus effektiv verstärkte. Ich trat an die Theke. Hier sah es ziemlich versifft aus, Josef hatte wohl schon längere Zeit nicht mehr ordentlich geputzt. „Jupp, machst du mir ein Pokälchen?“, orderte ich einen Wein. Zwar konnte man hier keine Qualität erwarten, aber das Getränk war auch lediglich Mittel zum Zweck: Der Alkohol machte sich früher oder später trotzdem bemerkbar. Josef knurrte in seiner eigentümlichen Art, was so viel wie „Ja“ hieß. Die Tür wurde geöffnet und prompt drehten sich alle Köpfe in der kleinen Lokalität um. Da kam er endlich: Franz, wegen seines stolzierenden Ganges und seiner herrischen Art auch Gockel genannt, betrat die Gastwirtschaft. Er war ein fanatischer Christ und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alle Hexen der Umgebung auszulöschen. Ein im Denken beschränkter Geist, aber den Hexenhammer von Heinrich Institoris kannte er auswendig. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er abends vor dem Zubettgehen ein paar Stellen aus dem Hammer las und ihn dann unter seinem Kopfkissen verstaute. Er besaß die Erlaubnis des Bistums, über Hexen zu richten und war in unserem Dorf der Hexenkommissar, eine Tätigkeit, derer er mit Eifer und Sorgfalt nachging. Er kam an die Theke, ich nickte Josef zu, formte mit meinen Fingern eine zwei, er knurrte. Wir verstanden uns. Gockel bedankte sich. „Hör mal, Franz, ich muss mit Dir reden. Es geht um meine Frau…“, ich nestelte an meinem Hemd und schaute ihm nicht in die Augen, als wäre mir das Thema wirklich unangenehm, „ich weiß, wie gewissenhaft Du Deiner Arbeit nachgehst und ich weiß auch, dass ich Dir absolut vertrauen kann.“ Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Gockel spitzte die Ohren und nahm einen tiefen Schluck von seinem Wein. Man konnte in seinen Augen die Gier nach der Neuigkeit erkennen. Scheinbar zögernd fuhr ich fort: „Wir hatten letztens einen Streit mit unserem Nachbarn, Peter. Auf unseren Feldern wurde oft was gestohlen und Eva sagte, dass sie gesehen habe, wie er sich nachts etwas von unseren Äckern genommen hätte. Ich wollte beschwichtigend auf sie einreden, aber sie war sich völlig sicher. Vor einer Woche wurde ich irgendwann nachts wach und hörte, wie Eva im Schlafe immer wieder folgende Worte murmelte: Stirb, Peter, stirb. Bereicherst du dich an uns, so bereichere ich mich an dich. Dein Blut wird fließen, deine Knochen werden uns Kraft geben.“ Ich pausierte, atmete tief durch und vergrub den Kopf in meinen Händen. „Ich war geschockt. Ich hatte doch keine Ahnung. Die ganze letzte Woche versuchte ich, Peter zu erreichen, aber niemand öffnete mir. Gestern brach ich dann die Türe auf, aber er war nicht da“, ich schluchzte. „Franz, hilf mir!“ Gockel nahm mein Geständnis wohlwollend zur Kenntnis und nickte: „Ja, Dir wird geholfen! Kopf hoch, alles wird gut. Nun stärke Dich erst mal mit diesem köstlichen Wein, er wird Dir neue Kraft geben!“ Er prostete mir zu. „Und morgen werde ich dann mal bei Euch vorbeikommen und mit Deiner Frau sprechen. Wenn sie eine Hexe ist, werde ich das herausfinden! Bisher war noch jede geständig“, lachte er, „und für Dich gibt es doch auch noch Weiber hier.“ Er klopfte mir auf die Schulter. Ich trank den Pokal leer und stand auf: „Danke, Franz! Hoffentlich wird sich alles aufklären. Bis Morgen dann.“ Ich versuchte, möglichst erleichtert zu wirken und verließ die Kneipe. Das lief gut. Sehr gut!

Am nächsten Tag klopfte es an unserer Tür. Ich öffnete sie und begrüßte Gockel. Eva trat aus der Küche. „Wer ist... “, als sie den Hexenkommissar sah, stockte ihr der Atem. Der Topf, den sie gerade am spülen war, rutschte ihr aus der Hand und der Klang des Aufpralls erfüllte den Raum. „Franz, setz dich doch“, ich zeigte auf einen Stuhl und sprach zu Eva, „und Du – möchtest Du unserem Gast kein Getränk anbieten?“ Ich lächelte sie an und Eva verstand. Ihre Gesichtszüge erschlafften.
Gockel nippte an seinem Wasser. Er breitete den Hexenhammer vor sich aus, überkreuzte die Beine und blickte Eva forsch in die Augen: „Es ist reine Routine, dass ich Dich diese Sachen frage.“ Er beugte sich über den Tisch und tätschelte ihren Arm. Das war wirklich ein köstliches Schauspiel! „Aber mir sind verschiedene Sachen zu Ohren gekommen, die ich nicht einfach ignorieren kann“, fuhr er fort. „Dafür musst Du Verständnis haben! Sag: wie ist Dein Verhältnis zu Deinem Nachbar Peter?“ Eva runzelte die Stirn und schaute dann zu Boden. Es war der Moment, in dem sie realisierte, dass es keinen Ausweg für sie gab. Sie blickte mich an, während sie sich die Schläfe rieb. Ihr Atem wurde immer langsamer, der Willen zu kämpfen schien gebrochen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen“, sagte sie kleinlaut. „Stimmt es, dass Du gesehen hast, wie Peter von Euren Feldern klaute?“ Eva war sichtlich überrascht, nach einem kurzen Zögern gab sie es jedoch zu. „Stimmt es auch, dass Du darüber erbost warst?“, fragte Gockel weiter. Eva nickte. Nun stand der Hexenkommissar auf, nahm das vor ihm liegende Buch in die Hand und tippte auf selbiges: „Hast du, wie der ehrwürdige Heinrich Institoris beschreibt, Deinen Nachbarn Peter mit einem bösen Blick und einem Fluch belegt, um ihn zu töten“, seine Stimme wurde lauter, „sein Blut zu trinken und aus seinen Knochen magische Salben zu machen?“ Eva war eingeschüchtert, sie rang mit der Fassung. Diese Vorwürfe erschütterten sie. Gockels Stimme dröhnte durch unsere Wohnung: „Hast du Peter getötet, um ihn auf dem Hexensabbat zu opfern?“ Sein Gesicht färbte sich rot, er war sichtlich erregt, „Antworte!“. Eva schüttelte erst langsam, dann bestimmt den Kopf: „Ich habe Peter nicht umgebracht, das stimmt nicht!“ Oha, Eva widersetzte sich dem Spiel. Gockel richtete seinen Finger auf sie: „Wo hast Du ihn hingebracht?“ Bevor Eva etwas darauf erwidern konnte, ergriff ich die Gunst des Augenblicks. Ich berührte ihren Arm und tat so, als wollte ich sie besänftigen: „Schatz, ich kann das nicht mehr länger für mich behalten“, dabei senkte ich meinen Blick, „heute Nacht sprachst du schon wieder im Schlaf. Du sagtest: Hexberg! Hexberg! Liege dort / Peter diebisch‘r Nachbar tot!“ Mit scheuem Blick wandte ich mich zu Eva, als wollte ich mich für das Gesagte entschuldigen. Ich verkniff mir die Tränen. Eva starrte mich mit offenem Mund an, mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Gockel stand der Triumph ins Gesicht geschrieben: „Soso! Das hast Du also im Schlafe erzählt. Höre mir gut zu, Weib: Wir werden den ganzen Hexberg umgraben und wenn wir dort Peter entdecken, dann gnade Dir Gott! Wir werden Dich so lange im Rathaus verwahren, damit Du uns nicht davon läufst.“ Er packte Eva hart am Arm. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden, aber es gelang ihr nicht. Gockel richtete sich an mich: „Wenn Du möchtest, kannst Du uns bei der Suche helfen!“ Ich willigte ein.

Mit mehreren Männern betraten wir den Hexberg. Der Hexenkommissar, meine Wenigkeit und ein paar freundliche Helfer hatten sich dazu bereit erklärt, die Anhöhe nach der Leiche von Peter abzusuchen. Es herrschte eine nervöse Erregtheit unter den Anwesenden. Außer mir wusste ja keiner, was ihn erwartete. Gockel stolzierte voraus, den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Der Hahnenkamm war angelegt, die Jagd konnte beginnen! Nach einiger Zeit rief einer der Helfer zu uns: „Herr Hexenkommissar Franz! Hier hinten ist der Boden locker. Es wurde wohl etwas vergraben!“ Wir eilten zur besagten Stelle und fanden den Boden neben einer alten Eibe tatsächlich aufgewühlt. Derjenige, der hier etwas vergraben hatte, hat sich nicht allzu große Mühe gemacht, dies zu verbergen... Schnell waren die Spaten im Einsatz und ein jeder tat sein Bestes, die Erde umzugraben. Zuerst sah man nur ein Stück des Gesichtes, dann hob man den Leichnam Peters gänzlich empor. Einigen Männern wurde schlecht, sie waren den Anblick eines Ermordeten nicht gewohnt. Gockel klopfte grob die Erdreste von dem Körper ab, schaute dann bestimmt in die Runde: „Das Werk einer Hexe! Die Kehle wurde aufgeschnitten, um das frische Blut zu trinken. In der nächsten Vollmondnacht hätten sie aus seinen Knochen magische Salben gemacht, um diese dem Teufel feilzubieten. Lasst uns beten! “ Wir versammelten uns in einem Kreis um den Toten und sprachen „In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.“ Wir verließen den Hexberg, nachdem Gockel ein paar Helfern den Auftrag gegeben hatte, den toten Körper in das Dorf zu tragen. Er klopfte mir auf die Schulter: „Du hast das Richtige getan. Nun lass uns ins Rathaus gehen, wo wir die Hexe geständig machen wollen. Wir haben da so ein Gerät…“ Sein verheißungsvolles Grinsen beeindruckte selbst mich.

Eva wurde in einem kleinen Raum gefangen gehalten. Der Hexenkommissar wies seinen beiden Adjutanten an, die schwere Eisentüre aufzuschließen und die vermeintliche Hexe hinauszuführen. Danach verließen sie das Rathaus, wir waren nun alleine. Gockel öffnete eine mit einem Kreuz beschlagene Tür, dann zerrten wir Eva dort hinein. Dieser Raum war fast ganz leer, nur in der Mitte stand ein dreibeiniges Gerät, welches einen pyramidenförmigen Körper besaß. Dieser lief nach oben hin spitz zu. Neben dieser Konstruktion war ein Seilzug angebracht. Ich war verblüfft und konnte mir nicht vorstellen, was man mit diesem Instrument anstellen konnte. Gockels Augen glänzten: „Dies ist unser Prachtstück. Es wird die Judaswiege genannt, weil man durch ihren lieblichen Klang bestimmen kann, wer vom Glauben abgefallen ist.“ Er schritt nach vorne und prüfte den Seilzug. Alles funktionierte einwandfrei. „Zieh Dich aus, Eva. Wollen wir mal sehen, ob Du eine Hexe bist oder nicht. Noch kannst Du gestehen, dass Du deinen Nachbar Peter mit einem bösen Blick belegt hast, um ihn auf dem Hexensabbat zu opfern.“ Wenn Eva zu dem Zeitpunkt gewusst hätte, was sich in den nächsten Stunden abspielen würde, hätte sie sicher gestanden. Doch wie ich schon sagte, war Eva seit jeher etwas widerspenstig gewesen und bewies auch dieses Mal ihren Dickschädel. Sie sagte, dass sie nie gestehen würde, Peter umgebracht zu haben, da dies nicht stimmte. Gockel verlor die Geduld und wurde rabiater. Er zerrte sie vor die Judaswiege, riss ihre Kleider vom Körper und mit meiner Hilfe wurde sie an dem Seilzug festgebunden. Als der Hexenkommissar Eva in die Höhe hob, dämmerte mir, was passieren würde. Sie strampelte wild um sich, nachdem Gockel sie über der spitz zulaufenden Pyramide fixiert hatte. Das war genial. Sie kreischte und flehte, als er sie langsam nach unten sinken ließ. Die eiserne Spitze bohrte sich in ihren Körper, Eva jaulte vor Schmerzen auf, sie begann zu wimmern. Ich weiß, es klingt pervers, aber als ich die Judaswiege in Aktion sah, stellte sich bei mir Genugtuung ein, denn ich wusste, dass es das ideale Instrument für die Sünde war, welche Eva begangen hatte. Diese Prozedur wurde oft wiederholt. Mal ließ Gockel sie aus höherer Entfernung runterfallen, mal ließ er sie betont langsam auf die Spitze der Judaswiege gleiten. Ich muss sagen, dass du es wirklich lange ausgehalten hast, Eva. Aber letztendlich war es dann doch nur eine Frage der Zeit gewesen, bis du das entscheidende Wort „Abiuro“, was so viel heißt wie „Ich schwöre ab“, sagtest. Es half dir im Endeffekt nicht. Du warst nun offiziell eine Hexe. Glückwunsch!

Ich bin der letzte Anwesende, der deiner feierlichen Verbrennung beiwohnt. Alle anderen Zuschauer sind schon vor geraumer Zeit gegangen. Es ist Nacht und auch ziemlich kalt geworden. Ich trete näher an das lodernde Feuer. Du bist tot. Ich blicke mich um. Die nächtliche Dunkelheit umhüllt die Szenerie, doch nun sehe ich es auch: Inmitten der Schwärze leuchtet etwas Helles. Nur ist es in meinem Falle nicht der kräftig leuchtende Mond. Dies ist mein Kunstwerk.

 

Labberbacke schreibt zu seiner Geschichte:

[Ich weiß nicht genau, ob dies die richtige Rubrik auf der Seite ist; dies ist eine Studienarbeit von mir aus dem Jahr 2011 in dem Fach "Kriminalgeschichte in Theorie und Praxis" - es behandelt hauptsächlich eine Straftat, auch wenn es mitunter fantastische Züge aufweist. Viel Spaß!]

(Anmerkungen bitte immer separat posten.)

 

Hallo labberbacke!


Ob die Story zur Rubrik Kri/Spa passt, kann dir heute (aus Zeitmangel) noch nicht sagen.
Da gebe ich dir morgen Bescheid.

Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,

separat posten? Also als eigenständiger Post unter der Threaderöffnung? Werde ich mir für die Zukunft merken, danke!

Grüße

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo labberbacke,

für mich liest sich die Geschichte wie eine recht primitive Rachefantasie, wie das Alte Testament, das hat mir nicht gefallen. Schreiberisch ist mir nichts besonders aufgestoßen, nur mochte ich halt die gesamte Tonlage - "harhar, ich mach dich fertig, leide, du Schlampe" - nicht.

Spannungslos gestaltet sich die Story meiner Meinung nach, weil du gleich im ersten Absatz klar machst: Der Prot ist der Böse, und er gewinnt. Ich denke, dass eine deutliche Mehrzahl der Leser es vorzieht, mit den Opfern zu bangen, zu leiden und zu hoffen.

Nun steht selbstverständlich nicht in Stein gemeißelt, dass es sich verbietet, den Bösewicht als Prot zu nehmen. Das Gebinde Amontillado schwirrte mir da als Vergleich die ganze Zeit im Hinterkopf herum. Poes Geschichte funktioniert, weil das Ausmaß von Montresors kühlem Irrsinn das Geheimnis des Autors bleibt, bis der Protantagonist anfängt, die Nische zuzumauern. Du erzählst im Grunde alles in den ersten fünf Sätzen.

Soweit die Geschmackssache. Definitiv handwerkliche Fehler sind aber einige Anachronismen, die du beseitigen solltest. Hexenverbrennungen gab es vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit - bei deinem Prot "macht's klick", er kommt "in die Wohnung", und noch so ein, zwei Sachen, die ich leider schon wieder vergessen habe.


Grüße
JC

 

Hallo labberbacke!

Erst mal Glückwunsch zum besten ersten Satz, den ich seit Langem gelesen habe:
„Eva, wer hätte gedacht, dass du so herrlich brennen würdest?“

Tja, die Geschichte ist tatsächlich nicht für diese Rubrik geeignet. Siehe hier.
Das liegt an der Szene mit dem Bild/Spiegel, an der Metamorphose des Malers und an der öffentlichen (Rathaus usw.) Hexenverfolgung.
Auch ist es keine historische Verbrechenserzählung – das kann man an hier und da an der Wortwahl erkennen.
Ich empfehle die Rubriken „Horror“ und „Sonstige“.
Teile mir bitte in den nächsten zwei Tagen mit, wo du den Text stehen haben möchtest, sonst verschiebe ich ihn nach „Horror“.

Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,

für eine Horrorgeschichte erscheint mir das für den Leser erfahrbare Grauen doch etwas zu gering. Vermutlich ist die Geschichte folglich am besten im Bereich "Sonstige" aufgehoben.

Grüße,
labberbacke

 

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