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Das kleine Licht
Und es begab sich, dass die Erde heftig bebte als wolle sie die abschütteln, die auf ihr wimmelten und sie quälten. Unter ihnen war ein junges Paar auf Reisen. Die junge Frau aber war hoch schwanger und es nahte für sie die Zeit zu gebären. Dem Beben glücklich entronnen kamen sie an eine Küste über die eine große Flut hin weggegangen war. Sie hatte Dörfer, Wege und Felder verwüstet und Menschen und Tiere in großer Zahl getötet. Es war schwer für die kalte Nacht noch einen heilen Unterschlupf zu finden, und so waren sie froh, einen verlassenen, schäbigen Stall in der Nähe eines großen Hauses des Lichtes zu entdecken. In dieser Nacht nun gebar die junge Frau mit ihrem Mann einsam ihr erstes Kind, einen kleinen Knaben, während das Haus des Lichtes bedrohlich glühte und rauchte. Dann zog eine Gruppe von Heimatlosen wehklagend vorüber und als sie das Neugeborene und seine Mutter gewahrten, so klagten sie um so mehr und bedauerten das kleine Kind und seine Eltern, denn sie fürchteten sich vor dem glühenden und rauchenden Haus des Lichtes. Doch die junge Mutter und ihr Kind waren zu schwach zur Flucht. Durch den Rauch war es allen so seltsam, dass sie vermeinten Engel seien zu ihnen herabgestiegen und sie gewahrten den Lobpreis Gottes durch die Heiligen.
Nach dem großen Beben und der großen Flut beschloss der Kaiser, die weisen Männer zu entsenden, die das große Haus des Lichtes im Solde der Herren auf den goldenen Bergen ersonnen hatten, um zu erkunden, wie es um das große Haus des Lichtes und das Volk in seiner Umgebung stand. Er war tief besorgt um seine Untertanen, denn sie waren es, die durch Steuern auf ihrer Hände Arbeit das Reich erhielten. Doch unvorstellbar reich wurde der Kaiser durch die Tribute der Herren auf den goldenen Bergen, die das große Haus des Lichtes betrieben das zu seinem Ruhme das Land bei Dunkelheit und Kälte erhellte und wärmte. So gab der Kaiser den weisen Männern ein großzügiges Maß an Gold und Weihrauch und Myrrhe, auf dass sie ihm die ersehnte Kunde brächten wie es um sein Reich und sein Kaisertum stehe. Nun eilten die Waisen die überflutete Küste entlang, an den verwüsteten Dörfern, Wegen und Feldern und den Leichen von Menschen und Tieren in großer Zahl vorbei zum Hause des Lichtes. Dort besahen sie sich kurz den Schaden und wandten sich zur Flucht vor dem Glühen und Dampfen, an dem schäbigen Stall und den vielen heimatlos Umherirrenden vorbei. Sie beschlossen mit samt dem Gold, dem Weihrauch und der Myrrhe des Kaisers und dem Sold der Herren auf den goldenen Bergen das Land zu verlassen damit sie nicht zur Rechenschaft gezogen würden für ihre Prahlereien beim Bau des großen Hauses des Lichtes. Weil sie auch die Wut des Volkes fürchteten, erzählten sie allen, denen sie auf ihrer Flucht begegneten, dass das große Beben und die folgende Flut ein großes Unheil von Gott sei und das der Kaiser sich nun um das Volk kümmern werde und das die Herren auf den goldenen Bergen ihnen bald wieder mit dem großen Haus des Lichtes Wärme und Helligkeit spenden werden.
Doch das große Haus des Lichtes glühte und rauchte weiter. Unsichtbare giftige Dämpfe legten sich über Dörfer, Wege und Felder und Menschen und Tiere. Schon bald verlosch das kleine Licht des neugeborenen Knaben und dann das Licht der geschwächten Mutter. Zuletzt verlosch der Mann, ja sein Gram tötete ihn schneller als das giftige Glühen des großen Hauses des Lichtes. Die Überlebenden des Volkes aber, und auch die weisen Männer, die Männer auf den goldenen Bergen und der Kaiser, erfuhren nie vom Verlöschen des kleinen Lichtes des neugeborenen Knaben in dem schäbigen Stall. Sie erfuhren nie, dass sein Licht ein göttliches war, das Erleuchtung und Frieden hätte bringen sollen. Sie erfuhren nie von der wunderbaren Macht seiner Liebe und Güte, seinem Glauben und seiner Hilfsbereitschaft, noch von seiner Weisheit und Gerechtigkeit. All dies war verloren, nicht nur für dieses Volk, nein für alle Völker der Erde und ihre Kinder bis auf unabsehbare Zeit. So blieb ihnen nur das Gift des glühenden und rauchenden Hauses des Lichtes, das noch nach etlichenen Generationen die Gesundheit und gar das Leben vieler fraß. Die arbeitenden Hände des Volkes waren schwach geworden und der Ertrag der Steuern auf ihre Arbeit war so gering, dass sie kein Reich erhielten. Das große Haus des Lichtes war verfallen und das Land darum öde und leer. Kein Kaiser begehrte mehr über es zu herrschen.
So höret ihr Völker! Fürchtet die prahlerischen Waisen, die den Mächtigen und Kaisern dienen, fürchtet die Herren der goldenen Berge, die Reichtum häufen, fürchtet die Kaiser, die nur ihr Kaisertum sehen. Sie alle wollen Götter sein, doch sie haben ihr Licht schwarz gemacht. Fürchtet alles, was euch leichten Wohlstand, Licht und Wärme um wenig Geld verspricht. Im Schweiße eures Angesichtes sollt ihr euer Brot essen. Ein leichtes Leben hat unweigerlich seinen Preis. Doch am meisten fürchtet das verlöschen jedes kleinen Lichtes. Was alles durch sie zu uns gesandt werden sollte, und doch verloren wurde, hat uns so arm gemacht, wie wir nun sind.