Mitglied
- Beitritt
- 12.11.2015
- Beiträge
- 12
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 20
Das Hömmchen
Plötzlich ist das Hömmchen da. Einfach so. Ohne Mama, ohne Papa. Einfach da. Doch es hat ein Problem: Es gibt keine Hömmchen. Das könnt ihr gerne googeln. Und mit dem Nicht-Sein ist das so eine Sache. Wer nicht ist, kann nicht essen und wer nicht isst, der verhungert.
Verhungern findet das Hömmchen blöde. Außerdem ist es einsam und das ist auch blöde.
Existenzielle Checkliste
Also packt das Hömmchen seinen Rucksack und macht sich auf die Suche nach jemandem, der seine Existenz bestätigt.
Existenzbestätigung heißt:
Jemand…
- sieht das Hömmchen.
- erkennt es als etwas an, das wirklich in der echten Welt ist.
- mag das Hömmchen.
- packt alle anderen am Schlafittchen und schüttelt sie so lange, bis sie ihrerseits an das Hömmchen glauben.
Ein pickepackevoller Rucksack
Zuerst packt das Hömmchen eine Trompete in den Rucksack. Die Trompete muss mit. Nicht etwa, weil das Hömmchen ein guter Trompeter wäre - in Wahrheit ist es ein ganz und gar abscheulicher Trompeter - sondern einzig zu dem Zweck, dass jemand das Hömmchen hören möge. Denn was man hört, das existiert, daran wird wohl niemand zweifeln.
Weiter packt es eine Fertigpizza in seinen Rucksack. Eine Pizza zu essen wäre das absolut erste, was das Hömmchen täte, wenn man es als etwas Seiendes anerkennen würde. Immerzu muss sich das Hömmchen vorstellen, wie wohl eine Pizza schmeckt. Doch wenn es dann eine Pizza essen will, sagt die Pizza:
„Ich habe auch meinen Stolz.“
Zuletzt steckt es noch ein Smartphone zwischen die Pizza und die Trompete. Ein Selfie zu machen wäre das absolut zweite, was das Hömmchen täte, wenn man es als etwas Seiendes anerkennen würde. Das könnte es dann mit #seinistfein twittern und schon bald würde jeder das Hömmchen kennen. Sogar Google.
Jetzt ist der Rucksack so voll, dass sich der Reißverschluss überhaupt nicht mehr schließen lässt. Das ist aber fast gar nicht schlimm, weil sich Trompete, Pizza und Smartphone ja gegenseitig festhalten.
Die Suche
Endlich macht sich das Hömmchen voller Zuversicht auf die Suche nach seinem ersten Freund. Ein Freund soll es sein, doch kein bestimmter. Anspruchsdenken ist der Tod des kleinen Mannes, findet das Hömmchen und fürs erste tut es auch ein nicht so toller Freund.
Deshalb besucht es zuerst den Bäcker. Der Bäcker hat nämlich auch keine Freunde, weil sein Brot so hart ist und weil er so viel Kümmel reintut. Da könnte man sich ja prima zusammentun, denkt das Hömmchen.
Es betritt die Bäckerei.
„Ich bin das Hömmchen. Lass uns Freunde sein!“, ruft das Hömmchen.
Allerdings denkt der Bäcker gar nicht daran, das Hömmchen zu sehen und auch seine Trompete will er nicht hören und sogar auf die vielen schlimmen Wörter, die es dann ruft (z.B. „Backheini“) reagiert er nicht, bis es schließlich beleidigt davonstampft. Ohne Freund, ohne beglaubigte Existenz, ohne Selfie.
Doch das Hömmchen ist unbeirrbar. Niemand wird es bei seiner Suche aufhalten, da ist es sich sicher, denn niemand kennt das Hömmchen und es wäre absurd zu glauben, dass irgendjemand zu jemand anderem sagen würde: „Komm, wir halten das Hömmchen auf, sonst trinkt es uns den Apfelsaft weg.“
Also nimmt es seinen Rucksack und macht sich auf den Weg zu anderen Menschen, von denen es glaubt, dass sie keine Freunde haben. Zum Beispiel zu Emos. Das Problem ist: Emos haben Freunde. Mit denen sind sie dann zusammen traurig, obwohl sie doch Freunde haben. Das wiederum versteht das Hömmchen nicht und es wird seinerseits traurig. Traurig, weil es keine Freunde hat, traurig, weil Leute mit Freunden traurig sind, nur um der Trauer willen, traurig weil niemand seine Trompete spielen hört und traurig, weil dieser verdammte Rucksack so schwer ist.
The Cabin in the Woods
Als es fast schon dunkel ist, gelangt das Hömmchen an eine sehr abgelegene Waldhütte. Mit abgelegenen Hütten sollte man vorsichtig sein, findet das Hömmchen. In abgelegenen Hütten zu wohnen macht grundsätzlich verdächtig. Innerlich macht es eine Liste von Bewohnern abgelegener Hütten:
- die Pfefferkuchenhexe
- der Waldschrat
- Räuber Grapsch
- Jason
Abgesehen vom Räuber Grapsch (der ist nett) ist das eine furchteinflößende Liste. Doch das Hömmchen ist mutig. Es klopft an die Tür. Jemand öffnet. Es ist der Waldschrat.
Hömmchen: Hallo Waldschrat, ich bin das Hömmchen.
Waldschrat: Hallo Hömmchen, ich bin der Waldschrat.
Hömmchen: Hm...
Waldschrat: Tjoa…
Hömmchen: Mit dem Wetter haben wir ja Glück gehabt.
Waldschrat: Ja, die Tage sind kurz und kalt.
Es folgen einige sehr lange Augenblicke peinlicher Stille, dann:
Hömmchen: Darf ich reinkommen?
Waldschrat: Klar, klar!
Erleichtert tritt das Hömmchen ein. Es gelangt in einen kleinen Vorraum. In der linken Ecke sieht es eine Kiste mit Smartphones, rechts einen riesigen Stapel ungeöffneter Fertigpizzen. Die Fertigpizzen haben mit Tomatenmark ihr Mantra an die Wand geschmiert: WIR HABEN AUCH UNSEREN STOLZ.
Das Hömmchen kramt in seinem Rucksack und packt Smartphone und Pizza auf die dafür vorgesehenen Stapel.
„Und die Trompete?“, fragt es.
„Die kannst du mitnehmen, Musik fördert die Gemeinschaft“, antwortet der Waldschrat.
Dann betreten sie einen riesigen Gemeinschaftsraum. In der Mitte sitzen in einem Stuhlkreis:
- die Pfefferkuchenhexe
- Räuber Grapsch
- Jason
- Lord Voldemort mit Harry Potter auf dem Schoß
- viele andere
Der Waldschrat und das Hömmchen setzen sich dazu. Man unterhält sich über die entzauberte Welt, die Diktatur der Logik, fehlende Anerkennung und den Geschmack von Pizza. Später spielt das Hömmchen auf seiner Trompete. Alle anderen laufen hektisch um den Stuhlkreis und wenn das Hömmchen mit dem Trompeten aufhört, setzen sie sich wieder hin. Es sind genügend Stühle da. Hier wird niemand mehr ausgeschlossen. Hier ist Existenz Nebensache. Es ist das erste Mal, dass das Hömmchen wirklich glücklich ist.