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Das Grab

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17.02.2014
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Das Grab

Und wieder blickte er auf den nassen, mit Unkraut überwucherten Erdboden hinab. Wieder legte er diesen tiefschwarzen, mit Melancholie gesäuerten Blick auf und starrte ihn an. Einige Minuten stand er nur so dort, bis er seinen bereits vollkommen durchnässten Mantel schloss und seine Füße auf dem Kiesweg, welcher inzwischen einer Matschpiste glich, den Ausgang des Friedhofs suchten.
Eigentlich hatte man ihm gesagt, er solle sich nicht mehr dort aufhalten. Mehrere Male ermahnte ihn der Friedhofswächter dazu, doch es interessierte ihn nicht. Er wollte sich Tag für Tag sein Werk anschauen. Tag für Tag. Er wollte jedes Mal mit einem schwermütigen Gefühl vom Totenacker gehen und sich seine Taten eingestehen müssen. Er wollte dafür büßen, was vor Jahren in dieser dunklen, regnerischen Nacht passierte, doch es war zu spät. Wenigstens sehen wollte er seine Gräueltaten.
Ob es Zufall war, das es nunmehr immer anfing in Strömen zu gießen, wenn er den Platz betrat? Er hielt es für ein Zeichen des Schicksals. Der gleiche Ort, das gleiche Wetter, dasselbe Gefühl. Jeden Abend erlebte er die Nacht von Neuem, jeden Abend wenn er den Friedhof betrat. Eigentlich sollte er damit abschließen. Das Gericht interessierte sich nicht mehr für ihn, jedenfalls das irdische. Doch für ihn wird diese Nacht immer ein Kapitel seines Gewissens bleiben, vermutlich würde er nie abschließen können, niemals.
Jeden Abend stand er da und starrte. Er starrte auf den moosbedeckten Grabstein, niemand kümmert sich darum, und las die Inschrift. Immer wieder von Neuem, minutenlang.
H. P. Scherling 1938-1973 ruhe in Frieden
Ruhe in Frieden. Wie sehr er sich danach sehnte dem gleich zu tun, doch er konnte nicht. Er wurde verfolgt, vom ewigen Leid – An Flucht war nicht zu denken.
Wenn er dann endlich bereit war, seine Instanz des Starrens zu beenden, nahm er den Weg auf Richtung Fahrzeug. Wie immer parkte er an dem kleinen Feldweg, direkt unter der schweren Eiche, welche sich vor seinem kleinen Wagen auftürmte, als wolle sie ihn verschlingen. Den Wagen samt Fahrer. Er fuhr zurück zu seiner Wohnung um sich ins Bett zu legen. Von dem einen verhängnisvollen Tag im Jahre 1973 an, verlief sein Leben nur noch in einer elendig monotonen Art und Weise: Arbeiten – Friedhof – schlafen.
Wie immer musste er sich den hetzerischen Blicken seiner Nachbarin Anneliese Wegner aussetzen, die mit Argusaugen über ihn Wachte, als wäre er ein Verbrecher.
„Scheren sie sich endlich weg von hier, Herr Scherling!“
Jeden Abend derselbe Satz. Derselbe Blick, er war von nun an nicht mehr erwünscht. Für die Bewohner des kleinen Dorfes war es nicht wichtig, die Wahrheit zu erfahren, sie wollten lediglich Frieden in ihrem Ort, und mit Herrn Scherling konnte der nicht seine Runden ziehen.
Er war es leid. Die ewigen Anschuldigungen, die Beleidigungen und frechen Blicke – Dabei hatte er selbst doch schon genug zu kämpfen. Sollte er dem ein Ende setzen? Lange dacht er darüber nach, sich das anzutun, was man ihn anschuldigte seiner Frau angetan zu haben. Warum sollte er dafür büßen, was ein anderer getan hat? Er wusste es nicht, doch er erkannte dass er es hätte verhindern können – Er hätte seine Frau beschützen können und er tat es nicht.
Es wäre doch so einfach – dem ganzen endlich ein verfluchtes Ende zu setzen, vermutlich würde er damit der ganzen Welt einen Gefallen tun.
War es nun soweit? Setzte endlich der erkorene Moment ein, auf den er hatte minutenlang warten müssen? Ging ihm die Luft aus, die seinen Körper mit Leben versorgte? Ein letztes reflexartiges Ringen dann war es geschafft. Das Urteil war vollzogen.

 

SgtLeder schrieb im Vorspann zu seiner Geschichte:

Guten Tag,

Ich bin neu hier und möchte mit euch meine erste Kurzgeschichte teilen, Kritik ist natürlich ausdrücklich erwünscht!


Allfällige Bemerkungen zu Geschichten sind immer in einem separaten Beitrag nach der Geschichte einzufügen.


*​


Na dann soll ein erster Eindruck zum Ausdruck gebracht werden:


Hallo SgtLeder

Willkommen hier im Forum.

Der schlichte Titel, welcher nichts über das Genre verrät, weckte mir den Gedanken an die kulturelle Leistung einer solchen Stätte. Darüber lässt sich alles Mögliche schreiben, sodass ich mich dem Thema wertfrei näherte.

Ich tat gut daran, mir keine Vorstellung zu machen, wie sich zeigte. Mit diesem Inhalt hätte ich wahrscheinlich nicht gerechnet. Die Gedanken des Protagonisten drehen sich einzig um seine verstorbene Frau, für deren Tod er real nicht verantwortlich ist, sich aber dennoch zwanghaft schuldig fühlt. Die Handlung ist stark eingegrenzt, die nicht verarbeitete Trauer hat ihn im Griff und führt in täglich an ihr Grab, besessen vom Wunsch ihr gleich zu sein.

Also eine kurze Abhandlung über eine psychische Störung, die sich jedoch als Geschichte so nicht recht erfüllen will. Der Schluss endet lapidar mit seinem Tod, den er emotional schon längst vollzogen hat. Was mich stört, ist nicht, dass es unrealistisch sein muss, wenn eine langjährige psychische Belastung letztlich ein Organversagen hervorrufen könnte, der Ursache für jeden Tod. Es ist vielmehr, dass in diesem Handlungsverlauf die Wendung fehlt, die sich überraschend und zugleich konsequent ergeben muss, um eine Geschichte zu erfüllen.
Die Schwierigkeit sehe ich hier in der Kürze gegeben, lässt sie doch nicht viel Spielraum das Ende einzuleiten. Eine Wendung wäre beispielsweise seine Genesung, wenn er am Grab eine Veränderung durchmachte, die ihm eine Rückkehr in die Normalität ermöglichte. Sein Tod könnte sogar bestehen bleiben, doch für ihn völlig unerwartet eintreten, zu einem Zeitpunkt, als er seine Störung überwunden hatte.

Im Text verwendest Du zudem teilweise Formulierungen, die mir nicht immer die treffende Wahl darstellen. Desto realistischer eine Geschichte sich darstellt, umso ergreifender wird sie für Leser. Nur kurz zwei Beispiele:

Wieder legte er diesen tiefschwarzen, mit Melancholie gesäuerten Blick auf und starrte ihn an.

Dies ist unnötig überzeichnete Poesie bei der Betrachtung der Erde. Hier wirkte es im Kontext z. B. natürlicher mit: Sein Blick war melancholisch, starr fixiert.

und seine Füße auf dem Kiesweg, welcher inzwischen einer Matschpiste glich,

Das beisst sich, Kiesweg und Matsch. Der Sinn von Kies ist ja eben dies zu verhindern.

Des Weiteren hat es im Text verschiedene Fehler bei der Interpunktion sowie der Gross-/Kleinschreibung. Wenn Du nach einem Gedankenstrich gross weiterfährst, sollte der vorgehende Satz übrigens mit einem Punkt enden.

Ich hoffe es hilft Dir, Dich nochmals vertiefter mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Trotz meiner kritischen Anmerkungen als Leser habe ich es nicht ungern aufgenommen.

Noch viel Freude hier beim Lesen, Kommentieren und Schreiben. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo SgtLeder

Der müden Natur süßes Labsal, balsamischer Schlaf! Ach! er besucht, gleich der Welt, nur diejenigen gern, denen das Glück zulächelt; die Elenden verlässt er; fliegt auf seinen weichen Fittigen schnell vom Jammer hinweg, und – senkt sich auf Augenlieder herab, die keine Thräne befleckt.

Johann Gottfried von Herder (1744 bis 1803)​

Friedhofspoesie war einmal gross im Schwange. In England hat man damit angefangen und in Deutschland hat man auch solches gedichtet. Das war zu der Zeit der Empfindsamkeit. Ich dachte, du schreibst auch Friedhofspoesie. Ich dachte: Wollen wir mal schauen, wie das heutzutage so tönt. Allerdings dachte ich nach zehn oder fünfzehn Zeilen, dass ich wohl eher eine Mörder-Sühne-Geschichte lese; also kein Ausdruck der «süßen melancholischen Schwärmerey». Aber eine Mörder-Sühne-Geschichte war es dann auch nicht, wie ich gegen den Schluss hin merkte, sondern eine Geschichte mit vager Ausgangslage (wie kam seine Frau um?) und krudem Schluss (hat er einfach aufgehört zu atmen?).

Sicher wäre die Geschichte schon um vieles besser, wenn du erzählen würdest, wie seine Frau umkam. Dass er in einer seltsamen Weise verstirbt, ist vielleicht beabsichtigt. Wenn das so ist, dann muss es so sein, auch wenn es mir unbegreiflich und unglaubwürdig erscheint.

Wünsche noch viel Spass und Erfolg hier
Gruss teoma

 

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