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Das Geheimnis der verlassenen Hütte

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18.04.2002
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Das Geheimnis der verlassenen Hütte

Altenstadt, den 26. 11. ...

Lieber Jonas,


ich muss dir unbedingt etwas erzählen. Du hast ja sicher schon gehört, dass ich im Krankenhaus bin. Das ist blöd, aber zum Glück sind die Leute hier sehr nett. Sie nennen mich ‚blonder Panther’, weil ihnen meine Mutter von meinem Sieg bei den Sprintmeisterschaften erzählt hat. Die furchtbaren Kopfschmerzen der letzten Tage sind besser geworden, also macht es mir nix aus, dir ausführlich zu schreiben, was passiert ist. Halte den Brief bitte gut versteckt. Weil du mein bester Freund bist, schreibe ich dir, was wirklich geschehen ist, keiner sonst weiß und wissen darf.
Alles fing mit dieser Baustelle an: Wegen einer Gasexplosion ist unser Schulweg gesperrt. Du kennst die Stelle, es ist da, wo der Kiosk ist. Wir, also Felix, der mit mir zur Schule geht und ich, müssen nun einen Umweg machen, er führt durch das Revier von Charlies Bande. Charlie ist erst vierzehn, aber sehr groß, natürlich auch kräftig, ein brutaler Kerl, der sogar schon den Polizisten hier im Umkreis bekannt ist. Auf dem Hinweg war die Welt noch in Ordnung - Null Problemo. Auf dem Heimweg passierte es: Charlie und seine ,Männer’, wie er sie nennt, blockierten den Weg. Das war echt krass - sie kamen immer näher, drängten uns gegen eine Wand, fingen zu prügeln an. Ich erhielt gleich einen Schlag in den Magen, Felix sogar einen auf die Nase. Er bekam Panik, zog sein neues Handy aus der Hosentasche, wollte Hilfe herbeirufen. Das hätte er lieber bleiben lassen. Charlie plusterte sich in seiner Bomberjacke auf, grinste widerlich, schnappte das Handy und sagte: „Wo so ein tolles Teil ist, da gibt es auch mehr zu holen.“ Er dachte, Felix` Eltern müssten reich sein, dabei haben sie nicht viel Geld, auch Felix hat nix, bis auf sein Handy. Jedenfalls befahl dieser angeberische Idiot seinen ‚Männern’ uns zu der verlassenen Gartensiedlung hinter dem Schulgelände zu zerren, dahin, wo später das neue Sportzentrum sein soll. Charlie meinte: "Wenn ihr lange genug in Dreck und Kälte schmort, werdet ihr schon bald ausspucken, was ihr alles als Benutzungsgebühr für den Schulweg rausrücken könnt.“ Als wenn man in Kälte ‚schmoren’ könnte, so ein Blödmann. Natürlich hatte ich eine Stinkwut, aber auch keine Möglichkeit zur Verteidigung. Felix sagte kein Wort, atmete heftig vor lauter Anstrengung. Diese Brutalos trieben uns den Bürgersteig entlang, um Hilfe rufen ging nicht, immer wenn wir etwas rufen wollten, haben die uns die Arme auf dem Rücken verdreht. Bevor man einen Hilferuf rausbrachte, musste man schreien, so weh haben die uns getan. Charlie und seine Bande schrieen auch, damit das Ganze nicht auffiel. Sogar erwachsene Leute wechselten feige die Straßenseite wegen der Bande, dabei sind die gerade mal zwei Jahre älter als wir beide!
Nach ungefähr zwanzig Minuten kam unser ganzer Trupp zu einer alten Holzhütte. Dort wurden wir Gefangene mit Seilen und Klebeband auf verdreckte Holzstühle gefesselt. Weiß der Teufel, warum die Typen so etwas dabei hatten, wahrscheinlich waren sie auf solche Unternehmungen immer vorbereitet. Ich versuchte es schlau zu machen, spannte meine Muskeln beim Fesseln an, ohne Erfolg. An den Hand- und Fußgelenken sind keine Muskeln, man kann da nix dicker machen. Auch an den Armen hätte das nix gebracht, so stark, wie da zugezogen wurde! Charlie klebte Felix breites Klebeband über den Mund. Jeder von denen johlte und fluchte während dieser ganzen Kleberei. Schnell schaltete ich die Spuckeproduktion auf Höchstleistung, schmierte alles mit meiner Zunge so weit wie möglich um den Mund. Sie kamen zu mir. Das Klebeband hielt, aber zum Glück etwas weniger fest als normal. „Schmort schön“, riefen Charlies´ ‚Männer’ und drückten beim Verlassen der Hütte die Tür zu. Wir waren allein, konnten aufatmen, aber Alleinsein ist auch Scheiße. Ich sah mich um: Überall hingen Spinnenweben, ein schief dastehender Tisch, ein Stuhl, hinten in der Ecke irgendwelche komischen Geräte. Ein kleines Fenster, mit recht sauberen Scheiben, durch sie drang wenigstens Licht. Mann, da saßen wir aber nun in der Patsche! Felix ging es schlecht, er hat Asthma, außerdem plagte ihn Schnupfen, jeder Atemzug war für ihn eine Last. Mit dem Stuhl ruckelte und schaukelte ich zu ihm rüber, kratzte das Klebeband mühsam an der Stuhllehne von meinem Mund ab, Stück für Stück. Ein alter Nagel stand aus dem Holz hervor, riss meine Haut auf. Vor Anstrengung stand mir Schweiß im Gesicht. Der Schweiß, Blut, das Schaben an der Lehne - einfach furchtbar! Nach einer Ewigkeit gelang es mir das widerliche Plastikzeug abzurubbeln. Felix brauchte schnell Hilfe. Er schaute nur groß, saß starr im Stuhl. Behalte das unbedingt für dich: Ich leckte und nagte an dem Klebeband in seinem Gesicht rum, das war vielleicht peinlich! Aber es war höchste Zeit Felix zu helfen. Er sah schon bläulich verfärbt aus, als sich dieses Zeug endlich löste.
Inzwischen war der Raum fast ganz dunkel geworden, richtig unheimlich. Einige Geräte in der Ecke knisterten, manchmal glitzerte ein schwacher Lichtschein. Felix sah ganz mitgenommen aus und flüsterte: „Bitte, versuch hier rauszukommen bevor Charlie wieder auftaucht. Vielleicht hört uns jemand, wenn du draußen schreist.“ Also ruckelte ich diesmal zur Tür, rammte den Stuhl dagegen bis sie aufsprang, fiel samt Stuhl die kleine Treppe hinunter. Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Kopf, er war auf eine Stufe geknallt.
„Hoffentlich führt jemand hier seinen Hund aus“, dachte ich und schrie und schrie, mir tat der Hals weh, niemand schien das Rufen zu hören. Doch - da ... Rascheln im Gras. Luftanhalten ... ganz deutlich - Schritte. Hier! Hier! Mein Brüllen muss schrecklich geklungen haben. Ja, da kam jemand - es waren zwei von Charlies ‚Männern’.
Die beiden machten hämische Bemerkungen während sie den Stuhl, inklusive meiner Wenigkeit, in die Hütte zurück trugen. Ich war furchtbar enttäuscht. Vergeblich versuchte ich mich besonders schwer zu machen. Dann wurden unsere Stühle Seite an Seite zusammengebunden. Charlies Helfer verdufteten erstaunlich schnell, hatten sich wohl aus dem Sportunterricht verdrückt und mussten wieder rechtzeitig von ihrem ‚Lauftraining’ zurück sein. Hätten wir unseren Eltern oder Lehren bloß gesagt, welche Folgen die Änderung des Schulwegs hat! Aber wer will schon als unselbständige Memme dastehen? Jetzt hatten wir den Salat! Zum Glück konnte Felix jetzt wieder frei atmen, ist doch einfach super, wenn man Luft bekommt. Gut - was musste als Nächstes getan werden? Die Situation schien aussichtslos, uns ist trotzdem gelungen, abzuhauen.

Unsere Befreiung kam so: An diesem Tag ging der Unterricht bis ein Uhr, wir wollten aber vielleicht noch zur Hausaufgabenstunde gehen. Als keiner von uns nach Hause kam, haben meine, und natürlich auch Felix` Eltern, rumtelefoniert. Erst hatten sie natürlich gedacht, wir wären bei irgendwelchen Freunden hängen geblieben, ohne Bescheid zu sagen, wie das halt manchmal passiert. Ehrlich, ich schwöre dir - nie wieder! Jedenfalls haben andere Schüler erzählt, dass Charlie mit seinen Leuten Felix und mich angegriffen hatte, damit den Verdacht auf ihn gelenkt. Jonas, stell dir vor - viele Mitschüler haben die Schlägerei beobachtet, aber nix gemacht! Mit denen zusammen hätte das Lumpenpack keine Chance gehabt!
Der ganze Haufen wurde von einem Polizisten verhört, ging dann samt Eltern zu dem Gartenhäuschen. Sie kamen an, als Felix gerade die Tür öffnete. Die zwei ,Männer’, die mich wieder zurück getragen hatten, haben gesagt, sie hätten uns losgebunden. Wir wären jedoch totale Angsthasen und wollten deshalb nicht mit ihnen zurück zur Schule gehen. Ich war ganz verdattert, mit welcher Frechheit die uns zu Feiglingen erklärten. Unsere Eltern freuten sich natürlich, weil sie ihre Vermissten so schnell gefunden hatten. Charlies Bande war gefasst, ein Termin für das so genannte Strafgericht wurde festgelegt. Erleichtert brachte man mich ins Krankenhaus zur Untersuchung, dort wurde eine Gehirnerschütterung festgestellt. Erst als der Stress vorbei war, merkte ich, wie schlecht es mir ging, wie sehr mein Schädel brummte. Ich kann dir sagen - so einen hämmernden Schmerz habe ich noch nie erlebt, und das alles wegen diesen Idioten. Später kam die Blutvergiftung dazu, da war der rostige Nagel dran schuld.
Bis hierher ist das nur die offizielle Version von dem, was passiert ist. In Wahrheit verlief die Befreiung anders. Du erinnerst dich an den knisternden und schwach leuchtenden Geräte-Krempel in der Hütte? Der wurde auf einmal aktiv. Richtig Schiss hatten wir, getrauten uns keinen Ton mehr zu sagen, konnten nicht mal mehr zur Tür raus, die Stühle waren doch zusammengebunden! Dann - einen Moment lang kam es mir wie ein Albtraum vor - ging ein heller Strahl, eigentlich viele kleine Blitze hintereinander, von so einem Gerät in der Ecke raus durchs Fenster. Ein gelblicher Schatten flog auf das Fenster zu, das Glas vibrierte heftig, ohne zu zerbrechen: Vier höchstens fünfzig Zentimeter große rundliche Wesen, ganz grau, landeten im Zimmer. Auf die Schnelle konnte ich ihr Gesicht nicht genau betrachten, aber ich bin sicher, sie hatten keine Augen! Rund um ihren Kopf war eine Art bläuliches Band, natürlich kein richtiges, sondern ihre Haut sah so aus. Ich nehme an, damit konnten sie sehen, also auch nach hinten! Einer von ihnen machte ein Geräusch wie „zirschschri zirsch“, kam ganz langsam auf uns zu. Mir brach Schweiß aus allen Poren, kalter Schweiß. Ich habe keine Ahnung, was Felix in diesem Moment gemacht hat, so schockiert war ich. Hoffentlich tun die uns nix, war mein einziger Gedanke. Ohne dass man erkennen konnte, wie sich der graue Kerl bewegt hatte, stand er plötzlich hinter den Stühlen, meine Hände wurden losgebunden! Ich war zu erschrocken, um ihm „danke“ zu sagen, die seltsamen Gestalten waren auch schon wieder verschwunden samt ihrem technischen Zeug.
Was glaubst du, als die Eltern meinen Kumpel und mich fanden, man ihnen den verlogenen Unsinn von unserer Befreiung auftischte - hätten wir das mit den Wesen erzählen sollen? Mann, ich will nicht für verrückt erklärt werden oder als ‚Lügenbaron von Altenstadt’ in der Schule rumlaufen! Ich bin immer noch ganz durcheinander und weiß nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll. Also: Diese Information ist nur für dich, Felix hält sowieso seinen Mund.
So, muss jetzt aufhören, den Brief in einen Umschlag stecken, es ist jetzt schon nach drei, meine Eltern können jeden Moment hier sein.
Also bis bald,

liebe Grüße,

Christian


Überarbeitete Fassung, 07.03. 05

 

Hi Wolto,
eine spannende Geschichte, inzwischen auch kindgerecht.

Ja - was denn nun wirklich passiert ist …
Hab ich dich richtig verstanden, und die Version der "Männer" stimmt? Hat sich der Prot so sehr geschämt, dass er die grauen Männchen erfunden hat? Ich denke, Scham und das Bewusstsein, verletzliches Opfer zu sein, sind schlimme Folgen so eines Erlebnisses. Aber reicht das dazu aus, in Gefangenschaft zu bleiben? :hmm:

Die Geschichte hätte auch ohne die Männchen funktioniert, kriegt aber dadurch noch einen besonderen Touch, weil man sich nämlich fragt:"Ja - was denn nun wirklich passiert ist …" ;)

Textkram:

...war erst 14 - Sicht eines Erwachsenen. Für einen Zwölfjahrigen ist das doch beeindruckend und eher "schon".

"windschief[ dastehend] er Tisch" - gilt doch für draußen. In einer Hütte reicht "schiefer".

Gruß, Elisha

 

Hallo al-dente,

oh … der Titel …

jetzt hatte ich mich zur Titeländerung durchgerungen, war wohl doch nicht das Richtige:

„Dazu gehört auch, dass ich den Titel irreführend finde. Ich hätte erwartet, dass das Geheimnis der Hütte aufgeklärt wird“

Als Geheimnisauflösung hatte ich die Tatsache angesehen, dass es Aliens gibt, die hinter dem technischen Zeug stecken und sich somit die an sich unmögliche Befreiung aus der Hand der Bande erklärt.

„Lediglich das Ende, mit den grauen, augenlosen Kerlchen ist - für meinen Geschmack - ein wenig weit hergeholt, zumal auch die Auflösung fehlt und die seltsamen Gestalten einfach so in der Luft hängen bleiben“

Schade, wenn dir das nicht zusagt. Wenn man annimmt, Aliens haben eingegriffen (falls das nicht Christians Fantasie entsprang), ist es dann nicht wahrscheinlich, dass die Fremden nach ihrer Entdeckung verschwinden? Natürlich sind sie ein wenig der deus ex machina, doch das wäre die Polizei auch und so bleibt die Ungewissheit, ob es Realität oder Fantasie war.


„Ich glaube, dass die Geschichte für Kinder ab 9 oder 10 Jahren geeignet wäre ...“

Das stimmt. Inzwischen hatte ich Testleser/Hörer von acht bis zwölf, die sich darüber aufregen, dass man den beiden Helden auf dem Schulweg nicht beisteht und doch hoffen, dass es die Männchen wirklich gab.

„Was mir sehr gut gefiel, waren die teilweise ein wenig abgehackten Sätze“

Danke! (Deshalb hatte ich es auch nicht geändert :D, aber ich ändere die „Halunken“ in `Brutalos´ - obwohl das nicht meinem Wortschatz entstammt ….)


Mit dem Tisch hast du natürlich auch Recht.

Vielen Dank für´s deinen Kommentar,

l G,

Woltochinon

Hallo Elisha,

freut mich, dass du in meine Kindergeschichte geschaut hast!

Zitat:

„Hab ich dich richtig verstanden, und die Version der "Männer" stimmt?“


Ich habe nur Pullovers Vorlage wiederholt, es bleibt unentscheidbar, wie es in der Wirklichkeit war.

„Die Geschichte hätte auch ohne die Männchen funktioniert“

Das stimmt, ich hatte sie aber von vorneherein mit Männchen geplant damit das Abenteuer und die Moral annähernd in der Waage sind.


“...war erst 14 - Sicht eines Erwachsenen. Für einen Zwölfjahrigen ist das doch beeindruckend und eher "schon".“

Hmmm - das `erst´ sollte sich auf die Tatsache beziehen, dass Charlie trotz des geringen Alters „sehr groß“ und „schon“ bei der Polizei bekannt ist (also ein Negativ-Rekord).

"windschief[ dastehend] er Tisch" - gilt doch für draußen. In einer Hütte reicht "schiefer".

Stimmt - ist mir nicht aufgefallen, wird geändert.


LG,

tschüß Woltochinon

 

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