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Das Feuer des Salamanders
Das Feuer des Salamanders
Als ich dir in die Augen sehe, kann ich tief in dir etwas entdecken. Ein leichtes Flackern, das mich unruhig werden lässt. Du sagst, es ist alles in Ordnung, und dass du mich liebst. Trotzdem lässt mich dieser Moment nicht mehr los. Wie eine verlöschende Kerze. Aber der aufsteigende Zweifel wird im Keim erstickt. Ein kurzer Wimpernschlag von dir, und der Funke ist verglüht. Die Unruhe aber kehrt zurück.
Mit meinem Vater sitze ich auf den Felsblöcken, direkt über den groben Kiesstrand. Zwischen uns steht eine Plastikschale mit den süßesten Weintrauben, die ich je gegessen habe. Wir lassen die Beine baumeln und sehen über das schier unendliche Blau.
Ich glaube meinem Vater nicht, als er darauf zeigt: "Da hinten liegt Afrika, auch wenn man es jetzt nicht sehen kann." Nein, diese Weite ist tatsächlich unendlich.
Es ist einen Tag vor meinem siebten Geburtstag und wir haben keine Eile. Keine Pläne, die über die nächste Mahlzeit hinausreichen. Diesen einen Moment definiere ich für mein Leben als das reine Glück. Genau bis zu diesem Punkt.
In der untergehenden Sonne trauten sich Dutzende kleiner Echsen hinaus auf die Felsen um die letzte Wärme zu genießen. Ich war fasziniert von ihren schnellen und eleganten Bewegungen.
Ein Salamander hatte sich genau zwischen meinen Füßen auf dem warmen Stein zusammengerollt. "Diesen hier nenne ich Fridolin!", verkündete ich. Mein Vater lachte mich aus. "Und woher willst du in drei Minuten noch wissen, welcher von denen Fridolin ist? Die sehen doch alle gleich aus."
"Fridolin ist etwas Besonderes!" Ich war mir da völlig sicher. Aber vorsichtshalber ließ ich ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, während die Echsen herumwuselten wie ein lebendiges Wollknäuel.
"Du, Papa, warum gibt es bei uns keine grünen Salamander?"
"Weiß nicht, vielleicht ist es denen ja zu kalt." Er betrachtete Fridolin einen Augenblick. "Sag mal, willst Du heute schon ein Geburtstagsgeschenk?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, schubste er Fridolin mit einem kleinen Stein in die Plastikschale. Unnötig zu sagen, dass ich meinen Schatz strahlend zum Haus zurück trug, immer darauf bedacht, dass er nicht herausklettern konnte.
Am nächsten Morgen rannte ich, an einem Stapel bunter Geschenke vorbei zur Schachtel. Fridolin saß recht unbeweglich in einer Ecke der Box und hatte das Salatblatt nicht angerührt. Vielleicht fressen Salamander gar keinen Salat. Aber als ich an der Dose wackelte, flitze er wieder herum. Minutenlang ließ ich mich von seinen Bewegungen fesseln.
Auf der gesamten Heimfahrt stand Fridolin in seiner Box neben mir auf dem Rücksitz. Er bewegte sich zwar zusehends weniger, aber zuhause in Berlin kaufte Papa mir ein ganz kleines Terrarium und tote Fliegen in der Dose. Fridolin richtete sich gemütlich ein und fraß auch wieder.
Eine Woche später aber erschreckte er mich beinahe zu Tode. Seit Tagen hatte er sich nicht einmal mehr bewegt, um zu fressen. Als ich ihn am Schwanz packte und aus dem Terrarium hob, um ihn genauer zu betrachten, fiel Fridolin wieder herunter und ich behielt nur den Schwanz zwischen meinen Fingern. Papa sah sofort in einem Buch nach. "Das ist normal. Kann schon mal passieren. Das wächst wieder nach."
Sicher hatte er recht, aber es sollte nicht mehr dazu kommen. Als ich ein paar Tage später morgens nach ihm sah, lag der Salamander vollkommen still. Ich schubste ihn mit einem Bleistift hin und her, aber es war nichts mehr zu machen. Leblos lag er auf dem Rücken. Wir hielten eine kleine Zeremonie im Garten ab und ich vergaß ihn bald darauf. Ich war erst sieben.
Immer wieder sehe ich jetzt forschend tief in deine Augen. Vielleicht bin ich dieses Mal nicht zu spät. Vielleicht kann ich für dich noch etwas tun. Verzeih mir, dass ich dich hergebracht habe. Ich hab mir nichts dabei gedacht.