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Das Feuer des Salamanders

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08.11.2001
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Das Feuer des Salamanders

Das Feuer des Salamanders

Als ich dir in die Augen sehe, kann ich tief in dir etwas entdecken. Ein leichtes Flackern, das mich unruhig werden lässt. Du sagst, es ist alles in Ordnung, und dass du mich liebst. Trotzdem lässt mich dieser Moment nicht mehr los. Wie eine verlöschende Kerze. Aber der aufsteigende Zweifel wird im Keim erstickt. Ein kurzer Wimpernschlag von dir, und der Funke ist verglüht. Die Unruhe aber kehrt zurück.

Mit meinem Vater sitze ich auf den Felsblöcken, direkt über den groben Kiesstrand. Zwischen uns steht eine Plastikschale mit den süßesten Weintrauben, die ich je gegessen habe. Wir lassen die Beine baumeln und sehen über das schier unendliche Blau.
Ich glaube meinem Vater nicht, als er darauf zeigt: "Da hinten liegt Afrika, auch wenn man es jetzt nicht sehen kann." Nein, diese Weite ist tatsächlich unendlich.
Es ist einen Tag vor meinem siebten Geburtstag und wir haben keine Eile. Keine Pläne, die über die nächste Mahlzeit hinausreichen. Diesen einen Moment definiere ich für mein Leben als das reine Glück. Genau bis zu diesem Punkt.

In der untergehenden Sonne trauten sich Dutzende kleiner Echsen hinaus auf die Felsen um die letzte Wärme zu genießen. Ich war fasziniert von ihren schnellen und eleganten Bewegungen.
Ein Salamander hatte sich genau zwischen meinen Füßen auf dem warmen Stein zusammengerollt. "Diesen hier nenne ich Fridolin!", verkündete ich. Mein Vater lachte mich aus. "Und woher willst du in drei Minuten noch wissen, welcher von denen Fridolin ist? Die sehen doch alle gleich aus."
"Fridolin ist etwas Besonderes!" Ich war mir da völlig sicher. Aber vorsichtshalber ließ ich ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, während die Echsen herumwuselten wie ein lebendiges Wollknäuel.
"Du, Papa, warum gibt es bei uns keine grünen Salamander?"
"Weiß nicht, vielleicht ist es denen ja zu kalt." Er betrachtete Fridolin einen Augenblick. "Sag mal, willst Du heute schon ein Geburtstagsgeschenk?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, schubste er Fridolin mit einem kleinen Stein in die Plastikschale. Unnötig zu sagen, dass ich meinen Schatz strahlend zum Haus zurück trug, immer darauf bedacht, dass er nicht herausklettern konnte.

Am nächsten Morgen rannte ich, an einem Stapel bunter Geschenke vorbei zur Schachtel. Fridolin saß recht unbeweglich in einer Ecke der Box und hatte das Salatblatt nicht angerührt. Vielleicht fressen Salamander gar keinen Salat. Aber als ich an der Dose wackelte, flitze er wieder herum. Minutenlang ließ ich mich von seinen Bewegungen fesseln.
Auf der gesamten Heimfahrt stand Fridolin in seiner Box neben mir auf dem Rücksitz. Er bewegte sich zwar zusehends weniger, aber zuhause in Berlin kaufte Papa mir ein ganz kleines Terrarium und tote Fliegen in der Dose. Fridolin richtete sich gemütlich ein und fraß auch wieder.
Eine Woche später aber erschreckte er mich beinahe zu Tode. Seit Tagen hatte er sich nicht einmal mehr bewegt, um zu fressen. Als ich ihn am Schwanz packte und aus dem Terrarium hob, um ihn genauer zu betrachten, fiel Fridolin wieder herunter und ich behielt nur den Schwanz zwischen meinen Fingern. Papa sah sofort in einem Buch nach. "Das ist normal. Kann schon mal passieren. Das wächst wieder nach."
Sicher hatte er recht, aber es sollte nicht mehr dazu kommen. Als ich ein paar Tage später morgens nach ihm sah, lag der Salamander vollkommen still. Ich schubste ihn mit einem Bleistift hin und her, aber es war nichts mehr zu machen. Leblos lag er auf dem Rücken. Wir hielten eine kleine Zeremonie im Garten ab und ich vergaß ihn bald darauf. Ich war erst sieben.

Immer wieder sehe ich jetzt forschend tief in deine Augen. Vielleicht bin ich dieses Mal nicht zu spät. Vielleicht kann ich für dich noch etwas tun. Verzeih mir, dass ich dich hergebracht habe. Ich hab mir nichts dabei gedacht.

 

hi Jynx!

Lieben Dank für Deine Kritik!

Der Tempus-Wechsel...
das ist eine gute Frage. Ich hab es spontan so geschrieben gehabt. Und ich habe dann auch verstanden, wieso: Der Glücksmoment ist im Grunde zeitlos, während die andere Geschichte im Grunde ja lange vergangen ist.
Eigentlich bin ich also der Ansicht, die Zeit richtig eingesetzt zu haben. Falls es aber zu verwirrend ist, muß eben auch das Glück in die Vergangenheit :p


Zum Thema Tempus-Wechsel muß ich ja auch noch diese Stelle hier selbst anführen:

Vielleicht fressen Salamander gar keinen Salat.
Das ist Präsens. Denn wahrscheinlich hat er sich bis heute nicht erkundigt ;)

Die beiden Sätze passen logisch nicht zusammen. Es ist ja eine rückblickend erzählte Episode. Der Erzähler weiß also bereits, ob das Weintraubenessen der Glücksmoment seines Lebens ist. Wenn du das "für mein Leben" streichst, wird es verständlicher; oder du suchst ein neues Verb für definieren.
Hier bin ich anderer Meinung.
Mein Erzähler ist ja noch nicht auf dem Totenbett. Also weiß er ja nicht, welche Glücksmomente noch kommen könnten. Deshalb "definiert" er. Deshalb ist auch "für mein Leben" notwendig, finde ich. Sonst könnte es ja auch "für meine Kindheit" oder "diesen Urlaub" sein...

Die logische Verknüpfung der Sätze macht mir eigentlich gar keine Schwierigkeiten.
Hätte er es damals entscheiden müssen, wäre vermutlich auch der Salamanderfang und so der Glücksmoment gewesen. Aber durch das, was danach geschah, hat der Rest des Abends einen komischen Beigeschmack. Deshalb ist das nicht Teil des glücklichen Moments, sondern Beginn einer neuen, schmerzhaften Erfahrung. Deshalb der zweite Satz.

Daran, daß das Sitzen und Weintraubenessen ein Glücksmoment ist, zweifelt doch auch keiner der Sätze.

Oder hab ich Dich jetzt mißverstanden?

Das mit dem doppelten "nach Hause"...
naja, ich habe ja mit Absicht nicht zweimal "nach Hause" geschrieben, sondern einmal "zum Haus" (weil es eben nicht das Zuhause ist) und dann "Heimfahrt", um deutlich zu machen, daß es zurück nach Deutschland geht.
Schon bei dem ersten Gespräch zwischen Vater und Sohn wird ja klar, daß sie nicht dort leben. ("Du, Papa, warum gibt es bei uns keine grünen Salamander?") Also gibt es da grüne Salamander, nicht aber zuhause.


ganz lieben Dank für Deine Kritik und Dein Lob!

Frauke

 

Moin, Frauke!

Ich mach einfach mal Impressions-Wiedergabe:

Ich spüre da Abschiedsstimmung. Wovon, ist schwer zu sagen. Abschied von einem Traum? Von einem Mythos von Kindheit? Vom jenem Glücksgefühl, von dem die Rede ist? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall schwingt da viel Melancholie mit, das Bild vom am Wasser sitzen wirkt trotz der relativ nüchternen Sprache auf mich sehr lyrisch, beinahe verklärt. Eine Remineszenz an eine idyllische Kindheit. Konservierter Glücksmoment. Ein Schmetterling unter Glas, sozusagen...

Den Tempuswechsel finde ich insgesamt irgendwie... unnötig. Warum nicht alles im Präsens erzählen? Das machte das Geschehen noch unmittelbarer, erinnerungsähnlicher. Wir erinnern uns ja nicht im Imperfekt. ;)

Am Rande bemerkenswert: Mit welcher Selbstverständlichkeit ein männlicher Prot angenommen wird. Festgelegt wird es doch nirgends, oder hab ich was überlesen? Oder gibt es solche Vater-Tochter Momente nicht? Ich kenn mich da nich so aus... :D Ich jedenfalls hatte spontan eine Ich-Erzählerin angenommen. Ist aber eigentlich auch egal...

Dafür, liebe Frauke, gibt's keinen Keks. Statt dessen ein Gläschen guten Rotweins aus einem Damals-als-wir-alle-noch-Kinder-waren-Jahrgang. *Rotwein einschenk* ;)

Lieben Gruß,
Markus

 

Hey Markus!

lieben Dank! *rotwein schlürf zu früh am tag*

Schön, wenn der Text diese Empfindungen transportieren kann.

Ein Schmetterling unter Glas, sozusagen...
autsch! ausgerechnet der Vergleich :D

Ich spüre da Abschiedsstimmung.
Ja, dämmernder Abschied...

Ich denke, es handelt sich mehr um einen Abschied von einer Person. Der Person, die im ersten und letzten Abschnitt angesprochen wird. Durch den Vergleich mit der vergangenen Episode, wird der Abschied realisiert.

Ich werd die Tage mal alles ins Präsens setzen. Das könnte funktionieren. Erst hatte ich das Gefühl, es müsse zumindest einen Tempuswechsel geben, damit die Struktur klar wird. Aber ich versuch es dann mal...
Heute bin ich zu sehr unter Strom.

Ich hab zwar beim Schreiben an einen männlichen Prot gedacht, aber die Interpretation mit Absicht offengelassen. Eine Frau ist genauso möglich. Klar.

Schön, daß Dir die KG gefallen hat!

Lieben Gruß,

Frauke

 

autsch! ausgerechnet der Vergleich :D
Hey, morgens um 9 läuft nur mein Klischee-Modul - und sonst nich viel... :D Aber Du weißt ja, was ich meine.
Ich denke, es handelt sich mehr um einen Abschied von einer Person.
Das war mir schon bewußt - ich hielt es für so offensichtlich, dass ich es nicht noch mal extra erwähnt habe. Was ich darüber hinaus meinte, war eben jene emotionale Unterströmung, die über die aktuelle Situation hinausgeht. Eine universelle Melancholie, die jedem Abschied innewohnt. Dieses schwer zu fassende Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir auf Vergangenes zurückblicken. Das Wissen, dass wir als Menschen dazu neigen, das Banale zu vergessen.

Wir werden von jedem Abschied aufs Neue überrascht. Vergessen ganz bewußt, dass nichts ewig ist. Wir denken: Jede große Liebe ist für immer. Jeder Glücksmoment soll ewig dauern. Wir halten unsere Eltern für unsterblich, unsere Kindheit für unwiderbringlich, verklären uns das Leben und staunen, wenn die Wahrheit uns wieder einmal einholt. The harsh light of day nennen es glaube ich die Anglophonen. Das ist es wohl, was Dein(e) Prot in den Augen sucht und findet: Das Wissen um das Ende...

Sorry, ist nur so'ne Art emotionales Brainstorming - rudimentäre Kartographie von dem Ort, an welchen ich mich vom Text habe tragen lassen... ;)

Und trink nich so viel! :D

Liebe Grüße,
Markus

 

@Horni:
naja, wenn man den Mittelteil der Geschichte ansieht.. dann ist ein Schmetterling unter Glas schon fast sarkastisch :D naja, dann eben so!

Was ich darüber hinaus meinte, war eben jene emotionale Unterströmung,
ja, mit einer platten 0-8-15-Episode geb ich mich meist nicht ab, aber das ist Dir ja nicht mehr ganz neu :)

Dieses schwer zu fassende Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir auf Vergangenes zurückblicken.
laß mich modifizieren: ... wenn wir auf Vergehendes blicken...

@Jynx:

deine Geschichte folgt mir immer noch. Danke dafür.
Das ist ein schönes Lob! vielen Dank dafür!
Die Geschichte brachte mich dazu, meine schwarz-weißen Kinderfotografien aus dem Regal zu kramen, und sie träumend im eiskalten Wintergarten an zu sehen.
Ja, Dich hat das Melancholie-Fieber wirklich gepackt! Ich bin begeistert. In diesem Sinne wohl eine echte Wintergeschichte.

Ich hab jetzt auch kapiert, wo wir vorhin aneinander vorbeigeredet hatten. Auf die Interpretation war ich gar nicht erst gekommen.

Ich habe allerdings immer noch meine Probleme mit dem definieren von Glück, weil es aus dem lyrischen so heraus steht- kann das nicht vielleicht empfundenden, gefühlt, gespürt werden?
Ich weiß - mal ganz praktisch-philosophisch betrachtet - nicht, ob ich für mich (universelles) Glcük definieren will, oder kann. Ich sehe auch keine Notwendigkeit dafür.
Mein Protagonist/Meine Protagonistin definiert für sich und sagt das dementsprechend auch ausdrücklich. Ein Aspekt, an dem man sich reiben kann und darf. Vielleicht ist gerade der Definitionsaspekt eines der Probleme der Figur.
Ihr fehlt der Zugang zu den Emotionen? Glück zu definieren, anstatt es zu empfinden? Mir würde das nicht weiterhelfen... Und seine Beziehung zu verlieren, den Bezug zu ihrem Partner / seiner Partnerin zu verlieren... das kann jedem passieren, klar. Aber vielleicht hätte er/sie eben eine bessere Chance, wenn er/sie sich auf die Empfindungen und Bedürfnisse seines Gegenübers einstellen würde... bei der Partnerschaft und beim Salamander...

Lieben Dank für Dein feedback!

Frauke

 

Hallo arc en ciel,

etwas melancholisch, aber auch fürsorglich kommt die Geschichte bei mir an. Gekonnt unterbrochen durch die kindliche Aufgeregtheit, die kindliche Fähigkeit im Allgemeinen (den leicht verwechselbaren Echsen) das Besondere zu sehen.
Der Schluß führt überraschend zum Ausgangspunkt zurück, dadurch erhält die Schilderung des Kindheitserlebnisses einen neuen, ernsten Stellenwert. Hoffentlich ist es für die Hilfe (für den Vater?) nicht zu spät, hoffentlich waren die Fehler nicht umsonst.
Hat mir gut gefallen, keine Pläne haben müssen (aber können)- welch Glücksmoment! (Ganz mein Thema).

Liebe Grüße,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Wolchi!

schön, wenn der Text berührt! Ich freue mich, wenn ich meine Leser erreiche.

Hoffentlich ist es für die Hilfe (für den Vater?) nicht zu spät, hoffentlich waren die Fehler nicht umsonst.
Wie verstehe ich Dich hier? Gehst Du davon aus, daß die Person der Gegenwartshandlung der Vater ist?
Interessante - von mir nicht in Betracht gezogene - Variante.

Ich mag es, in meinen Texten weitere Bedeutungen zu entdecken. Vor allem, wenn sie Sinn machen :D

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo Frauke!

MIr hat Deine Geschichte gut gefallen. Der erste und letzte Absatz sind die Klammer, die die Erinnerung umschließt. Mich würde halt, neugierig wie ich bin, noch interessieren, wer das da ist. An den Vater ahtte cih brigens selber auch kurz gedacht. :D Er ist ja die einzige Person, die auch sonst noch erwähnt wird...Viellciht ist es auch das, was mich etwas...stört. Der einzige Bezug ist das Abscheidnehmen in gewissen Sinn. Sonst gibt es offenbar keine Verbindung...schöner fände ich es irgendwei, wenn die Person schon im Mittelteil vorkommen würde, und das aus den ersten/letzten Absätzen auch hervorgehen würde. Irgendwelche anderen Parallelen, so ist der Text seltsam beliebig in meinen Augen.
Ansonsten: der Mittelteil, die kindererinnerungen sind gekonnt und wunderbar detailreich geschildert. Irgendwie wirkt der ganze Text sehr liebevoll.

schöne Grüße
Anne

 

hi Maus!

schön, wenn's Dir gefallen hat!

Darauf, daß man an den Vater denken könnten, habt wirklich erst ihr mich alle gebracht.
Ich hatte diese "Beliebigkeit" tatsächlich in Kauf genommen, weil ich dachte, sie führt zu einer Möglichkeit, entsprechende eigene Personen einzusetzen und so Identifikation zu erreichen. Sollte das nicht funktionieren, muß ich mal versuchen, diesen Effekt wieder rauszuschreiben.

Die betreffende Person (eine Partnerin/einen Partner) konnte ich im Mittelteil leider nicht erwähnen, weil dann die Verbindung der beiden zu stark gewesen wäre... wenn sie sich schon als Kinder kannten...
Ich überleg mir was!

Jedenfalls freue ich mich über Dein Lob!

Lieben Gruß,

Frauke

 

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