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Dachbodenträume

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08.11.2001
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Dachbodenträume

Dachbodenträume

Durch die Dachritzen drang nur wenig Licht bis zu seiner Kiste hinunter. Gerade deshalb hatte er die Kiste hierhergerückt. Ein kleines Stück vom Himmel sehen, aber trotzdem gut versteckt.
Nach einem letzten Zug drückte er die Kippe auf der alten Dachpfanne aus, die neben der Kiste lag. Der Rauch hing in seinen Lungen. Mit einer Hand kramte er schon in seiner Tasche nach den Kaugummis. Damit er nachher nichts riecht.

"Hast Du das verdammte Zeug jetzt weggeräumt?" Die Stimme klirrte ihm schon im Flur entgegen, als er die Wohnung betrat. Ja, er hatte Laub gefegt. Und es war in der Bio-Tonne. Ja, lass mich in Ruhe, ok?
"Was jetzt! Ey! Haste Deine Zunge verschluckt!" – "Ja, bin fertig." Er ging in die Küche und setzte den Kessel auf. Mit der Teetasse setzte er sich dann an die Hausaufgaben. "Ey! Bring mal ein Bier, ja?" Das Bier aus dem Kühlschrank, Flasche auf, zur Couch. "Na, endlich!"

Nach der Schule erst mal wieder hinauf. Jetzt ist er sicher schon wieder unten und wartet darauf, dass er nach Hause kommt. Aufs Essen. Auf ein Bier. Und noch eins. Und spätestens nach dem vierten wird er mies. Dann fliegt wieder die leere Flasche durchs Zimmer. Gestern hat sie ihn nur knapp verfehlt. Die Scherben hat er lieber schnell zusammengefegt. Das wär alles nie passiert, wenn Mama noch leben würde. Der häufigste Dachbodengedanke. Hier auf der Kiste mit Mamas Bildern und Pinseln.

Das Essen ist angebrannt, während er die Betten gemacht hat. Jetzt muss er sich wieder stundenlang was anhören. Jetzt fliegt wieder ein Teller vom Tisch. Diesmal bleibt er heil. Aber die Soße wird wohl einen Flecken hinterlassen auf der Tapete. Morgen, nach dem zweiten oder dritten Bier, dann, wenn er mal etwas mitbekommt, wird ihm der Fleck auffallen. Dann knallt es wieder.

Das Bier ist nicht kalt genug, kein Wodka mehr da. Doch, aber die falsche Sorte. Zählt nicht. Das ist der mit dem Lemon-Geschmack. Der ist zum Kotzen.
Morgen wird jemand ihn ansprechen. Auf das Auge. Dann muss ihm etwas einfallen. Aber was Neues, dieses Mal. Sonst fällt es irgendwann auf.
An der Tankstelle kriegt er wieder Probleme. Den Wodka nimmt der ältere Mann hinter der Kasse ihm weg. "Dafür bist Du zu jung." Wenn der wüsste, wozu ich nicht zu jung bin.
Als die beiden Motorradfahrer kommen, tanken und bezahlen, schleicht er schnell durch die Tür, mit der Flasche wieder raus und beruhigt sich damit, dass es sowas wie Notwehr ist. Zigaretten gibt’s am Automaten. Da hat er wenigstens kein Problem.
Diesmal nicht nach oben. Lieber gleich alles über sich ergehen lassen. Es hat ja sowieso schon viel zu lange gedauert, bis er den Wodka gekriegt hat.

Nicht, dass es was bringt. Aber es geht jedenfalls schnell. Die Flasche lenkt ab. Nein, er braucht kein Glas. Das ist was für Weicheier. So, wie immer.
Bier nach Bier. Die klirrende, nicht mehr klare Stimme in den Ohren. Im Bad sieht er in den Spiegel. Das Auge ist jetzt schon ziemlich dunkel angelaufen. Das wird schwer morgen. Das letzte ist noch gar nicht so lange her. Und das ausgerechnet heute. Auch, wenn er versucht, nicht dran zu denken, heute hätte er eben mal was anderes verdient. Beim Aufwachen hat er dran gedacht. Aber schon auf dem Weg zum Bad war klar, dass es kein besonderer Morgen war. Naja, schon einer war, aber keiner sein durfte.

"Ey, wo sind die Kippen!" Er hatte sie doch auf den Couchtisch gelegt. Einfach mal abwarten. Dann findet er sie schon. Er versucht, in den Spiegel zu lächeln. Aber mit dem Auge sieht das kläglich aus.
"Ey, rück raus! Oder haste se selbst gequalmt, eh?" Nein, sie liegen auf dem Tisch. Bestimmt. Und es ist auch die richtige Sorte. Es hilft nichts. Er muss suchen gehen. "Ich geb’s langsam auf mit Dir! Dass Du nie was auf die Reihe kriegst. Alles muss man selbst machen. Hastde denn gar nix gelernt von deinem alten Herrn, hä?"
Ach da. Vom Tisch gestoßen. Wahrscheinlich mit der Programmzeitschrift. Aber was soll’s. "Blödmann, auf dem Boden sollen die Teile echt nicht rumliegen. Dass Du auch nie..."
Er traut sich. Verlässt das Zimmer, bevor der Satz beendet ist. Was auch immer dabei rauskommt, wird er morgen sehen. Nicht mehr heute.

Die Kiste steht immer noch unter dem kleinen Spalt in den Dachpfannen. "Hi, Mama!" Er tastet sich in der Dunkelheit vor. "Magst Du mit mir feiern?" Seine Stimme ist nicht ganz fest. "Ich bin heut 14, weißt Du?" Unter seinem Pulli zieht er die Flasche heraus. "Magst Du mit mir anstoßen?"

[Beitrag editiert von: arc en ciel am 29.03.2002 um 16:44]

 

Ja, auch ich habe davon gehört, dass Kinder unbewusst ihr Elternvorbild wiederholen. Warum das so ist, hat mir noch keiner erklären können. Aber Eltern, die in der Kind heit oft geschlagen wurden, neigen selbst dazu, ihre Kinder zu verprügeln. Und die Sprößling von Alkoholikern trinken später selber oft einen über den Durst.

Ob das dem Jungen aus dieser Geschichte auch passiert, wäre dann ja schon wieder eine eigene Geschichte für sich.

 

Ich hab nur eine 3/4 Stunde gehabt, zwischen dem Anfang und meinem nächsten Termin
Geschrieben in nur 45 Minuten? Respekt! (Mein lieber Herr Gesangsverein!)

Dass der Junge mit seinen 14 Jahren am Ende mit seinem alten Herrn nachzieht, und auch das Trinken anfängt, finde ich sehr konsequent dargestellt. Ich vermute, es gibt mehr von diesen Alkoholiker-Kindern, die selber das Trinken in frühen Jahren anfangen, als wir Otto-Normal-Erzogenen es uns vorstellen können. Ein sehr deprimierender Gedanke!

Und natürlich: Ich verzeih Dir (dies eine Mal), dass Du den Charakteren keine Namen gegeben hast. Du hast recht, es macht die ganze Situation wirklich noch trostloser, ist also tatsächlich sehr viel besser so! ;)

gruss,
philipp.

 

vielen Dank für Dein Lob!
und überhaupt schön, daß Du jetzt wieder da bist!
Ja, trostlos ist genau das, was den Text trifft, fürchte ich.. :(

Lieben Gruß,
Frauke

 

hallo Arc en ciel!

ich hatte bei dem Titel etwas Verträumtes erwartet. Vielleicht etwas Romantisches. Und dann kommt so ein Hammer. Die Geschichte hat mich sehr traurig werden lassen. Der Junge tut mir sehr leid. Diesen Vater möchte man am liebsten einsperren oder irgendetwas...

Du schaffst es sehr schön, Deine Figuren Leben einzuhauchen!

Sunny

 

Hi Sunny! danke erstmal.

bei dieser KG ist es wieder mal seltsam. Alle (?) Leser scheinen starke Gefühle für die beiden Personen zu entwickeln ( und ich bin nur froh, daß keiner den Vater ins Herz geschlossen hat ;) )...
keiner hält sich an textbezogenen Stellen auf. Hab eine Weile drüber nachgedacht, ob das ein gutes Zeichen ist ( nach dem Motto: daran ist nix zu meckern ) ... oder ob das schlecht ist ( darauf kommt es nicht an, weil der eh nicht so gut ist )
habe mich entschlossen, daß es ein Lob sein muß.. ;)

Lieben Dank an alle!

Frauke

 

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