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Da hüpft die Oma aus dem Bett

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10.09.2024
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Da hüpft die Oma aus dem Bett

„Ach, Kindchen, weißt du, deine Oma wird nicht alt“, sagte Oma Erna, die im Bett lag, und seufzte. Oma Erna wohnte bei Anne und ihren Eltern im Haus.
„Aber Oma! Du bist doch schon alt“, antwortete Anne. „Und außerdem sagst du das schon, so lange ich dich kenne. Mindestens hundertmillionen Jahre lang.“ Sanft streichelte Anne die blauen Äderchen auf Oma Ernas Hand, die auf der Bettdecke lag.
„Oma?“
„Ja, Kindchen?“
„Wie lange ist hundertmillionen Jahre?“
„Viel zu lange für deine alte Oma. Doch, doch, Kindchen. Dieses Mal spüre ich es, es dauert nicht mehr lange, wirst schon sehen. Dann ist deine alte Oma bei Opa Erich im Himmel. Und dann schauen wir zusammen auf euch runter von da oben. Ja, ich spüre es ganz genau. In jedem einzelnen Knochen spüre ich es.“
„Was spürst du denn da, Oma?“
„Ach, Kindchen, das ist arg schlimm für deine Oma. Da zwickt und zwackt und zieht es überall. Aber jetzt geh mal in die Küche und schau, ob das Abendbrot schon fertig ist.“
Anne stand auf und schloss die Tür hinter sich. Sie wollte gerade zu ihren Eltern in die Küche gehen, da hörte sie, wie sich diese unterhielten. Über Oma Erna. Eigentlich wollte Anne gar nicht lauschen, so etwas tat man nicht, aber jetzt stand sie ja nun mal vor der Tür und wollte ihre Eltern nicht stören bei so einem wichtigen Gespräch.
„Deine Mutter war heute wieder sehr theatralisch“, hörte Anne ihre Mutter sagen.
„Ach, heute mal nicht melodramatisch?“, fragte ihr Vater.
„Das auch.“
„Das ist das gleiche“, sagte ihr Vater.
„Eben. Aber bei den Medikamenten, die sie nimmt, kann sie gar keine Schmerzen mehr haben. Nirgendwo, auch nicht im entferntesten Nerv. Das sagt auch ihr Arzt. Diese Unmengen an Tabletten und Tropfen, die sie schluckt. Dass deine Mutter im Dunkeln nicht leuchtet, grenzt an ein Wunder. Die simuliert doch nur wieder, die ist nur wieder zu bequem zum Aufstehen und lässt sich bedienen.“
„Nun sei doch nicht so sarkastisch. So ist sie nun mal. Wer weiß, wie lange wir sie noch haben“, sagte Annes Vater.
„Na hoffentlich nicht mehr allzu lange.“
„Inge bitte! Das habe ich jetzt aber mal überhört!“
„Jaja ich weiß, immerhin ist sie deine Mutter.“
„Eben.“
Schnell huschte Anne ins Wohnzimmer, bevor die Küchentür aufging.
„Anne“, rief ihre Mutter. „Bringst du der Oma bitte ihr Abendbrot?“
Anne nahm den Teller mit belegten Broten und öffnete die Tür zum Zimmer von Oma Erna.
„Oma“, flüsterte sie. „Oma, bist du wach?“
„Aber Kindchen, natürlich bin ich das. Bei den Schmerzen kann ja kein Mensch schlafen. Komm nur zu mir.“ Oma Erna klopfte mit ihrer Hand auf die Bettdecke. Anne setzte sich und hielt Oma Erna den Teller hin.
„Na endlich! Ich bin schon fast am Verhungern. Was ist das denn wieder für ein Pamp? Hat das deine Mutter gemacht? Kein Wunder, dass mein armer Andreas so dünn ist.“
„Oma?“
„Ja, Kindchen?“, nuschelte Oma mit vollen Backen.
„Was heißt tetarisch?“
„Tetarisch?“ Oma hörte auf zu Kauen und runzelte die Stirn. „Tetarisch … tetarisch. Warte, Kindchen, gleich habe ich es. Ach, das alte Hirn will auch nicht mehr so. Tetarisch … also nee, noch nie gehört. Hat das deine Mutter gesagt?“
Anne traute sich nicht zu nicken. Sie wollte ihre Mutter ja nicht verraten.
„Wenn das deine Mutter war, dann meinte sie bestimmt ´theatralisch´. Das ist doch ihr Lieblingswort. Neben ´melodramatisch´. Da hat sie bestimmt wieder über mich geredet.“
Oma Erna hielt Anne den leeren Teller hin.
„Ui, Oma, dass du noch so schnell essen kannst, wo dir doch die Zähne immer so weh tun.“
„Ach, Kindchen, wenn es nur das Gebiss wäre.“ Oma Erna sank in die Kissen zurück, seufzte und schloss die Augen. „Hach, im Bett ist es doch immer noch am Schönsten.“
„Oma, du musst aufstehen und im Kreis laufen. Das sagt Mama auch immer, dass du kreislaufen musst, damit du in Schwingung kommst.“
„Ach, Kindchen. Bei deiner alten Oma bringt das Rumlaufen den Kreislauf auch nicht mehr in Schwung. Eher bekomme ich da wieder meine Schwindelanfälle. Und dicke Beine. Nein, nein, da bleib ich lieber mal schön im Bett.“
Anne stand auf und wollte gerade den leeren Teller in die Küche bringen, als sie draußen auf der Straße Gekicher hörte. Sie sah zum Fenster hinaus.
Oma Erna seufzte. „Jaja, ich spür´s genau, mit mir geht’s dem Ende zu. Was ist denn da draußen los, Kindchen? Wer lacht denn da so?“
„Das ist die alte Nachbarin von gegenüber mit ihrem Sohn.“
„Die Nachbarin. Ach, du meinst Margot, die alte Schreckschraube. Aber nie im Leben hat die einen Sohn. War ja nicht mal verheiratet. Hat keinen abgekriegt, so, wie die immer über ihre Krankheiten gejammert hat, die alte Hexe. Da hat ja jeder gleich Reißaus genommen.“
„Aber die muss einen Sohn haben“, sagte Anne. „Weil die steht ganz eng mit dem und gibt ihm lauter Gute-Nacht-Küsse.“
„Was! Oooch! Nein! Das kann nicht sein! Nie im Leben!“, rief Oma Erna, warf die Bettdecke von sich, sprang aus dem Bett und stand neben Anne, noch ehe die Bettdecke zurückgesunken war. „Die alte Hexe ist doch mindestens zehn Jahre älter als ich, wenn nicht noch mehr! Und viel hässlicher! Was will die denn mit einem Liebhaber! Und noch dazu so einem jungen!“
Anne bekam große Augen und sah ihre Oma ehrfürchtig an.
„Ui, Oma. Jetzt warst du ja schneller aus dem Bett als ich am Geburtstag! Die Margot muss aber wirklich eine mächtige alte Hexenschreckschraube sein, so schnell wie die dich gesund gehext hat! Jetzt kannst du mal schön im Kreis laufen, wo du doch schon mal stehst, damit die Schwingungen kommen. Oma, was ist ein Liebhaber?“

 

Guten Abend @Kerzenschein,

vielen Dank für deinen Challenge-Beitrag. In deiner Geschichte geht es um Oma Erna, die mit im Haus ihres Sohnes und ihrer Stieftochter wohnt und sich ständig über ihre Schmerzen beschwert - obwohl sie Schmerzmittel und Medikamente nimmt. Ihre Enkelin Anne überhört dann ein Gespräch mit ihrer Mutter und Vater, schnappt ein Wort auf und spricht mit Oma Erna darüber, die schnell darauf kommt, dass sie über sie gesprochen und sie als theatralisch bezeichnet haben. Im Laufe der Geschichte beobachtet Anne dann Margot, die Nachbarin von nebenan, und als sich herausstellt, dass Margot einen neuen Liebhaber hat, ist die Oma schneller auf den Beinen als erwartet und sie scheint gar nicht so krank zu sein, wie sie allen anderen weißmachen will.

Ich gehe im Detail auf meinen Leseeindruck ein:

„Ach, Kindchen, weißt du, deine Oma wird nicht alt“, sagte Oma Erna, die im Bett lag, und seufzte. Oma Erna wohnte bei Anne und ihren Eltern im Haus.
Im ersten Satz ist schon platziert, dass Oma Erna einen Hang zur Übertreibung hat, das sehe ich als zentrales Thema in deiner Geschichte.

„Wie lange ist hundertmillionen Jahre?“
„Viel zu lange für deine alte Oma. Doch, doch, Kindchen. Dieses Mal spüre ich es, es dauert nicht mehr lange, wirst schon sehen. Dann ist deine alte Oma bei Opa Erich im Himmel. Und dann schauen wir zusammen auf euch runter von da oben. Ja, ich spüre es ganz genau. In jedem einzelnen Knochen spüre ich es.“
„Was spürst du denn da, Oma?“
„Ach, Kindchen, das ist arg schlimm für deine Oma. Da zwickt und zwackt und zieht es überall. Aber jetzt geh mal in die Küche und schau, ob das Abendbrot schon fertig ist.“
Finde die Stimme der Enkelin Anne gut getroffen. Sie ist so unschuldig und geht gar nicht auf die Beschwerden bzw. Übertreibungen der Oma ein.

„Deine Mutter war heute wieder sehr theatralisch“, hörte Anne ihre Mutter sagen.
„Ach, heute mal nicht melodramatisch?“, fragte ihr Vater.
„Das auch.“
„Das ist das gleiche“, sagte ihr Vater.
„Eben. Aber bei den Medikamenten, die sie nimmt, kann sie gar keine Schmerzen mehr haben. Nirgendwo, auch nicht im entferntesten Nerv. Das sagt auch ihr Arzt.
Die Oma sollte eigentlich keine Schmerzen haben und scheint zu simulieren. Das ist die Vorbereitung für das Ende mit der Nachbarin.

„Nun sei doch nicht so sarkastisch. So ist sie nun mal. Wer weiß, wie lange wir sie noch haben“, sagte Annes Vater.
„Na hoffentlich nicht mehr allzu lange.“
„Inge bitte! Das habe ich jetzt aber mal überhört!“
„Jaja ich weiß, immerhin ist sie deine Mutter.“
Das fand ich etwas hart von der Mutter, kann mir schon vorstellen, dass sie ihre Schwiegermutter nicht ausstehen kann, aber sie ist ja immer noch die Mutter ihres Mannes. Kam mir etwas zu bösartig vor, sie wünscht ihr ja quasi den Tod.

„Na endlich! Ich bin schon fast am Verhungern. Was ist das denn wieder für ein Pamp? Hat das deine Mutter gemacht? Kein Wunder, dass mein armer Andreas so dünn ist.“
Offensichtlich besteht auch von Seiten der Oma eine Abneigung gegen ihre Schwiegertochter. Das wird im Text deutlich.

„Was heißt tetarisch?“
„Tetarisch?“ Oma hörte auf zu Kauen und runzelte die Stirn. „Tetarisch … tetarisch. Warte, Kindchen, gleich habe ich es. Ach, das alte Hirn will auch nicht mehr so. Tetarisch … also nee, noch nie gehört. Hat das deine Mutter gesagt?“
Anne traute sich nicht zu nicken. Sie wollte ihre Mutter ja nicht verraten.
„Wenn das deine Mutter war, dann meinte sie bestimmt ´theatralisch´. Das ist doch ihr Lieblingswort. Neben ´melodramatisch´. Da hat sie bestimmt wieder über mich geredet.“
Finde ich eine schöne Idee und zeigt wieder die ehrliche und direkte Herangehensweise der Enkelin, die dabei gleichzeitig sehr liebevoll auf mich wirkt.

„Oma, du musst aufstehen und im Kreis laufen. Das sagt Mama auch immer, dass du kreislaufen musst, damit du in Schwingung kommst.“
Der Dialog gefällt mir.

„Was! Oooch! Nein! Das kann nicht sein! Nie im Leben!“, rief Oma Erna, warf die Bettdecke von sich, sprang aus dem Bett und stand neben Anne, noch ehe die Bettdecke zurückgesunken war. „Die alte Hexe ist doch mindestens zehn Jahre älter als ich, wenn nicht noch mehr! Und viel hässlicher! Was will die denn mit einem Liebhaber! Und noch dazu so einem jungen!“
Anne bekam große Augen und sah ihre Oma ehrfürchtig an.
Und hier die Auflösung, dass der Schmerz wohl doch nicht so schlimm ist, wie die Oma immer behauptet.

So viel zu meinem Leseeindruck.

Beste Grüße
MRG

 

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