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Citi Nightblues
Der Himmel ist dunkel und grau wie ein toter Monitor. Bleifarben. Gigantische Finger farbigen Lichts durchbohren ihn. Bewegen sich hin und her. Hab schon lang keine Sterne mehr gesehen; denk ich.
Ich spüre die feuchte Nässe des Betonbodens durch meinen Tweedmantel dringen. Er saugt sich voll. Wird schwerer und schwerer. Mein Rücken fühlt sich taub und klamm an.
Während ich in diesem Hinterhof liege, die Augen zu einem blinden, doch grell beleuchteten Himmel erhoben, unfähig mich zu rühren, höre ich meine Stadt. Elektromotoren summen weiter vorn auf der Strasse, Menschen lachen, husten, schreien – vertraute Kulisse buntgewürfelter Vokalketten - , Musikfetzen, höherer Töne beraubte Baselines.
Mir wird klar, dass die Nässe in meinem Rücken nicht nur das dreckige, schwefelhaltige Wasser des permanenten Nieselregens ist; was da ausläuft wie eine umgeworfene Dose Rotwein - bin ich. Blut.
Meine Finger sind taub. Ich spüre nicht einmal mehr, ob ich meine kleine Waffe noch in der Hand halte. Nadelpistole. Halbvolles Magazin giftiger Hartplastikstäbchen. Habe ich meine Kippen noch? Echter Tabak kostet eine Vermögen! Die Geräusche verschwimmen zu einem akustischen Brei. Seltsamerweise übermittelt meine Nase die umgebender Daten noch recht gut. Es riecht nach Stadt. Schweiß, Plastik, Schimmel, Urin, Essen, Kotze, Feuchtigkeit, Menschen, Maschinen. Genau das, was man riechen will, wenn man durch Unvorsichtigkeit in diesem Biotop, diesem riesigen Experiment urbanem Darwinismuss, draufgeht. Wahrscheinlich grinse ich gerade. Ich würde lachen, hätte ich die Kraft dazu. Ich habe gehört,
das ganze Leben ziehe an einem vorbei, wenn der eigene Körper runterfährt. Ich warte darauf. Außer Ärger und vagem Bedauern spüre ich aber nichts. Wo bleibt das berühmte Licht und der Tunnel?
Scheiße. Wie ein Anfänger bin ich hier reingetaumelt. Wahrscheinlich halluziniere ich.
Bilder blitzen. Zeigen mir wie alles begann.
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Ein hartnäckiges Geräusch drang durch den Alkoholschlaf voll bunter, verwirrender Schlafbilder. Gerade als ich es der gut gebauten Blondine – die ich vorher im Pornokino zwei Straßen weiter irgendwann im Laufe des Abends in Aktion gesehen hatte (hieß Mary Monroe oder so ähnlich; diese 2D-Kinos sind weitaus billiger als die modernen
3D Holographiegeschichten und zeigen immer irgendwelche Persönlichkeiten von vor hundert Jahren oder länger – Monroe mit einem schnauzbärtigen Typ der Stahl oder Stahlin oder so hieß) besorgen wollte, platzte die Realität in meinen Kopf wie bunte Blitze bei einem Schlag auf den eigenen Schädel.
Ich lag auf meiner alten Couch in meinem Büro. Eigentlich ist dies auch meine Wohnung. Mir gegenüber steht mein Schreibtisch. Flacher Monitor, Barebonerechner, Kabelgewirr –und irgendwie archaisch: echtes Papier. Ein paar Fächer (im unteren mein heutiges Abendmahl – billiger Fusel: eine koreanische Kopie echten amerikanischen Whiskys)
An der Wand ein Regal mit Büchern. Neuere Ausgaben. Elektronisch. Die, die aussehen wie kleine Flache Monitore mit Knöpfen dran.
Dann die Tür zu meiner Küche-Kleiderschrank–Klo–Nische. Wieder das Klopfen.
„Ja“, ruf ich. Mein Kopf schmerzt. Hab einen scheußlichen Geschmack im Mund. Die Zunge ist irgendwie pelzig.
„Ja“, ruf ich noch einmal. Schwing meine Beine von der Couchlehne, stelle sie auf den Boden, richte mich auf. Teufel wie das brennt!
Mein rechter Fuß ist eingeschlafen.
Ich humpele zur Büro–Wohnungstür, blicke auf das Kamerabild auf dem flachen kleinen Display in der Wand daneben. Es hat einen Sprung, ist schmuddelig.
Kann eigentlich kaum was erkennen. Auf den kleinen dunklen Pad daneben – er wirkt schmierig und ich wollte ihn schon tausendmal reinigen – presse ich meinen Daumen. Es summt und klickt leise oberhalb der Tür. Ich zieh sie auf, humpele durch den Raum, lass mich in den Drehstuhl hinter meinem Schreibtisch fallen.
Durch das Fenster hinter mir dringt das Neonlicht der buntflackernden Werbung für körperliche Vergnügen vom Haus nebenan in den dunklen Raum. Wer auch immer durch die Tür kommt, erblickt nur Schemen und ist vom wechselnden Rot - Blau der stilisierten nackten Frau auf einem Riesenständer zunächst geblendet. Punkt für mich. Sicherheitsmaßnahme. Bin eigentlich immer blank und hause in einem schäbigen Viertel – aber ein paar Drogenjunkies mochten immer noch verzweifelter sein als ich und für ein paar Credits meine Haut riskieren.
Eine Frau tritt ein. Ich rieche ihr Parfüm. Unauffällig, teuer. Kundschaft. Ich soll höchstwahrscheinlich ihren Mann überwachen. Geht vermutlich fremd. Scheidungs– und Abfindungserhöhungsfall. Standard. Morde gibt es eigentlich nie aufzuklären. Entweder ist man ein Niemand und keinen interessiert dein Tod, oder man ist ein Zaibatsu. Konzernmann. Dann ist´s Sache der Konzernleute. Die regeln das unter sich. Ich tippe auf einen Button am Barebonerechner. Licht dimmt auf. War mal stimmungsvoll. Jetzt brennen einige Lampen schon lang nicht mehr. Will sie immer wieder mal auswechseln. Die Frau tritt scheu an den Schreibtisch. Blickt sich irritiert um. Sie kommt aus einem „Konzerndorf“. Merkt man gleich. Genormte Wohnung, genormte Altersvorsorge, Krankenversicherung, Gehalt, wohnt in der gegen die Reststadt abgeriegelten Konzernenklave. Die Glückliche. Fließend Wasser, medizinische Versorgung, Sicherheitspersonal.
Hier „draußen“ zu sein bedeutet wohl Kulturschock für sie. Konzernleute verirren sich nur selten zu uns „Gesindel“. Manchmal um eine Mutprobe zu bestehen, manchmal um Abenteuer jenseits ihrer holographischen Adventure-Kammern zu erleben, manchmal um so richtig schmutzig zu sein (den Höhlenmenschen rauslassen, rammeln, sich daneben
benehmen – um am nächsten Tag wieder der brave Angestellte in Anzug und Krawatte zu sein ) – und manchmal als letzter Ausweg.
Sie ist verdammt gut aussehend – wie alle Konzernladies. Sie hat versucht sich wie eine von „außerhalb“ (wie eine Nicht–Angestellte von der Straße) zu kleiden – wie sich Konzernleute uns so vorstellen. Sieht aus wie ein Milliardenschwerer Firmenboss in Bauarbeiterhose und Flanellhemd – irgendwie verkleidet.
„Guten Abend. Sind sie Mrowczyk? Der Dedektiv?“
„Lady – ich bin es. Joe Adolf Mrowczyk steht an der Tür. Aber sie können mich nennen wie sie wollen”
„Äh“, sie wirkt verunsichert. Vermutlich bedeutet „Miteinandersprechen“ für sie Konversation, zielorientierte Kommunikation.
„Mein Name ist, mh, Margrat Thatcher. Ich brauche ihre Dienste.“
Und dann, wie eine Rechtfertigung: „Sie wurden mir empfohlen.“
Meine Hände hatten zwischenzeitlich verdächtig eigenständig die untere Schublade geöffnet. Ich ertappe sie dabei den Verschluss vom koreanischen Fusel aufzuschrauben.
Ich lege die Flasche zurück.
„Klar Lady. Margrat also. Sie haben Glück – ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung.“
Ich könnte dringend Credits brauchen und Konzernleute zahlen immer gut – auch wenn sie einen für dumm und sich für durchtrieben halten. Ist egal. Gute Credits lassen einen über so manches hinwegsehen.
Während sie sich gedanklich die nächsten Worte zurechtlegt – sich wohl die schon erdachte Geschichte aus Lügen und Halbwahrheiten noch einmal wiederholt – mustere ich ihr hübsches Gesicht.
Das rot–blaue Neonlicht von draußen huscht über ihre ebenmäßige Nase, die langen vollen Lippen, das schmale Gesicht, die moderne Kurzfrisur – ich frage mich kurz warum sie zur Tarnung keine Perücke trägt; dass machen Konzernleute eigentlich häufig.
Meine versteckten zwei Kameras zeichnen alles auf. Vielleicht zeigt mir mein Diagnosetool nachher ja doch ein paar künstliche Veränderungen.
„Herr...“ , sie zögert. Stolpert mental über meinen Namen.
„Mrowczyk“ , helfe ich aus. „Aber sagen sie Joe zu mir... Margrat.“
"Also gut, Joe. Sie haben sicher erraten, dass ich Firmengängerin bin. Eigene Wachleute.
Ich, also...“ Sie legt eine Pause ein. Rein rhetorisch, denke ich und spiele mit: „Ich soll für sie jemanden überwachen?“
´Ihren Mann vielleicht´, füge ich in Gedanken hinzu.
„Ja!“ Die Antwort kommt schnell. „Sie sollen jemanden überwachen. Nämlich Mich!“
Ich blinzele verblüfft. Mein Alkoholkater weicht widerwillig meiner Neugier.
„Ich glaube, dass verstehe ich nicht ganz, Lady. Warum? Schlafwandeln sie vielleicht?
Wissen nicht immer genau was sie tun?“
„Nein – haben sie ein Auge auf mich. Jemand will mich töten!“
Mein in Alkohol konserviertes Hirn versucht stotternd mentale Dienste zu erzwingen.
Ich kenne mindestens 15 Leute die die schmutzige kleine Welt aus Verpflichtungen und dem zweifelhaften Erlebnis am Leben zu sein weitaus angenehmer finden würden, ohne den „miesen Schnüffler“ Joe Adolf Mrowczyk. In Gedanken gehe ich ihre Gesichter durch – wie ein Polizeiroboter mit seinem Suchscheinwerfer die einzelnen Gesichter der Passanten in den Konzerneingangsnahen Gegenden abtastet. Sie grinsen süffisant – oder voll Vorfreude mich tot zu sehn. Ich schüttel mich kurz. Spüre den Alkoholkater – und den Blick von „Margred.“
„Äh – darauf sollte ich wohl etwas sagen...“ , beginne ich vorsichtig, deute ihre verwirrte Miene als beginnende Unsicherheit ob meiner Referenzen und setze schnell nach:
„Durchaus kein ungewöhnlicher Fall, Margred!“ Dies ist mein erster Lohnsklave der Konzerne der verlangt einen Mord aufzuklären. Äh, einen noch-zu-begehenden–Mord aufzuklär..., zu verhindern. Äh. Scheiße. Meine rechte Hand tastet wieder zur unteren Schublade. Ich ziehe sie zurück. ´Kein Fusel, Joe´.
„Es kommen viele zu Ihnen, weil sie Angst davor haben...“ , sie zögert kurz, „getötet zu werden?“
Ihre Haltung und der leicht spöttische Ton verraten mir „Margreds“ normalen Konversationston – wenn sie nicht gerade unter der Angst vor plötzlichem Ableben leidet. Sie muss eine hohe Position bekleiden. Mit Ironie und akademischen Antworten infiziert man sich nicht auf der Strasse – oder in billigen Jobs. Ich versuche gewinnend zu lächeln. Meine Gesichtszüge verziehen sich, meine Schläfen pulsieren tauben Schmerz durch meinen Schädel.
„Nein. Aber viele kommen, um zu wissen wer jemanden bereits umgebracht hat.“ Sie nickt leicht und ich setze nach:
„Die Prozedur ist die gleiche! Warum: die richtige Frage. Fragen Sie oft genug warum und sie können das ganze kleine nette Universum erklären.“ Ich lächle noch immer. Mehr ein Grinsen. Sie hat begonnen sich umzusehen. Sie ist sicher anders gewohnt. Scheiße, was solls. Sie kam zu mir. Was mich auf etwas bringt. Hätte schon eher dran denken sollen, aber mein Neokortex badet noch immer im alkoholschwangeren Hirnwasser. „Wer hat sie eigentlich empfohlen?“
„Ist das von Bedeutung?“ Kontert sie.
„Es geht um ihr Leben...“ sie zuckt zusammen. Scheint sich wirklich zu fürchten, „...da ist alles von Bedeutung! Hören sie Margred“,...ich senke meine Stimme zu einem Flüstern klingt eher nach krächzen, mit normalen Ton fahre ich fort: „Sie kennen meinen Namen, haben von mir gehört, ich kenne ihren Namen...“ , ich mustere sie kurz um ihr zu zeigen, dass ich weiß, dass sie weiß, dass sie weiß, dass ich weiß, dass Margred Satcher oder so ähnlich nicht ihr Name ist," und dass sie Angst haben! Bitte setzen Sie sich und erzählen sie mir einfach alles von Anfang an. Mit alles meine ich nicht den Mein-Vater-vögelte-meine-Mutter-und-so-entstand-ich-Scheiß, sondern was sie veranlasst zu glauben...“ ihre Augen blitzen kurz...“ äh, woher sie wissen, dass sie jemand beiseite räumen will?"
Sie setzt sich mir gegenüber. Zwischen uns - mein alter Schreibtisch. Holzimitat. Imagegerecht. Echtes Holz ist natürlich viel zu teuer. Die letzten noch lebenden Deckenleuchtspots werfen weiße helle Kreise auf die faserige Oberfläche. Wetteifern mit dem blau – rot wechselnden Lichtern vom Fenster hinter mir darum, klebrige Rückstände von Rotweindosen, eingetrocknete Fuselpfützen, schmuddelige Einwegbücher und einen echt antiken Plastikkugelschreiber (auf dem MARLBORO steht – irgend so eine Firma von damals, die Heut keiner mehr kennt – oder die längst anders heißt) zu beleuchten. „Margreds“ teures Parfüm zieht durch die Wohnung. Wirkt so fehl am Platz und verlockend wie der Duft von Grillfleisch auf einer Versammlung dieser militanten Vegetariergangs. Ich spüre meinen Körper schwitzen. Vermutlich stinke ich nach Fusel. Scheiße. Mein Schweiß ist Fusel.
Sie wirkt etwas verunsichert. Ihr hübsches Gesicht weiß nicht, in welche Form es sich legen soll. Die ganze Situation, das Ambiente, meine Art, und tausend kleine Sachen (die mir nie einfallen würden) lassen ihren gewohnten Leitfaden von Informationsaustausch und freundlichen (oder höflich–feindlichem) Miteinander hier so praxisbezogen wirken wie Kniggeregeln bei den mutierte Hunde verzehrenden ESA-Aussätzigen in den Müllzonen draußen. Ich versuche zu helfen, soufliere. „Wer will sie denn ins Jenseits befördern?“
´Oder ins Nirvana, oder in – an – was – immer sie glauben, Konzernlady. Gott ist sie hübsch.´
Sie sieht mir fest in die Augen.
„Das ist der Auftrag, Joe. Ich weiß es nicht. Darum sollen sie mich überwachen! Finden sie Muster. Stellen sie ihre Warum - Fragen. Schützen sie mich. Holen Sie Informationen ein." Einen kurzen Augenblick lang flackert in mir die verzehrende Flamme meiner eigenen Paranoia. Ich trommele mit den Fingern auf die Kunstharz–Holzimitatplatte meines Schreibtisches um mich zu beruhigen.
Sie nimmt eine kleine, flache Metallschachtel aus ihrer Tasche. Mit leisem Klicken springt der Deckel der Länge nach auf. Ein flüchtiger Blick zeigt mir 4 weiße lange Strohhalme(?) aus den irgendwelches braunes Zeug hervorlugt.
Margrads feinmodelierten und manikürten Finger (hier bröckelt ihre Verkleidung als Nicht-Konzern-Lady erneut - vermutlich kosten die Fingernägel mehr als meine monatliche Miete) ziehen eine der Stangen heraus, stecken sie zwischen die Lippen (ein Schauer kriecht meinen Rücken hinauf und hinunter) und wandern zusammengefaltet zurück in ihren Schoß.
Nach ein paar Sekunden entzündet sich plötzlich das äußerste Ende, beginnt zu qualmen - und Margrad zieht den Rauch in ihre Lungen!
Ich mustere sie erstaunt. Dann dämmert es mir.
„Das ist Tabak Lady, oder?“
Jetzt mustert SIE mich erstaunt und verwirrt. Sie betrachtet die in Papier gewickelten Tabakkrümel in ihrer Hand, lässt kostbaren Rauch einfach in die Luft entweichen. „Eine Zigarette“, murmelt sie. Der Rauch brennt mir in den Augen und ich versuche möglichst unauffällig Rauch in meine Lungen zu atmen.
Sie deutet auf den Kugelschreiber aus dem letzten Jahrhundert. „Marlboro – eine Zigarettenmarke, Joe! Wussten sie das nicht? Gibt’s nicht mehr. Yehuyehan ist der einzige Konzern der noch Zigaretten herstellt. Gerüchteweise echter Tabak. Nichts synthetisches...“, sie hält kurz inne, mustert mich durch den Rauch, scheint abzuwägen, ob mich das wirklich interessiert. Ich muss husten. Fühl mich benebelt. Durch den Alkoholrausch explodieren kleine Sterne hinter meinen Augen bei jedem Huster. „Entschuldigen Sie, Joe...“, und sie versucht die glühende Spitze der – Tsigarehte(?) – zu ersticken. „Warten Sie...“, krächze ich. Mit schnellem Griff entwende ich ihr den Tabak, führe ihn an die Lippen, atme den Rauch ein. Ein seltsamer Geschmack, bitterer als die Kaupfriems aus künstlichen Zutaten, ein Druck auf den Lungen ( wie Wasser das in die Lungen drückt), Husten. Kopfweh. Augen tränen. Und leichter Schwindel. „Gar nicht schlecht“, krächze ich und versuche zu grinsen.
Ich reiche ihr die Yehuyehan zurück, sie zieht daran, reicht sie ihrerseits wieder mir. Ich ziehe, huste. So rauchen wir gemeinsam fertig. Es scheint etwas unglaublich intimes bei den Konzernis zu sein. Margred hat sich sichtlich entspannt. Lümmelt fast in dem Stuhl vor meinem Schreibtisch. Der Rauch scheint mir nicht in den Lugen, sondern in den Kopf gestiegen zu sein. Ich stelle mir kurz mein Gehirn vor, wie es in Alkohol schwimmend in einer rauchigen Schädelhöhle im Nebel von Tabak liegt.
Aber Margred scheint zugänglicher geworden zu sein. Das ist meine brennenden Lungen wert.
Ich öffne eine Schublade, nehme den alten tragbaren Computer heraus, aktiviere die Infrarottastatur (die als rotes Lichtermuster auf meiner Arbeitsplatte entsteht) und auf meine Eingabe wartet.
„Lady – fangen wir an“, krächze ich.
Sie blickt auf meine Finger. Sie liegen auf meinem Schreibtisch. Gebadet in das rote Licht der künstlichen Tastatur. So wie Margred schaut, muss meine Lichttastatur etwas unglaublich nostalgisches – oder hoffnungslos archisch veraltetes – sein.
„Müssen sie unser, „sie stolpert mental,“ Gespräch...dokumentieren, Joe?“ Ach ja. Paranoia.
„Haben sie keine Angst. Sämtliche Notizen werden sofort verschlüsselt. Noch während ich tippe. 2048 Bit – Verschlüsselung. Kein Reintext.
Nur lesbar mit meiner, aus Zufallszahlen generierter Kennung.“ Ich leiere eine Kurzform meines „Die–schmutzigen–Bilder–ihrer-Gattin/ihres Gatten–sind–sicher“ Verkaufsgespräch herunter.
Technische Daten scheinen eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben – ein Phänomen, dass ich oft bei Konzernis erlebt habe. Meine Vorstellung ist natürlich Blödsinn. Der Drahtschädel, den ich ab und zu benutze um im Netz nach Informationen zu fischen - ich glaube er nennt sich Fake- hat mir erklärt, dass in der heutigen Zeit mit Equipment von unter ca. 100.000 Euro eine sichere Verschlüsselung gar nicht möglich ist. Scheiße, scheinbar können die Netzfreaks, die mit ihrem Rechner zusammengewachsenen Drahtschädel, sogar aufgrund der Schwingungen der Drähte in Monitoren Daten rekonstruieren oder so. Weiß nur eins – für meine Möglichkeiten sind die Daten sicher. Für alle Netzfreaks hinterlasse ich aber Datenspuren wie ein Durchfallkranker eine Spur auf dem Weg zum viel zu weit entfernten Klo.
Hin und wieder (wenn der seltene Zustand vorübergehenden Geldbesitzes mein „Ich“ euphorisch werden lässt) lasse ich von Fake meine Hardware durchleuchten, umgestalten, sicherer konzipieren. Es scheint als würde in der modernen Kryptographie pausenlos Fortschritte gemacht, die auf den Schultern der älteren Durchbrüche stehen, welche wiederum ab der 4./5. Generation vergessen werden. Abgesehen von diesen typisch alkoholschwangeren Ewigkeitsgedanken–Ketten: würde jemand Miss Konzern–Lady wirklich töten wollen, würde er sie überwachen lassen – was ihn zu mir führt. Mist. Ihn erkennen lässt, dass sie weiß, dass er sie bedroht und sie mich um Hilfe bittet. 2mal Mist. Was zur Folge haben könnte, dass dieser hypothetische Jemand keinen Bock auf Einmischung hat und mich einfach ebenfalls dem großen Vergessen anheim fallen lässt. Verfluchte Scheiße. Ich schwitze plötzlich am Rücken und auf der Nase. Langsam werde ich nüchtern, Gedanken kollidieren, hüpfen in meinem Kopf auf und ab, versuchen meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Fazit: Wenn Margrad wirklich tot sein soll, und dies nun ein Konzernheini trotz Sicherheitsvorkehrungen wie bei einem Besuch von diesem Itaker Kirchenclown Papst oder Bischoff oder so (der zum heiligen Krieg gegen die noch viel blöderen Handtuchköpfe mit ihrem Dschingishad – oder so – aufruft) bewerkstelligen kann – also nur jemand mit langen Gefälligkeitsketten und viel Macht – Mist, Mist, Mist – dann bin ich auch tot. Ich weiß es schon, mein Körper weigert sich noch zu glauben er müsse auf der Stelle stocksteif auf meinem abgenutzten Teppich liegen.
„Äh...“, ich räuspere mich kurz. „Bevor wir anfangen, lassen Sie mich kurz telefonieren.“
Ich krame in einer Schublade nach meinem Ohrstöpsel. Ein paar kurze Haare von mir hängen noch dran – und ich denk lieber nicht darüber nach, an was sie festkleben könnten.
Ich fummele mir das gelbe Plastikteil ins linke Ohr, aktiviere dabei den kleinen Knopf daran. Statisches Rauschen erfüllt meinen Schädel. Zur Kakophonie meines Alkoholkaters gesellt sich grinsend ein Gefühl wie Tinnitus. Dann ein abgedämpfter dumpfer Ton. Wie eine Glocke unter Wasser. „Fake“, sage ich und der kleine Speicher des Telefons wühlt sich durch die Einträge in meiner persönlichen WICHTIGE LEUTE – Liste. Da es nur zwei sind, findet sogar mein langsames Uraltmodell die Nummer recht flott.
„Aufbau“, sage ich und nestele nervös
mit den Händen an meinem einzig teuren Stück auf dem Schreibtisch, dem Marlboro–Kugelschreiber, herum. Margrad sieht mich irgendwie seltsam an. Muss eine Art Kulturschock sein. Mein Barebonerechner, die Lichttastatur, das Ohrstöpseltelefon (na ja und vermutlich auch ich) kommt ihr unglaublich altbacken vor.
Im Vergleich zu ihrem technischen Komfort im Konzern lebe ich nicht nur hinterm Mond, sondern am anderen Ende der Galaxie – an dem metaphorischen Körperteil, dass man in`s Klo presst, um seinen Magen auszuleeren. Ich versuche den Kugelschreiber in Ruhe zu lassen, meine (vom Tabakrauch) brennenden Lungen zu ignorieren, den Kater zu verdrängen und auf die Anwahlversuche meines Telefons im Ohr zu lauschen. Das rhythmische Summen hallt durch den Schädel, scheint sich mit den flackernden Halogenlichtern der blau – roten Puffbeleuchtung hinter mir und meinem Fenster zu synchronisieren. Ich ertappe mich dabei auf Übereinstimmung zu achten. Blink – tut, Blink – tut, Blink – tuuut. Im Halbdunkel meines Büros, meiner Wohnung, meines Schweinestalls (diese interessante Metapher habe ich aus einem Porno, sie gefällt mir – auch wenn ich keine Ahnung habe wie Schweine in einem Stall leben, oder aussehen) bemerke ich Margrads misstrauische Blicke. Schließlich gebe ich auf. Niemand reagiert auf mein Anrufen. Ich drücke kurz auf den kleinen Knopf am aus dem Ohr ragenden runden Ende – wie eine Brust mit Brustwarze aus gelber Plastik für fingergroße Menschen. „Wer ist Fake?“, frägt Margrad, was mir erneut deutlich macht, sie intellektuell nicht zu unterschätzen.
„Mh, nennen wir ihn Mr. Privatsphäre“, schlage ich vor und zwinkere ihr zu. „er sorgt für elektronische Sicherheit – gegen einen gewissen, äh, Obulus. Was mich direkt zu meiner Bezahlung und Spesenabrechnung führt.“
In dem Moment setzt mein Ohrtelefon dumpfe Pfeiftöne in meinem Ohr ab. Sie laufen umher und purzeln akustisch durch meine Gehörschnecke. Erschrocken erstarre ich. Drücke schnell den „Nippel“ und schrei fast über den Klingellärm: „Annehmen.“
„Ich habe einen Auftrag für Sie“, ertönt eine Stimme in meinem Kopf. Fake. Unser Erkennungssatz, dass ich gerade von ihm überprüft und wanzenfrei befunden wurde. Was mir jedes Mal zu denken gibt – scheinbar kann er mich rund um die Uhr bewachen. ´Drahtschädel!´, denk ich.
„Momentan habe ich gerade Kundschaft – kann ich Sie zurückrufen?“
Meine Antwort. Schlüsselsatz. Ich bin nicht allein, Kunde ist harmlos. Fake ist ein echter Paranoiker. Aber verdammt gut. Es heißt er sei bei Casio in der „Lehre“ gewesen – ner echten Persönlichkeit unter den Hackern.
„Oh, dann sind sie gänzlich ausgebucht, Herr Mrowczyk?“ Was soviel bedeutet wie: Du wolltest meine Dienste, Joe alter Zechpreller, haben die was mit der Kundschaft bei Dir zu tun? „Eigentlich schon. Vielleicht können Sie sich später auf den Weg zu mir machen?“ Furchtbarer Satz. Bedeutung: Überprüfe meinen Kunden. Führt irgend eine Spur grad zu mir? Fake wird das Netz auf elektronische Muster hin abtasten, Funk, GPS, elektronische Bordcomputer der Elektroautos, Kameraabtastung von Kaufhäusern, Verkehrsampeln, Sicherheitseinrichtungen von Geschäften und Privathaushalten – jemanden zu beschatten ohne Elektronik ist nicht möglich. Und wenn jemand Margrad auf dem Weg zu mir überwacht hat (und ich folglich schon fast tot bin) soll es Fake rausfinden.
„Das kann ich gerne tun.“ Er nimmt den Auftrag an. Meine bleierne Müdigkeit ist ein einem hektischen Gefühl von Auflehnung und Nervosität gewichen. Die Fingerspitzen kribbeln. Die Kopfhaut auch. Vielleicht ist das auch das Adrenalin, dass unser Körper nach 3 Millionen Jahren Evolution in Gefahrenmomenten in den Körper pumpt um wegrennen zu können – und so nutzlos ist wie eine Nase am Arsch es wäre. Margrad hat sich erneut eingewickelten Tabak zwischen die perfekt modellierten (vermutlich künstlich gestalteten) Lippen gesteckt, angezündet und inhaliert den beißenden Rauch. Durch träge, von brownschen Bewegungen spielerisch hin- und hergestoßene graue Partikel – faszinierenden volumetrischen Verbrennungsnebel – sieht sie mich forschend an. Ich lächle leicht und warte auf Fakes Rückruf. Als sein Okay kommt, ich beinahe vor Lebensfreude jubeln möchte und Margrad seit nahezu 45 Minuten mit Geschwafel bei Laune gehalten habe, stinkt mein Büro nicht mehr nur nach meinem Körper, billigen Fusel und teurem Parfüm – sondern auch nach verbrannter organischer Materie. Diese Reichen. Verbrennen Tabak einfach so.
Weitere 100 Minuten Gespräch formen das Bild in meinem Kopf. Margrad lebt in der Tat wohlbehütet im Konzerndorf von Goldmann & Book Inc. - getrennt von Sicherheitszäunen in einem eigenen autarken Wirtschaftskreislauf. Aufgrund ihrer höheren Position als Lektorin für ausländische Propaganda – Zeug, dass nicht für den Druck, sondern für die Konzernsicherheit gesichtet wird – mit der Erlaubnis den streng reglementierten Komplex verlassen zu dürfen (um in den „unzivilisierten“ Teilen der Umwelt, also in der Stadt, nach Informationsbrocken zu jagen) ausgestattet, hat sie ein kleines Netz drittklassiger Informationsjäger angeheuert. Einer davon hat einen zu großen Brocken aufgeschnappt, ihn dummerweise an Margrad weitergeleitet bevor er von der Bühne des Lebens treten musste – und diese sieht sich nun in der unangenehmen Situation einen unübersehbaren, virtuellen Informationsbrocken von der Größe eines Blauwales im Netz zu haben, dessen zähneknirschenden mit (metaphorisch gesprochen) thermonuklearen Bomben bewaffnete Besitzer nach ihm suchen – möglichst bevor er seine Kunststücke zeigt und andere Großwildjäger ihn in die Finger bekommen. Die gemäß des Grundsatz des Lebens (dass es beschissen ist) ebenfalls über thermonuklearen Bewaffnung verfügen. Mehr als einmal ertappe ich mich mental beim Erstellen meines Testaments zugunsten herrenloser Katzen, die alles erben sollten was ich wertvolles besitze: meinen original Marlborokugelschreiber.
Es geht nicht nur um Margrads (zugegebenermaßen sehr augenfreundlich und spermatozidfördernd geformten) Popo zu retten - auch mein Arsch bzw. Kopf steckt jetzt in der Schlinge. Um mich zu retten, muss ich ihren Auftrag ausführen. Und ihre Kohle kassieren (die ich dringend brauchen werde um dann für immer unterzutauchen).
Mit selbstmitleidigem Bedauern denke ich daran, dass ich bis vor kurzem als einziges Problem ansah nicht schnell genug betrunken zu sein. Jetzt aber einfach nur den nächsten Tag zu erleben – Tag für Tag. Nicht dass es mich sonderlich stören würde meine befleckte Seele von diesem Körper zu lösen um irgendwo lachen zu können – aber ich möchte mit Stil abtreten. Und dann, wann ich will. Nicht weil zufällig jemand den guten alten Joe Adolf als lästig empfindet. Verdammt noch mal: „Margrad – geben Sie mir noch eine von ihren Rauchstangen!“
Eine Stunde später. Margrad ist gegangen. Im Kopf eine Litanei überlebenswichtiger Verhaltensregeln, gesammelt im urbanen Raubtiergehege Hamburg. Knifflig. Sie muss weiterhin tun was sie eben so tut, ohne etwaige Beobachter erkennen zu lasen, dass sie bereits den Schatten der Verfolger wahrnimmt – gleichzeitig aber auf der Hut sein. Auf der Hut sein? Scheiße wie banal. Sie kann jetzt bereits tot sein. Während ich meinen von den Yehuyehanzigaretten brennenden Hals mit großen Schlucken nicht minder brennenden Whiskys betäube, fummle ich erneut meinen Ohrstöpsel in`s linke Ohr. Ich lass es die vereinbarte Anzahl für „Joe hier, ruf zurück“ läuten. Fake meldet sich zurück. Wir machen einen Treffpunkt aus. Fakes übliches „Büro“. Ich zähle ein paar der alten Geldscheine (Vorschuss von Margred) in eine Plastiktüte. Echtes Geld. Elektronische Währung ist zu leicht zu überwachen. Ich stell mir in dem Zusammenhang einen angestochenen, vollen Katheter im Schnee vor. Man sieht genau wohin er getragen wurde – bis nichts mehr da ist. Leider kann man mit Papier nur noch wenig zahlen. Aber das Wenige ist das Wichtigste. Fusel, Kautabak, Drogen, Mädchen, Dienstleistungen, Privatsphäre, Essen. Wer Nachts durch die Stadt zieht braucht Scheine – mit gläsernem Geld kann er genauso gut völlig Pleite sein –oder akzeptieren überall das Vierfache zu zahlen. Konzernis zahlen gern elektronisch. In ihren Arcologien, Konzerndörfern, können sie nur noch so zahlen. Die Scheine in der Tüte sind für Fake. Besser den Jungen zu zahlen. Man muss den Wachhund füttern, sonst beißt er einem in die Hand. Hab keine Lust die Zähne des Netzjockey zu spüren, um beim Aphorismus zu bleiben.
Der nächste Anruf gilt Bob. Bob ist ein blöder Name und ein blöder Typ. Bob hat Hamburgs schnellsten Pizzaservice – und besten Beschattungsdienst. Manchmal kann ich ein paar Brosamen auflesen, Aufträge die nicht mal seine schlechtesten (und billigsten) Leute übernehmen wollen. Manchmal aber kriegt er Aufträge von mir. Seit dem letzten schulde ich ihm Kohle. Bob Kohle zu schulden ist genauso gesund wie einem wohlbeleibten Yakuza Boss zu sagen, er sei ein fettes Schlitzauge.
„Joe, Joe“, näselt seine Stimme durch den Hohlraum, wo mein Gehirn sein müsste, sich derzeit aber eher wie ein Stück Butter anfühlt.
„Hallo Bob.“ Bob besteht darauf von für Leuten die für ihn arbeiten gedu`zt zu werden – auch wenn sie wie ich ganz weit außen in seinem Spinnennetz sitzen und nur hin – und wieder zappeln.
„Wenn es Dein Terminplan erlaubt...“, ein grässliches Lachen folgt seinen Worten, erfüllt meinen Schädelraum, lässt die Haare auf meinen Armen zu Berge stehen und weckt den Wunsch in mir sofort zu Bob zu fahren und ihm in seine Visage zu schlagen. Was purer Selbstmord wäre und schon an seinem ersten Gorilla kläglich scheitern würde - Bobs Gorillas zeichnen sich durch einen erstaunlichen Körperbau aus. Er lässt sich seine Bodyguards einiges Kosten. Künstliche Muskelpakete, auffrisiertes Nervensystem. Man munkelt (und die meisten Gerüchte wird Bob selber in die Welt setzen), dass jeder von Ihnen 52 Möglichkeiten kennt, jemanden ohne Waffen zu töten.
"...komm doch mal vorbei."